„Hilf meinem Unglauben!“
Schwierigkeiten auftreten, suchen die Partner einer Vertragsehe ihr Glück, indem sie auseinander gehen. … Aber wenn die Partner eines Ehebundes in Schwierigkeiten geraten, arbeiten sie gemeinsam daran. t
Vor drei Sommern sah ich zu, wie ein junges Brautpaar, Tracy und Tom, aus einem heiligen Tempel kam. Sie lachten und hielten sich an den Händen, als die Verwandten und Freunde sie fotografierten. Ich las Freude und Verheißung auf ihrem Gesicht, als sie die Hochzeitsgäste begrüßten, die öffentlich die Entstehung der neuen Familie feierten. An dem Abend habe ich mich gefragt, wie lange es wohl dauern würde, bis die beiden auf den Widerstand stießen, der jede Ehe auf die Probe stellt. Erst dann konnten sie merken, ob ihre Ehe ein Vertrag oder ein Bund war.
Eine andere Braut seufzte an ihrem Hochzeitstag selig: „Mutti, ich bin am Ende aller Schwierigkeiten” „Ja,” antwortete die Mutter, „aber an welchem Ende?” Wenn Schwierigkeiten auftreten, suchen die Partner einer Vertragsehe ihr Glück, indem sie auseinandergehen. Sie heiraten, um einen Nutzen zu haben, und bleiben nur so lange, wie sie den bekommen. Aber wenn die Partner eines Ehebundes in Schwierigkeiten geraten, arbeiten sie gemeinsam daran. Sie heiraten, um zu geben und zu wachsen, sie sind
durch einen Bund miteinander, mit dem Gemeinwesen und mit Gott verbunden. Ein Partner in einer Vertragsehe gibt fünfzig Prozent, ein Partner im Ehebund hundert Prozent.1
Die Ehe ist von Natur aus ein Bund und nicht nur ein Privatvertrag, den man jederzeit kündigen kann. Jesus nannte jemanden mit solch einer Vertragshaltung einen „bezahlten Knecht”, der die versprochene Arbeit nur leistet, wenn er dafür etwas bekommt. „Der bezahlte Knecht … läßt die Schafe im Stich und flieht, wenn er den Wolf kommen sieht.” Im Gegensatz dazu sagt er: „Ich bin der gute Hirt. Der gute Hirt gibt sein Leben hin für die Schafe.”2 Heutzutage heiraten viele Menschen wie bezahlte Knechte. Wenn der Wolf kommt, fliehen sie. Das ist falsch. Dadurch wird die Erde dem Untergang geweiht, und die Eltern wenden das Herz von ihren Kindern und voneinander ab.3
Vor ihrer Hochzeit haben Tom und Tracy gelernt, Bündnisse und Wölfe aus der Perspektive der Ewigkeit zu sehen. Sie haben durch die Geschichte Adams und Evas die Ziele des Lebens kennen gelernt und gesehen, wie man durch Gehorsam und das Sühnopfer in die Gegenwart Gottes zurückkehren kann. Das Leben Christi zeigt, wie er das Sühnopfer vollbracht hat. Das Leben Adams und Evas zeigt, wie sie das Sühnopfer annahmen und wie es ihnen die Kraft gab, ihre Trennung von Gott und alle Widerstände zu überwinden, bis sie ewig mit dem Herrn und miteinander versöhnt und vereint waren.
Lehi hat gelehrt, daß Adam und Eva ohne den Fall niemals Gegensätze kennen gelernt hätten. „Und sie hätten keine Kinder gehabt; darum wären sie in einem Zustand der Unschuld verblieben: Sie hätten nicht Freude gehabt, denn sie kannten kein Elend.”4 Schlaue Eltern werden hier eine Verbindung sehen keine Kinder, kein Elend! Aber im Garten
von Eden hätten sie niemals Freude kennen gelernt. Darum unterwies der Herr sie, daß sie leben und unter Mühsal, Schweiß und Dornen Kinder haben sollten.
Der Erdboden war allerdings um ihretwillen verflucht:5 ihr Weg der Bedrängnis führte sie auch zur Freude der Erlösung und der Erkenntnis.6 Darum unterstützen und ermuntern Mann und Frau einander in einem Ehebund, wenn der Wolf kommt. Wenn Tom und Tracy dies alles gewußt hätten, hätten sie das gartenartige Tempelgelände vielleicht langsamer verlassen, Arm in Arm, wie Adam und Eva, auf dem Weg in die rauhe und einsame Welt.
