Kapitel 36
Wir machen unbeirrt weiter
Präsident Gordon B. Hinckley schied am Abend des 27. Januar 2008 friedlich aus diesem Leben. Während seiner letzten kurzen Krankheitsphase besuchten ihn Angehörige und Freunde an seinem Krankenbett in Salt Lake City. Präsident Thomas S. Monson, der mit ihm über zwei Jahrzehnte lang in der Ersten Präsidentschaft gedient hatte, kam wenige Stunden vor seinem Tod zu ihm und gab ihm einen Segen.
Sechs Tage später strömten anlässlich der Beisetzung des Propheten sechzehntausend Trauernde in das Konferenzzentrum. Unzählige weitere verfolgten die Trauerfeierlichkeiten auf BYU TV oder auf der Website der Kirche sowie in Gemeindehäusern in aller Welt.
Präsident Monson sprach darüber, dass Präsident Hinckley und er im Laufe der Jahre viel Freud und Leid miteinander geteilt und auch viel miteinander gelacht hatten. „Er war die ruhige Insel inmitten der stürmischen See“, stellte Präsident Monson fest. „Er tröstete und beruhigte uns, wenn die Zustände in der Welt beängstigend waren. Er führte uns unbeirrt auf dem Weg, der uns zum himmlischen Vater zurückführen wird.“
Den Heiligen blieb Präsident Hinckley als vielgereister Prophet und als Erbauer von Tempeln in Erinnerung. Nahezu zwei Millionen Kilometer legte er bei seinen Reisen zu den Heiligen in aller Welt zurück – mehr als bisher jeder andere Präsident der Kirche. Auch den Einsatz von Satelliten und digitaler Technologie weitete er aus, um mit den Heiligen, wo sie auch leben mochten, in Kontakt zu treten. Die Generalkonferenz wurde bereits in achtzig Sprachen übertragen. 2003 führte er die weltweite Übertragung von Führerschaftsversammlungen ein, wodurch die Führungsverantwortlichen in die Lage versetzt wurden, von einem einzigen Ort aus viele Mitglieder gleichzeitig zu schulen. Diese Technik machte seither zudem große gebiets- und landesweite Konferenzen möglich, an denen mitunter sogar über achtzig Pfähle gleichzeitig teilnahmen.
Während seiner Amtszeit hatte sich die Zahl der in Betrieb befindlichen Tempel von 47 auf 124 mehr als verdoppelt. Zu den Tempeln, die er geweiht hatte, zählte auch der wiederaufgebaute Nauvoo-Tempel, der ja nach der ersten Weihung im Jahr 1846 nur wenige Jahre später zerstört worden war.
Diese neuen Tempel brachten die heiligen Handlungen und Bündnisse näher an mehr Menschen heran denn je zuvor. Im August 2005 hatten beispielsweise zweiundvierzig Heilige aus dem zentralafrikanischen Kamerun fast achthundert Kilometer zum eben erst geweihten Tempel in Aba in Nigeria zurückgelegt. Die unbefestigten Straßen waren durch Regenfälle verschlammt, doch die Heiligen gaben nicht auf, obgleich sie ihre gemieteten Kleinbusse durch den tiefen Morast schieben mussten. Solche Reisen gingen stets schleppend vor sich und waren mühselig, doch allemal noch kürzer und günstiger als die Reise zum Tempel in Ghana oder in Südafrika. Und die Heiligen in Kamerun waren überglücklich, als sie das Endowment und die Siegelung empfingen.
