Sich Gott nahen
„Wenn wir uns vom Evangelium Jesu Christi anrühren lassen wollen, müssen wir an Gott glauben. Wir müssen mit ihm sein wollen, und wir müssen spüren, daß wir uns rein machen müssen.”
Jeden Tag sprechen wir mit Menschen, die meinen, daß es keinen Gott gibt oder daß er sehr weit von uns entfernt ist. Einmal saß ich im Flugzeug neben einer Frau und unterhielt mich mit ihr. Sie gab sich große Mühe, mich zu verstehen, und mir wiederum fiel es schwer, ihr Englisch zu verstehen. Sie erzählte mir, daß sie ihren Geburtsort besuchen wolle. Der Grund dafür war der Todestag ihres Vaters, der vor vielen Jahren gestorben war. Sie war an seinem dritten, seinem siebten, seinem dreizehnten und seinem siebzehnten Todestag in ihre Heimatstadt gefahren. Und nun war sie wieder auf dem Weg dorthin.
Ich sagte ihr, wie sehr ich sie dafür bewunderte, daß sie ihren Vater nicht vergessen hätte. Daraufhin erklärte sie mir, wie wichtig es ihr war, ihre Vorfahren in Ehren zu halten. Ich fragte sie, ob ihre Familie zur Kirche ginge, und sie lächelte und meinte: „Nein, nur wenn jemand stirbt.” Ich fragte sie, ob sie an Gott glaube, und sie bejahte das. Ich fragte sie auch, ob sie sich Gott verbunden fühle, aber das verneinte sie. „Wenn wir ihn brauchen, sagen wir: Komm her!” und dazu machte sie eine entsprechende Handbewegung. Ich fragte sie, wie sie sich Gott vorstelle, und sie antwortete leise: „Ich glaube, er ist wie einer unserer frühen Vorfahren.”
Sie brauchte die Worte, die Sie heute hier gehört haben: Jesus Christus, der Fall Adams, das Sühnopfer, die Auferstehung, Umkehr, ewiges Leben und die reine Gottesliebe. Aber mir war klar, daß sie sich davon nicht anrühren lassen würde. Ich dachte an das, was Spencer W. Kimball am Anfang seines Buches „Das Wunder der Vergebung” geschrieben hatte; mir war klar, daß er recht hatte. Vielleicht erinnern Sie sich:
„Dieses Buch geht vom Glauben an Gott und an den hohen Sinn und Zweck des Lebens aus. Ohne Gott hätte die Umkehr nur wenig Bedeutung, und die Vergebung wäre sowohl unnötig als auch unwirklich. Wenn es keinen Gott gäbe, wäre das Leben wirklich bedeutungslos; und wie … zahlreiche andere Völker und Kulturen wären wir in dem Drang gerechtfertigt, nur dem heutigen Tag zu leben -, iß und trink und sei lustig’ -, zu prassen und jeden weltlichen Wunsch zu erfüllen. Wenn es keinen Gott gäbe, dann gäbe es auch keine Erlösung, keine Auferstehung, keine vor uns liegende Ewigkeit und demzufolge auch keine Hoffnung.” (Spencer W. Kimball, The Miracle of Forgiveness, Salt Lake City, 1969, Seite 3f.)
Diese Worte ließen mich nicht nur daran denken, wie verschieden meine Nachbarin und ich waren, sondern auch daran, wie ähnlich wir uns in manchem waren. Gott ist unser Vorfahr, aber er ist nicht weit entfernt, sondern nah. Er ist der Vater unseres Geistes; wir sind seine Kinder. Aber es geht uns allen so wie meiner Nachbarin: Manchmal fühlen wir uns weit von ihm entfernt. Für uns wie auch für sie gilt: Wenn wir uns vom Evangelium Jesu Christi anrühren lassen wollen, müssen wir an Gott glauben. Wir müssen mit ihm sein wollen, und wir müssen spüren, daß wir uns rein machen müssen, damit wir einmal wieder bei ihm sein können.
Der Tag wird kommen, wo wir ihn wiedersehen. Präsident Benson hat über dieses Wiedersehen gesagt: „Wenn wir durch den Schleier auf die andere Seite schreiten, dann werden wir höchst überrascht feststellen, wie gut wir den Vater kennen und wie vertraut uns sein Gesicht ist.” („Jesus Christ - Gifts and Expectations”, Ansprache an der Brigham-Young-Universität, 1974.)
Das, was Präsident Benson gesagt hat, gilt für die Zukunft. Aber wir müssen auch jetzt schon spüren, daß Gott uns kennt und liebt. Manchmal spürt man, wie nahe man Gott, dem Vater, ist, und daß man sein Kind ist. Das kann häufiger geschehen. Dazu gibt es eine ganz einfache Möglichkeit:
Wenn Sie mit jemandem verbunden bleiben wollen, der ihnen teuer ist, mit dem Sie aber nicht Zusammensein können, wissen Sie, was Sie tun müssen. Zuerst finden Sie eine Möglichkeit, mit dem Betreffenden zu sprechen, ihm zuzuhören und etwas für ihn zu tun. Je häufiger und je länger Sie das tun, desto fester wird das Band der Zuneigung. Wenn Sie hingegen länger nicht mit dem Betreffenden sprechen, ihm nicht zuhören und nichts für ihn tun, wird das Band brüchig.