Und doch können Heirat und Kindererziehung ihnen die wertvollsten religiösen Erfahrungen ihres Lebens einbringen. Der Bund der Ehe verlangt einen gläubigen Sprung ins Ungewisse: Sie müssen ihren Bund einhalten, ohne zu wissen, welche Gefahren vielleicht auf sie zukommen. Sie müssen sich bedingungslos unterwerfen, Gott gehorchen und füreinander Opfer bringen. Dann werden sie das entdecken, was Alma „unfaßbare Freude”7 genannt hat.
Natürlich gibt es einige, die nicht die Möglichkeit haben zu heiraten. Und manche Scheidung ist unvermeidlich. Aber der Herr wird am Ende die Glaubenstreuen, denen die Erfüllung auf der Erde versagt bleibt, entschädigen.
Jede Ehe wird wiederholt von drei Arten von Wölfen auf die Probe gestellt. Der erste Wolf sind natürliche Unglücksfälle. Nachdem David und Fran jahrelang um ein Kind gebetet hatten, bekamen sie ein Baby mit einem schweren Herzfehler. Nach drei Wochen des Ringens mußten sie ihren kleinen Sohn beerdigen. Wie Adam und Eva vor ihnen trauerten sie mit gebrochenem Herzen, aber im Glauben vor dem Herrn miteinander.8
Zweitens stellt der Wolf ihrer Unvollkommenheit die Ehepartner auf die Probe. Eine Frau hat mir unter Tränen erzählt, wie die ständige Kritik ihres Mannes nicht nur ihre Ehe, sondern auch ihr ganzes Selbstbewußtsein zerstört hat. Zuerst beschwerte er sich über das Essen und den Hausputz, dann darüber, wie sie ihre Zeit verbrachte, wie sie redete, aussah und dachte. Schließlich fühlte sie sich völlig unfähig und unnormal. Ich litt mit ihr - und mit ihm.
Vergleichen Sie sie mit der jungen Frau, die sehr wenig Selbstvertrauen hatte, als sie heiratete. Ihr Mann fand an ihr so viel zu loben, daß sie allmählich selbst daran glaubte, daß sie ein guter Mensch war und daß es auf ihre Meinung ankam. Sein Glaube an sie weckte ihr Selbstwertgefühl.
Der dritte Wolf ist der übermäßige Individualismus, der die Vertragshaltung der heutigen Zeit hervorgebracht hat. Ein siebenjähriges Mädchen kam weinend aus der Schule: „Mama, gehöre ich euch nicht? Unsere Lehrerin hat heute gesagt, daß niemand einem anderen gehört - Kinder gehören nicht ihren Eltern, ein Mann gehört nicht seiner Frau. Aber ich gehöre dir, nicht wahr, Mama?” Die Mutter nahm sie in den Arm und flüsterte: „Natürlich gehörst du mir und ich gehöre dir auch.” Natürlich müssen die Ehepartner die Persönlichkeit des anderen achten, und Familienmitglieder sind keine Sklaven oder leblose Gegenstände. Aber die Angst dieser Lehrerin, wie auch vieler anderer ist, daß die Bande der Verwandtschaft und Ehe keine kostbaren Bande sind, die verbinden, sondern Fesseln. Wir leben in einer Zeit, wo die zwischenmenschlichen Bindungen immer mehr nachlassen.