Präsident Hinckley war dankbar, dazu beigetragen zu haben, dass so viele Menschen die Segnungen des Hauses des Herrn empfangen konnten. Seiner Ansicht nach dienten Tempel einem Zweck wie sonst kein anderes Bauwerk. „Wir knien dort am Altar vor Gott, unserem Schöpfer, und es werden uns seine immerwährenden Segnungen verheißen“, erklärte er. „An diesem heiligen Ort treten wir mit ihm in Verbindung und sinnen nach über seinen Sohn, unseren Erretter und Erlöser, den Herrn Jesus Christus, der für jeden von uns sein stellvertretendes Opfer dargebracht hat.“
Seit seiner Mission in England in den 1930er Jahren hatte Präsident Hinckley die europäischen Heiligen sehr ins Herz geschlossen. In den vergangenen Jahrzehnten hatte es ihn betroffen gemacht, dass die Europäer immer weniger zur Kirche gingen. Zur Unterstützung regte er die Einrichtung sogenannter „Outreach-Zentren“ an, wo junge Alleinstehende zusammenkommen und sich austauschen und auch über ihren Glauben an Jesus Christus sprechen konnten. Zwischen 2003 und 2007 wurden in ganz Europa über siebzig solcher Zentren eröffnet, was zu vielen Neubekehrten, zur Reaktivierung von Mitgliedern und zu einem Anstieg bei den Tempelehen führte.
Präsident Hinckley gestaltete auch die Öffentlichkeitsarbeit der Kirche um. Auf seine Weisung hin richtete die Kirche eine eigene Website ein, stellte darin Texte über Jesus Christus sowie Schulungsmaterial online und richtete eine Presseseite ein, wo Journalisten und sonstige Interessierte genaue Informationen über die Glaubensinhalte der Kirche vorfanden.
Er trat selber auch in den Medien in Erscheinung, stellte sich bekannten Journalisten in Fernsehinterviews und veröffentlichte bei prominenten Verlagen Bücher. 2001 rief er das Projekt „Joseph Smith Papers“ mit dem Ziel ins Leben, dass sämtliche Schriften des Propheten sowohl online als auch durch wissenschaftliche Publikationen an die Öffentlichkeit gelangen und in Bibliotheken in aller Welt bereitliegen sollten.
Laut Präsident Monson war der Ständige Ausbildungsfonds unter all den Neuerungen, die Präsident Hinckley eingeführt hatte, wohl das Projekt, das mehr als jedes andere den Menschen zum Segen gereichen werde. Schon fast dreißigtausend Studenten in vierzig Ländern hatten von dem Fonds profitiert.
„Es ist wirklich ein Wunder, wie junge Leute hierbei der Armut entkommen und ins Berufsleben einsteigen“, schrieb Präsident Monson in sein Tagebuch. „Dieser Erfolg übersteigt unsere kühnsten Erwartungen und ist ein schätzenswerter Beitrag zur Bildung in so manchem Teil der Welt, wo den Armen Bildungschancen verwehrt bleiben.“
Am Tag nach der Beisetzung ordinierte Boyd K. Packer, der im Dienstalter als Apostel an zweiter Stelle folgte, Präsident Monson zum neuen Präsidenten der Kirche und setzte ihn ein. Präsident Monson berief Henry B. Eyring, zuvor Zweiter Ratgeber unter Präsident Hinckley, als Ersten Ratgeber, und den Deutschen Dieter F. Uchtdorf als Zweiten Ratgeber.
Der neuen Präsidentschaft war es ein Anliegen, weiterhin die Bauprojekte zu betreuen, die zum Zeitpunkt von Präsident Hinckleys Tod im Gange waren, darunter ein Dutzend Tempel und etwa dreihundert Gemeindehäuser. Die Kirche ging auch daran, in Nauvoo Unterkünfte für Tempelmissionare zu bauen sowie gegenüber vom Tempelplatz in Salt Lake City ein neues Historisches Archiv der Kirche und ein großes Gebäude für die Verwaltung philanthropischer Spenden zu errichten. Auch Wohnungen und Geschäftshäuser entstanden dort.
