2010–2019
Wer sie aufnimmt, der nimmt mich auf
April 2016


13:59

Wer sie aufnimmt, der nimmt mich auf

In der heutigen Zeit treffen Kinder auf ganz unterschiedliche, vielschichtige Familienkonstellationen. Wir müssen uns um diejenigen kümmern, die sich allein, vergessen oder ausgeschlossen fühlen.

Gott liebt Kinder. Er liebt alle Kinder. Der Heiland hat gesagt: „Lasst die Kinder zu mir kommen … Denn Menschen wie ihnen gehört das Himmelreich.“

In der heutigen Zeit treffen Kinder auf ganz unterschiedliche, vielschichtige Familienkonstellationen.

In den Vereinigten Staaten wachsen heute zum Beispiel doppelt so viele Kinder wie vor 50 Jahren nicht bei beiden Eltern auf. Und es gibt viele Familien, die in ihrer Liebe zu Gott und der Bereitschaft, seine Gebote zu halten, nicht mehr so einig sind.

Doch so sehr die geistige Verwirrung auch zunimmt: Das wiederhergestellte Evangelium wird weiterhin den Standard, das Ideal, das Muster des Herrn verkörpern.

„Kinder haben ein Recht darauf, im Bund der Ehe geboren zu werden und in der Obhut eines Vaters und einer Mutter aufzuwachsen, die die Ehegelübde in völliger Treue einhalten. …

Mann und Frau tragen die feierliche Verantwortung, einander und ihre Kinder zu lieben und zu umsorgen. … Eltern haben die heilige Pflicht, ihre Kinder in Liebe und Rechtschaffenheit zu erziehen, sich ihrer physischen und geistigen Bedürfnisse anzunehmen und sie zu lehren, dass sie einander lieben und einander dienen [und] die Gebote Gottes befolgen sollen.“

Wir freuen uns über die vielen guten Eltern, die sich überall auf der Welt und in allen Glaubensrichtungen liebevoll um ihre Kinder kümmern. Ich bin auch dankbar für die vielen Familien in der Kirche Jesu Christi der Heiligen der Letzten Tage, in denen Kinder von einem Vater und einer Mutter umsorgt werden, die sich zum Erretter bekehrt haben und kraft der Vollmacht des Priestertums gesiegelt sind. Hier lernen die Kinder in der Familie, den Vater im Himmel und seinen Sohn Jesus Christus zu lieben und ihnen zu vertrauen.

Eine Bitte für die Jugend

Meine heutige Bitte betrifft allerdings hunderttausende Kinder, Jugendliche und junge Erwachsene, die nicht aus einer solchen, ich nenne es einmal „Bilderbuchfamilie“ stammen. Ich meine damit sowohl diejenigen jungen Menschen, die den Tod oder die Scheidung ihrer Eltern miterlebt haben oder deren Eltern im Glauben nachgelassen haben, als auch zehntausende junge Männer und Frauen in aller Welt, die das Evangelium annehmen, ohne dass ihre Eltern mit ihnen zur Kirche kommen.

Diese jungen Heiligen schließen sich der Kirche voller Glauben an. Sie hoffen, später einmal selbst eine Familie zu gründen, die dem Ideal entspricht. Im Laufe der Zeit werden sie ein wichtiger Teil unserer Schar von Missionaren, sie werden rechtschaffene junge Erwachsene und knien am Altar, um ihre eigene Familie zu gründen.

Vertraulichkeit

Wir werden auch weiterhin verkünden, welches Muster der Herr für Familien vorgesehen hat, doch angesichts von mittlerweile Millionen Mitgliedern und der Vielfalt, die man bei den Kindern der Kirche vorfindet, müssen wir noch rücksichtsvoller und einfühlsamer sein. Die Kultur der Kirche und die Art, wie wir uns ausdrücken, ist mitunter schon recht einzigartig. Die Kinder werden zwar nicht aufhören, in der Primarvereinigung „Immer und ewig vereint“ zu singen, aber wenn es heißt „‚Jetzt kommt Vati!‘ rufe ich froh“ oder „denn Vater und Mutter zeigen den Weg“, dann singen nicht alle von ihrer eigenen Familie.

