2010–2019
Er bittet uns, seine Hände zu sein
April 2016


10:18

Er bittet uns, seine Hände zu sein

Bei wahrem christlichen Dienen geht es nicht um uns, es geht um unseren Nächsten.

Wie ich euch geliebt habe, so sollt auch ihr einander lieben.“ Die Vertonung dieser Bibelstelle hat uns der Chor vorhin berührend nahegebracht. Jesus sprach diese Worte ja wenige Stunden vor seinem Sühnopfer – einem Opfer, das Elder Jeffrey R. Holland als „den erhabensten Beweis reiner Liebe“ bezeichnet, „der im Laufe der Weltgeschichte jemals erbracht worden ist“.

Jesus hat uns nicht nur dazu angehalten, einander zu lieben, er hat es uns auch vorgelebt. Sein Leben und Wirken bestand darin, dass er „umherzog [und] Gutes tat“ und „alle eindringlich auf[forderte], seinem Beispiel nachzueifern“. Er hat erklärt: „Denn wer sein Leben retten will, wird es verlieren; wer aber sein Leben um meinetwillen verliert, der wird es retten.“

Präsident Thomas S. Monson, dessen Leben von diesem Aufruf zur Liebe durchdrungen und geprägt ist, legt dies so aus: „Ich glaube, der Herr sagt uns damit, dass unser Leben nur wenig Zweck hat, wenn wir uns nicht im Dienst an anderen verlieren. Wer nur für sich selbst lebt, verkümmert schließlich und verliert bildlich gesehen sein Leben, während derjenige, der sich im Dienst an anderen verliert, wächst und aufblüht und somit sein Leben rettet.“

Bei wahrem christlichen Dienen geht es nicht um uns, es geht um unseren Nächsten. Eine Frau, die ihren bettlägerigen Mann pflegte, drückte dies so aus: „Sehen Sie in Ihrer Aufgabe keine Last, sondern vielmehr die Möglichkeit, das Wesen der Liebe umfassender zu begreifen.“

Sondra D. Heaston hat bei einer Andacht an der Brigham-Young-Universität diese Fragen gestellt: „Was wäre, wenn wir einander tatsächlich ins Herz blicken könnten? Würden wir einander dann besser verstehen? Würden wir – wenn wir nachvollziehen könnten, wie einem anderen zumute ist, wenn wir mit dessen Augen sehen und mit dessen Ohren hören könnten – die Zeit finden oder uns die Zeit nehmen, zu dienen, und würden wir anders miteinander umgehen? Wären wir dann geduldiger, freundlicher und nachsichtiger?“

Schwester Heaston hat auch von einem Erlebnis bei einem JD-Lager berichtet:

„Eine … Sprecherin dort … ging auf das Thema ‚Werden‘ ein. Sie sagte[:] ‚Sei du diejenige, die einem anderen die Hand entgegenstreckt und dient. Leg den Spiegel aus der Hand und schau lieber durch das Fenster!‘

Ein Gespräch zwischen einem Mädchen und seiner JD-Führerin ist schwierig, wenn man währenddessen in einen Spiegel schaut

Zur Veranschaulichung bat sie daraufhin ein Mädchen zu sich nach vorn und stellte sich ihm gegenüber. Dann zog [sie] einen Spiegel aus der Tasche und hielt ihn zwischen sich und das Mädchen, sodass sie auf ihr eigenes Spiegelbild blickte, während sie auf das Mädchen einredete. Es war keine Überraschung, dass dabei kein herzliches, tief empfundenes Gespräch zustande kam. Dieser Anschauungsunterricht führte uns eindrucksvoll vor Augen, dass es so gut wie unmöglich ist, sich mit jemandem auszutauschen und ihm zu dienen, wenn wir gleichzeitig bloß uns selbst vor Augen haben, an uns denken und allein unsere Bedürfnisse wahrnehmen. Danach legte [sie] den Spiegel zur Seite, holte einen Fensterrahmen hervor und hielt ihn zwischen sich und das Gesicht des Mädchens. … Wir erlebten nun mit, wie [sie] sich einzig und allein auf das Mädchen konzentrierte. Wahres Dienen erfordert nun mal, dass wir uns mit den Bedürfnissen und den Empfindungen des anderen befassen. Oftmals geht es uns leider vor allem um uns selbst und unser rastloses Leben – als blickten wir in einen Spiegel und hielten gleichzeitig nach Möglichkeiten zum Dienen Ausschau, sähen dabei aber gar nicht richtig durch das Fenster des Dienens.“