Doch gleich zu Beginn der Amtszeit von Präsident Monson kam es dabei zu ernsthaften Schwierigkeiten. Viele Hausbesitzer in den Vereinigten Staaten konnten ihre Hypotheken nicht mehr abzahlen, und unter der Last der Außenstände brach der Bankensektor ein. Sehr bald gerieten die Vereinigten Staaten in die schlimmste konjunkturelle Krise seit der Weltwirtschaftskrise 1930, was in vielen Teilen der Welt Finanzpanik und steigende Arbeitslosigkeit auslöste.
„Die Finanzmärkte sind in Gefahr“, schrieb Präsident Monson in sein Tagebuch. „Unsere Mitglieder werden, wie auch andere im Land und in aller Welt, von ihren Schulden erdrückt.“
Als sich die Krise verschärfte, sah sich die Erste Präsidentschaft vor die Entscheidung gestellt, ob sie nicht die Bauprojekte der Kirche aussetzen sollte. Präsident Monson hatte ja bereits die Weltwirtschaftskrise erlebt und wusste daher, wie gefährlich es war, in dieser Situation hohe Risiken einzugehen. Er musste allerdings auch bedenken, dass ein Aussetzen der Bautätigkeit hunderte Handwerker in die Arbeitslosigkeit drängen würde, etwa Zimmerer oder Elektriker. Die Bauindustrie war sowieso kurz vor dem Erliegen, und Arbeitsplätze waren rar.
Die Präsidierende Bischofschaft, die für Bauvorhaben und humanitäre Projekte der Kirche zuständig war, kam jeden Freitag mit der Ersten Präsidentschaft zusammen und machte sich ein Bild von den laufenden Projekten. Eines Freitags zu Jahresbeginn 2008 stellte die Bischofschaft dann Präsident Monson die Frage, was zu tun sei.
„In allen möglichen Ländern und Bundesstaaten laufen Bauprojekte“, stellte die Bischofschaft fest. „Wie sollen wir nun vorgehen?“
Präsident Monson ließ sich nicht verunsichern. „Wir machen unbeirrt weiter“, beschied er.
Etwa zu dieser Zeit arbeitete Blake McKeown wiederum am Bondi Beach in Sydney und sollte einen weiteren Sommer lang vor den Fernsehkameras sein Rettungsschwimmertraining absolvieren. Sein Auftritt in der zweiten Staffel von Bondi Rescue hatte ihn in Australien zu einer lokalen Berühmtheit gemacht. Hin und wieder, wenn er in seiner Heimatstadt einkaufen ging oder mit dem Zug zur Arbeit fuhr, wurde er angestarrt oder Leute wiesen einander auf ihn hin. Diese Art von Aufmerksamkeit war ein wenig nervig, doch beschweren konnte er sich eigentlich nicht. Er wurde schließlich dafür bezahlt, Tag für Tag mit seinen Freunden am Strand abzuhängen. „Kann das Leben eigentlich noch besser werden?“, fragte er sich.
Seine Eltern machten sich allerdings Sorgen. Hatte sein Ruhm als Fernsehstar etwa Auswirkungen auf seine Prioritäten? Blake hatte die Stelle als Rettungsschwimmer im Jahr davor deswegen angenommen, weil er Geld verdienen wollte, bis er auf Vollzeitmission gehen konnte. Nun war sein neunzehnter Geburtstag schon längst vorbei.
„Was soll ich bloß machen?“, fragte seine Mutter eines Tages den Bischof. „Wie geht das denn weiter?“
„Ich weiß es auch nicht“, erwiderte der Bischof mit sorgenvoller Miene. „Er war doch eigentlich auf einem guten Weg.“
Blake versuchte, seine Eltern zu beruhigen. Er beteuerte, er bete darum, zu wissen, wann der richtige Zeitpunkt für seine Mission gekommen sei. Er hätte einfach nicht das Gefühl, die Zeit sei jetzt schon da. „Wichtig ist doch, dass ich gehe, und nicht, wann ich gehe“, vertröstete er sie und wiederholte damit, was sein Vater ihm schon immer gesagt hatte.