Unsere Freundin Bette hat uns erzählt, was sie in der Kirche erlebt hat, als sie zehn Jahre alt war: „Unsere Lehrerin sprach im Unterricht über die Tempelehe. Sie fragte mich direkt: ‚Bette, deine Eltern haben nicht im Tempel geheiratet, oder?‘ [Meine Lehrerin und alle anderen] wussten die Antwort.“ Die Lehrerin setzte ihren Unterricht fort und Bette hatte die schlimmsten Befürchtungen. Bette sagte: „Ich habe oft nachts geweint. Als ich zwei Jahre später Herzbeschwerden bekam und dachte, ich müsse sterben, geriet ich in Panik, weil ich glaubte, ich müsse ewig allein bleiben.“

Mein Freund Leif ging allein zur Kirche. In der Primarvereinigung wurde er einmal gebeten, eine kurze Ansprache zu halten. Er hatte keine Mama und keinen Papa in der Kirche, die ihm zur Seite stehen und ihm helfen konnten, falls er vergaß, was er sagen wollte. Leif hatte furchtbare Angst. Anstatt sich zu blamieren, blieb er der Kirche lieber ein paar Monate lang fern.

„Da rief [Jesus] ein Kind herbei, stellte es in ihre Mitte und sagte: …

Wer ein solches Kind um meinetwillen aufnimmt, der nimmt mich auf.“

Ein gläubiges Herz und geistige Gaben

Diese Kinder und Jugendlichen sind mit einem gläubigen Herzen und geistigen Gaben gesegnet. Leif erzählte mir: „Ich wusste tief in mir, dass Gott mein Vater ist und dass er mich kennt und liebt.“

Unsere Freundin Veronique berichtete: „Als ich die Grundsätze des Evangeliums kennenlernte und das Buch Mormon las, war es, als würde ich mich an etwas erinnern, was ich schon einmal gewusst, aber vergessen hatte.“

Unsere Freundin Zuleika kommt aus Alegrete in Brasilien. Obwohl ihre Familie nicht religiös war, begann Zuleika mit zwölf Jahren, die Bibel zu lesen und verschiedene Kirchen zu besuchen, um mehr über Gott zu erfahren. Mit der Erlaubnis ihrer Eltern, die sie ihr nur zögernd gaben, traf sie sich mit den Missionaren, erlangte ein Zeugnis und ließ sich taufen. Zuleika erzählte mir: „Bei diesen Gesprächen zeigten sie mir ein Bild des Salt-Lake-Tempels und erzählten mir von den Siegelungen. Seitdem habe ich den Wunsch, eines Tages in das Haus des Herrn zu gehen und eine ewige Familie zu haben.“

Selbst wenn die irdischen Verhältnisse für ein Kind nicht ideal sein mögen, so ist doch dessen geistige DNA vollkommen, denn seine wahre Identität ist die eines Sohnes oder einer Tochter Gottes.

Präsident Thomas S. Monson hat gesagt: „Helfen Sie Gottes Kindern zu erkennen, was im Leben wahr und wichtig ist. Helfen Sie ihnen, die Kraft aufzubringen, sich für einen Lebensweg zu entscheiden, der sie sicher in Richtung ewiges Leben führt.“ Öffnen wir unsere Arme und unser Herz ein wenig weiter. Diese jungen Menschen brauchen unsere Zeit und unser Zeugnis.

Brandon, der sich in seiner Schulzeit in Colorado der Kirche angeschlossen hat, erzählte mir von den Menschen, die sich vor und nach seiner Taufe um ihn gekümmert haben. Er sagte: „Ich war bei Familien zu Hause, die nach dem Evangelium gelebt haben. Sie haben mir gezeigt, welchen Standard ich einmal in meiner Familie haben könnte.“

Veronique, die in den Niederlanden geboren wurde, ging mit unserer Tochter Kristen zur Schule, als wir in Deutschland lebten. Veronique fiel auf: „Die Schüler, die der Kirche angehörten, strahlten. Mir wurde bewusst, dass dieses Strahlen daher rührte, dass sie an Jesus Christus glaubten und nach seinen Lehren lebten.“

Mein Freund Max ließ sich mit acht Jahren taufen. Sein Vater gehörte keiner Kirche an und überließ es Max, ob er zur Kirche ging oder nicht.

Als Jugendlicher ging Max einige Monate nicht zur Kirche, hatte dann jedoch das Gefühl, er solle wieder zur Kirche gehen. Eines Sonntagmorgens entschloss er sich dazu. Doch sein Entschluss geriet ins Wanken, als er auf die Eingangstür zuging und sich sein Magen zusammenzog.

In der Tür stand der neue Bischof. Max kannte ihn nicht und er war sich sicher, dass der Bischof ihn auch nicht kannte. Als Max näherkam, erhellte sich das Gesicht des Bischofs. Er streckte seine Hand aus und sagte: „Max, wie schön, dich zu sehen!“

„Als er das sagte“, erzählte Max, „überkam mich ein warmes Gefühl. Ich wusste, dass ich das Richtige getan hatte.“

Jemanden mit Namen zu kennen, kann eine große Wirkung haben.