Ein Gespräch zwischen einem Mädchen und seiner JD-Führerin ist einfach, wenn man währenddessen durch ein Fenster schaut

Präsident Monson betont immer wieder, dass wir „umgeben [sind] von Menschen, die unsere Aufmerksamkeit, unseren Zuspruch, unsere Unterstützung, unseren Trost und unsere Freundlichkeit brauchen – seien es Angehörige, Freunde, Bekannte oder Fremde“. Er erklärt: „Wir sind die Hände des Herrn hier auf der Erde, und wir haben den Auftrag, zu dienen und seine Kinder emporzuheben. Er ist auf einen jeden von uns angewiesen.“

Kinder sind aufgefordert, Gutes zu tun und die Hände des Herrn zu sein

Letztes Jahr im Januar wurden die Kinder in aller Welt in den Zeitschriften Friend und Liahona gebeten, dem Aufruf Präsident Monsons Folge zu leisten und die Hände des Herrn zu sein. Sie sollten Gelegenheiten zum Dienen ergreifen – kleinere ebenso wie größere. Dann sollten sie den Umriss ihrer Hand auf einem Blatt Papier nachzeichnen, ihn ausschneiden und darauf schreiben, was sie Gutes getan hatten. Diese Hände schickten die Kinder dann an die Zeitschriften der Kirche. Wahrscheinlich gehören viele von euch, die ihr heute Abend hier zuhört, zu den tausenden Kindern, die liebevoll etwas für andere getan und dann davon berichtet haben.

Kinder haben gute Taten auf ausgeschnittene Papierhände geschrieben
Tausende Kinder haben einen Bericht über ihre guten Taten an die Zeitschriften der Kirche geschickt

Wenn Kinder schon von klein auf lernen, wie man anderen Liebe erweist und ihnen hilft, gewöhnen sie sich damit ein Verhaltensmuster des Dienens an, das sie sich ein Leben lang bewahren. Oftmals sind es die Kinder, die uns vorleben, dass liebevolles Dienen keine große, aufsehenerregende Sache sein muss. Schon Kleinigkeiten können sinnvoll und ausschlaggebend sein.

Eine PV-Lehrerin hat beispielsweise berichtet: „Heute bastelten die Fünf- und Sechsjährigen eine Freundschaftshalskette. Jedes Kind fertigte ein paar Zeichnungen auf Papierstreifen an: ein Bild von sich selber, eines von Jesus und weitere von der Familie und anderen Leuten, die sie mochten. Wir klebten die Streifen dann zu Ringen zusammen, fügten einen Ring in den anderen und formten daraus eine Freundschaftskette. Beim Zeichnen sprachen die Kinder über ihre Familie.

Heather sagte: ‚Ich glaube, meine Schwester mag mich nicht. Wir streiten andauernd. … Ich hasse mich schon selber. Ich habe echt kein gutes Leben.‘ Und sie vergrub den Kopf in den Händen.

Ich dachte an ihr Elternhaus und fand, dass sie es wirklich nicht so gut getroffen hatte. Aber dann sagte Anna vom anderen Ende des Tisches: ‚Heather, ich stecke einen Papierring mit dir drauf hier zwischen meinen und den von Jesus, weil er dich lieb hat und weil ich dich auch lieb habe.‘

Daraufhin krabbelte Heather unter dem Tisch zu Anna hin und umarmte sie.

Als Heather nach dem Unterricht von ihrer Großmutter abgeholt wurde, sagte Heather zu ihr: ‚Weißt du was, Oma?‘ Jesus hat mich lieb.‘“

Wenn wir uns, und sei es auch nur durch Kleinigkeiten, liebevoll eines anderen annehmen, dann wird das Herz weich und wandelt sich, weil nun jemand Gottes Liebe verspürt.

Manchmal ist es jedoch nicht so einfach, dem dringenden Bedarf gerecht zu werden. Es gibt ja so viele Menschen, die unsere Hilfe und Unterstützung brauchen und die schwere Lasten zu tragen haben.

Vielleicht haben einige Schwestern unter uns das Gefühl, sie seien am Ende ihrer Kräfte, weil es schon allein in der Familie mehr als genug zu tun gibt. Bedenken Sie bitte, dass wir bei diesen oft so banalen, alltäglichen Verrichtungen jedoch „im Dienste … Gottes“ stehen.

Andere haben vielleicht das Gefühl, es fehle ihnen etwas. Diese Leere könnte vielleicht ausgefüllt werden, wenn Sie sich in Ihrem Umfeld ein wenig umsehen und schauen, wie Sie einem anderen die Last leichter machen können.