Doch dann kehrte sein Bruder Wade von seiner Mission in Japan zurück. Wade fiel die Besorgnis seiner Eltern auf, und er sprach Blake darauf an. Blake nahm sich Wades Worte zu Herzen und dachte nun ernsthafter darüber nach, ob er nicht doch auf Mission gehen wollte. „Wenn die Kirche wahr ist“, sagte er sich, „dann muss ich einfach auf Mission gehen.“
Er sann über sein Zeugnis und über die Kirche nach. Als Jugendlicher hatte er an TFY teilgenommen, einer mehrtägigen Jugendtagung in Australien, die ab 2006 unter dem Namen „Especially for Youth“ auch in südamerikanischen und europäischen Ländern abgehalten wurde. Er hatte außerdem treu das Seminar am frühen Morgen sowie weitere Aktivitäten der Kirche besucht. Zwar hatte ihm das an manchen Tagen keinen Spaß gemacht, doch er hatte sich bemüht, die Gebote zu halten und das Rechte zu tun. Und er glaubte an Jesus Christus und die Wahrheit des wiederhergestellten Evangeliums. Grund genug also, um auf Mission zu gehen.
Blake reichte bald darauf seine Missionspapiere ein. Mittlerweile boten sich in der Missionsarbeit noch nie dagewesene Möglichkeiten. Erst kürzlich hatten die Führer der Kirche die Latte für den Missionsdienst höher gelegt und betont, dass man engagierte Missionare und Missionarinnen mit hohen sittlichen Maßstäben brauche, die wüssten, wie man den Heiligen Geist hört und ihm Beachtung schenkt. Die Kirche hatte außerdem für junge Menschen, die unter gesundheitlichen Einschränkungen litten oder für die eine herkömmliche Verkündungsmission aus dem einen oder anderen Grund nicht geeignet war, die Möglichkeit einer Service-Mission eingerichtet.
Blake erhielt seine Missionsberufung in die Philippinen-Mission Baguio, eine von fünfzehn Missionen in jenem Inselstaat. Nur eins blieb ihm noch zu tun – er musste es seinen Kollegen beim Rettungsschwimmerdienst mitteilen.
Kurze Zeit später sprach Blake bei den Dreharbeiten zu Bondi Rescue vor laufenden Kameras über seinen Glauben. „Ich war schon immer Mitglied der Kirche Jesu Christi der Heiligen der Letzten Tage“, erzählte er. „Ich gehe jeden Sonntag in die Kirche. Ich habe wohl etwas strengere Maßstäbe, nach denen ich mein Leben ausrichte, doch ansonsten bin ich ein ganz normaler Mensch.“
Nachdem Blakes Schicht zu Ende war, baten ihn die Produzenten der Show, einen Anzug anzuziehen und sich eine Krawatte umzubinden. Anschließend ging er zum Hauptturm der Rettungsschwimmer und klopfte dort an die Tür. „Ich denke, an das Anklopfen werden sich meine Finger wohl bald gewöhnen müssen“, meinte er und blickte geradewegs in die Kamera.
Die Kollegen vom Rettungsschwimmerteam begrüßten ihn mit fröhlichem Lachen. „Gefällt er euch?“, wollte er wissen und zeigte auf seinen Anzug. „Das ist mein Outfit in den nächsten zwei Jahren.“
„Wo gehst du denn hin?“, fragte einer der Rettungsschwimmer.
„Auf die Philippinen“, entgegnete Blake. „Ich gehe auf Mission für meine Kirche.“
„Bist du Mormone?“, fragte ein anderer Rettungsschwimmer.
