2021
Der Herr hat mir alle meine Tage viel Gunst erwiesen
November 2021


8:59

Der Herr hat mir alle meine Tage viel Gunst erwiesen

Wie reagieren wir auf unsere Bedrängnisse? Sind wir dankbar, weil wir den Blick mehr auf unsere Segnungen als auf unsere Probleme richten?

Die Coronapandemie ist eine der vielen Prüfungen und Herausforderungen, mit denen Gottes Kinder im Laufe der Weltgeschichte konfrontiert worden sind. Anfang dieses Jahres haben meine liebe Familie und ich einige düstere Tage erlebt. Die Pandemie und andere Ursachen haben unserer Familie Tod und Schmerz beschert, da einige liebe Menschen verstorben sind. Trotz ärztlicher Behandlung, Fastens und Betens sind im Laufe von fünf Wochen mein Bruder Charly, meine Schwester Susy und mein Schwager Jimmy auf die andere Seite des Schleiers hinübergegangen.

Manchmal habe ich mich gefragt, warum der Erretter weinte, als er sah, wie Maria wegen des Todes ihres Bruders Lazarus litt. Schließlich wusste er doch, dass er die Macht hatte, Lazarus aufzuerwecken, und diese sehr bald nutzen würde, um seinen Freund vom Tod zu retten.1 Ich bin erstaunt über das Mitgefühl und die Empathie des Erretters für Maria – er konnte ihren unbeschreiblichen Schmerz über den Tod ihres Bruders Lazarus nachempfinden.

Wir erleiden ebenso intensiven Schmerz, wenn wir vorübergehend von unseren Lieben getrennt werden. Der Erretter hat vollkommenes Mitgefühl mit uns. Er kritisiert uns nicht für unsere Kurzsichtigkeit oder unsere eingeschränkte Vorstellungskraft hinsichtlich unserer ewigen Reise. Vielmehr fühlt er mit uns, wenn wir traurig sind und leiden.

Der Vater im Himmel und sein Sohn Jesus Christus möchten, dass wir Freude haben.2 Präsident Russell M. Nelson hat gesagt: „Die Freude, die wir empfinden, hat wenig mit unseren Lebensumständen und vielmehr damit zu tun, worauf wir im Leben den Blick richten. Wenn wir Gottes Plan der Erlösung … in unserem Leben in den Mittelpunkt stellen, … können wir Freude verspüren – ganz gleich, was in unserem Leben geschieht oder nicht geschieht.“3

Als ich ein junger Missionar war, erhielt ein erstaunlicher Missionar, den ich bewunderte, einmal eine niederschmetternde Nachricht: Seine Mutter und sein jüngerer Bruder waren bei einem tragischen Unfall ums Leben gekommen. Der Missionspräsident bot dem Missionar an, er könne zur Beerdigung nach Hause zurückkehren. Nachdem der Missionar mit seinem Vater telefoniert hatte, beschloss er jedoch, zu bleiben und seine Mission zu vollenden.

Besuch eines Missionars im Krankenhaus

Kurze Zeit darauf, als er und ich noch beide in derselben Zone tätig waren, erhielten mein Mitarbeiter und ich einen dringenden Anruf: Diebe hatten das Fahrrad dieses Missionars gestohlen und ihn mit einem Messer verletzt. Er und sein Mitarbeiter mussten zu Fuß zum nächsten Krankenhaus gehen, wo mein Mitarbeiter und ich uns mit ihnen trafen. Auf dem Weg zum Krankenhaus hatte ich großes Mitleid mit diesem Missionar. Ich vermutete, er sei niedergeschlagen und dass er nach diesem traumatischen Erlebnis bestimmt nach Hause zurückkehren wolle.

Als wir im Krankenhaus eintrafen und ich ihn im Bett liegen sah, wo er auf seine Operation wartete, lächelte er jedoch. Ich dachte: „Wie kann er in so einer Situation lächeln?“ Während er sich im Krankenhaus erholte, verteilte er begeistert Broschüren und Exemplare des Buches Mormon an die Ärzte, Krankenschwestern und andere Patienten. Selbst angesichts dieser Prüfungen wollte er nicht nach Hause gehen. Vielmehr diente er bis zum letzten Tag seiner Mission mit Glauben, Energie, Kraft und Begeisterung.

Am Anfang des Buches Mormon erklärt Nephi, dass er „im Laufe [seiner] Tage viele Bedrängnisse erlebt [hat, dass ihm] der Herr jedoch alle [seine] Tage auch viel Gunst erwiesen hat“4.