In jedem Alltag lassen sich Möglichkeiten finden, Gutes zu tun. Wir leben in einer streitsüchtigen Welt. Schon allein dadurch, dass wir nicht kritisieren, dass wir nicht über andere herziehen, dass wir andere nicht verurteilen, schon allein durch ein Lächeln, ein Danke oder durch Geduld und ein freundliches Wort dienen wir.

Andererseits gibt es auch Dienstprojekte, die Zeit und Energie kosten und die wir gezielt planen müssen. Auch sie sind jede Mühe wert. Vielleicht sollten wir uns zunächst diese Fragen stellen:

  • Wem in meinem Umfeld kann ich heute helfen?

  • Wie viel Zeit und welche Mittel stehen mir zur Verfügung?

  • Inwiefern kann ich durch meine Talente und Fähigkeiten dienen?

  • Wo können wir gemeinsam als Familie Gutes tun?

Präsident Dieter F. Uchtdorf weist auf diesen Umstand hin:

„Sie [müssen] bei sich vor Ort das tun, was die Jünger Christi in jeder Evangeliumszeit getan haben: sich beraten, alle vorhandenen Hilfsmittel nutzen, sich um Inspiration vom Heiligen Geist bemühen, den Herrn um Bestätigung bitten und dann die Ärmel hochkrempeln und ans Werk gehen.“

Weiter sagt er: „Ich verheiße Ihnen: Wenn Sie sich an dieses Muster halten, werden Sie gezielt Führung erhalten und wissen, wem, womit, wann und wo Sie auf die Weise des Herrn dienen sollen.“

Wenn ich mir vorzustellen versuche, wie es sein wird, wenn der Heiland wiederkehrt, dann fällt mir immer sein Erscheinen unter den Nephiten ein. Damals fragte er die Menschen:

„Habt ihr welche unter euch, die krank sind? Bringt sie her. Habt ihr welche, die lahm sind oder blind oder hinkend oder verkrüppelt oder aussätzig oder die verdorrt sind oder die taub sind oder die in irgendeiner Weise bedrängt sind? Bringt sie her, und ich werde sie heilen, denn ich habe Mitleid mit euch; mein Inneres ist von Barmherzigkeit erfüllt.

[Und der Erretter] heilte sie, jeden Einzelnen.“

Derzeit bittet er uns, seine Hände zu sein.

Ich weiß inzwischen: Erst Gottesliebe und Nächstenliebe verleihen dem Leben Sinn. Mögen wir dem Beispiel des Erlösers nacheifern und uns seine Aufforderung zu Herzen nehmen, uns liebevoll unserer Mitmenschen anzunehmen.

Ich bezeuge, dass wahr ist, was Präsident Henry B. Eyring verheißt: „Wenn [wir unsere] Gaben einsetzen, um einem anderen zu dienen, dann spüren [wir], wie sehr der Herr diesen Menschen liebt. Und dann spüren [wir] auch seine Liebe zu [uns].“ Im Namen Jesu Christi. Amen.

Anmerkung: Am 2. April 2016 wurde Schwester Esplin als Erste Ratgeberin in der Präsidentschaft der Primarvereinigung entlassen.

Anmerkungen

  1. Johannes 13:34

  2. Jeffrey R. Holland, „Wo Lieb, Gerechtigkeit und Gnad aufeinandertreffen“, Liahona, Mai 2015, Seite 106

  3. Apostelgeschichte 10:38

  4. „Der lebendige Christus – das Zeugnis der Apostel“, Artikel-Nr. 36299 150

  5. Lukas 9:24

  6. Thomas S. Monson, „Was habe ich heute für einen anderen getan?“, Liahona, November 2009, Seite 85

  7. Lola B. Walters, „Sunshine in My Soul“, Ensign, August 1991, Seite 19

  8. Sondra D. Heaston, „Keeping Your Fingers on the PULSE of Service“, Andacht an der Brigham-Young-Universität am 23. Juni 2015, Seite 1, 5; speeches.byu.edu. Die Sprecherin, die bei dem erwähnten JD-Lager von ihren Erkenntnissen berichtete, war Virginia H. Pearce.

  9. Thomas S. Monson, „Was habe ich heute für einen anderen getan?“, Seite 85

  10. Siehe „Leg Hand an!“, Liahona, Januar 2015, Seite 64f.

  11. Mosia 2:17

  12. Dieter F. Uchtdorf, „Vorsorge auf die Weise des Herrn“, Liahona, November 2011, Seite 55

  13. 3 Nephi 17:7,9

  14. Henry B. Eyring, To Draw Closer to God, 1997, Seite 88