„Ja“, erwiderte Blake. „Meiner Meinung nach ist mir das Beste im Leben mitgegeben worden, warum sollte ich also nicht auch andere daran teilhaben lassen?“
Blake erklärte, dass er bald in die Vereinigten Staaten reisen werde, um dort als Missionar geschult zu werden und Tagalog zu lernen. Danach werde er sich in das ihm zugewiesene Missionsgebiet begeben. „Wir klopfen aktiv an Türen“, schilderte er, „und wollen den Menschen von Jesus Christus erzählen.“
„Na, dann alles Gute dabei“, meinte ein Rettungsschwimmer, schüttelte Blake die Hand und umarmte ihn fest. Es stimmte Blake ein wenig traurig, den Strand verlassen zu müssen, und ihm war klar, dass ihm seine Freunde fehlen würden. Aber er freute sich schon darauf, seine Mission zu beginnen und in der Welt Gutes zu tun.
Daheim erzählte Blake Wade davon. „Mein Auftrag als Missionar lautete, in Japan jeden Tag mit mindestens zehn Menschen zu reden“, meinte Wade. „Doch du hast gerade mit zehn Millionen Menschen auf einmal geredet.“
Im Juni 2008 nahmen Willy und Lilly Binene mit ihren drei Kindern den Bus zum Flughafen von Mbuji-Mayi, der etwa 160 Kilometer nördlich von ihrem Zuhause in Luputa in der Demokratischen Republik Kongo lag. Von dort flogen sie weiter nach Kinshasa, wo sie die Nacht verbrachten und danach in ein Flugzeug nach Südafrika stiegen. Die Reise war zwar lang, doch die Kinder fanden sie spannend und waren vergnügt. Die Familie war unterwegs zum Johannesburg-Tempel, wo sie alle für die Ewigkeit aneinander gesiegelt werden wollten.
Zwei Jahre waren bereits vergangen, seit Willys Berufung als Präsident des Distrikts Luputa die Familie wieder vereint hatte. Nach der Rückkehr nach Luputa hatte Lilly dort einen Kindergarten eröffnet. Der erwies sich sogleich als Erfolg, worauf sie bald danach auch eine Grundschule aufmachte. Willy hatte seinen Traum, Elektroingenieur zu werden, endgültig an den Nagel gehängt und machte im Krankenhaus eine Ausbildung zum Krankenpfleger. Diese Arbeit brachte er mit den Anforderungen seiner Berufung in Einklang und stützte sich auch auf seine Ratgeber in der Distriktspräsidentschaft, die sich mit den neuen Aufgaben vertraut machten, die Führungsverantwortlichen schulten und die Heiligen besuchten.
Vor kurzem hatte die Präsidentschaft eine zusätzliche Aufgabe übernommen: Sie engagierte sich bei einem auf drei Jahre ausgelegten, von der Kirche finanzierten Projekt des Baus einer Trinkwasserleitung nach Luputa. Die dortige Einwohnerschaft war, was die Wasserversorgung betraf, lange Zeit auf diverse Teiche, Quellen und Entwässerungsgräben in der Nähe angewiesen gewesen. Zweimal täglich legten Frauen und Kinder den mehr als zwei Kilometer weiten Weg zu einer dieser Wasserstellen zurück, füllten dort das Wasser in irgendwelche Behälter und schafften diese nach Hause. In den Wasserstellen wimmelte es freilich nur so von gefährlichen Parasiten, und fast jeder kannte Fälle, in denen jemand an verseuchtem Wasser gestorben war – besonders oft traf es Kleinkinder. Mitunter wurden Frauen auf dem Hin- oder Rückweg zur Wasserquelle sogar angegriffen.
Schon jahrelang hatte ADIR, eine humanitäre Organisation in der Demokratischen Republik Kongo, sich zum Ziel gesetzt, die rund 260.000 Menschen in und um Luputa mit Trinkwasser zu versorgen. Das beste Quellgebiet befand sich allerdings auf einer Hügelkette zirka dreißig Kilometer weit weg, und ADIR verfügte nicht über die 2,6 Millionen Dollar für den Bau der Wasserleitung. Der Geschäftsführer hörte jedoch von Latter-day Saint Charities, kontaktierte die Missionare im humanitären Dienst vor Ort und erkundigte sich nach einer möglichen Zusammenarbeit bei dem Projekt.
