Entscheidungsfreiheit und Zorn
Ein Trick bei der Methode des Satans besteht darin, Zorn und Entscheidungsfreiheit zu trennen und uns einzureden, wir seien das Opfer eines Gefühls, das wir nicht beherrschen können.
„Meine Familie liebe ich. Sie bedeutet viel für mich.“ Dieser Wunsch eines jeden Kindes wird in einem unserer Kirchenlieder in Worte gekleidet (Gesangbuch, Nr. 201.)
In der Proklamation zur Familie lesen wir, daß die Familie im Mittelpunkt des Plans des Schöpfers steht. Und weiter: „Mann und Frau tragen die feierliche Verantwortung, einander … zu lieben und zu umsorgen … [und] ihre Kinder in Liebe und Rechtschaffenheit zu erziehen.“ („Die Familie, eine Proklamation an die Welt“, Der Stern, Januar 1996, 93.)
Die Familie ist auch das Hauptziel des Satans. Er hat ihr den Krieg erklärt. Zu seinen Methoden gehört es dabei, sich heimlich und listig hinter die feindlichen Linien zu schleichen und von dort aus in unsere Familie und unser ganzes Leben einzudringen.
Oft schadet er der Familie in ihren eigenen vier Wänden oder zerstört sie sogar. Das erreicht er mit der Strategie, die Familienmitglieder zum Zorn gegeneinander aufzustacheln. Der Satan ist der „Vaters des Streites“, und er „stachelt den Menschen das Herz auf, im Zorn miteinander zu streiten“ (3 Nephi 11:29; Hervorhebung hinzugefügt). Der Begriff „aufstacheln“ ist geradezu ein Katastrophenrezept: Man halte das Temperament auf mittlerer Hitze, rühre einige ausgesuchte Wörter ein und bringe alles zum Kochen; anschließend rühre man weiter, bis die Suppe dick ist, lasse sie abkühlen und die Gefühle für mehrere Tage erkalten. Alles kalt servieren. Es bleibt garantiert viel übrig.
Ein Trick bei der Methode des Satans besteht darin, Zorn und Entscheidungsfreiheit zu trennen und uns einzureden, wir seien das Opfer eines Gefühls, das wir nicht beherrschen können. Man hört oft: „Ich habe die Beherrschung verloren.“ Das ist eine interessante Wortwahl, und der Satz hat sich zu einer gebräuchlichen Redensart entwickelt. Wenn man etwas „verliert“, so bedeutet das, daß es „unbeabsichtigt“ beziehungsweise „zufällig“, „unfreiwillig“, „ohne Schuld“ und vielleicht fahrlässig, aber auf keinen Fall „eigenverantwortlich“ geschehen ist.
„Er hat mich wütend gemacht.“ Auch diese Wendung wird häufig gebraucht, und auch sie deutet auf fehlende Beherrschung beziehungsweise Entscheidungsfreiheit hin. Diesem Aberglauben müssen wir entgegentreten. Niemand macht uns wütend. Niemand macht uns ärgerlich. Wir werden dazu nicht gezwungen. Vielmehr entscheiden wir uns bewußt dafür, ärgerlich zu werden. Wir treffen die Entscheidung!
Denjenigen, die sich damit herausreden, sie könnten nichts dafür, hält der Schriftsteller William Wilbanks entgegen: „Unsinn.“
„Sich aggressiv verhalten, … Wut unterdrücken, darüber reden, schreien und brüllen das sind erlernte Methoden, mit Zorn umzugehen. Wir entscheiden uns für die Methode, die sich in der Vergangenheit als wirkungsvoll erwiesen hat. Ist Ihnen schon einmal aufgefallen, wie selten man die Beherrschung verliert, wenn man von seinem Chef enttäuscht ist, wie oft man aber die Beherrschung verliert, wenn man sich von seinen Freunden oder seiner Familie gekränkt fühlt? („The New Obscenity“, Reader’s Digest, Dezember 1988, 24; Hervorhebung hinzugefügt.)
In seinem zweiten Jahr an der Highschool bewarb sich Wilbanks um die Aufnahme in die Basketballmannschaft, was ihm auch gelang. Am ersten Trainingstag ließ der Trainer ihn allein gegen einen anderen Schüler spielen, während die Mannschaft zusah. Als er einen leichten Ball daneben warf, wurde er wütend, stampfte mit dem Fuß auf und jammerte. Da ging der Trainer zu ihm hinüber und sagte: „Wenn du hier noch einmal so eine Schau abziehst, wirst du nie in meiner Mannschaft spielen.“ Während der nächsten drei Jahre verlor er nicht ein einziges Mal wieder die Beherrschung. Als er Jahre später an diesen Vorfall zurückdachte, wurde ihm bewußt, daß der Trainer ihn einen Grundsatz gelehrt hatte, der sein Leben verändert hatte: Man kann seinen Zorn beherrschen.
