1990–1999
Entscheidungsfreiheit--Segen und Last
Oktober 1999


Entscheidungsfreiheit--Segen und Last

Die Entscheidungsfreiheit ist die Macht, selbst zu denken, zu entscheiden und über unser Handeln zu bestimmen. Mit der Entscheidungsfreiheit eröffnen sich uns zahllose Möglichkeiten, sie bringt aber auch Verantwortung und Konsequenzen mit sich.

Als wir aus der Gegenwart des himmlischen Vaters auf diese Erde kamen, brachten wir eine kostbare, heilige und ewige Gabe mit. über diese Gabe, die Gabe der Entscheidungsfreiheit, möchte ich heute sprechen.

Die Entscheidungsfreiheit ist die Macht, selbst zu denken, zu entscheiden und über unser Handeln zu bestimmen. Mit der Entscheidungsfreiheit eröffnen sich uns zahllose Möglichkeiten, sie bringt aber auch Verantwortung und Konsequenzen mit sich. Sie ist ein Segen und eine Last. Der weise Gebrauch dieser Gabe ist heutzutage von entscheidender Bedeutung, weil noch nie zuvor in der Weltgeschichte die Kinder Gottes mit so vielen Wahlmöglichkeiten gesegnet waren beziehungsweise offen damit konfrontiert werden.

Damals in meiner Heimatstadt in der kanadischen Prärie war das Leben noch viel einfacher. Unsere Telefonnummer bestand aus einer einzigen Ziffer--3. Jeden Donnerstagabend gab es bei uns einen Schwarzweißfilm aus der nächsten größeren Stadt, Cardston. Die Post kam montags, mittwochs und freitags--außer wenn es zu stark schneite.

Es gab eine Hauptstraße. Drei Meilen westlich davon lag unsere Farm, und zwanzig Meilen östlich davon lag an derselben Straße der Tempel von Cardston. Es gab kaum andere Wege oder andere Orte, die man hätte aufsuchen können.

Heute gibt es endlos lange Telefonnummern, Filme jeder Art in den unterschiedlichsten Farben, E-Mail, die uns vierundzwanzig Stunden am Tag zur Verfügung steht, und viele andere Möglichkeiten, die unaufhörlich beurteilt werden wollen. Unser Leben ist von Wahlmöglichkeiten geradezu umgeben. Aber der Zweck unseres Erdenlebens ist immer noch derselbe.

Der Herr sagte zu Abraham, er werde uns zur Erde senden, um zu sehen, ob wir alles tun, was er uns gebietet (siehe Abraham 3:25). Entscheidungen sind daher unausweichlich. Die beiden einander entgegengesetzten Mächte der Welt wollen, dass wir uns ihnen verpflichten. Auf der einen Seiten gibt es den Satan wirklich, und auf der anderen Seite steht die mächtigere Liebe des Erretters.

Lehi lehrt, dass es ohne Gegensätze weder Rechtschaffenheit noch Schlechtigkeit, weder Gutes noch Böses gäbe. (Siehe 2 Nephi 2:11,16.) Wir können unser Handeln nicht selbst bestimmen, wenn es keine Wahlmöglichkeiten gibt. Wer ein engagierter Jünger Christi werden will, muss auch die Möglichkeit haben, ihn zu verwerfen. Daher wird dem Satan erlaubt, seine Macht auszuüben, und daher kann es mitunter schwer sein, unseren Willen Gott unterzuordnen. Doch gerade dadurch, dass wir selbst über unser Handeln bestimmen, wachsen wir.

C. S. Lewis hat gesagt: ”Nur wer sich bemüht, der Versuchung zu widerstehen, weiß, wie stark sie ist… . Wie stark der Wind bläst, erkennt man erst dann, wenn man sich ihm entgegenstemmt, und nicht dadurch, dass man sich niederlegt. Wer nach fünf Minuten bereits der Versuchung nachgibt, weiß gar nicht, wie es nach einer Stunde gewesen wäre.” Lewis schreibt weiter: ”Christus ist deswegen, weil er der einzige ist, der nie einer Versuchung nachgegeben hat, auch der einzige, der genau weiß, was Versuchung wirklich ist.” (C. S. Lewis, Mere Christianity [New York: Macmillan Publishing Co., Inc., 1943], Seite 124f.)

