Sechstes Kapitel
Jeder Schritt im Glauben
Die Heiligen bereiten sich darauf vor, Nauvoo zu verlassen
Spätestens seit 1834 hatten die Kirchenführer davon gesprochen, mit den Heiligen nach Westen, in die Rocky Mountains, zu ziehen, um dort in Frieden zu leben. Im Laufe der Jahre sprachen die Kirchenführer mit Forschern über verschiedene Orte, und sie studierten Karten, um den richtigen Ort zu finden, an dem sie sich niederlassen konnten. Ende 1845 besaßen die Führer der Kirche die aktuellsten Informationen, die über den Westen verfügbar waren.
Als die Verfolgung in Nauvoo zunahm, wurde es offensichtlich, daß die Heiligen fortziehen mußten. Im November 1845 bereiteten sich die Menschen in Nauvoo fieberhaft auf den Auszug vor. Hauptleute für je hundert, fünfzig und zehn wurden berufen, die die Heiligen beim Auszug führen sollen. Jede Gruppe von einhundert Personen richtete eine oder mehrere Werkstätten für den Wagenbau ein. Wagner, Schreiner und Tischler arbeiteten bis in die Nacht hinein, um Holz herzurichten und Wagen zu bauen. Mitglieder wurden nach Osten geschickt, um Eisen zu kaufen. Schmiede stellten Gegenstände her, die für die Reise gebraucht wurden, dazu landwirtschaftliche Geräte, damit das neue Zion besiedelt werden konnte. Die Familien trugen Lebensmittel und Haushaltsgegenstände zusammen und füllten Vorratsbehälter mit getrocknetem Obst, Reis, Mehl und Medikamenten. Die Heiligen arbeiteten Hand in Hand auf ihr gemeinsames Ziel hin, und sie erreichten mehr, als in so kurzer Zeit möglich schien.
Die Prüfungen des Auszugs im Winter
Der Auszug aus Nauvoo sollte ursprünglich im April 1846 stattfinden. Die Staatsmiliz drohte aber, den Auszug der Heiligen nach Westen zu verhindern. Die Zwölf Apostel und andere führende Bürger kamen am 2. Februar 1846 eilig zusammen, um sich zu beraten. Alle waren sich darin einig, daß man den Zug nach Westen nicht länger hinauszögern dürfe. Am 4. Februar begannen die Heiligen, Nauvoo zu verlassen. Unter der Führung von Brigham Young machte sich die erste Gruppe bereitwillig auf den Weg. Ihre Geduld wurde aber noch sehr auf die Probe gestellt, denn erst nach vielen Meilen konnten sie in einem festen Lager vor dem Spätwinterwetter und dem ungewöhnlich regnerischen Frühling Zuflucht suchen.
Um ihren Verfolgern zu entgehen, mußten Tausende Heilige zunächst einmal den breiten Mississippi überqueren, um nach Iowa zu gelangen. Die Gefahren, denen die Heiligen auf ihrer Reise ausgesetzt waren, begannen bald. In einem Boot, mit dem sie fuhren, trat ein Ochse ein Loch in den Boden, und das Boot sank. Ein Beobachter sah, wie die unglücklichen Passagiere sich an Federbetten, an Holzstücke, „Baumstämme oder irgend etwas anderes klammerten, dessen sie habhaft werden konnten. Sie wurden von den kalten und unbarmherzigen Wellen auf dem Wasser hin- und hergetrieben. … Einige kletterten auf den Wagen, der nicht ganz untergegangen war, und sie hatten es etwas besser. Die Kühe und Ochsen, die sich auf dem Boot befunden hatten, schwammen an das Ufer zurück, von dem aus man zuvor aufgebrochen war.“1 Zu guter Letzt wurden alle mit Booten gerettet und ans andere Ufer gebracht.
