Heim und Familie
Der Zeitpunkt muss stimmen
Wie eine große Liebesgeschichte schließlich bis in den Tempel reichte – auf überraschende Weise.
Vinca Gilman blickt nachdenklich auf den Wald hinter ihrem Haus in Alaska. Ihre Gedanken gelten ihrem lieben Mann, der vor längerer Zeit verstorben ist. Ward Kepler Gilman war eine starke, eindrucksvolle Persönlichkeit. Er hatte im Zweiten Weltkrieg gekämpft und war Arzt und ein treuer Ehemann. Doch bis dahin, dass Vinca und Ward nun für immer vereint sind, waren einige glaubensvolle Schritte und eine zweite Chance im Evangelium notwendig.
Vinca Helen Gilmans Geschichte beginnt in Dänemark. Sie wurde in der Nähe von Vordingborg geboren, einem Ort, der auf derselben Insel liegt wie Kopenhagen. Sie wuchs mit sechs Geschwistern auf, darunter drei adoptierte Jungen.
Dann kam der Zweite Weltkrieg. Dank Gottes Gnade überlebten sie und ihre Eltern den Holocaust und drei Jahre Gefangenenlager – eine Erfahrung, die sie inzwischen lieber vergessen möchte.
Nach dem Krieg versuchte die Familie, ins Leben zurückzufinden. Als Vinca und ihre Eltern einige Zeit in einem Sommerhäuschen in Aarhus in Jütland verbrachten, lernten sie eines Tages zwei Missionare kennen, die nach einer Unterkunft suchten. Die jungen Männer waren so nett und freundlich, dass Vincas Eltern ihnen die Gästezimmer anboten.
„Eine Zeit lang ging ich mit ihnen zur Kirche“, erzählt Vinca, „aber meine Familie war an Religion nicht sonderlich interessiert. Mein Vater war jüdischer Abstammung und meine Mutter war Lutheranerin, aber wir wurden nicht religiös erzogen. Und dann fing die Schule wieder an.“
Später besuchten die Missionare sie kurz in Kopenhagen. Vinca freute sich über ihren Besuch, war aber noch nicht bereit, das Evangelium anzunehmen.
„Um 1950 zog ich nach Salt Lake City“, berichtet Vinca. „Ich war Krankenschwester, musste aber meine Zulassung erneuern, um in den Vereinigten Staaten arbeiten zu können.“
Dadurch hatte sie auch die Chance, besser Englisch zu lernen. Und sie hatte erneut die Gelegenheit, sich mit der Kirche zu befassen. Sie wohnte im Beehive House und arbeitete in einer Arztpraxis gegenüber. Außerdem spielte sie Cello bei der Utah Symphony und lernte in Salt Lake City gute Freunde kennen.
„Mit ihnen ging ich auch in die Kirche. In der Mittagspause ging ich jeden Tag über den Tempelplatz. Aber nach wie vor war ich der Ansicht, dass man Religion ganz nach Belieben zu einem Teil seines Lebens machen könne – oder auch nicht.“
Nach zwei Jahren in Salt Lake City zog Vinca nach Sacramento in Kalifornien. Dort lebte sie kurze Zeit bei der Familie eines der Missionare, die sie in Dänemark mit dem Evangelium bekanntgemacht hatten. Als sie dann als OP-Schwester so gut verdiente, dass sie auf eigenen Füßen stehen konnte, zog sie aus. Sie und der ehemalige Missionar gingen miteinander aus, und schließlich verlobten sie sich.
„Es hat aber einfach nicht funktioniert“, stellt Vinca fest, und nachdem sie die Verlobung gelöst hatten, orientierte sie sich neu und verlor den Kontakt zu den Mitgliedern der Kirche.
Bald darauf lernte sie Ward kennen. Er war Zahnarzt und Kieferchirurg, in Sacramento geboren und aufgewachsen, ein starker, gutaussehender Mann. Während des Krieges hatte er als Marineoffizier gedient. Ward war elf Jahre älter als Vinca, doch er eroberte ihr Herz im Sturm, und die beiden heirateten 1954.
