2010–2019
Wenden Sie sich dem Herrn zu
April 2010


10:56

Wenden Sie sich dem Herrn zu

Lassen Sie nie zu, dass irdische Umstände Sie geistig lähmen.

Vor vielen Jahren wurde ich Zeuge großen Kummers. Es war eine Tragödie. Ein junges Paar stand kurz vor der Entbindung seines ersten Kindes. Sie waren wegen dieses großen Ereignisses voller Erwartung und Aufregung. Während der Entbindung kam es jedoch zu Komplikationen und das Kind starb. Ihr Leid wandelte sich in Trauer, die Trauer wandelte sich in Zorn, der Zorn in Schuldzuweisungen und die Schuldzuweisungen in Rachegefühle gegen den Arzt, den sie allein dafür verantwortlich machten. Die Eltern und weitere Familienangehörige wurden mit hineingezogen. Gemeinsam machte man sich daran, den Ruf und die Karriere des Arztes zu ruinieren. Wochen und Monate voller Bitterkeit zehrten die Familie auf, und schließlich erreichte diese Bitterkeit auch den Herrn. „Wie konnte er es zulassen, dass ihnen so etwas Schreckliches widerfahren ist?“ Sie wiesen die wiederholten Versuche der kirchlichen Führer und der Mitglieder, sie geistig und seelisch aufzubauen, zurück und blieben mit der Zeit der Kirche fern. Vier Generationen dieser Familie sind mittlerweile davon betroffen. Wo einst Glaube und Hingabe an den Herrn und seine Kirche herrschten, hat sich nun schon seit Jahrzehnten niemand aus der Familie mehr mit Geistigem befasst.

In den schwierigsten Lebensumständen gibt es oft nur eine einzige Quelle des Friedens. Der Fürst des Friedens, Jesus Christus, lädt uns gnädig ein: „Kommt alle zu mir, die ihr euch plagt und schwere Lasten zu tragen habt. Ich werde euch Ruhe verschaffen.“ (Matthäus 11:28.) Er verheißt uns außerdem: „Meinen Frieden gebe ich euch; nicht einen Frieden, wie die Welt ihn gibt, gebe ich euch.“ (Johannes 14:27.)

Meine Großeltern väterlicherseits hatten zwei Kinder, einen Sohn (meinen Vater) und eine Tochter. Nachdem mein Vater auf Hawaii eine Mission und seinen Militärdienst absolviert hatte, kehrte er 1946 dorthin zurück, um sich beruflich niederzulassen und eine Familie zu gründen. Seine Eltern und seine Schwester lebten in Salt Lake City. Sie heiratete 1946 und erwartete vier Jahre später ein Kind. Es ist etwas ganz Besonderes für Eltern, wenn ihre Tochter (in diesem Fall die einzige Tochter) zum ersten Mal ein Kind zur Welt bringt. Niemand wusste, dass sie Zwillinge erwartete. Unglücklicherweise starben die Tochter und die Zwillinge bei der Geburt.

Meine Großeltern waren untröstlich. Ihre Trauer führte sie jedoch dazu, sich sofort dem Herrn und seinem Sühnopfer zuzuwenden. Ohne sich damit aufzuhalten, warum so etwas geschehen konnte und wer daran Schuld sein könnte, verwendeten sie ihre ganze Kraft darauf, rechtschaffen zu leben. Meine Großeltern waren nie reich, sie gehörten nie zu den besseren Kreisen, sie hatten keine hohen Ämter in der Kirche inne – sie waren einfache, ergebene Heilige der Letzten Tage.