Zwei Wochen nach der ersten Überquerung fror der Fluß für einige Zeit zu. Das Eis war zwar glatt, aber es trug die Wagen und Viehherden und erleichterte die Überquerung. Wegen der Kälte mußten die Heiligen, die durch den Schnee zogen, sehr leiden. In einem Lager am Sugar Creek auf der anderen Seite des Flusses trieb der ständig wehende Wind soviel Schnee heran, daß er fast 20 Zentimeter hoch lag. Dann begann es zu tauen, und der Boden wurde schlammig. Rund um die Heiligen schlossen sich die Naturgewalten zusammen und schufen für die zweitausend Heiligen, die in Zelten, Wagen und schnell errichteten Behausungen lebten und auf den Befehl zum Weiterzug warteten, eine erbärmliche Umgebung.
Der erste Teil des Zugs durch Iowa war der schwierigste Abschnitt der ganzen Reise. Hosea Stout schrieb, daß er sich auf die Nacht vorbereitete, indem er „aus Bettzeug ein provisorisches Zelt errichtete. Meine Frau konnte kaum sitzen, und mein kleiner Junge war krank und hatte so hohes Fieber, daß er gar nicht wahrnahm, was um ihn herum geschah.“2 Viele Heilige mußten in dieser Zeit sehr leiden.
Alles wohl
Ihr Glaube, ihr Mut und ihre Entschlossenheit ließen diese Heiligen Kälte und Hunger und den Tod ihrer Angehörigen ertragen. William Clayton wurde berufen, mit einer der ersten Gruppen Nauvoo zu verlassen. Er ließ seine Frau Diantha, die in einem Monat ihr erstes Kind zur Welt bringen sollte, bei ihren Eltern zurück. Der Marsch über die verschlammten Wege und das Campieren in dem kalten Zelt zerrte an Williams Nerven. Er sorgte sich um seine Frau. Zwei Monate später wußte er immer noch nicht, ob Diantha entbunden hatte. Endlich kam die freudige Nachricht, daß ihm ein „dicker, gesunder Junge“ geboren worden war. Kaum hatte William die Nachricht vernommen, da setzte er sich hin und schrieb ein Lied, das nicht nur für ihn besondere Bedeutung hatte, sondern das für die Heiligen der Letzten Tage zu einer Hymne des Danks und der Inspiration wurde. Das Lied hieß „Kommt, Heilge, kommt“ und die berühmten Verse sprechen nicht nur von Williams Glauben, sondern auch vom Glauben Tausender Heiliger, die inmitten der Not sangen: „Alles wohl! Alles wohl!“3 Sie und die Mitglieder, die ihnen folgten, haben die Freude und den Frieden gefunden, die die Belohnung für Opferbereitschaft und Gehorsam im Gottesreich sind.
Winter Quarters
Die Heiligen brauchten 131 Tage, um die 460 Kilometer von Nauvoo bis zu den Siedlungen im westlichen Iowa zurückzulegen. Hier verbrachten sie den Winter 1846/47 und bereiteten sich auf den Zug in die Rocky Mountains vor. Durch diese Erfahrung lernten sie vieles, das ihnen half, die 1000 Meilen über den weiten amerikanischen Kontinent möglichst rasch zurückzulegen. Im darauffolgenden Jahr brauchten sie für diese Strecke dann rund 111 Tage.
An beiden Ufern des Missouri entstanden Siedlungen der Heiligen. Die größte von ihnen, winter quarters, befand sich am westlichen Ufer in Nebraska. Bald lebten hier 3500 Mitglieder der Kirche, die in Holzhütten oder Unterständen aus Weiden und Lehm wohnten. 2500 Heilige wohnten in und um Kanesville auf der zu Iowa gehörenden Seite des Missouri. Das Leben in diesen Siedlungen war fast ebenso problematisch wie der Auszug aus Nauvoo. Im Sommer litten die Menschen an Malaria. Als der Winter kam und die frischen Lebensmittel aufgebraucht waren, litten die Menschen unter Choleraepedemien, Skorbut, Zahnschmerzen, Nachtblindheit und schweren Durchfällen. Hunderte starben.