Gott ist vollkommen und allmächtig; wir sind nur sterbliche Menschen. Aber er ist unser Vater, und er liebt uns. Wie es ein guter Freund täte, gibt er uns die Möglichkeit, uns ihm zu nahen. Und das geschieht auf die gleiche Weise wie oben geschildert: durch Sprechen, Zuhören und Handeln.
Der himmlische Vater hat uns aber nicht nur aufgefordert, zu ihm zu sprechen, er hat es uns sogar geboten. Und wie immer hat er dem Gebot auch eine Verheißung angefügt.
In Abschnitt 19 im Buch, Lehre und Bündnisse’ fordert der Herr uns auf: „Bete immer, dann werde ich meinen Geist über dich ausgießen, und groß wird deine Segnung sein - ja, größer, als wenn du die Schätze der Erde und der Verweslichkeit im gleichen Ausmaß erhieltest.
Siehe, kannst du dies lesen, ohne dich zu freuen und ohne daß du dein Herz vor Freude emporhebst?
Oder kannst du noch länger als blinder Führer umherlaufen?
Oder kannst du demütig und sanftmütig sein und dich vor mir weise verhalten? Ja, komm zu mir, deinem Erretter. Amen.” (LuB 19:38-41.)
In dieser Schriftstelle wie auch in anderen Schriftstellen sagt der Herr ganz deutlich, wie oft wir mit ihm sprechen müssen, nämlich immer. Als der Herr nach seiner Auferstehung den Menschen im alten Amerika erschien, erklärte er ihnen, wie sie beten sollten. Er sagte ihnen: „Ihr müßt immer beten.” Das bedeutet nicht, daß wir nur hin und wieder oder nur dann beten sollen, wenn uns danach zumute ist. Hören Sie, was der Herr den Nephiten ans Herz gelegt hat:
„Darum seid ihr gesegnet, wenn ihr meine Gebote haltet, von denen der Vater mir geboten hat, sie euch zu geben.
Wahrlich, wahrlich, ich sage euch: Ihr müßt immer wachen und beten, damit ihr nicht vom Teufel versucht und von ihm gefangengeführt werdet.
Und wie ich unter euch gebetet habe, so sollt auch ihr in meiner Kirche beten, unter meinem Volk, wenn es umkehrt und sich in meinem Namen taufen läßt. Siehe, ich bin das Licht; ich habe euch ein Beispiel gesetzt.” (3 Nephi 18:14-16.) Wir müssen aufmerksam zuhören. Die Schriftstelle, die ich Ihnen gerade vorgelesen habe, gibt die Worte Christi wieder. Ich gebe Zeugnis, daß das wahr ist. Jesus Christus sagt die Worte des Vaters. Lesen Sie in der heiligen Schrift, und hören Sie zu, dann werden Sie die Antworten hören, die Gott Ihnen gibt.
Es gibt aber noch eine andere Möglichkeit, Gott zuzuhören. Wahrscheinlich haben viele von Ihnen heute Antwort auf ihr Beten erhalten. Ich gebe Zeugnis, daß Sie auf dieser Konferenz die Worte der Apostel und Propheten des Herrn Jesus Christus gehört haben. Der Herr hat gesagt, daß folgendes gilt, wenn sie auf seine Weisung sprechen:
„Was ich, der Herr, gesagt habe, das habe ich gesagt, und ich entschuldige mich nicht; mögen auch Himmel und Erde vergehen mein Wort wird nicht vergehen, sondern wird sich gänzlich erfüllen, sei es durch meine eigene Stimme oder durch die Stimme meiner Knechte, das ist dasselbe.
Denn siehe doch, der Herr ist Gott, und der Geist gibt Zeugnis, und das Zeugnis ist wahr, und die Wahrheit bleibt für immer und immer. Amen.” (LuB 1:38,39.)
Der Geist also gibt Ihnen Zeugnis, wenn Sie in der heiligen Schrift lesen, wenn Sie zuhören, was Gottes bevollmächtigte Knechte sagen, wenn Gott selbst direkt zu Ihnen spricht. Sie können zuhören und aufhorchen, wenn Sie daran glauben, daß das richtig ist, was in der heiligen Schrift über den Heiligen Geist gesagt wird: „Ja, so spricht die leise, feine Stimme, die alles durchraunt und alles durchdringt, die mich oft bis ins Gebein erbeben läßt, wenn sie etwas kundtut.” (LuB 85:6.)