„Und [Jesus] gebot, ihre kleinen Kinder [zu ihm] zu bringen. …

Und er nahm [sie], eines nach dem anderen, und segnete sie und betete für sie zum Vater.

Und als er dies getan hatte, weinte er.“

Junge Menschen, die noch nicht getauft sind

Auf Verlangen ihrer Eltern warten viele junge Menschen, denen das Evangelium viel bedeutet, jahrelang auf ihre Taufe.

Emilys Eltern ließen sich scheiden, als sie noch ein Kind war, und so erhielt sie erst mit 15 die Erlaubnis, sich taufen zu lassen. Strahlend berichtet unsere Freundin Emily von einer ihrer Leiterinnen bei den Jungen Damen, die „immer auf sie zuging und ihr half, ihr Zeugnis zu stärken“.

Colten und Preston sind Jugendliche aus Utah. Ihre Eltern sind geschieden und haben ihnen nicht erlaubt, sich taufen zu lassen. Die beiden Brüder können das Abendmahl nicht austeilen, aber sie bringen jede Woche das Brot mit. Sie können nicht in den Tempel gehen, um mit den Jugendlichen der Gemeinde an Taufen für Verstorbene teilzunehmen, aber sie suchen nebenan im Center für Familiengeschichte nach Namen ihrer Vorfahren. Wenn es darum geht, dass unsere Jugendlichen sich nicht ausgeschlossen fühlen, sind es andere rechtschaffene Jugendliche, die den größten Einfluss haben.

Elder Joseph Ssengooba

Zum Schluss möchte ich von einem neuen Freund erzählen, den wir vor ein paar Wochen in der Sambia-Mission Lusaka kennengelernt haben.

Joseph Ssengooba als kleiner Junge

Elder Joseph Ssengooba stammt aus Uganda. Sein Vater starb, als er sieben war. Mit neun Jahren musste er sich schon selbst versorgen, da seine Mutter und andere Verwandte es nicht konnten. Mit zwölf Jahren lernte er die Missionare kennen und ließ sich taufen.

Joseph erzählte mir von seinem ersten Tag in der Kirche: „Ich dachte, nach der Abendmahlsversammlung sei Schluss, doch die Missionare stellten mir Joshua Walusimbi vor. Joshua sagte mir, dass er mein Freund sein wird, und gab mir ein Liederbuch für Kinder, damit ich nicht mit leeren Händen in die Primarvereinigung ging. Dort stellte Joshua einen weiteren Stuhl gleich neben seinen. Die Leiterin holte mich nach vorn und bat alle Kinder, für mich ‚Ich bin ein Kind von Gott‘ zu singen. Das war etwas ganz Besonderes für mich.“

Der Zweigpräsident brachte Joseph zur Familie von Pierre Mungoza, wo er die nächsten vier Jahre zu Hause war.

Elder Joshua Walusimbi und Elder Joseph Ssengooba

Als Elder Joseph Ssengooba acht Jahre später seine Mission antrat, war sein Trainer zu seiner Überraschung Elder Joshua Walusimbi, der Junge, der ihn an seinem ersten Tag in der PV so herzlich aufgenommen hatte. Und sein Missionspräsident? Das ist Präsident Leif Erickson, der kleine Junge, der nicht mehr zur PV gegangen war, weil er Angst davor hatte, eine Ansprache zu halten. Gott liebt seine Kinder.

Elder Joseph Ssengooba und Präsident Leif Erickson

Die Kinder kamen angerannt

Bei unserem Besuch in Afrika vor ein paar Wochen waren Kathy und ich in Mubji-Mayi in der Demokratischen Republik Kongo. Da das Gemeindehaus für die 2.000 Mitglieder zu klein war, versammelten wir uns draußen unter großen Plastikplanen, die an Bambusstangen befestigt waren. Als die Versammlung begann, bemerkten wir, dass uns Dutzende Kinder zusahen. Sie klammerten sich von außen an den schmiedeeisernen Zaun, der das Grundstück umrandete. Kathy flüsterte mir zu: „Neil, möchtest du vielleicht die Kinder hereinbitten?“ Ich wandte mich an Distriktspräsident Kalonji auf dem Podium und fragte ihn, ob er die Kinder draußen am Zaun nicht zu uns hereinbitten wolle.

