Gelebter Glaube
Bob und Lori Thurston
Ehemalige Missionare in der Kambodscha -Mission Phnom Penh
Während ihrer ersten gemeinsamen Mission lernten Bob und Lori Thurston, dass man trotz sprachlicher Barrieren und kultureller Unterschiede anderen sinnvoll helfen kann – denn wir sind alle Kinder Gottes.
Leslie Nilsson, Fotograf
Bob Thurston:
Schon vor unserer Hochzeit sprachen Lori und ich darüber, dass wir später, wenn wir im Ruhestand wären, auf Mission gehen wollten. Wir waren bereits beide auf Mission gewesen: Lori in Kobe in Japan und ich in Brisbane in Australien. Als wir endlich so weit waren, in den Ruhestand zu treten, sagten wir unseren Kindern, dass wir mehrmals auf Mission gehen wollten.
Wir hatten das Glück, frühzeitig in Rente gehen zu können. Uns war zu Ohren gekommen, dass manche Ehepaare aus gesundheitlichen oder anderen Gründen ihre Mission nicht in bestimmten Ländern, wie etwa Länder der Dritten Welt, erfüllen können. Da dachten wir uns: „Wir sind ja noch nicht einmal Sechzig. Uns geht es gut, also ran an die Arbeit!“
Ich ging nur zwei Tage nach meinem 56. Geburtstag in den Ruhestand. Wir erhielten unsere Missionsberufung sogar schon, als ich noch arbeitete. Als wir unsere Missionsberufung öffneten und lasen, dass man uns in die Kambodscha-Mission Phnom Penh berufen hatte, weinten wir. Wir waren so aufgeregt!
Lori Thurston:
Kambodscha war uns nie in den Sinn gekommen. Ich dachte, wir würden nach Afrika oder so berufen werden. Wir fragten uns also, welche Abenteuer uns wohl erwarten würden. Wir hätten uns Kambodscha nicht ausgesucht, doch welch ein Segen! Der Herr ist klüger als wir. Er schickte uns genau an die richtige Stelle.
Wir erfüllten eine Mission im humanitären Dienst. Wir arbeiteten an Projekten für LDS Charities, füllten Berichte aus und forderten neue Projekte an. Außerdem prüften wir, wie es um frühere Projekte stand, wie zum Beispiel Brunnen, die zwei Jahre zuvor gebohrt worden waren. Schließlich halfen wir auch anderweitig:
Wir nahmen an Pfahl- und Distriktskonferenzen teil und halfen, Führungsbeamte und Missionare zu schulen. Wir besichtigten Missionarswohnungen und besuchten Mitglieder zuhause. Wir erledigten vieles mehr, damit im Missionsgebiet alles glattlaufen konnte.
Auf unserer Mission war kein Tag wie der andere. Manchmal waren wir draußen in der Wildnis und standen bis zu den Knien im Wasser oder im Schlamm. An anderen Tagen arbeiteten wir im Missionsbüro. Wir begleiteten Missionare für Öffentlichkeitsarbeit, wenn sie einen Termin im Ministerium für Sekten und Religion hatten. In Kambodscha ist der Begriff „Sekte“ nicht unbedingt negativ besetzt. Die offizielle Religion ist der Buddhismus – und alles andere gilt als Sekte. Wir besuchten das Ministerium, weil wir vermitteln wollten, dass die Kirche Jesu Christi der Heiligen der Letzten Tage eine gute und vertrauenswürdige Organisation ist.
Wir entwickelten zu den Beamten dort eine gute Beziehung, und man meldete sich immer schnell bei uns, wenn Hilfe gebraucht wurde. Ein Mitarbeiter des Ministeriums rief zum Beispiel an und sagte: „Es hat eine Überschwemmung gegeben, und wir brauchen Essen für 200 Familien, die jetzt obdachlos sind.“ Die Regierungsvertreter wussten, dass sie sich darauf verlassen konnten, dass die Kirche Hilfsgüter schnell an Ort und Stelle bringen und das, was die Regierung nicht ausreichend vorrätig hatte, ergänzen würde.
