Sei demütig
Demut macht uns zu besseren Eltern, Söhnen und Töchtern, Ehemännern und Ehefrauen, Nachbarn und Freunden.
In der Kirche erfreuen wir uns an einer Sammlung von Liedern, die der Gottesverehrung dienen. In den Versammlungen der Kirche laden „die Kirchenlieder … den Geist des Herrn ein, sie fördern die Andacht, sie einen uns Mitglieder, und sie stellen eine Möglichkeit dar, den Herrn zu lobpreisen. Durch das Singen der Kirchenlieder wird manch großartige Predigt gehalten.“
Nur wenige Monate nach der Gründung der Kirche empfing der Prophet Joseph Smith eine Offenbarung für seine Frau, Emma. Der Herr wies sie an, „eine Auswahl von heiligen Liedern zu treffen, wie es dir eingegeben werden wird, und es gefällt mir, dass sie in meiner Kirche vorhanden seien“.
Emma Smith stellte daraufhin eine Sammlung von Liedern zusammen, die erstmals 1836 in Kirtland in diesem Gesangbuch veröffentlicht wurde. Es gab in diesem dünnen Heft nur 90 Lieder. Viele stammten von protestantischen Religionsgemeinschaften. Mindestens 26 Liedtexte waren von William W. Phelps verfasst worden, der das Gesangbuch in der Folge auch für den Druck vorbereitete. Nur der Text war darin abgedruckt, Noten standen keine dabei. Dieses schlichte, kleine Gesangbuch erwies sich für die ersten Mitglieder als großer Segen.
1985 wurde die englische Ausgabe unseres derzeitigen Gesangbuchs herausgegeben. Viele der Lieder, die Emma vor so vielen Jahren ausgewählt hat, sind immer noch in unserem Gesangbuch zu finden, zum Beispiel „Ich weiß, dass mein Erlöser lebt“ und „O fest wie ein Felsen“.
Ein Lied, das erstmals im Gesangbuch aus dem Jahr 1985 erschien, heißt „In Demut“. Dieses besinnliche Kirchenlied wurde von Grietje Terburg Rowley geschrieben, die letztes Jahr verstarb. 1950 schloss sie sich in Hawaii, wo sie als Lehrerin arbeitete, der Kirche an. Schwester Rowley war im Musikkomitee der Kirche tätig und trug dazu bei, Kirchenlieder für die Übersetzung in andere Sprachen anzupassen. Der Text ihres Liedes „In Demut“ beruht auf zwei Schriftstellen: Lehre und Bündnisse 112:10 und Ether 12:27. Der Vers in Ether lautet: „Und wenn Menschen zu mir kommen, so zeige ich ihnen ihre Schwäche. Ich gebe den Menschen Schwäche, damit sie demütig seien; … denn wenn sie sich vor mir demütigen und Glauben an mich haben, dann werde ich Schwaches für sie stark werden lassen.“
Wie bei all unseren Kirchenliedern werden auch in dem Lied „In Demut“ reine und einfache Wahrheiten vermittelt. Wir lernen daraus: Wenn wir demütig sind, werden unsere Gebete erhört, wir verspüren inneren Frieden und wir erfüllen unsere Berufungen besser. Und wenn wir treu bleiben, kehren wir eines Tages in die Gegenwart unseres himmlischen Vaters zurück.