Elder Andersen in der Demokratischen Republik Kongo
Kinder am Zaun
Die Kinder werden hereingebeten

Zu meiner Überraschung kamen die über 50, vielleicht sogar 100 Kinder auf seine Einladung hin nicht einfach nur herein, sie rannten – einige von ihnen mit zerschlissener Kleidung und barfuß, aber alle mit einem strahlenden Lächeln und voller Begeisterung.

Dieses Erlebnis hat mich zutiefst bewegt. Es war für mich wie ein Symbol dafür, dass wir uns um die Jugendlichen kümmern müssen, die sich allein, vergessen oder ausgeschlossen fühlen. Mögen wir an sie denken, sie willkommen heißen, sie freundlich aufnehmen und tun, was wir können, damit ihre Liebe zum Heiland stärker wird. Jesus hat gesagt: „Wer ein solches Kind um meinetwillen aufnimmt, der nimmt mich auf.“ Im Namen Jesu Christi. Amen.

Anmerkungen

  1. Matthäus 19:14

  2. Siehe „Family Structure“, Child Trends DataBank, Dezember 2015, Anhang 1, Seite 9, childtrends.org/databank

  3. „Die Familie – eine Proklamation an die Welt“, Liahona, November 2010, Umschlagrückseite, Absatz 7 und 6

  4. Ich möchte persönlich den zehntausenden rechtschaffenen Müttern danken, von denen viele alleinerziehend sind und die mutig die Hauptverantwortung übernehmen, ihre Kinder geistig zu stärken. Unsere Freundin Shelley aus Kanada sagt über ihre Mutter:

    „Die Missionare klopften fünf Jahre vor meiner Geburt bei meinen Eltern an die Tür. Sie hörten sich ein paar Lektionen an, aber dann verlor mein Vater das Interesse. Meine Mutter hörte den Missionaren weiter zu und wollte sich taufen lassen. Fünf Jahre lang ging meine Mutter als Nichtmitglied zur Kirche, bis sie sich drei Monate nach meiner Geburt taufen lassen konnte.

    Meine Mutter hat nie viele Worte gemacht oder große Führungsaufgaben übernommen. Sie hat ein ganz einfaches, ansprechendes, festes Zeugnis … und lebt jeden Tag nach dem, was sie glaubt. Dieses stille, schlichte Beispiel führte dazu, dass ich dem Herrn und der Kirche immer nahe blieb.“

  5. Unser Freund Randall hat mir erzählt: „Mir wurde gesagt, dass ich ein Sohn himmlischer Eltern bin, und das wusste ich auch. Das Wissen um meine wahre Identität und mein wahres Wesen ließ mich hoffen, dass ich nicht den gleichen Weg gehen musste wie meine Eltern, die ich zwar sehr lieb hatte, aber nicht nachahmen wollte. Ich vertraute auf das, was mir in der Primarvereinigung, der Sonntagsschule, bei den Jungen Männern und von anderen Lehrern beigebracht worden war. In der Gemeinde und unter meinen Verwandten gab es treue, glückliche Familien, die mir ein Vorbild waren, und ich vertraute darauf, dass mir der Vater im Himmel, wenn ich treu blieb, helfen würde, ebenfalls eine solche Familie zu haben.“

  6. „Immer und ewig vereint“, Liederbuch für Kinder, Seite 98

  7. „Vati kommt heim!“, Liederbuch für Kinder, Seite 110

  8. „Liebe umgibt mich hier“, Liederbuch für Kinder, Seite 102

  9. Matthäus 18:2,5

  10. Thomas S. Monson, „Lernt von mir“, Liahona, März 2016, Seite 5f.

  11. Siehe Max H. Molgard, Inviting the Spirit into Our Lives, 1993, Seite 99

  12. 3 Nephi 17:11,21,22

  13. Emily, deren Eltern in der Kirche nicht aktiv sind, spricht liebevoll über Großeltern, Onkel und Tanten und andere, die für ihre Eltern „einsprangen“. Über eine Leiterin bei den Jungen Damen in Michigan sagt sie: „Ihre Kinder waren schon groß, und ihr lag viel daran, jeder Jungen Dame das Gefühl zu geben, sie sei ihre Tochter. … Mit ihrem Lächeln konnte sie einem auch an den schlimmsten Tagen das Herz erwärmen. … Ich habe mir vorgenommen, es ihr gleichzutun und für die Kinder, die sich ‚anders‘, übergangen oder ausgeschlossen fühlen, eine Schwester Molnar zu sein.“

  14. Matthäus 18:5