Was haben wir in Kambodscha erlebt? Wahrscheinlich alles, was man sich überhaupt vorstellen kann! Wir haben in den bescheidensten Hütten auf dem Boden gesessen, der meist entweder aus Bambus bestand oder einfach aus Erde. Wir haben auch Regierungsbeamte in ihren prunkvollen Häusern besucht. Bob war sogar eine Zeitlang Mitglied einer Zweigpräsidentschaft.
Bob Thurston:
Der Missionspräsident rief an und sagte: „Ich brauche Sie als zweiten Ratgeber in einem Zweig.“ Anderthalb Jahre später stand ich mit dem Zweigpräsidenten, dessen Ratgeber ich war, im Siegelungsraum im Hongkong-Tempel in China. Er war gerade zum ersten Mal im Tempel! Er hatte mit seiner Familie Geld gespart und bereits siebenmal versucht, zum Tempel zu kommen, aber jedes Mal wurden sie durch einen Unfall oder durch Krankheit daran gehindert. Irgendetwas kam ihnen immer dazwischen. Nach sieben Jahren hatten sie nur vierzig Dollar gespart.
Dreimal waren wir auf unserer Mission in der Lage, einigen Mitgliedern der Kirche in Kambodscha zu helfen, zum Tempel zu reisen. Wir brachten viele Zweigpräsidenten zum Tempel, die Gespräche für Tempelscheine geführt hatten, jedoch noch nie selbst im Tempel gewesen waren. Zumindest in Kambodscha stand diesen Familien auf der Reise zum Tempel immer ein Missionarsehepaar zur Seite. Sie brauchten jemanden, der sie begleitete, weil sie nicht wussten, wie man mit dem Flugzeug fliegt. Viele von ihnen waren noch nicht einmal mit einem Bus gefahren! Wie sollten sie dann alleine nach Hongkong fliegen und zum Tempel finden? Ganz auf sich allein gestellt wäre das für sie schwer gewesen. Wir sind für den Allgemeinen Fonds zur Unterstützung von Tempelbesuchern, durch den ihnen Hilfe zukam, dankbar.
Lori Thurston:
Es bringt viele Herausforderungen mit sich, in Kambodscha ein Mitglied der Kirche zu sein. In der kambodschanischen Gesellschaft gibt es keinen Sabbat. Jeder, der zur Kirche geht, muss dafür Opfer bringen.
Außerdem ist die Bevölkerung in Kambodscha zu sechs Prozent muslimisch und nur zu zwei Prozent christlich – alle anderen sind Buddhisten. Sich als ehemaliger Buddhist auf einen christlichen Lebenswandel umzustellen ist sehr schwierig. Manche verlieren ihre Arbeitsstelle und oft werden sie von ihren Nachbarn gemieden.
Der Zehnte ist auch eine große Herausforderung. Buddhistische Mönche machen jeden Morgen ihre Runden und bitten um Reis oder etwas Geld, und daran sind die Leute gewöhnt. Doch einen Teil des Gehalts als Zehnten wegzugeben ist eine große Herausforderung.
Viele hatten auch schlimme, traumatische Erlebnisse. Wegen der Roten Khmer, einem kommunistischen Regime, das in den späten Siebzigerjahren in Kambodscha herrschte, hat jeder über Vierzigjährige am eigenen Leib Schreckliches erlebt. Ich habe keinen einzigen Menschen dort kennengelernt, der nicht davon betroffen war. Jeder hat Angehörige, die ermordet wurden. Ich konnte kaum glauben, wie widerstandsfähig die Menschen sind und wie sehr sie sich anstrengen, obwohl sie so viel durchgemacht haben. Doch hinter ihrer Zähigkeit verbirgt sich bei vielen ein schwaches Selbstwertgefühl. Viele meinen, sie seien unwichtig und nichts wert.
Es war erstaunlich, wie sehr das Evangelium Jesu Christi dazu beitrug, dass sie förmlich aufblühten. Wenn sie herausfanden, dass sie nicht nur ein wundervoller Mensch, sondern auch ein Kind Gottes waren, war ihre Reaktion: „Ist das Ihr Ernst? Dann ist mein Beitrag ja etwas wert!“
Die Kirche wird in Kambodscha wirklich wachsen. Wundervolle Menschen sind zur Kirche geführt worden. Die Mitglieder dort sind Pioniere, und diejenigen, die das Evangelium voll und ganz annehmen, werden auf vielerlei Weise gesegnet, weil sie den Erretter kennenlernen. Es ist wirklich erstaunlich.
