1990–1999
Reinheit
Oktober 1998


Reinheit

Jemand, der den gottgegebenen Körper eines anderen benutzt, mißbraucht den zentralen Zweck und die Vorgänge des Lebens.

Der heutige Wind der Unmoral tobt gespenstisch um unsere Jugendlichen und jungen Erwachsenen, und ich mache mir Sorgen um diejenigen, die verwirrt sind, was die Grundsätze der Reinheit betrifft, was die Verpflichtung zu völliger Keuschheit vor der Ehe und völliger Treue in der Ehe betrifft. Ich möchte heute über sittliche Reinheit sprechen, gegen das, was in der Welt geschieht und was sie sehen und hören, und in der Hoffnung, die Eltern stark zu machen, die ihre Kinder einen höheren Maßstab lehren. Weil dieses Thema so überaus heilig ist, bete ich inständig, der Heilige Geist möge mich leiten, da ich heute offener sein will, als ich es sonst wäre. Heute weiß ich, wie Jakob im Buch Mormon wohl zumute war, als er zu diesem selben Thema sagte: „Es schmerzt mich, daß ich so rückhaltlos sprechen muß.“1

Bei der Behandlung dieses Themas möchte ich nicht auf die vielen gesellschaftlichen Übel eingehen, die mit düsteren Statistiken belegt sind und für die es erschreckende Beispiele gibt. Ich will hier auch keine Checkliste dafür vorlegen, was man beim Ausgehen und in der Beziehung zwischen einem Jungen und einem Mädchen tun darf und was nicht. Was ich tun möchte, ist persönlicher ­ ich möchte versuchen, Fragen zu beantworten, die manche von euch sich vielleicht stellen: Warum sollen wir sittlich rein sein? Warum ist das Gott so wichtig? Muß die Kirche in dieser Frage so streng sein, wenn andere es offensichtlich nicht sind? Wie könnte etwas, das die Gesellschaft so offen ausnutzt und verherrlicht, so heilig und schwerwiegend sein?

Ich möchte mit einer Lektion aus der langen und lehrreichen Geschichte der Zivilisation beginnen. Will und Ariel Durant haben geschrieben: „Kein Mann [und keine Frau], so brillant oder gut informiert er [und sie] auch sein mag, kann … die Weisheit dessen, was man im Labor der Geschichte lernt, einfach beiseite schieben. Ein Jugendlicher, in dem die Hormone kochen, fragt sich, warum er seinen sexuellen Wünschen keinen freien Lauf lassen soll; und wenn ihm Bräuche, Moral oder Gesetze nicht Einhalt gebieten, ruiniert er vielleicht sein Leben, ehe ihm klar wird, daß die Sexualität ein Feuerfluß ist, der durch hundert Einschränkungen gesteuert und in die richtigen Bahnen gelenkt werden muß, wenn er nicht sowohl den einzelnen als auch die Gruppe ins Chaos stürzen soll.“2

Eine noch wichtigere Beobachtung macht der Verfasser der Sprichwörter: „Trägt man denn Feuer in seinem Gewand, ohne daß die Kleider in Brand geraten? Kann man über glühende Kohlen schreiten, ohne sich die Füße zu verbrennen? … Wer Ehebruch treibt, ist ohne Verstand.… Schläge und Schande bringt es ihm ein, unaustilgbar ist seine Schmach.“3

Warum ist die Frage sexueller Beziehungen so schwerwiegend, daß fast immer das Feuer die Metapher ist, daß die Leidenschaft mit Flammen verglichen wird?Was ist es an dieser möglicherweise verletzenden Hitze, das die Seele ­ oder auch die ganze Welt ­ vernichtet, wenn der Flamme nicht Einhalt geboten wird und die Leidenschaft ungezügelt bleibt? Was ist es an all diesem, dasAlma dazu bewegt, seinen Sohn Korianton in bezug auf sexuelle Übertretung zu warnen: „Weißt du nicht, mein Sohn, daß dies ein Greuel in den Augen des Herrnist, ja, die greulichste allerSünden, außer wenn unschuldiges Blut vergossen oder der Heilige Geist geleugnet wird?“4

Was will Gott uns damit sagen, daß er dem körperlichen Verlangen, das ja allen Menschen mitgegeben ist, in seinem Plan für alle Menschen einen solchen Stellenwert einräumt? Ich meine, daß er genau das tut ­ er äußert sich damit zum Plan des Lebens selbst. Zu seinen wichtigsten Anliegen bezüglich der Sterblichkeit gehört die Art, wie man in diese Welt gelangt und wie man sie verläßt. Und in dieser Hinsicht hat er sehr strenge Grenzen gesetzt.