Der Erretter lehrte seine Nachfolger, dass sie demütig werden müssen wie ein kleines Kind, wenn sie in das Himmelreich kommen wollen. Wir müssen auch unseren Kindern helfen, demütig zu bleiben, wenn sie erwachsen werden. Wir tun dies nicht dadurch, dass wir lieblos ihren Willen brechen oder sie hart bestrafen. Wir fördern ihr Selbstvertrauen und ihre Selbstachtung, müssen ihnen gleichzeitig aber auch Selbstlosigkeit, Freundlichkeit, Gehorsam, Demut, Höflichkeit und Bescheidenheit vermitteln. Sie müssen lernen, sich über die Erfolge ihrer Geschwister und Freunde zu freuen. Präsident Howard W. Hunter hat gesagt, dass „unser aufrichtiges Interesse dem Erfolg anderer gelten sollte“. Andernfalls könnten unsere Kinder darauf versessen sein, im Rampenlicht zu stehen und andere übertreffen zu müssen, oder eifersüchtig und missgünstig auf den Erfolg eines anderen reagieren. Ich bin dankbar für meine Mutter, denn wenn sie sah, dass ich als Junge überheblich wurde, sagte sie immer: „Mein Sohn, ein bisschen Demut würde dir jetzt sehr guttun.“
Aber Demut ist nicht nur etwas, was Kinder lernen sollten. Wir müssen alle daran arbeiten, demütiger zu werden. Demut ist eine Voraussetzung, wenn wir die Segnungen des Evangeliums erlangen wollen. Wenn wir sündigen oder Fehler machen, führt Demut zu einem reuigen Herzen, und sie ermöglicht uns die Umkehr. Demut macht uns zu besseren Eltern, Söhnen und Töchtern, Ehemännern und Ehefrauen, Nachbarn und Freunden.
Unnützer Stolz wiederum kann die Beziehungen innerhalb der Familie schädigen, eine Ehe zerrütten und Freundschaften zerstören. Besonders dann, wenn wir merken, dass Streit in der Familie aufkommt, müssen wir demütig sein. Denken Sie an all den Kummer, der sich vermeiden ließe, wenn Sie demütig sagten: „Es tut mir leid“, „Das war nicht nett von mir“, „Was möchtest du denn lieber?“, „Das war unüberlegt von mir“ oder „Ich bin echt stolz auf dich“. Wenn diese kleinen Sätze demütig ausgesprochen würden, gäbe es weniger Streit und mehr Frieden in der Familie.
Schon das tägliche Leben lehrt uns häufig Demut. Unfälle, Krankheit, der Tod eines lieben Menschen, Probleme in der Beziehung und selbst finanzielle Sorgen können uns auf die Knie bringen. Ganz gleich, ob eine Schwierigkeit unverschuldet über uns kommt oder ob wir sie durch unsere eigenen schlechten Entscheidungen oder Fehleinschätzungen verursacht haben – solche Prüfungen lehren uns Demut. Wenn wir geistig gesinnt bleiben und demütig und belehrbar sind, werden unsere Gebete in Zeiten irdischer Bedrängnis aufrichtiger, und Glaube und Zeugnis wachsen. Wir alle freuen uns auf die Erhöhung, doch bevor sie erfolgen kann, müssen wir das sogenannte „Tal der Demut“ durchschreiten.
Vor vielen Jahren erlitt unser 15-jähriger Sohn Eric eine schwere Kopfverletzung. Es zerriss uns das Herz, als wir ihn über eine Woche lang im Koma liegen sahen. Die Ärzte sagten uns, sie wüssten nicht genau, wie es weitergehen werde. Natürlich waren wir überglücklich, als er wieder das Bewusstsein erlangte. Wir glaubten, alles würde nun wieder gut werden, aber da hatten wir uns geirrt.
Er war zwar bei Bewusstsein, doch er konnte weder gehen noch sprechen noch alleine essen. Das Schlimmste war, dass ihm sein Kurzzeitgedächtnis abhandengekommen war. Er konnte sich an fast alles vor dem Unfall erinnern, doch was danach geschehen war, wusste er nicht mehr – nicht einmal, was sich wenige Minuten zuvor ereignet hatte.
Eine Zeit lang befürchteten wir, unser Sohn würde für immer auf dem Stand eines 15-Jährigen bleiben. Vor dem Unfall war unserem Sohn alles ganz leichtgefallen. Er war sportlich, beliebt und ein guter Schüler gewesen. Früher hatte seine Zukunft vielversprechend ausgesehen, doch nach dem Unfall fürchteten wir, er würde wohl kaum eine Zukunft haben – jedenfalls keine, an die er sich erinnern konnte. Es war anstrengend für ihn, die allereinfachsten Dinge erneut zu lernen. Das war eine Erfahrung, die ihn sehr demütig stimmte. Auch seine Eltern lernten in dieser Zeit viel Demut.