Aber das Leben ging weiter. Die Frauen verbrachten die Tage mit putzen, bügeln, waschen und nähen. Sie schrieben Briefe, bereiteten aus den spärlichen Vorräten die Mahlzeiten und sorgten für die Kinder, wie Mary Richards berichtete, deren Mann Samuel in Schottland auf Mission war. Fröhlich erzählte sie vom Kommen und Gehen der Heiligen in winter quarters. Sie schrieb auch über theologische Diskussionen, Tänze, Versammlungen der Kirche, Feste und die Erweckungsbewegungen im amerikanischen Westen.
Die Männer arbeiten miteinander und kamen oft zusammen, um die Reisepläne und die zukünftigen Siedlungsorte der Heiligen zu besprechen. Zusammen wachten sie über die Herden, die außerhalb der Siedlungen in der Prärie weideten. Die Männer arbeiteten auf den Feldern, bewachten die Siedlungsgrenzen, bauten und betrieben eine Mühle, richteten Wagen für die Reise her und litten oft unter Erschöpfung und Krankheit. In selbstloser Liebe machten sie Äcker urbar und pflanzten Getreide, das von den Heiligen geerntet wurde, die nach ihnen in Winters Quarters ankamen.
Brigham Youngs Sohn John nannte winter quarters „das Valley Forge des Mormonismus“. (Valley Forge war ein Ort, an dem im amerikanischen Freiheitskrieg wichtige Ereignisse stattgefunden hatten. Anm. d. Üb.) Er wohnte am Friedhof und sah die „kleinen Trauerzüge, die so oft an unserem Haus vorbeizogen“. Er erinnerte sich, „wie ärmlich und eintönig“ die Mahlzeiten waren, die aus Weizenbrot, gepökeltem Speck und etwas Milch bestanden. Der Brei und der Schinken wurden ihm so widerlich, daß die Mahlzeiten wie Medizin waren, die er nur mit Widerwillen schlucken konnte.4 Die Heiligen konnten diese schwere Zeit nur durch ihren Glauben und ihre Hingabe überstehen.
Das Mormonenbataillon
Während sich die Heiligen in Iowa aufhielten, wurden die Kirchenführer von Anwerbern der US-Armee aufgefordert, ein Kontingent Männer für den Einsatz im Krieg gegen Mexiko abzustellen, der im Mai 1846 begonnen hatte. Diese Männer, die als das Mormonenbataillon bekannt wurden, sollten durch den südlichen Teil des Landes nach Kalifornien marschieren. Ihnen wurden Sold, Kleidung und Verpflegung zugesagt. Brigham Young ermunterte die Männer, sich einschreiben zu lassen, damit auf diese Weise Geld beschafft werden konnte, das man für die Sammlung der Armen aus Nauvoo und für die Unterstützung der Soldatenfamilien verwenden konnte. Diese Zusammenarbeit mit dem Staat war außerdem ein Beweis dafür, daß die Mitglieder der Kirche ihrem Land treu waren. Außerdem waren die Heiligen dann darin gerechtfertigt, daß sie ihr Lager vorübergehend auf öffentlichem Land und auf Indianerland aufschlugen. 541 Männer folgen der Aufforderung der Kirchenführer und schlossen sich dem Bataillon an. Sie wurden von 33 Frauen und 42 Kindern begleitet.
Den Männern wurde das Los, in den Krieg zu ziehen, durch die Sorge um ihre Frauen und Kinder, die sie in schweren Zeiten zurücklassen mußten, zusätzlich erschwert. William Hyde berichtet:
„Ich kann nicht sagen, wie mir zumute war, als ich meine Familie in dieser schweren Zeit verlassen sollte. Sie waren weit von ihrer Heimat entfernt und befanden sich nun auf einer einsamen Prärie. Es gab keine andere Unterkunft als nur den Wagen, und die sengende Sonne brannte auf sie herab. Es war zu erwarten, daß die kalten Winterwinde des Dezembers sie noch immer an diesem öden und verlassenen Ort vorfanden.