Als sie sich 1956 zur Ruhe setzten, zogen sie nach Hawaii, um bei ihren einzigen Nachkommen zu leben. Die folgenden Jahrzehnte verbrachten sie in Liebe zu ihrer Familie und im Dienst in der Kirche, und vor allem genossen sie ihr Zusammensein. Sie waren nie gern voneinander getrennt und sprachen sogar davon, dass derjenige, der zuerst stürbe, einen Weg finden werde, wie sie bald wieder vereint sein könnten. Kurz vor ihrem 90. Geburtstag und nach 65 Ehejahren starben beide innerhalb weniger Stunden eines natürlichen Todes. Als ihr Bischof leitete ich die gemeinschaftliche Beisetzung beider.

Der Glaube von Großvater Art und Großmutter Lou hat nun schon vier nachfolgende Generationen beeinflusst – insbesondere dann, wenn es Schwierigkeiten gab. Unmittelbar und grundlegend beeinflusste er ihren Sohn (meinen Vater) und meine Mutter, als deren Tochter, ihr jüngstes Kind, infolge von Komplikationen bei der Geburt starb. Mit 34 Jahren starb sie zehn Tage nach der Geburt und hinterließ vier Kinder im Alter zwischen zehn Tagen und acht Jahren. Angesichts des Beispiels, das ihnen die vorangegangene Generation gegeben hatte, wandten sich meine Eltern – ohne zu zögern – um Trost an den Herrn.

Überall auf der Welt und auch unter den Mitgliedern der Kirche gibt es sowohl große Freude als auch großes Leid. Beides gehört zum Plan. Ohne das eine können wir das andere nicht erfahren. „Menschen sind, damit sie Freude haben können“ (2 Nephi 2:25) und „es muss notwendigerweise so sein, dass es in allen Dingen einen Gegensatz gibt“ (2 Nephi 2:11) sind keine widersprüchlichen, sondern einander ergänzende Aussagen. Alma der Jüngere beschreibt, was er empfand, als er sich dem Herrn zuwandte: „Meine Seele war von Freude erfüllt, die ebenso übergroß war wie meine Qual!“ (Alma 36:20.)

Manche lassen sich von größeren Schwierigkeiten niederringen, andere lassen es zu, dass Kleinigkeiten sich auswachsen. Symonds Ryder war einer der führenden Anhänger von Alexander Campbell, als er von der Kirche hörte und sich mit Joseph Smith traf. Von diesem Erlebnis bewegt, schloss er sich im Juni 1831 der Kirche an. Gleich anschließend wurde er zum Ältesten ordiniert und auf Mission berufen. In seinem Berufungsschreiben von der Ersten Präsidentschaft und auf seiner amtlichen Zulassung als Prediger war jedoch sein Name falsch geschrieben – ein Buchstabe war verkehrt. Ryder war mit i statt mit y geschrieben. Das veranlasste ihn, seine Berufung in Frage zu stellen und ebenso diejenigen, die sie ausgesprochen hatten. Er beschloss, nicht auf Mission zu gehen, und fiel von der Kirche ab, was bald zum Hass auf Joseph Smith und die Kirche und zu erbitterter Feindschaft führte. Im März 1832, als Joseph Smith und Sidney Rigdon nachts von einer wütenden Meute aus dem Haus gezerrt und geteert und gefedert wurden, war der Ruf zu vernehmen: „Symonds, Symonds, wo ist der Teereimer?“ (History of the Church, 1:262f.) In weniger als zehn Monaten wurde Symonds Ryder von einem eifrigen Bekehrten zu einem Anführer des Pöbels. Sein geistiger Niedergang begann damit, dass er an der falschen Schreibweise seines Namens – an einem Buchstaben – Anstoß nahm. Wie schwerwiegend eine Frage auch sein mag: Wie wir damit umgehen, kann über den weiteren Verlauf unseres Lebens bestimmen.