Latter-day Saint Charities war 1996 auf Weisung der Ersten Präsidentschaft gegründet worden und unterstützte Jahr für Jahr hunderte humanitäre Projekte der Kirche in aller Welt. Auch wenn die Leistungen je nach Bedarf ganz unterschiedlich waren, so waren die Hauptinitiativen in jüngster Zeit vor allem Impfprojekte, die Beschaffung von Rollstühlen, Augenbehandlungen, Säuglingspflege und Trinkwasserversorgung gewesen. Als daher bekannt wurde, dass Luputa eine Wasserleitung brauchte, spendete Latter-day Saint Charities die nötigen finanziellen Mittel, und aus Luputa und den umliegenden Ortschaften erklärte sich so mancher Bewohner bereit, bei den Grabungsarbeiten mitzuhelfen.
Als Distriktspräsidentschaft arbeiteten Willy und seine Ratgeber mit ADIR sowie mit Daniel Kazadi zusammen, einem ortsansässigen Mitglied der Kirche, das als Bauleiter angestellt worden war. Auch die Distriktspräsidentschaft meldete sich zur freiwilligen Mithilfe bei dem Projekt.
Nachdem das Flugzeug der Binenes in Johannesburg gelandet war, konnten sie all das geschäftige Treiben endlich zurückstellen und sich ganz auf das Haus des Herrn konzentrieren. Direkt am Flughafen wurden sie von einer Familie abgeholt und zur Tempelherberge gleich neben dem Tempel gefahren. Später gingen Willy und Lilly in den Tempel, wo sie sich weiße Kleidung anzogen. Ihre Kinder konnten sie in der von der Kirche betriebenen Kinderbetreuung beaufsichtigen lassen.
Bevor sich die Binenes von Luputa auf den Weg machten, hatten sie zur Vorbereitung auf den Tempel den von der Kirche herausgegebenen Leitfaden Kraft aus der Höhe durchgearbeitet und das Buch Das Haus des Herrn von Apostel James E. Talmage gelesen. Dennoch waren sie ein wenig orientierungslos, als sie zum Tempel kamen, da ja alles neu für sie war und niemand Französisch sprach. Aber durch Gesten verstanden sie, wohin sie gehen und was sie tun mussten.
Im Siegelungsraum waren sie dann so glücklich, ihre drei Kinder wieder bei sich zu haben. Sie betraten den Raum, ganz in Weiß gekleidet, und sahen aus wie Engel. Willy war so ergriffen, dass er eine Gänsehaut bekam. Seine Familie und er schienen sich gar nicht mehr auf der Erde zu befinden – es war, als stünden sie in Gottes Gegenwart.
„Unglaublich!“, staunte er.
Auch Lilly hatte das Gefühl, sie seien im Himmel. Das Wissen, dass sie für die Ewigkeit miteinander verbunden waren, schien die gegenseitige Liebe um ein Vielfaches wachsen zu lassen. Nun waren sie unzertrennlich. Nicht einmal der Tod konnte sie voneinander scheiden.
Anfang 2009 wohnte Angela Peterson gemeinsam mit ihrem Mann John Fallentine in Utah. John und sie hatten einander in einer Gemeinde für Alleinstehende in Salt Lake City kennengelernt. Kurz zuvor hatte Angela ihren anstrengenden Beruf in Washington aufgegeben. John stammte aus dem Westen der Vereinigten Staaten und hatte ebenfalls eine Zeit lang in Washington gelebt und gearbeitet. Er war älter als Angela und ein wenig schüchtern, doch rasch wurden die beiden gute Freunde. Im November 2007 wurden sie im Bountiful-Utah-Tempel gesiegelt.
Jetzt wollten sich die Fallentines in ein neues Abenteuer stürzen. John konnte im Homeoffice arbeiten, und so packte das Paar seine Habseligkeiten zusammen und zog auf die Nordinsel von Neuseeland. Beide waren schon einmal dort gewesen und fanden, die Nordinsel sei das allerschönste Plätzchen auf Erden.