Meine Familie bestand aus meiner Frau und zwei kleinen Kindern, die ich zusammen mit einem alten Vater und einer alten Mutter sowie einem Bruder zurückließ. Die meisten Männer im Bataillon mußten ihre Familie zurücklassen. … Nur Gott wußte, wann wir sie wiedersehen würden. Dennoch wollten wir nicht murren.“5
Das Bataillon marschierte über 3000 Kilometer in südwestliche Richtung nach Kalifornien. Die Männer litten unter Wasser- und Nahrungsmangel und unter dem schnellen Marschtempo. Ihnen fehlten Ruhe und medizinische Betreuung. Die Männer des Bataillons dienten in San Diego, San Luis Rey und in Los Angeles als Besatzungstruppen. Nach Ablauf des Pflichtjahres wurden sie aus dem Dienst entlassen und konnten zu ihrer Familie zurückkehren. Durch ihren Einsatz und ihre Loyalität gegenüber dem Staat verdienten sich diese Männer den Respekt ihrer Führer.
Nach ihrer Entlassung blieben viele Soldaten des Bataillons in Kalifornien, um ein Jahr dort zu arbeiten. Einige von ihnen gingen nach Norden an den American River und fanden bei John Sutters Sägemühle Arbeit, als dort 1848 Gold gefunden wurde. Diese Entdeckung leitete den berühmten kalifornischen Goldrausch ein. Die Heiligen der Letzten Tage blieben aber nicht in Kalifornien, um auf diese Weise ihr Glück zu suchen. Mit dem Herzen waren sie bei ihren Brüdern und Schwestern, die sich auf den mühevollen Weg über die amerikanischen Ebenen westwärts zu den Rocky Mountains begeben hatten. Einer dieser Brüder, James S. Brown, berichtet:
„Ich habe seitdem diesen an Bodenschätzen reichen Ort nicht mehr besucht; und es tut mir auch nicht leid, denn ich hatte immer ein Ziel, das höher war als Gold. … Manch einer mag denken, wir hätten uns selbst geschadet; nun aber, vierzig Jahre später, schauen wir ohne Bedauern zurück. Zwar haben wir die Schätze des Landes gesehen und waren sehr versucht zu bleiben. Die Leute sagten: ‚Hier gibt es Gold im Felsen, Gold in den Hügeln, Gold in den Furchen, Gold überall, … und bald könnt ihr selbst euer Glück machen.‘ Uns war das alles auch bewußt. Aber die Pflicht rief, und unsere Ehre stand auf dem Spiel, wir hatten einen Bund geschlossen, es ging um unsere Grundsätze, denn uns ging es zuerst um Gott und um sein Reich. Unsere Freunde und Verwandten waren in der Wildnis, ja, in einem unbekannten trockenem Land, und niemand wußte, wie es ihnen ging. Wir wußten es nicht. Also kam die Pflicht vor der Annehmlichkeit, vor dem Reichtum, und in diesem Bewußtsein gingen wir davon.“6 Diese Brüder hatten erkannt, daß das Gottesreich von größerem Wert ist als die materiellen Dinge dieser Welt, und sie wählten ihren Weg dementsprechend.
Die Heiligen, die mit der Brooklyn reisten
Die meisten Heiligen reisten auf dem Landweg von Nauvoo in die Rocky Mountains. Eine Gruppe aus dem Osten der Vereinigten Staaten wählte den Seeweg. Am 4. Februar 1846 begaben sich im Hafen von New York 70 Männer, 68 Frauen und 100 Kinder an Bord der Brooklyn und begannen die über 25000 Kilometer lange Seereise von New York nach Kalifornien. Im Lauf der Reise wurden zwei Kinder geboren, die Atlantic und Pacific genannt wurden, und 12 Menschen starben.