Ich weiß noch, dass ich meine Eltern mitunter gefragt habe, ob ich dieses oder jenes tun dürfe. Sie sagten mir dann immer das gleiche: ”Wir haben dich unterwiesen. Du kennst unsere Meinung, aber du musst dich selbst entscheiden.” Allerdings gehen mit der eigenen Entscheidung unweigerlich auch Folgen einher--Folgen, die man vielleicht gar nicht immer will. Wir wünschen uns Freiheit ohne Folgen. Und so versuchen wir allzu oft, unbeteiligt in der Mitte zu stehen, unentschlossen und ohne uns festzulegen. Gerade dann sind wir für den Einfluss des Satans anfällig.

Von König Ahab und seinem Volk im Nordreich Israel lernen wir etwas über das Unbeteiligt- und Unentschlossensein. Der Herr hielt seine Hand zurück, weil das Volk sich nicht entscheiden konnte, wen es verehren wollte--Jahwe oder Baal. Baal ist ein anderer Name für den Satan. Der Herr sandte den Propheten Elija mit dieser klaren Botschaft: ”Wie lange noch schwankt ihr nach zwei Seiten? Wenn Jahwe der wahre Gott ist, dann folgt ihm! Wenn aber Baal es ist, dann folgt diesem!” (1 Könige 18:21.) In den heiligen Schriften steht: ”Doch das Volk gab ihm keine Antwort.” Sie wollten nicht die Verantwortung übernehmen, sich zu verpflichten. Sie kennen den Rest der Geschichte: Elija rief sie auf, herauszufinden, wer Gott ist. Jeder sollte jeweils zu seinem Gott beten, und schließlich werde einer das Opfer auf dem Altar verbrennen. Die Priester schrien gewaltig zu ihrem Götzen, aber sie blieben ohne Antwort und ohne Hilfe.

In deutlichem Gegensatz dazu wurde der einsame Prophet des wahren und lebendigen Gottes nicht nur erhört, sondern in seinem Bemühen sogar groß gemacht. Als Elija nämlich zu seinem Gott flehte, kam das Feuer des Herrn herab und verzehrte alles--sowohl das Opfer als auch das Holz, die Steine, die Erde, ja, selbst das Wasser im Graben leckte es auf. Nach dieser Szene sagte das Volk; ”Jahwe ist Gott, Jahwe ist Gott!” (1 Könige 18:39.) In der Bibel steht, dass die Baalspriester anschließend getötet wurden. An jenem Tag gab es keinen Ungläubigen im Nordreich Israel mehr! Sich zu entscheiden wäre ja nicht weiter schlimm, wenn das Gute immer so schnell und auffallend belohnt würde wie bei Elija oder wenn übeltun den sofortigen Tod nach sich zöge. Aber so einfach ist es nicht, denn unsere Aufgabe ist es ja, an Glauben zuzunehmen.

Unser Glaube und unsere Verpflichtung werden dadurch geprüft, dass die Welt uns verlockende und verführerische Möglichkeiten anbietet, durch die wir uns vom Gottesreich abwenden können. So mancher möchte ja gern in jener ewigen Stadt leben, aber doch sein Sommerdomizil in Babylon nicht aufgeben. Wenn wir uns aber nicht bewusst und freiwillig für das Gottesreich entscheiden, bleiben wir zurück, weil das Gottesreich ja vorwärtsschreitet--”unerschrocken, erhaben und unbeirrbar” (”Standard of Truth,” aus dem Wentworth-Brief, Encyclopedia of Mormonism, Hg. Daniel H. Ludlow, 5 Bde., [1992], 4:1754). Indem wir entscheiden, wohin wir gehen, legen wir fest, welche Segnungen oder welche Last wir uns einhandeln. Der Herr fordert uns auf, unsere Sorgen auf ihn zu werfen, denn er wird uns stützen (siehe Psalm 55:23), wohingegen Mormon uns warnt, dass der Teufel seinen Kindern nicht beistehen wird (siehe Alma 30:60).