Ich denke an die vielen Prüfungen, die Nephi durchgemacht hat und von denen er viele schriftlich festgehalten hat. Seine Prüfungen machen uns begreiflich, dass wir alle unsere düsteren Tage haben. Eine dieser Prüfungen widerfuhr Nephi, als ihm geboten wurde, nach Jerusalem zurückzukehren, um die Messingplatten zu holen, die sich in Labans Besitz befanden. Einige von Nephis Brüdern hatten wenig Glauben und schlugen Nephi sogar mit einer Rute. Nephi machte eine weitere Prüfung durch, als sein Bogen zerbrach und er keine Nahrung für seine Familie beschaffen konnte. Später, als ihm geboten wurde, ein Schiff zu bauen, verspotteten ihn seine Brüder und weigerten sich, ihm zu helfen. Trotz dieser und vieler anderer Prüfungen im Laufe seines Lebens erkannte Nephi stets die Güte Gottes an.

Nephi gefesselt auf dem Schiff

Als seine Familie auf dem Weg zum verheißenen Land den Ozean überquerte, fingen einige von Nephis Familienmitgliedern an, „sich zu belustigen“, rohe Reden zu führen und zu vergessen, dass es die Macht des Herrn war, die sie bewahrt hatte. Als Nephi sie zurechtwies, nahmen sie Anstoß daran und banden ihn mit Stricken, sodass er sich nicht bewegen konnte. Im Buch Mormon steht, seine Brüder „behandelten [ihn] mit großer Härte“, seine Handgelenke und Knöchel „waren sehr geschwollen, und sie schmerzten sehr“5. Nephi war wegen der Herzenshärte seiner Brüder bekümmert und manchmal von Sorge überwältigt.6 „Dennoch“, erklärte er, „schaute ich zu meinem Gott auf, und ich pries ihn den ganzen Tag lang; und ich murrte nicht gegen den Herrn wegen meiner Bedrängnisse.“7

Meine lieben Brüder und Schwestern, wie reagieren wir auf unsere Bedrängnisse? Murren wir deswegen gegen den Herrn? Oder drücken wir wie Nephi und der Missionar in meiner Mission in Gedanken, Worten und Taten Dankbarkeit aus, weil wir den Blick mehr auf unsere Segnungen als auf unsere Probleme richten?

Unser Erretter, Jesus Christus, hat uns das während seines irdischen Wirkens vorgelebt. In Zeiten der Schwierigkeiten und Prüfung gibt es kaum etwas, was uns mehr Frieden und Zufriedenheit schenkt, als unseren Mitmenschen zu dienen. In Matthäus wird geschildert, was geschah, als der Erretter erfuhr, dass sein Cousin Johannes der Täufer auf Befehl des Königs Herodes enthauptet worden war. Dieser wollte der Tochter von Herodias zu Gefallen sein.

„Und seine Jünger kamen, holten den Leichnam und begruben ihn. Dann gingen sie und berichteten es Jesus.

Als Jesus das hörte, zog er sich allein von dort mit dem Boot in eine einsame Gegend zurück. Aber die Volksscharen hörten davon und folgten ihm zu Fuß aus den Städten nach.

Als er ausstieg, sah er die vielen Menschen und hatte Mitleid mit ihnen und heilte ihre Kranken.

Als es Abend wurde, kamen die Jünger zu ihm und sagten: Der Ort ist abgelegen, und es ist schon spät geworden. Schick die Leute weg, damit sie in die Dörfer gehen und sich etwas zu essen kaufen!

Jesus aber antwortete: Sie brauchen nicht wegzugehen. Gebt ihr ihnen zu essen!“8

Jesus Christus hat uns gezeigt, dass wir in schwierigen und widrigen Zeiten von den Bedrängnissen anderer Notiz nehmen können. Wir können uns voll Mitgefühl um sie kümmern und sie aufrichten. Wenn wir das tun, werden wir durch unseren christlichen Dienst auch selbst aufgerichtet. Präsident Gordon B. Hinckley hat gesagt: „Das beste Mittel gegen Sorgen, das ich kenne, ist Arbeit. Die beste Medizin gegen Verzweiflung ist Dienst am Nächsten. Das beste Heilmittel gegen Erschöpfung liegt in der Herausforderung, jemandem zu helfen, der noch müder ist.“9

In dieser Kirche, der Kirche Jesu Christi, habe ich viele Gelegenheiten, mich um meine Mitmenschen zu kümmern und ihnen zu dienen. Bei diesen Gelegenheiten spüre ich, dass der Vater im Himmel mir die Last leichter macht. Präsident Russell M. Nelson ist der Prophet Gottes auf Erden; er ist ein großartiges Vorbild darin, wie wir inmitten schwieriger Prüfungen anderen beistehen sollen. Ich schließe mich mit meinem Zeugnis dem vieler anderer Heiligen an, dass Gott unser liebevoller Vater im Himmel ist. Ich habe seine unendliche Liebe in meinen düsteren Tagen verspürt. Unser Erretter, Jesus Christus, versteht unsere Schmerzen und Bedrängnisse. Er möchte uns die Last leichter machen und uns trösten. Wir müssen seinem Beispiel folgen, indem wir denjenigen, deren Lasten größer als unsere eigenen sind, beistehen und ihnen helfen. Im Namen Jesu Christi. Amen.