Du bist noch nicht fertig
Meinst du, du könnest anderen nicht das Wasser reichen? Sei bitte nicht so streng mit dir selbst!
Fühlst du dich ständig nur unzulänglich? Bringst du Stunden damit zu, etwas ganz genau richtig hinzubekommen? Oder zögerst du gar etwas lange hinaus, weil du meinst, du bekommst es sowieso nicht richtig hin? Dann leidest du wahrscheinlich unter Perfektionismus.
Noch schnell eine weitere Frage: Befindet sich dein Geist zurzeit in deinem auferstandenen Körper? Falls ja, brauchst du nicht weiterlesen, denn dann betrifft dich das hier alles nicht. Aber falls nein, dann ist dieser Artikel für dich bestimmt. Denn ganz gleich, wie rechtschaffen du dich tagtäglich verhältst (oder auch nicht) oder wie es um deinen Notendurchschnitt, dein Familienleben oder deine Berufslaufbahn bestellt ist: Wenn du noch ein sterblicher Mensch bist, dann bist du nach wie vor noch nicht fertig.
Sündenfrei oder vollendet?
Präsident Russell M. Nelson hat einmal berichtet, was er herausfand, als er den griechischen Originaltext des Neuen Testaments parallel zur englischen Übersetzung studierte. Er suchte dabei gerade nach Sätzen mit dem Begriff vollkommen.
Eine Schriftstelle, die wohl schon so manchen entmutigt hat, ist Matthäus 5:48: „Seid also vollkommen, wie euer himmlischer Vater vollkommen ist.“ Doch bemerkenswerterweise steht hier im griechischen Original weder sündenlos noch fehlerfrei!
Präsident Nelson sagte dazu: „In Matthäus 5:48 wurde das Wort vollkommen vom griechischen teleios übersetzt, was ‚vollendet‘ bedeutet.“1
Anschließend nannte Präsident Nelson ein eindrückliches Beispiel für diese Wahrheit: „Kurz vor seiner Kreuzigung sagte [Jesus Christus]: ‚Am dritten Tag werde ich vollendet‘. Stellen Sie sich das vor! Der Herr – ohne Sünde, ohne Fehler und nach unseren irdischen Maßstäben schon vollkommen – sagt, dass seine eigene Vollkommenheit noch in der Zukunft liegt. Auf seine Auferstehung würde seine ewige Vollkommenheit folgen.“2
Die Gefahren des Perfektionismus
Trotzdem lassen wir nur allzu oft außer Acht, dass wir göttliche Hilfe brauchen, und versuchen, alles allein zu meistern und fehlerfrei zu leben. Und dabei müssen wir unweigerlich versagen.
Verhaltensforscher bezeichnen Perfektionismus als „schnellen und anhaltenden Weg ins Unglück“. Und das stimmt! Perfektionismus raubt uns Glück und Zufriedenheit. Er nimmt uns die Selbstachtung, lässt unsere besten Bemühungen völlig unzureichend erscheinen und kann uns zermürben, weil wir unaufhörlich versuchen, mehr als das Menschenmögliche zu schaffen.
Elder Jeffrey R. Holland vom Kollegium der Zwölf Apostel hat dazu gesagt: „Unsere einzige Hoffnung auf wahre Vollkommenheit ist, dass wir sie als Geschenk vom Himmel empfangen. Wir können sie nicht ‚verdienen‘. Die Gnade Christi bietet uns also nicht nur die Befreiung von Leid und Sünde und Tod, sondern auch die Befreiung von unserer ständigen Selbstkritik.“3
Sei etwas netter zu dir selbst
Bist du womöglich dein ärgster Feind? Verstehst du es besser als jeder andere, dich selbst fertigzumachen? Dann hör damit auf! Lass lieber zu, dass die Gnade Christi in deinem Leben wirksam wird, wenn die Hilfe kommen soll, die du brauchst.
In dieser gefallenen Welt wird es immer Stimmen geben, die dir bereitwillig erklären, dass du in dieser oder jener Hinsicht unzulänglich bist. Du musst dich ja nicht auch noch diesen Kritikern anschließen.
Es ist an der Zeit, ein bisschen sanfter mit dir umzugehen. Bemühe dich darum, dich zu verbessern, aber denk bitte auch an diese Worte von Elder Holland: „Ich [hoffe], dass wir an uns arbeiten können, ohne dass wir Magengeschwüre bekommen oder uns der Appetit vergeht, wir uns niedergeschlagen fühlen oder unser Selbstwertgefühl einbüßen.“4
Wenn dir das leichter gesagt als getan vorkommt, dann fang am besten an, zu üben.
Schritt für Schritt
Schließlich ist dieses Leben zu kurz, um sich ständig unzulänglich zu fühlen. Präsident Nelson hat es besonders treffend formuliert: „Wir müssen uns vor Augen halten: Menschen sind, damit sie Freude haben – und nicht Schuldgefühle!“5
Weil du ja noch nicht fertig bist, wirst du erst im nächsten Leben ganz vollkommen oder vollendet sein. In der Zwischenzeit gib einfach weiter dein Bestes. Du wirst die Vollkommenheit mit der Hilfe des Herrn und zu seiner Zeit erlangen.