Viele Mitglieder und viele große Gemeinden befinden sich in der Nähe eines Ortes, der „Müllberg“ genannt wird. Es ist ein Müllabladeplatz, auf dem viele Menschen leben. Die Mitglieder dort sammeln und sortieren Müll. Sie leben davon, dass sie wiederverwertbares Plastik und Aluminium verkaufen, das sie auf der Müllhalde finden. Sie wohnen in winzigen Behausungen, und wir haben sie dort unzählige Male besucht.
Bob Thurston:
Einmal hörten wir laute Musik und sahen dann, dass jemand ein Zelt aufstellte. In Kambodscha bedeutet das entweder, dass jemand heiratet oder dass jemand gestorben ist.
Lori Thurston:
Wir fanden heraus, dass eine Mutter von fünf oder sechs Kindern gerade gestorben war. Der Vater lebte nicht dort. Die Kinder waren aufgewacht und hatten dann gemerkt, dass ihre Mutter tot war.
Eine Tochter weinte unaufhörlich. Mit der Hilfe eines Übersetzers sagte sie zu mir: „Ich bin das älteste Kind. Ich habe so viele Geschwister. Ich weiß nicht, was ich machen soll.“
Ich nahm sie einfach in die Arme. Was hätte ich sonst tun sollen? Dieses Mädchen hatte gerade seine Mutter verloren. Ich sagte zu ihr auf Englisch: „Ich weiß, dass du mich nicht verstehen kannst, aber ich verspreche dir, dass du deine Mutter wiedersehen wirst. Alles kommt wieder in Ordnung. Du bist nicht allein.“
Wir haben viele solche Erfahrungen gemacht, und deshalb sind wir mit den Menschen in Kambodscha auf besondere Weise verbunden.
Sie haben unsere Liebe erwidert. Der Menschen in Kambodscha waren mehr als freundlich zu uns. Wir lieben sie, weil sie Kinder Gottes sind. Sie sind unsere Brüder und Schwestern.
Manchmal dachte ich mir, als ich bestimmten Menschen gegenüberstand: „Ich kann es kaum erwarten, Sie im nächsten Leben wiederzusehen. Dann kann ich Ihnen endlich sagen, was ich für Sie empfinde, wie sehr ich Sie liebe und was ich an Ihnen bewundere, denn jetzt fehlen mir leider die Worte dafür.“
Wir sind durch unsere Mission auf vielerlei Weise gesegnet worden. Manche Leute sagen: „Ich weiß nicht, ob ich auf Mission gehen kann. Ich kann meine Enkel doch nicht zurücklassen.“ Wir hatten fünf kleine Enkelsöhne, als wir unsere Mission antraten. Sie waren fünf, vier, drei, zwei und ein Jahr alt. Während wir weg waren, kamen zwei Enkeltöchter auf die Welt. Ich habe zwei meiner Namensschilder von unserer Mission in Kambodscha aufgehoben, weil ich sie meinen Enkeltöchtern geben möchte, damit sie verstehen können, warum ihre Oma nicht da war – weil Oma nämlich den Auftrag des Herrn erfüllte.
Bob Thurston:
Es gibt viele Möglichkeiten, wie man dem Herrn als Missionar dienen kann. Wir nehmen uns zu Herzen, was Elder Jeffrey R. Holland über den Missionsdienst von Ehepaaren gesagt hat. Er hat erklärt: „Ich verheiße Ihnen: Im Dienst des Herrn werden Sie für [Ihre Familie] manches erreichen – Welten ohne Ende –, was Sie nie erreichen könnten, wenn Sie zu Hause bleiben und ihnen nicht von der Seite weichen. Welch größeres Geschenk könnten Großeltern ihren Nachkommen machen, als in Wort und Tat zum Ausdruck zu bringen: ‚In dieser Familie ist es üblich, dass man auf Mission geht!‘“ („Wir alle sind gefordert“, Liahona, November 2011, Seite 46.)