2023
Man hatte mich missbraucht – konnte ich das jemals vergeben?
Januar 2023


Nur online: Junge Erwachsene

Man hatte mich missbraucht – konnte ich das jemals vergeben?

Viele Jahre lang war ich erfüllt von Wut und Groll, doch das Evangelium Jesu Christi half mir, Hoffnung zu schöpfen

Christus weint und tröstet jemanden

Als Kleinkind wurde ich von jemandem aus der Familie und einem zweiten, der nicht zu meiner Familie gehörte, auf verschiedene Art und Weise missbraucht und misshandelt. Deswegen wuchs ich mit Angst, Hass und viel Groll im Herzen auf. Manchmal glaubte ich, selbst die Ursache dafür zu sein, dass man mir dies angetan hatte, und fühlte mich schuldig. Ich meinte, der schmutzigste Mensch auf der Welt zu sein. Diese Gefühle schleppte ich in meiner ganzen Jugend mit mir herum.

Als ich 20 war und die Missionare an meine Tür klopften, um mir eine besondere Botschaft zu überbringen – eine Botschaft voller Glauben, Liebe und Hoffnung –, änderte sich jedoch alles. Sie erzählten mir vom Evangelium Jesu Christi.

Ich hörte ihnen zu und verspürte dabei im Herzen jenen Frieden und jene Ruhe, die mir die meiste Zeit meines Lebens gefehlt hatten. Ich konnte ehrlich spüren, dass mich der Vater im Himmel und Jesus Christus wirklich lieben und dass mein Wert als Mensch aufgrund dessen, was ich durchgemacht hatte, keinesfalls geringer geworden ist. Ob dies der Weg sein würde, um endlich frei zu werden von Schuld und Scham, die ich nun schon mein Leben lang mit mir herumtrug?

Die heilende Macht des Erretters kennenlernen

Die Missionare besuchten mich weiterhin und unterwiesen mich. Bereits zwei Monate später ließ ich mich taufen. In meinem ganzen Leben war ich noch nie so glücklich gewesen! Als ich immer mehr dazulernte, zeigten mir die Grundsätze und Lehren des Evangeliums, wie ich die Kraft finden konnte, in Frieden voranzugehen, zu vergeben und den Konflikt, den ich so lange im Herzen getragen hatte, zu beenden. Ja, es war tatsächlich möglich!1

Besonders tröstlich fand ich die Worte von Elder Patrick Kearon von den Siebzigern bei der Generalkonferenz, als er über Missbrauch sprach. Er sagte:

„Das Schreckliche, was Ihnen angetan wurde, bestimmt nicht, wer Sie sind. Die wunderbare Wahrheit ist: Sie sind durch Ihre ewig bestehende Identität als Sohn oder Tochter Gottes definiert. …

Mit ausgebreiteten Armen bietet Ihnen der Erretter die Gabe der Heilung an. Wenn Sie Mut und Geduld aufbringen und unverwandt den Blick auf ihn richten, können Sie diese Gabe schon bald vollständig annehmen. Sie können dann Ihren Schmerz loslassen und dem Erretter zu Füßen legen.“2

Ich weiß jetzt, dass mich keine Schuld trifft – ich war das Opfer der schrecklichen Taten anderer.

Ich bin so dankbar für die heilende Macht Jesu Christi. Weil ich mehr über ihn erfahren und mich bemüht habe, ihm nachzufolgen, konnte ich nach vorn blicken und weitergehen. Ich weiß, dass er für mich gelitten hat und alles versteht, was ich durchgemacht habe. Es war eine erstaunliche Erkenntnis für mich, dass er meine Lasten allein getragen hat, damit ich es nicht tun muss, und sie hat meinen Glauben an Christus gefestigt.

Frieden an die Stelle von Hass treten lassen

Aber es ging nicht nur um meinen inneren Aufruhr wegen des Missbrauchs. Ich musste in mehrerlei Hinsicht geheilt werden. Ich erfuhr, dass Jesus Christus uns durch die Macht seines Sühnopfers nicht nur von unseren Sünden reinigt, sondern uns auch tröstet, uns hilft, weiterzugehen, uns zu entwickeln und denen zu vergeben, die uns tief verletzt haben.

Vergeben ist schwer, und manchmal scheint es unmöglich. Auch mir schien es lange Zeit so. Doch als ich mich darauf konzentrierte, mich von den Missbrauchsfolgen zu erholen, wurde mir klar, dass ich mit der Zeit langsam auf Vergebung hinarbeiten konnte, denn ohne sie gibt es keine vollständige Genesung.

Präsident Russell M. Nelson hat vor kurzem darüber gesprochen, wie wir Konflikte beenden können. Er sagte: „Wenn Vergebung derzeit unmöglich erscheint, bitten Sie um Kraft durch das sühnende Blut Jesu Christi, damit Ihnen geholfen wird. Ich verheiße Ihnen, dass Sie dabei persönlichen Frieden und enormen geistigen Schwung gewinnen werden.“3

Um meine Seele von Hass und Groll zu befreien, stützte ich mich auf den Erretter. Er half mir, wirklich zu vergeben und den Konflikt loszulassen, der in meinem Herzen getobt hatte. Es dauerte. Aber in dem Maße, wie ich Glauben ausübte, spürte ich, dass beruhigende Liebe und der Frieden des Erretters an die Stelle der negativen Gefühle traten, die ich so lange mit mir herumgeschleppt hatte. Endlich erkannte ich, dass wir die Vergangenheit zwar weder löschen noch ändern können, aber wir können sie akzeptieren und überwinden. Das gibt mir viel Hoffnung für die Zukunft.

Christus ist mit uns

Entgegen all dem, was ich als Kind dachte, ist der Herr immer bei uns – in jeder Lebenslage. Er liebt uns mit grenzenloser Liebe. Was ich erlitten hatte, hatte mich mutlos gemacht. Doch der Herr zeigte mir, wie er unser schlimmstes Leid in wunderbaren Glauben und in Stärke verwandeln kann.

Das Evangelium liegt mir sehr am Herzen. Ich habe keine Zweifel an meinem Weg als Jüngerin Jesu Christi. Ich weiß tief in meinem Inneren, dass Jesus Christus und der Vater im Himmel mich lieben – sie lieben einen jeden von uns. Sie sind bereit, uns selbst bei scheinbar Unmöglichem zu helfen – auch dann, wenn es darum geht, scheinbar Unverzeihliches zu verzeihen. Seid stark und beharrlich, habt Glauben, dann werdet ihr immens gesegnet.

Ich weiß es, denn ich habe es selbst erlebt.