Glücklicherweise sind wohldie meisten Menschen recht verantwortungsbewußt, wenn es darum geht, wie das Leben endet. Aberwo es um die Bedeutung des Schenkens von Leben geht, erleben wir manchmal eine fast kriminelle Verantwortungslosigkeit. Ich möchte drei Gründe dafür anführen, warum dies im Evangelium Jesu Christi eine so weitreichende und folgenschwere Sache ist.

An erster Stelle steht die offenbarte, wiederhergestellte Lehre von der Seele des Menschen.

Eine der „klaren und kostbaren“ Wahrheiten, die in dieser Evangeliumszeit wiederhergestellt worden sind, ist die: „Der Geist und der Körper zusammen sind die Seele des Menschen.“5 Wenn Geist und Körper getrennt werden, kann „der Mensch eine Fülle der Freude nicht empfangen“.6 Deshalb ist es überhaupt so grundlegend wichtig, daß wir einen Körper erhalten, deshalb ist solche Sünde so schwerwiegend (weil diese Sünde letztlich sowohl den physischen als auch den geistigen Tod mit sich bringt), und deshalb spielt die Auferstehung des Leibes im großen Triumph des Sühnopfers Christi eine so zentrale Rolle.

Der Leib ist ein wesentlicher Bestandteil der Seele. Diese charakteristische und sehr wichtige Lehre der Heiligen der Letzten Tage unterstreicht, warum sexuelle Sünde so schwerwiegend ist. Wir verkünden, daß jemand, der den gottgegebenen Körper eines anderen ohne göttliche Billigung benutzt, den zentralen Zweck und die Vorgänge des Lebens mißbraucht, „den Schlüssel“7 zum Leben, wie Präsident Boyd K. Packer einmal gesagt hat. Indem man den Körper eines anderen ausbeutet, was bedeutet, daß man seine Seele ausbeutet, entweiht man das Sühnopfer Christi, durch das diese Seele ja errettet worden ist und das das Geschenk ewigen Lebens überhaupt erst ermöglicht. Wenn man den Sohn der Rechtschaffenheit verspottet, tritt man in den Bereich der Hitze ein, die heißer und heiliger ist als die Mittagssonne. Dabei verbrennt man sich automatisch.

Sagt bitte niemals: „Wem tut das denn weh? Warum nicht ein bißchen Freiheit? Ich kann doch jetzt übertreten und später umkehren.“ Seid bitte nicht so töricht und so grausam. Man kann nicht ungestraft „den Sohn Gottes noch einmal ans Kreuz [schlagen]“.8 „Hütet euch vor der Untucht!“9 sagt Paulus, und im Buch Lehre und Bündnisse lesen wir, daß wir „auch sonst nichts Derartiges tun“ sollen.10 Warum? Nun, zum einen wegen des unermeßlichen Leidens an Leib und Geist, das der Erretter der Welt auf sich genommen hat, damit wir davor fliehen können.11 Dafür schulden wir ihm etwas. Tatsächlich schulden wir ihm alles. „Ihr gehört euch nicht selbst,“ schreibt Paulus. „Denn um einen teuren Preis seid ihr erkauft worden. Verherrlicht also Gott in eurem Leib!“12 Bei sexueller Übertretung steht die Seele auf dem Spiel ­ Leib und Geist.

Zweitens möchte ich betonen, daß eine sexuelle Beziehung einem Ehepaar vorbehalten ist, weil sie das höchste Symbol völliger Einheit ist, einer völligen Einheit, wie Gott sie verordnet und definiert hat. Seit dem Garten von Eden ist die Ehe dazu bestimmt, daß Mann und Frau völlig miteinander eins werden ­ in Herz, Hoffnungen, Leben, Liebe, Familie, Zukunft, allem. Adam sagte von Eva, sie sei Bein von seinem Bein und Fleisch von seinem Fleisch und sie sollten in ihrem gemeinsamen Leben „ein Fleisch“ sein.13 Dies ist eine so völlige Einheit, daß wir das Wort siegeln benutzen, um die damit verbundene Verheißung für die Ewigkeit zu verdeutlichen. Der Prophet Joseph Smith hat einmal gesagt, wir könnten diese heilige Verbindung auch als „Verschmelzen“ bezeichnen.14

Aber eine so völlige Einheit, eine so unauflösliche Verpflichtung zwischen einem Mann und einer Frau kann nur mit der Nähe und Dauer einhergehen, die der Ehebund gewährt, mit den feierlichen Versprechen und dem Einsatz von allem, was sie haben ­ Herz und Sinn, alle Tage und alle Träume.