Offen gesagt fragten wir uns, wieso uns denn so etwas zustoßen musste. Wir hatten uns doch immer bemüht, das Rechte zu tun. Nach dem Evangelium zu leben stand in unserer Familie an erster Stelle. Wir konnten nicht begreifen, warum uns etwas so Schreckliches widerfahren musste. Wir verbrachten viel Zeit auf den Knien, als klar wurde, dass die Genesung unseres Sohnes Monate, wenn nicht gar Jahre dauern würde. Noch schlimmer war es, als uns allmählich bewusst wurde, dass er nicht mehr so sein würde wie früher.
In dieser Zeit vergossen wir viele Tränen, und unsere Gebete wurden noch inniger und aufrichtiger. Mit den Augen der Demut erkannten wir nach und nach die kleinen Wunder, die unserem Sohn in dieser schmerzlichen Zeit zuteilwurden. Langsam machte er Fortschritt. Er war sehr zuversichtlich und lebensbejahend.
Heute ist unser Sohn Eric mit einer lieben Frau verheiratet, und die beiden haben fünf hübsche Kinder. Er ist mit Leib und Seele Lehrer und leistet viel für seine Mitmenschen, an seinem Wohnort und auch in der Kirche. Aber am wichtigsten ist, dass er sich die Demut bewahrt hat, die er sich vor so langer Zeit erarbeitet hat.
Doch was wäre, wenn wir schon demütig wären, bevor wir das „Tal der Demut“ durchschreiten müssten? Alma sagt dazu:
„Diejenigen [sind] gesegnet, die sich demütigen, ohne dass sie gezwungen sind, demütig zu sein.
Ja, [sie sind] viel mehr gesegnet als diejenigen, die … gezwungen sind, demütig zu sein.“
Ich bin dankbar für Propheten wie Alma, die uns den Wert dieser großartigen Eigenschaft verdeutlichen. Spencer W. Kimball, der zwölfte Präsident der Kirche, hat gesagt: „Wie wird man demütig? Meiner Meinung nach muss man ständig an seine Abhängigkeit erinnert werden. Abhängigkeit von wem? Vom Herrn. Und wie erinnert man sich daran? Durch aufrichtiges, ständiges, ehrfürchtiges, dankbares Gebet.“
Es dürfte nicht überraschen, dass Präsident Kimballs Lieblingskirchenlied „Ich brauch dich allezeit“ war. Elder Dallin H. Oaks hat berichtet, dass dies während seiner ersten Jahre im Kollegium der Zwölf Apostel das meistgesungene Anfangslied war, wenn die führenden Brüder im Tempel zusammenkamen. Er gibt zu bedenken: „Stellen Sie sich vor, welche Wirkung es hat, wenn eine Handvoll Knechte des Herrn dieses Lied singt, ehe sie um Führung bei der Erfüllung ihrer gewaltigen Aufgaben bitten.“
Ich gebe Zeugnis dafür, wie wichtig Demut für uns ist. Ich bin dankbar für Menschen wie Schwester Grietje Rowley, die inspirierende Texte geschrieben und Melodien komponiert haben, die uns die Lehren des Evangeliums Jesu Christi einprägen, zu denen auch die Demut gehört. Ich bin dankbar für die Kirchenlieder, auf die wir zurückgreifen können und die dazu beitragen, dass wir Gott durch unseren Gesang verehren. Ebenso bin ich auch dankbar für die Eigenschaft Demut. Ich bete darum, dass wir uns alle um Demut bemühen, damit wir bessere Eltern, Söhne und Töchter und Nachfolger des Erlösers sein können. Im Namen Jesu Christi. Amen.