Sie kauften in der Nähe seiner Praxis ein Haus. Sie konnten keine Kinder bekommen, aber sie führten eine glückliche, liebevolle Ehe. Sie arbeiteten, sie reisten, er malte, und sie spielte weiterhin Cello. Das Leben war schön – viele Jahre lang.
Ward verstarb 1985. Vinca lebte noch bis 1999 in ihrem Haus, doch dann wollte sie umziehen. Das Haus war groß, zu groß für sie, und sie sehnte sich nach einer Veränderung. Sie fand Gefallen an der Kleinstadt Haines in Alaska. Dort setzte sie sich zur Ruhe, und damit wäre die Geschichte zu Ende, hätten nicht im Jahr 2006 wiederum Missionare an ihre Tür geklopft.
Endlich, nach vielen Chancen und vielen Jahren, war der Zeitpunkt richtig.
„Ich kannte mich mit Religion nicht besonders gut aus“, meint Vinca, „aber es gab manches, was mich enttäuscht hatte oder mir seltsam erschien, und deshalb hatte ich einige Fragen.
Als ich das Evangelium kennenlernte, ergab alles auf einmal Sinn: der Plan der Erlösung, was von uns erwartet wird, die Verheißungen, das Buch Mormon. Vor allem gefällt mir die Lehre von der Tempelarbeit für diejenigen, die gestorben sind, ohne das Evangelium kennengelernt zu haben. Als ich davon hörte, verspürte ich innere Ruhe; ich konnte es annehmen, weil es mir klar und einleuchtend erschien – es war, als käme ich nach Hause.
Endlich tat ich, was ich schon vor langer Zeit hätte tun sollen. Ich weiß nicht, warum ich so lange gebraucht habe. Ich hatte ja viele wunderbare Menschen kennengelernt, und sie alle hatten Einfluss auf meinen Entschluss, mich der Kirche anzuschließen. Auch wenn es Jahre gedauert hat: Mich taufen zu lassen war das Beste, was ich je gemacht habe.“
Vinca ließ sich am 14. Oktober 2006 taufen – am Geburtstag ihres Mannes. Genau ein Jahr später ging sie zum ersten Mal in den Tempel und wurde (dank eines Stellvertreters) an Ward gesiegelt, für Zeit und alle Ewigkeit. Vinca fand diese Erfahrung – ihren Besuch im Tempel und die Siegelung an die Liebe ihres Lebens – „unglaublich schön“.
An ihren geliebten Mann gesiegelt zu sein empfindet Vinca als himmlischen Segen, und nun hat sie den großen Wunsch, ihren Verwandten die Segnungen des Tempels zukommen zu lassen. Trotz ihrer 86 Jahre und eines Nierenleidens ist sie hochmotiviert.
„Ich hoffe, dass mein Mann und seine Eltern sowie meine Eltern und Geschwister das Evangelium annehmen. Es gibt so viel Tempelarbeit zu tun.
Zu meinen größten Lebensaufgaben gehört nun, so viel Tempelarbeit wie möglich zu verrichten, so viel Ahnenforschung wie möglich zu betreiben. Es gibt sicher einen Grund, weshalb ich noch am Leben bin. Selbst wenn ich hundert Jahre alt werde, ist das in Ordnung. Ich habe jetzt so viel vor. Es ist ein sehr schönes Gefühl, diese Arbeit zu tun.“
Vinca wendet sich zum Haus zurück. Sie ist erfüllt von der Hoffnung, die das Evangelium Jesu Christi mit sich bringt. Der Kirche anzugehören, „ist auf so vielerlei Weise ein Segen. Man verspürt inneren Frieden. Man fühlt sich stärker. Manchmal ist alles einfach nur wunderbar, und man kommt sich vor wie im Himmel. Dann ist man dankbar, dass man lebt.“
Vinca empfindet tiefe Dankbarkeit – weil das Feuer des Evangeliums in ihr brennt und die Hoffnung, die Ewigkeit mit ihrem lieben Mann zu verbringen, hell leuchtet.