Seht ihr die sittliche Schizophrenie, die damit verbunden ist, wenn man so tut, als ob man eins wäre, wenn man so tut, als hätte man vor Gott feierliche Versprechen abgegeben, wenn man die physischen Symbole und die sexuelle Intimität der vorgeblichen Einheit miteinander teilt, dann aber flieht und sich zurückzieht und alle übrigen Aspekte dieser Verbindung, die doch eine völlige Verpflichtung darstellen sollte, scheut?

Mit einer sexuellen Beziehung müßt ihr warten! Ihr müßt warten, bis ihr alles geben könnt, und ihr könnt erst dann alles geben, wenn ihr rechtmäßig verheiratet seid. Wenn ihr auf ungesetzliche Weise etwas gebt, was euch gar nicht gehört (denkt daran: „Ihr gehört euch nicht selbst“), und nur einen Teil gebt, wenn gar nicht das ganze Ich involviert sein kann, ist das eine seelische Form von russischem Roulette. Wenn ihr auf körperlicher Befriedigung ohne Billigung des Himmels besteht, geht ihr das schreckliche Risiko ein, so großen geistigen und seelischen Schaden zu erleiden, daß ihr sowohl euer Verlangen nach sexueller Intimität als auch eure Fähigkeit aufs Spiel setzt, euch einer späteren, wahren Liebe von ganzem Herzen hinzugeben. Ihr könnt zu diesem wahreren Augenblick ordinierter Liebe, wirklicher Einheit gelangen, nur um dann zu eurem Entsetzen festzustellen, daß das, was ihr hättet bewahren sollen, vergeudet worden ist und daß nur Gottes Gnade den schrittweise erfolgten Verlust der Tugend, die ihr so leichtfertig hingegeben habt, wiedergutmachen kann. An eurem Hochzeitstag ist das allergrößte Geschenk, das ihr eurem Partner für die Ewigkeit machen könnt, euer bestes Ich ­ rein und solcher Reinheit auch beim Partner würdig.

Drittens möchte ich sagen, daß eine sexuelle Beziehung nicht nur eine symbolische Vereinigung zwischen Mann und Frau darstellt ­ die Vereinigung ihrer Seele ­ sondern auch ein Symbol der Beziehung zwischen ihnen und dem Vater im Himmel ist. Er ist unsterblich und vollkommen. Wir sind sterblich und unvollkommen. Trotzdem suchen wir selbst in der Sterblichkeit nach Möglichkeiten, mit ihm in geistiger Hinsicht eins zu sein. Dadurch erhalten wir Zugriff auf die Gnade und Majestät seiner Macht. Zu diesen besonderen Augenblicken gehört es, wenn man am Siegelungsaltar im Haus des Herrn kniet, wenn man ein neugeborenes Baby segnet, wenn man ein neues Mitglied der Kirche tauft und konfirmiert, wenn man die Symbole des Abendmahls des Herrn nimmt und so weiter.

Das sind Augenblicke, in denen wir ganz buchstäblich unseren Willen mit dem Willen Gottes vereinen, unseren Geist mit seinem Geist, wo die Gemeinschaft durch den Schleier hindurch ganz real wird.In solchen Augenblicken erkennen wir nicht nur seine Göttlichkeitan, sondern wir nehmen ganz buchstäblich etwas von dieser Göttlichkeit an. Ein Aspekt dieser Göttlichkeit, der praktisch allen Männern und Frauen mitgegeben ist, ist der Gebrauch seiner Macht, einen menschlichen Körper zu erschaffen, dieses Wunder aller Wunder, ein genetisch und geistig einzigartiges Wesen, das es in der Geschichte der Welt nie zuvor gegeben hat und das es auch in alle Ewigkeit nie wieder geben wird. Ein Kind, euer Kind ­ mit Augen und Ohren und Fingern und Zehen und einer Zukunft von unaussprechlicher Größe.

Wahrscheinlich können nur ein Vater und eine Mutter, die ein Neugeborenes in den Armen gehalten haben, das Wunder, von dem ich spreche, verstehen. Ich will nur sagen, daß von allen Titeln, die Gott für sich in Anspruch nimmt, Vater derjenige ist, den er bevorzugt; die Schöpfung ist ihm das Wichtigste ­ vor allem was den Menschen betrifft, der als sein Ebenbild erschaffen wurde. Ihr und ich, wir haben etwas von dieser Göttlichkeit mitbekommen, aber unter den schwerwiegendsten und heiligsten Einschränkungen. Das einzige, was uns beherrscht, ist die Selbstbeherrschung ­ Selbstbeherrschung, die der Achtung vor der göttlichen Macht entspringt, die diese Gabe darstellt.