Die neuseeländischen Heiligen hatten vor kurzem den 150. Jahrestag der Ankunft der Kirche in ihrem Land gefeiert, und fünfzig Jahre waren bereits seit der Weihung des Neuseeland-Tempels vergangen. Damals hatte die Kirche im ganzen Land etwa siebzehntausend Mitglieder und weder Gemeinden noch Pfähle gehabt. Nun zählte man fast hunderttausend Heilige in insgesamt 25 Pfählen, 150 Gemeinden und 54 Zweigen.
Die Fallentines ließen sich in Thames, einer Küstenstadt auf der Coromandel-Halbinsel, nieder und brachten sich umgehend in ihrem kleinen Zweig ein. Die meisten Mitglieder ihres Zweigs und Pfahls waren Māori, und für Angela war es eine Freude, sie näher kennenzulernen. Sie diente bei den Jungen Damen, wohingegen John neben seiner Tätigkeit als Sonntagsschullehrer dem Zweigpräsidenten auch bei den Jungen Männern unter die Arme griff. Angela und John waren zudem Zweigmissionare und Verordnungsarbeiter im Tempel in Hamilton, der fast zwei Autostunden entfernt lag.
Was ihre Familienplanung betraf, machte sich das Paar jedoch zunehmend Sorgen. Angela wollte schon immer Mutter werden, doch bislang hatten John und sie keine Kinder bekommen. Sie konsultierten in Auckland einen Arzt und unterzogen sich verschiedenen Tests, um zu sehen, was – falls überhaupt etwas – unternommen werden könnte. Die Untersuchungen ergaben, dass sowohl Angela als auch John erhebliche Fruchtbarkeitsprobleme hatten. Selbst mit Hilfe von Ärzten und Spezialisten waren Angelas Chancen, schwanger zu werden, verschwindend gering.
Das waren in der Tat verheerende Nachrichten. Jeden Tag ging Angela im Haus an einer eingerahmten Proklamation zur Familie vorbei. Der Text warf in ihr eine beunruhigende Frage auf: Wenn die Familie doch von Gott verordnet ist, wieso konnten John und sie dann keine Kinder bekommen?
Die ungelöste Frage verwirrte sie, und sie hatte das Gefühl, ihr werde der Boden unter den Füßen weggezogen. Doch immer noch hoffte sie, Gott werde ihre und Johns Gebete erhören.
Am 9. August 2009 fand sich Präsident Thomas S. Monson in Salt Lake City zu einem Treffen mit römisch-katholischen Freunden in der Kathedrale der Madeleine ein. Gemeinsam mit weiteren Würdenträgern aus Kirche und Politik war Präsident Monson bei der Einhundertjahrfeier dieses prachtvollen Gotteshauses zugegen.
Präsident Monson sprach bei diesem Anlass darüber, wie Katholiken und Heilige der Letzten Tage ihre Differenzen, was das Glaubensbekenntnis anbelangte, beiseitegelegt hatten und sich vereint für Bedürftige einsetzten. Im Rahmen der Initiative „Barmherziger Samariter“ der Kathedrale erhielten Hungrige täglich eine Mahlzeit. Brot und andere Lebensmittel wurden dabei vom Wohlfahrtsdienst der Kirche zur Verfügung gestellt. Die katholische Kirche betrieb vor Ort zudem eine Einrichtung für Drogenabhängige, für die die Kirche Lebensmittel bereitstellte. Die beiden Kirchen hatten sich auch zusammengetan, um Flüchtlinge, die in Salt Lake City ankamen, bei der Beschaffung von Hygieneartikeln und Einrichtungsgegenständen zu unterstützen.