Der Widersacher hat diese übertriebene Betonung der Eigenständigkeit schon lange unterstützt und nutzt sie jetzt fieberhaft aus. Unser tiefster, uns von Gott eingegebener Instinkt ist der, in die Arme derer zu eilen, die uns brauchen und uns unterstützen. Aber der Widersacher treibt uns durch Keile des Mißtrauens und des Argwohns auseinander. Er übertreibt das Bedürfnis nach Platz und Ausbrechen und Alleinsein. Manche Leute glauben ihm - und wundern sich dann, daß sie sich alleingelassen fühlen. Trotz bewundernswerter Ausnahmen sind die Kinder der wachsenden Zahl von Alleinerziehenden in Amerika stärker gefährdet als die aus Familien mit beiden Eltern.9 „Außerdem sind die Scheidungsrate und die Zahl der außerehelich geborenen Kinder heute so hoch, daß wir so etwas erleben wie den Zusammenbruch der Ehe.”10
Viele Leute fragen sich heute sogar schon, was die Ehe eigentlich ist. Sollen
wir gleichgeschlechtliche Ehen verbieten? Soll die Scheidung erschwert werden? Manche sagen, daß diese Fragen die Gesellschaft gar nichts angehen, weil die Ehe ein Privatvertrag ist. Aber wie die heutigen Propheten kürzlich verkündet haben, ist die Ehe von Gott verordnet.11 Selbst die nichtkirchliche Ehe war früher ein dreiseitiger Bund zwischen dem Mann, der Frau und dem Staat. Die Gesellschaft hat ein ungeheures Interesse am Erfolg und an den Abkömmlingen jeder Ehe. Deshalb unterscheidet dieser öffentliche Charakter der Ehe sie von allen anderen Beziehungen. „Gäste kommen zu einer Hochzeit”, so Wendell Berry, weil die Brautleute „ihr Versprechen genauso dem Gemeinwesen geben wie einander” und sich so nicht nur einander geben, sondern auch zum allgemeinen Nutzen, „wie kein Vertrag sie jemals verpflichten könnte”.12
Wenn wir die Bündnisse betrachten, die wir am Opferaltar schließen, entdecken wir verborgene Kraftquellen. Ich habe einmal verärgert zu meiner Frau Marie gesagt: „Der Herr hat Adam und Eva als Erwachsene auf die Erde gesetzt. Warum konnte er das nicht auch mit diesem Jungen von uns machen, dem mit den Sommersprossen und dem widerspenstigem Haar?” Sie antwortete: „Der Herr hat uns dies Kind geschenkt, um aus uns Christen zu machen.”
Eines Abends half Marie diesem Kind stundenlang bis zur Erschöpfung, auf einem Kuchenblech ein Diorama eines Indianerdorfs aufzubauen. Das war eine Prüfung, die kein bezahlter Knecht auf sich genommen hätte. Zuerst widerstand er all ihren Bemühungen, aber als es Zeit war, ins Bett zu gehen, sah ich, wie er „sein” Diorama stolz auf einen Tisch stellte. Er ging in sein Zimmer, drehte sich dann um, rannte zurück und umarmte seine Mutter mit seinem Viertklässlerlächeln. Später fragte ich Marie voller Bewunderung: „Wie hast du das bloß geschafft?” Sie antwortete. „Ich habe einfach beschlossen, daß ich ihn nicht allein lasse, ganz egal, was geschieht.” Dann fügte sie hinzu: „Ich wußte gar nicht, daß ich das in mir hatte.” Sie entdeckte tiefe, innere Quellen des Mitgefühls, weil die Bande ihres Bundes ihr die Kraft gaben, ihr Leben für die Schafe zu geben, wenn auch nur Stunde für Stunde.
Nun kehre ich zu Tom und Tracy zurück, die in diesem Jahr eigene Quellen entdeckt haben. Bei ihrem zweiten Kind drohte eine Fehlgeburt. Sie hätten die Entscheidung eines bezahlten Knechts treffen, ihr Leben einfach weiterleben und die Fehlgeburt zulassen können. Aber weil sie sich bemühten, ihre Bündnisse durch Opfer einzuhalten,13 lag die leb-
hafte Tracy fast fünf Wochen reglos zu Hause im Bett und dann noch einmal fünf Wochen im Krankenhaus. Tom war praktisch immer bei ihr, wenn er nicht arbeitete oder schlief. Durch ihre Gebete kam das Kind zur Welt. Dann lag das Baby noch elf Wochen im Krankenhaus. Aber es ist hier, und es gehört ihnen.
Eines Nachts, während Tracy im Krankenhaus geduldig auf den Herrn hoffte, kam ihr der Gedanke, daß ihre Bereitschaft, für das Baby Opfer zu bringen, vielleicht ein wenig so war wie das Opfer des guten Hirten für sie. Sie sagte: „Ich hatte erwartet, daß es wirklich schwer ist, wenn man sich bemüht, so viel zu geben, aber irgendwie kam es mir eher wie ein besonderer Vorzug vor.” Wie viele andere Eltern in Zion, haben sie und Tom dadurch, daß sie ihrem Kind ihr Herz geschenkt haben, ihr Herz auch Gott geschenkt. Dabei haben sie die Erfahrung gemacht, daß ihre Ehe ein Ehebund ist, der sie aneinander und an den Herrn bindet.
Mögen wir die Auffassung von der Ehe als einem Bund, nämlich dem neuen und immerwährenden Bund der Ehe, wiederherstellen.14 Und mögen wir, wenn der Wolf kommt, uns nicht wie bezahlte Knechte verhalten, sondern wie Hirten, die bereit sind, ihr Leben zu opfern, Tag um Tag, für die Schafe ihres Bundes. Dann werden wir wie Adam und Eva Freude erleben.15 Im Namen Jesu Christi, amen.