Die Reise, die sechs Monate dauerte, war sehr beschwerlich. In der tropischen Hitze lebten die Passagiere in großer Enge; sie hatten nur schlechte Nahrungsmittel und schlechtes Wasser. Nachdem Kap Horn umrundet war, legte das Schiff auf der Insel Juan Fernandez einen fünftägigen Aufenthalt ein. Caroline Augusta Perkins berichtet, daß „der Anblick und der erste Schritt auf festem Boden wie eine Erlösung von dem Leben an Bord war, so daß wir sehr dankbar und froh waren“. Die Reisenden badeten und wuschen ihre Kleidung in dem Süßwasser, sie sammelten Früchte und Kartoffeln, fingen Fische, erkundeten die Insel und erforschten eine „Robinson-Crusoe-Höhle“.7
Am 31. Juli 1846, nach einer Reise mit schweren Stürmen, abnehmenden Lebensmittelvorräten und langen Tagen auf See, kamen die Heiligen in San Francisko an. Einige blieben und gründeten die Kolonie New Hope, andere zogen über die Berge nach Osten, um bei den Heiligen im Salzseetal zu sein.
Die Sammlung geht weiter
Glaubenstreue neue Mitglieder aus allen Teilen Amerikas und aus vielen Ländern verließen ihre Heimat und machten sich zu Pferd, zu Fuß oder mit anderen Mitteln auf den langen Weg in die Rocky Mountains, um bei den Heiligen zu wohnen.
Im Januar 1847 veröffentlichte Brigham Young das inspirierte „Wort und den Willen des Herrn in bezug auf das Lager Israel“ (LuB 136:1), das den Zug der Pioniere nach Westen regelte. Kompanien wurden organisiert, und es wurde ihnen die Verantwortung auferlegt, für die Witwen und Waisen in ihren Reihen zu sorgen. Das Verhältnis zu den Mitmenschen sollte frei sein von Bösem, von Neid und Streit. Die Menschen sollten glücklich sein und ihre Dankbarkeit durch Musik, Gebet und Tanz zeigen. Der Herr sagte den Heiligen durch Brigham Young: „Geht eures Weges und tut, was ich euch gesagt habe, und fürchtet eure Feinde nicht.“ (LuB 136:17.)
Während sich die erste Pionierkompanie auf den Auszug aus winter quarters vorbereitete, kehrte Parley P. Pratt von seiner Mission in England zurück. Er berichtete, daß ihm John Taylor mit einem Geschenk der englischen Heiligen folgte. Am nächten Tag kam Bruder Taylor an und brachte Zehntengelder der englischen Heiligen mit, mit denen die Reisenden unterstützt werden sollten. Dieses Geschenk war ein Zeichen der Liebe und des Glaubens der englischen Heiligen. Bruder Taylor brachte auch einige wissenschaftliche Instrumente mit, die für die Pioniere bei der Bestimmung ihres Reisewegs und der Erkundung ihrer neuen Umgebung von großem Wert waren. Am 15. April 1847 zog die erste Kompanie unter der Leitung von Brigham Young los. In den nächsten zwei Jahrzehnten folgten ihnen fast 62000 Heilige in Wagen und mit Handkarren auf den Weg über die Prärie, um sich in Zion zu sammeln.
Die Reisenden sahen unterwegs die wunderbare Natur, sie erlebten aber auch schwere Tage. Joseph Moenor berichtet, daß es „schwer war“, das Salzseetal zu erreichen. Aber er sah manches, das er vorher nicht gekannt hatte: riesige Büffelherden und hohe Zedern auf den Bergen.8 Andere berichteten, sie hätten große Felder mit blühenden Sonnenblumen gesehen.