Der Prophet Joseph Smith hat uns vorgemacht, wie man mit Schicksalsschlägen und Widerständen umgehen sollte. In der unmenschlichen Umgebung des Gefängnisses zu Liberty wurde ihm eine göttliche Weisung zuteil (in der zum Teil Josephs Leben bis zu diesem Zeitpunkt geschildert wurde, die zum Teil aber auch eine Warnung war): Wenn „Narren … dich verspotten[, wenn] von dir gefordert wird, Drangsal durchzumachen, … wenn deine Feinde über dich herfallen, … wenn du in die Grube geworfen werden oder Mördern in die Hände fallen solltest … und alle Elemente sich verbünden, um den Weg zu versperren, und, vor allem, wenn die Hölle selbst ihren Rachen weit aufreißt nach dir, dann wisse, mein Sohn, dass dies alles dir Erfahrung bringen und dir zum Guten dienen wird“ (LuB 122:1,5-7). Darauf folgte die tiefgründige Aussage: „Des Menschen Sohn ist unter das alles hinabgefahren. Bist du größer als er?“ (Vers 8.) Dem schlossen sich klare Anweisungen und große Verheißungen an: „Darum halte an deinem Weg fest, und … fürchte nicht, was Menschen tun können, denn Gott wird mit dir sein für immer und immer.“ (Vers 9.)

Während der folgenden Jahre hielt Joseph Smith ein Leben voller Widerstände rechtschaffen durch. Voller Glauben schilderte er seine Sichtweise: „Und was nun die Gefahren betrifft, die durchzumachen ich berufen bin, so scheinen sie mir nur gering, … ich bin gewohnt, in tiefem Wasser zu schwimmen. [Es] geht mir so …, dass ich mich der Drangsal rühme, denn [Gott hat] mich aus allem befreit und wird mich auch hinfort befreien.“ (LuB 127:2.) Josephs Zuversicht, anhaltende Widerstände überwinden zu können, beruhte auf seiner Fähigkeit, sich immer wieder dem Herrn zuzuwenden.

Wenn Sie glauben, Ihnen sei ein Unrecht widerfahren, sei es durch einen Menschen (ein Angehöriger, ein Freund, ein Mitglied oder ein Führer der Kirche, ein Arbeitskollege) oder durch die Umstände (Tod eines geliebten Menschen, gesundheitliche Beschwerden, finanzielle Einbußen, Missbrauch, Abhängigkeit), müssen Sie den Stier mit aller Kraft bei den Hörnern packen. „Darum halte an deinem Weg fest.“ (LuB 122:9.) Aufgeben ist keine Alternative. Wenden Sie sich unverzüglich dem Herrn zu. Üben Sie Ihren ganzen Glauben an ihn aus. Lassen Sie ihn einen Teil Ihrer Last tragen. Lassen Sie zu, dass durch seine Gnade Ihre Last leicht wird. Uns wurde verheißen, dass wir „keinerlei Bedrängnisse [leiden werden], die nicht in der Freude über Christus verschlungen worden wären“ (Alma 31:38). Lassen Sie nie zu, dass irdische Umstände Sie geistig lähmen.

Das Sühnopfer, seine beispielhafteste Tat, verlangte Jesus ab, unter alles hinabzufahren (siehe LuB 88:6) und „die Schmerzen aller Menschen“ zu erleiden (2 Nephi 9:21). Demnach wird mit dem Sühnopfer ein umfassenderes Ziel verfolgt, als lediglich einen Weg zu bereiten, um Sünde zu überwinden. Durch die Vollendung dieser größten Tat auf Erden erlangte der Erretter die Macht, die folgende Verheißung zu erfüllen: „Aber wenn ihr euch mit voller Herzensabsicht zum Herrn wendet und euer Vertrauen in ihn setzt und ihm mit allem Eifer … dient, wenn ihr dies tut, wird er euch aus der Knechtschaft befreien.“ (Mosia 7:33.)

Wenden wir uns in unserem Gedenken an diesem Ostermorgen dem Herrn zu, unserem „strahlenden Morgenstern“ (siehe Offenbarung 22:16). Ich bezeuge, er wird für immer unseren Weg, unsere Wahrheit und unser Leben erleuchten (siehe Johannes 14:6). Im Namen Jesu Christi. Amen.