In der Joseph-Smith-übertragung von Epheser 4:26 sagt Paulus: „Könnt ihr zornig sein, ohne zu sündigen?“ Der Herr hat in diesem Punkt eindeutig Stellung bezogen. „Wer den Geist des Streites hat, ist nicht von mir, sondern vom Teufel, der der Vater des Streites ist, und er stachelt den Menschen das Herz auf, im Zorn miteinander zu streiten. Siehe, es ist nicht meine Lehre, daß den Menschen das Herz zum Zorn gegeneinander aufgestachelt werde; sondern es ist meine Lehre, daß es Derartiges nicht mehr geben soll.“ (3 Nephi 11:29,30.)
Diese Lehre beziehungsweise dieses Gebot des Herrn setzt bei uns Entscheidungsfreiheit voraus; wir werden aufgefordert, bewußt eine Entscheidung zu treffen. Der Herr erwartet von uns, daß wir uns dafür entscheiden, nicht zornig zu werden.
Zorn läßt sich auch nicht rechtfertigen. In Matthäus 5:22 sagt der Herr: „Ich aber sage euch: Jeder, der seinem Bruder auch nur zürnt, soll dem Gericht verfallen sein.“ Weder hier noch in 3 Nephi 12:22 steht etwas von einem „guten Grund“ für das Zürnen. Damit läßt der Herr keine Entschuldigung gelten. „Sondern es ist meine Lehre, daß es Derartiges nicht mehr geben soll.“ (3 Nephi 11:30.) Wir können dafür sorgen, daß es Zorn nicht mehr gibt, denn der Herr hat uns entsprechend unterwiesen und uns dieses Gebot erteilt.
Wer zornig ist, gibt dem Einfluß des Satans nach. Es ist die in Gedanken begangene Sünde, die zu feindseligem Denken beziehungsweise Verhalten führt. Sie ist der Grund für die Aggressivität auf den Straßen, die Schlägereien im Fußballstadion, die Gewalttätigkeiten zu Hause.
Wer seinen Zorn nicht im Griff hat, läßt sich schnell zu gemeinen Bemerkungen und anderen Formen seelischer Grausamkeit hinreißen, die den anderen tief verletzen können. Der Erretter hat gesagt: „Was aus dem Mund des Menschen herauskommt, das macht ihn unrein.“ (Matthäus 15:11.) David O. McKay hat gefordert:
„Mann und Frau dürfen niemals mit lauter Stimme zueinander sprechen, es sei denn, das Haus steht in Flammen’.“ (Stepping Stones to an Abundant Life, Hg. Llewelyn R. McKay [1971], 294.)
Körperliche Mißhandlung ist ein Zeichen für völlig außer Kontrolle geratenen Zorn. Dafür gibt es niemals eine Rechtfertigung, und es kann niemals rechtschaffen sein.
Zorn ist der grobe Versuch, in einem anderen Menschen Schuldgefühle hervorzurufen, und eine grausame Art, jemanden zurechtzuweisen. Man bezeichnet diesen Vorgang oft auch fälschlicherweise als Disziplinierung, aber er bewirkt fast immer genau das Gegenteil. Deshalb ist in den heiligen Schriften auch die folgende Warnung zu finden: „Ihr Männer, liebt eure Frauen, und seid nicht aufgebracht gegen sie! … Ihr Väter, schüchtert eure Kinder nicht ein, damit sie nicht mutlos werden.“ (Kolosser 3:19,21.)
Entscheidungsfreiheit und Verantwortung gehen Hand in Hand. Das kommt auch in den Idealen der Jungen Damen zum Ausdruck. Und weil man sich frei dafür entscheidet, zornig zu werden, ist in der Proklamation zur Familie auch eine eindringliche Warnung zu finden, nämlich daß jeder, der seine Frau oder seine Kinder mißhandelt, eines Tages vor Gott dafür Rechenschaft ablegen muß.
Wenn wir uns den Zusammenhang zwischen Entscheidungsfreiheit und Zorn bewußt machen, haben wir damit den ersten Schritt getan, um dieses Gefühl aus unserem Leben zu verbannen. Wir können uns dafür entscheiden, nicht zornig zu werden. Und diese Entscheidung können wir heute treffen, jetzt gleich. Ich werde nie wieder zornig. Denken Sie einmal darüber nach.
Aus Abschnitt 121 im Buch Lehre und Bündnisse können wir sehr gut richtige Führungsgrundsätze lernen. Dieser Abschnitt ist wahrscheinlich gerade für Ehepaare und Eltern besonders wichtig. Wir sollen unsere Familie „mit überzeugender Rede, mit Langmut, mit Milde und Sanftmut und mit ungeheuchelter Liebe“ führen (siehe LuB 121:41,42).
Möge der Traum eines jeden Kindes wahr werden, hier auf der Erde eine Familie zu haben, die es liebt und von der es geliebt wird. Das ist mein Gebet und mein Zeugnis im Namen Jesu Christi, amen.