Ich bezeuge, daß es sich um eine leise Stimme handelt. Sie ruft nicht, sie flüstert. Und deshalb müssen Sie im Innern ganz leise sein. Daher kann es angebracht sein zu fasten, wenn Sie die Antwort hören wollen. Und daher können Sie auch am besten zuhören, wenn Sie sich die folgende Einstellung zu eigen machen: „Vater, nicht mein, sondern dein Wille soll geschehen.” Dann wollen Sie das, was der Herr möchte, und Sie spüren, wie die leise, feine Stimme tief in Ihr Inneres dringt. Sie läßt Sie bis ins Gebein erbeben. Meistens aber wird sie machen, daß Ihr Herz in Ihnen brennt, und zwar auf ganz leise Art. Dieses Brennen jedoch erbaut Sie und schenkt Ihnen Gewißheit.
Wenn Sie dann zugehört haben, werden Sie auch handeln, denn wenn man die Stimme des Geistes hört, hat man immer das Gefühl, etwas tun zu müssen. Sie dürfen allerdings nicht überrascht sein, wenn die Weisung, die Sie erhalten, mit etwas gekoppelt ist, was Sie für eine Zurechtweisung halten.
Vielleicht möchten Sie lieber, daß Gott Ihnen einfach sagt, wie gut Sie Ihre Sache machen. Aber er liebt Sie und möchte, daß Sie bei ihm sind. Er weiß, daß Sie eine mächtige Wandlung im Herzen erleben müssen, und zwar durch den Glauben an Jesus Christus, daß Sie demütig Umkehr üben und heilige Bündnisse eingehen und einhalten müssen. Deshalb heißt es in den Sprichwörtern auch: „Mein Sohn, verachte nicht die Zucht des Herrn, widersetz dich nicht, wenn er dich zurechtweist. Wen der Herr liebt, den züchtigt er, wie ein Vater seinen Sohn, den er gern hat.” (Sprichwörter 3:11,12.)
Sie haben hier Gottes Knechte sprechen hören, und sicher haben Sie sich gedrängt gefühlt, etwas zu tun. Nun können Sie natürlich Ihr Herz verhärten: „Wie kann ein Mensch, der selbst unvollkommen ist, mich zur Umkehr aufrufen?” Sie können darin aber auch die liebevolle Aufforderung des himmlischen Vaters sehen, der sich gefreut hat, daß Sie bei ihm waren, und sich freut, wenn Sie seine liebevolle Zurechtweisung annehmen.
Bei dieser Zurechtweisung haben Sie aber sicher auch noch etwas anderes gespürt, nämlich den starken Drang, etwas für einen anderen zu tun. Das ist nicht weiter verwunderlich. Gott liebt seine Kinder, und seine Kinder haben große Bedürfnisse. Alles gehört ja Gott, und deshalb gibt es nicht viel, was Sie ihm schenken können, wenn Sie ihm Ihr umkehrwilliges Herz dargebracht haben. Aber Sie können freundlich zu seinen Kindern sein. Wenn Sie hier auf der Erde mein Freund sein wollten, könnten Sie mein Herz dadurch gewinnen, daß Sie zu meinen Kindern freundlich sind. Gott liebt seine Kinder mehr, als irdische Eltern ihre Kinder lieben. Deshalb überlegen Sie einmal, was es ihm bedeutet, wenn Sie freundlich zu seinen Kindern sind.
Wenn Sie das alles für den himmlischen Vater tun, nämlich wenn Sie beten, zuhören und ihm ihr Leben lang gehorchen, werden Sie feststellen, daß er großzügiger ist, als Sie es jemals sein können. König Benjamin hat erklärt, was es für uns bedeutet, wenn wir das tun, was Gott geboten hat:
„Und zweitens verlangt er, daß ihr tut, wie er euch geboten hat; und wenn ihr das tut, so segnet er euch unverzüglich; und damit hat er euch bezahlt. Und ihr seid ihm immer noch zu Dank verpflichtet - das seid ihr und werdet es sein für immer und immer; womit könnt ihr also prahlen?” (Mosia 2:24.)
Als der Erretter der Welt am Kreuz hing, fühlte auch er sich von seinem Vater verlassen. Auch Sie werden sich - manchmal vielleicht für lange Zeit - vom Vater verlassen fühlen. Aber Sie wissen ja, wie man sich Gott nahen kann. König Benjamin hat uns das gezeigt:
„Ich sage euch, ich möchte, daß ihr daran denkt, daß ihr euch den Namen immer ins Herz geschrieben bewahrt, damit ihr euch nicht zur linken Hand Gottes findet, sondern damit ihr die Stimme, von der ihr gerufen werdet, und auch den Namen, womit er euch rufen wird, vernehmt und erkennt. Denn wie soll jemand einen Herrn kennen, dem er nicht gedient hat und der für ihn ein Fremder ist und der den Gedanken und Absichten seines Herzens ferne steht?” (Mosia 5:12,13.) Sie werden sicher überrascht sein, wie Präsident Benson gesagt hat, wenn Sie merken, wie vertraut Ihnen das Gesicht des himmlischen Vaters ist. Wenn Sie ihn sehen, werden Sie auch seine Stimme erkennen, denn Sie haben ja gebetet, zugehört und gehorcht und seine Gedanken und Absichten gekannt. Sie haben sich ihm genaht.
Ich bete darum, daß wir dies tun. Im Namen Jesu Christi. Amen.