Meine lieben Freunde, ist euch klar, warum die Reinheit eine soernste Angelegenheit ist? Könntihr verstehen, warum die Erste Präsidentschaft und der Rat der Zwölf Apostel eine Proklamation herausgegeben haben, in der es heißt, „daß die Art und Weise, wie sterbliches Leben erschaffen werden soll, von Gott so festgelegt ist“ und daß „die heilige Fortpflanzungskraft nur zwischen einem Mann und einer Frau angewandt werden darf, die rechtmäßig miteinander verheiratet sind“?15 Laßt euch nicht täuschen und vernichten. Wenn diese Kraft nicht beherrscht wird, wenn die Gebote nicht gehalten werden, ist eure Zukunft vielleicht verbrannt, geht eure Welt vielleicht in Flammen auf. Die Strafe folgt vielleicht nicht genau am Tag der Übertretung, aber sie kommt ganz gewiß. Und wenn keine aufrichtige Umkehr, kein Gehorsam gegenüber dem barmherzigen Gott folgt, dann werden die sittlich Unreinen eines Tages vielleicht wie der Reiche beten, der sich wünschte, daß Lazarus „wenigstens die Spitze seines Fingers ins Wasser tauchen und [ihm] die Zunge kühlen [sollte]; denn [er litt] große Qual in diesem Feuer.“16

Ich habe hier das feierliche Offenbarungswort verkündet, daß der Geist und der Leib die Seele des Menschen sind und daß der Leib aufgrund des Sühnopfers Christi vom Grab auferstehen wird, um sich im ewigen Dasein mit dem Geist zu vereinen. Der Leib ist also etwas, das man rein und heilig halten muß. Habt keine Angst davor, euch bei ehrlicher Arbeit die Hände schmutzig zu machen. Habt keine Angst vor Narben, die ihr davontragen mögt, wenn ihr die Wahrheit verteidigt und euch für das Rechte einsetzt, aber hütet euch vor Narben, die in geistiger Hinsicht verunstalten, die ihr davontragt, wenn ihr etwas tut, was ihr nicht tun sollt, die ihr an Orten davontragt, an die ihr nicht hättet gehen sollen. Hütet euch vor den Wunden jeder Schlacht, in der ihr auf der falschen Seite kämpft.17

Wenn einige wenige von euch solche Wunden mit sich herumtragen, und ich weiß, daß das so ist, so ist euch durch das Sühnopfer des Herrn Jesus Christus doch der Friede und die Erneuerung der Umkehr möglich. In so schwerwiegenden Angelegenheiten ist der Weg der Umkehr nicht leicht zu beginnen und auch nicht ohne Schmerzen zu gehen. Aber der Erretter der Welt geht auf diesem wesentlichen Weg mit euch. Er stärkt euch, wenn ihr schwankt. Er ist euer Licht, wenn es am finstersten ist. Er nimmt euch an der Hand und ist eure Hoffnung, wenn die Hoffnung alles ist, was ihr noch habt. Sein Mitgefühl und seine Barmherzigkeit und die reinigende und heiligende Kraft, die damit verbunden ist, gelten vorbehaltlos allen, die sich aufrichtig völlige Vergebung wünschen und die Schritte gehen, die dorthin führen.

Ich gebe Zeugnis vom großen Plan des Lebens, von der Macht des göttlichen Wesens, von Barmherzigkeit und Vergebungsbereitschaft und vom Sühnopfer des Herrn Jesus Christus ­ all dies hat in Fragen der sittlichen Reinheit eine tiefe Bedeutung. Ich bezeuge, daß wir Gott in unserem Leib und in unserem Geist verherrlichen sollen. Ich danke dem Himmel für die vielen, vielen jungen Menschen, die genau das tun und auch anderen dabei helfen. Ich bete darum, daß alle Menschen ein Leben in Reinheit in Ehren halten. Darum bete ich im Namen der Reinheit selbst, im Namen des Herrn Jesus Christus, amen.

  1. Siehe Jakob 2 und 3 zum vollständigen Kontext seiner Predigt zum Thema Keuschheit.

  2. The Lessons of History (1968), 35f.

  3. Sprichwörter 6:27,28,32,33.

  4. Alma 39:5.

  5. LuB 88:15.

  6. LuB 93:34.

  7. Conference Report, April 1972, 139.

  8. Siehe Hebräer 6:6.

  9. 1 Korinther 6:18.

  10. . LuB 59:6; Hervorhebung hinzugefügt.

  11. . Siehe besonders LuB 19:15-20.

  12. . 1 Korinther 6:19,20; Hervorhebung hinzugefügt; siehe auch Vers 13-18.

  13. . Siehe Genesis 2:23,24.

  14. . Siehe LuB 128:18.

  15. . Die Familie: eine Proklamation an die Welt, Der Stern, Januar 1996.

  16. . Lukas 16:24.

  17. . Siehe James E. Talmage, Conference Report, Oktober 1913, 117.