Ein junger Mann, den ich von ganzem Herzen liebe, sagte zu mir: ”Keiner kann mir vorschreiben, was ich tun soll. Ich bestimme selbst über mein Leben.” Er geht von der falschen Vorstellung aus, dass man sich, will man unabhängig und frei sein, gegen den Willen Gottes auflehnen müsse. Woher wird dann seine Stärke kommen?

Bruder James E. Talmage sagt von Jesus: Er ”war alles, was ein Junge nur sein sollte, denn seine Entwicklung war durch das schwere Gewicht der Sünde nicht gehemmt; Er liebte und befolgte die Wahrheit und war deshalb frei.” (Jesus der Christus, 92.)

Wir werden frei und gesegnet, wenn wir richtige Entscheidungen treffen, selbst wenn es sich um etwas scheinbar Unwichtiges handelt. Einer meiner Freunde war der Meinung, der Herr mische sich doch wohl zu sehr in sein Leben ein. Er sagte: ”Ich halte diese absoluten Vorgaben der Kirche nicht aus, die mir sagen, das muss ich tun und das darf ich nicht tun.” Er konnte nicht erkennen, dass diese absoluten Vorgaben nur ein Zeichen dafür sind, dass der Vater sorgsam über uns wacht.

Ist es nicht unglaublich? Da gibt es sechs Milliarden Menschen auf diesem Planeten, und dem himmlischen Vater ist es wichtig, welches Unterhaltungsprogramm ich mir ansehe, was ich esse und trinke, wie ich mein Geld verdiene und ausgebe. Ihm liegt am Herzen, was ich tue und was ich lasse. Er ist ihm ein Anliegen, dass ich glücklich bin.

Seine wachsame Sorge kommt auf vielerlei Weise zum Ausdruck. Wir brauchen bloß zuzuhören und entsprechend zu leben. Jemand hat gesagt: ”Wenn wir nicht als erstes nach dem Gottesreich getrachtet haben, macht es letztlich nichtsaus, wofür wir uns statt dessenentschieden haben.” (William Law, Geistlicher des 18. Jahrhunderts.)

Weil sich der Zweck unseres Erdenlebens nicht geändert hat und nie ändern wird, gibt uns der Vater ständig und regelmäßig weitere Gaben, die die Welt sicherer machen und uns in unserem weisen Gebrauch der Entscheidungsfreiheit stärken. Denken Sie an die Gabe des Gebets--eine Gelegenheit, gehört und verstanden zu werden. Denken Sie an die Gabe des Heiligen Geistes, der uns alles zeigt, was wir tun sollen (siehe 2 Nephi 32:5). Denken Sie an die heiligen Bündnisse, die wir geschlossen haben, an die heiligen Schriften, das Priestertum und den Patriarchalischen Segen. Denken Sie an die höchste Gabe, die des Sühnopfers und an das Abendmahl, das uns daran erinnern soll und uns mit Liebe, Hoffnung und Gnade erfüllt. Diese Gaben helfen uns, unsere Entscheidungsfreiheit weise zu gebrauchen, damit wir zu unserem himmlischen Zuhause zurückkehren können, an eine Stätte, für die gilt: ”Was kein Auge gesehen und kein Ohr gehört hat, was keinem Menschen in den Sinn gekommen ist: Das Große, das Gott denen bereitet hat, die ihn lieben.” (1 Korinther 2:9.)

Es gibt heutzutage viele Wege, aber wie in meiner Heimatstadt gibt es nur eine Hauptstraße, nämlich den engen und schmalen Pfad.

Da wir die Neigung haben, auf fremden Pfaden zu wandeln (siehe 1 Nephi 8:32), flehen wir durch das folgende Lied zu Gott:

Wie groß täglich meine Schuld …

wie so oft ich pflichtvergessen …

Dir gehört mein Herz für immer, …

meine Zuflucht sollst du sein.

Ich schließe mit einem Gebet Nephis, das für Sie und für mich gilt: ”O Herr, verschließe doch nicht die Pforten deiner Rechtschaffenheit vor mir, auf dass ich auf dem Pfad der Niederung wandeln kann, auf dass ich mich streng an den ebenen Weg halte.” (2 Nephi 4:32.) Im Namen Jesu Christi, amen.