2013
Ein Geschenk für Oma
Juni 2013


Ein Geschenk für Oma

Die Verfasserin lebt in Kalifornien.

Ein schlichter Dankesbrief bedeutete meiner Großmutter sehr viel.

Illustration von Roger Motzkus

Als ich klein war, lud meine Oma öfter einmal alle ihre Enkelkinder zu sich ein. Wir waren insgesamt 14 Cousins und Cousinen, und wir freuten uns immer sehr, wenn Oma uns zum Abendessen, zum Übernachten, zu Spieleabenden oder an Feiertagen zu sich einlud. In Omas Haus fühlte man sich einfach wohl!

Alles, was wir bei ihr unternahmen, machte großen Spaß. Ich überlegte aber nie, wie viel Zeit und Aufwand damit verbunden waren. Ich dachte einfach, das sei eben das, was eine Großmutter so macht, und war immer begeistert.

Nachdem wir über viele Jahre als Cousins und Cousinen viele schöne Erinnerungen in Omas Haus gesammelt hatten, zog meine Familie weg. Einige Zeit später besuchte uns meine Oma in unserem neuen Haus, um einen Ehrentag mit uns zu verbringen. Meine Familie dachte lange angestrengt darüber nach, was das perfekte Geschenk für sie wäre. Sie besitzt mehr Sachen als sonst jemand, den ich kenne. Was kann man einer Oma schenken, die einfach schon alles hat?

Ich fragte meinen Vater um Rat, und er sagte, was er mir jedes Jahr sagte: „Warum schreibst du ihr nicht einen lieben Brief?“ Da mir nichts anderes einfiel, setzte ich mich früh am nächsten Morgen, als alle anderen noch schliefen, an den Küchentisch, die Füße auf den kalten Fliesen, und schrieb meiner Oma einen Brief.

Anfangs wusste ich nicht, was ich schreiben sollte außer: „Du bist ein wunderbarer Mensch. Danke für alles.“ Als ich aus dem Küchenfenster auf die Palmen und den Himmel blickte, dachte ich an all das, was meine Großmutter über die Jahre für uns getan hatte. Mir wurde bewusst, dass ich meiner Oma nie gesagt hatte, wie viel mir diese gemeinsame Zeit mit der Verwandtschaft bedeutet hatte.

Also schrieb ich meiner Oma, wie sehr ich sie liebte, und dankte ihr für die schönen Erinnerungen, die sie mir geschenkt hatte. Ich erklärte ihr, wie wichtig sie mir immer noch, nach all den Jahren, waren. Dann steckte ich den Brief in einen Umschlag, band eine rote Schleife darum und ging zurück in mein behaglich warmes Zimmer mit Teppichboden.

Als es an der Zeit war, Oma die Geschenke zu überreichen, zog ich zögerlich meinen Brief hervor, denn ich war von meinem Geschenk nicht so recht überzeugt.

Sie sah überrascht aus, als ich ihr den Brief gab. Ich beobachtete sie aufmerksam, als sie vorsichtig den Brief an einer Seite öffnete und das schmale rosa Briefpapier herausholte. Als sie den Brief las, lächelte sie, und Tränen stiegen ihr in die Augen. Ich hatte meine Oma noch nie weinen sehen. Langsam hob sie den Kopf und blickte mich mit ihren warmen, braunen Augen an. Sie flüsterte: „Ich danke dir. Ich hätte nicht gedacht, dass sich noch jemand daran erinnert.“

Meine Oma, die so viel für den Zusammenhalt in unserer Familie getan hatte, hatte nicht gewusst, dass ich oft an diese gemeinsame Zeit dachte und sehr dankbar dafür war. Sie wischte sich über die Augen und sagte: „Danke, Kimberly. Das war das schönste Geschenk, das du mir machen konntest.“

Ich nahm Oma fest in die Arme und spürte ihre weiche Haut an meiner Wange und nahm den typischen „Oma-Duft“ wahr, eine Mischung aus Babypuder und Moschus. Ich war sehr dankbar, dass mein Vater mir geraten hatte, ihr einen Brief zu schreiben. Ich wusste nicht, dass ein paar dankbare und liebevolle Zeilen meiner Oma mehr bedeuten würden als aller Schnickschnack, irgendein Parfüm oder der beste Kuchen, den man ihr hätte kaufen können.