Die Heiligen hatten glaubensstärkende Erlebnisse, die ihnen halfen, die körperlichen Anstrengungen zu ertragen. Nach einem langen Reisetag wurde über dem offenen Feuer gekocht, und die Männer und Frauen kamen in Gruppen zusammen, um den Tag zu besprechen. Sie sprachen auch über die Grundsätze des Evangeliums, sangen Lieder, tanzten und beteten miteinander.
Der Tod war bei den Heiligen, die langsam westwärts zogen, oft zu Gast. Am 23. Juni 1850 zählte die Familie Crandall fünfzehn Mitglieder. Bis zum Ende der Woche waren sieben Familienmitglieder an der gefürchteten Cholera gestorben. In den nächsten Tagen starben fünf weitere. Am 30. Juni starb Schwester Crandall zusammen mit ihrem neugeborenen Baby im Wochenbett.
Die Heiligen mußten auf ihrer Reise ins Salzseetaal sehr leiden, aber sie erhielten sich ihre Einigkeit, Zusammenarbeit und ihren Optimismus. Miteinander verbunden durch ihren Glauben und ihre Hingabe an den Herrn fanden sie inmitten ihrer Prüfungen Freude.
Dies ist der richtige Ort
Orson Pratt und Erastus Snow, die mit der ersten Pioniergruppe zogen, gingen den Heiligen am 21. Juli 1847 ins Salzseetal voraus. Sie sahen Gras, das so hoch war, das man darin waten konnte, gutes Ackerland und einige kleinere Wasserläufe, die sich durch das Tal schlängelten. Präsident Brigham Young, der am Bergfieber erkrankt war, ließ sich drei Tage später in seinem Wagen an den Ausgang eines Cañons bringen, der sich zum Tal hin öffnete. Als Präsident Young das Tal sah, sprach er die prophetischen Worte, die den Zug der Heiligen beendeten: „Es ist genug. Dies ist der richtige Ort.“
Auch die Heiligen, die ihnen folgten und aus den Bergen kamen, erblickten jetzt ihr verheißenes Land! Dieses Tal mit dem salzigen See, der in der westlichen Sonne glänzte, von dem Visionen und Prophezeiungen sprachen, war das Land, von dem sie und Tausende nach ihnen träumten. Dies war das Land ihrer Zuflucht, wo sie inmitten der Rocky Mountains ein mächtiges Volk werden sollten.
Ein paar Jahre später schrieb Jean Rio Griffiths Baker, ein Mitglied aus England, auf, was sie empfunden hatte, als sie Salt Lake City zum ersten Mal sah: „Diese Stadt … ist quadratisch oder, wie sie hier sagen, in Blocks angelegt. Jeder Block ist zehn Morgen groß und besteht aus acht Grundstücken, auf denen jeweils ein Haus steht. Ich stand da und schaute. Ich bin mir über meine Gefühle nicht mehr ganz im klaren, aber ich denke, daß Freude und Dankbarkeit darüber vorherrschten, daß ich und die meinen auf unserer langen und gefährlichen Reise beschützt worden waren.“9
Die Handkarrenpioniere
Um 1850 entschieden die Führer der Kirche, daß Handkarrenkompanien zusammengestellt werden sollen, weil das billiger war und dann viel mehr Auswanderern finanzielle Hilfe gegeben werden konnte. Die Heiligen, die auf diese Weise reisten, verstauten 100 Pfund Mehl sowie eine begrenzte Menge an Vorräten und Habseligkeiten im Handkarren. Dann zogen sie den Karren über die Prärie. Von 1856 bis 1860 reisten zehn Handkarrenkompanien nach Utah. Acht der Kompanien kamen ohne Schwierigkeiten im Salzseetal an, zwei jedoch, die Martin- und Willie-Handkarrenkompanien, wurden vom frühen Wintereinbruch überrascht, und viele Heilige aus diesen Kompanien kamen ums Leben.
Nellie Pucell, die in einer der beiden vom Schicksal geschlagenen Kompanien mitreiste, wurde während des Zugs zehn Jahre alt. Ihr Vater und ihre Mutter starben unterwegs. Als sich die Gruppe den Bergen näherte, wurde das Wetter bitterkalt, die Vorräte gingen zur Neige, und die Heiligen waren vom Hunger zu geschwächt, um weitergehen zu können. Nellie und ihre Schwester brachen zusammen. Als sie die Hoffnung fast aufgeben wollten, kam der Anführer der Kompanie mit einem Wagen zu ihnen. Er setzte Nellie in den Wagen und forderte Maggie auf, neben dem Wagen herzugehen. Sie sollte sich festhalten und abstützen. Maggie hatte Glück, denn die erzwungene Bewegung bewahrte sie vor Erfrierungen.
Nach der Ankunft in Salt Lake City wurden Nellie die Schuhe und Strümpfe ausgezogen, die sie beim Marsch über die Ebenen getragen hatte. Wegen der Erfrierungen löste sich die Haut von ihren Füßen. Unter großen Schmerzen wurden dem mutigen Mädchen die Füße amputiert, und bis an ihr Lebensende mußte sie auf den Knien laufen. Später heiratete sie und brachte sechs Kinder zur Welt. Sie führte ihren Haushalt selbst und zog die Kinder auf.10 Ihre Entschlossenheit, trotz widriger Umstände nicht aufzugeben, und die Liebe derer, die sich ihrer annahmen, sind ein Beispiel für den Glauben und die Opferbereitschaft der Mitglieder in den ersten Jahren der Kirche. Ihr Beispiel ist für die Heiligen, die nach ihnen kamen, ein Vermächtnis des Glaubens.
Ein Mann, der mit der Martin-Handkarrenkompanie über die Ebenen gezogen war, lebte danach noch viele Jahre in Utah. Eines Tages befand er sich in einer Gruppe von Leuten, die die Kirchenführer heftig kritisierten, weil sie zugelassen hatten, daß die Heiligen in den Handkarrenkompanien mit so wenigen Vorräten und Schutz über die Prärie ziehen mußten. Der alte Mann hörte zu, bis er es nicht mehr ertragen konnte. Er stand auf und sagte:
„Ich war zusammen mit meiner Frau in jener Kompanie. … Wir haben mehr gelitten, als ihr euch vorstellen könnt, und viele sind erfroren und verhungert. Habt ihr aber jemals erlebt, daß ein Überlebender dieser Kompanie auch nur ein kritisches Wort geäußert hat? … (Wir) haben alles ertragen, weil wir sicher wußten, daß Gott lebt, denn wir haben ihn in unserer höchsten Not erfahren.
Ich habe meinen Handkarren gezogen, obwohl ich durch Krankheit und Hunger so schwach und müde war, daß ich kaum einen Fuß vor den anderen setzen konnte. Ich habe nach vorn geschaut und eine sandige Stelle oder einen Hügel gesehen und gesagt: Ich kann nur noch so weit laufen; dann gebe ich auf, denn ich kann die Last nicht mehr ziehen. … Ich bin bis zum Sand gelaufen, und als ich dort ankam, begann der Handkarren mich zu schieben. Ich habe mich oft umgedreht, um zu sehen, wer meinen Karren anschob, aber mit den Augen konnte ich niemanden sehen. Ich wußte, daß die Engel Gottes mit mir waren.
Hat es mir leid getan, mit dem Handkarren hierhergekommen zu sein? Nein. Weder damals noch zu irgendeinem anderen Zeitpunkt in meinem Leben. Den Preis, den wir zahlen mußten, um Gott zu erkennen, haben wir gern gezahlt, und ich bin dankbar dafür, mit der Martin-Handkarrenkompanie gezogen zu sein.“11