Die Partnerschaft ging jedoch weit über den Raum Salt Lake City hinaus, denn katholische Wohltätigkeitsorganisationen hatten in den vergangenen Jahren die Kirche dabei unterstützt, humanitäre Hilfsgüter im Wert von über elf Millionen US-Dollar in aller Welt zu verteilen, und somit sichergestellt, dass derlei Hilfe die Allerbedürftigsten tatsächlich auch erreichte.
„Wenn wir Augen haben, die sehen, und Ohren, die hören, und ein Herz, das versteht und mitfühlt“, betonte Präsident Monson, „dann erkennen wir auch die Not unserer Mitmenschen, die um Hilfe rufen.“
In den vergangenen anderthalb Jahren hatte Präsident Monson den vielen Bauprojekten und humanitären Projekten der Kirche größte Aufmerksamkeit geschenkt. Selbst als die Wirtschaft in den Vereinigten Staaten stagnierte und die Arbeitslosigkeit hoch war, hatte er unerwartete Vorteile darin gesehen, mit diesen Bemühungen fortzufahren. Die Nachfrage im Bausektor war zwar eingebrochen, doch die Kirche bot durch ihre Projekte trotzdem vielen Facharbeitern eine Anstellung.
Präsident Monson hatte die Führungsverantwortlichen in den Einheiten gemahnt, Kosten zu senken, wo immer dies möglich war. Die Missionsführer bat er, die Missionare zur Sparsamkeit anzuhalten. Er befürwortete den kürzlich von der Präsidierenden Bischofschaft vorgeschlagenen Plan, wonach die Größe neuer Pfahlzentren um ein Viertel verringert werden sollte. Anstatt größere, teurere Gebäude zu bauen, in denen alle Mitglieder des Pfahls Platz fanden, konnten Pfähle ihre Mitglieder in mehreren Gemeindehäusern zusammenkommen lassen und die Pfahlkonferenz dann mittels Übertragungstechnik abhalten. Dadurch ließen sich auch Fahrtkosten einsparen.
Während des Konjunkturabschwungs waren Präsident Monson stets die Bedürftigen ein Anliegen, vor allem die Witwen. Die Ansuchen um finanzielle Unterstützung aus dem Fastopfer hatten zugenommen, und er wollte nicht, dass irgendjemand in Vergessenheit geriet. Als noch junger Mann war Präsident Monson Bischof einer Gemeinde in Salt Lake City gewesen, zu der mehr als tausend Mitglieder gehörten – darunter waren fünfundachtzig Witwen. Auch lange nach den fünf Jahren seiner Amtszeit als Bischof hatte Präsident Monson diese Witwen weiterhin besucht, ihnen Geschenke vorbeigebracht und Mut zugesprochen. Als Präsident der Kirche besuchte er nun ebenfalls regelmäßig die Einsamen und Vergessenen.
„Dieser Dienst, zu dem wir alle aufgerufen sind, ist der Dienst des Herrn Jesus Christus“, legte er den Heiligen ans Herz. „Wenn er uns zu den Verfechtern seiner Sache zählt, fordert er uns auf, uns ihm zu nahen. Er spricht zu uns – zu Ihnen und auch zu mir.“
2003 hatte die Kirche eine neue Website unter der Adresse www.providentliving.org eingerichtet, auf der grundlegende Wohlfahrtsprinzipien vorgestellt wurden. Vor der Rezession verzeichnete die Website pro Monat über eine Million Seitenaufrufe. Um diese bewährten Grundsätze weithin bekanntzumachen, gab die Präsidierende Bischofschaft eine neue Broschüre samt DVD mit dem Titel Grundlagen der Wohlfahrt und Selbständigkeit heraus. Die Heiligen wurden dazu angehalten, den Zehnten und die Opfergaben zu zahlen, sich an einen Haushaltsplan zu halten, Schulden zu vermeiden, seltener auswärts essen zu gehen und sich einen Lebensmittelvorrat anzulegen.
„Ich verkünde, dass der Wohlfahrtsplan der Kirche Jesu Christi der Heiligen der Letzten Tage von Gott, dem Allmächtigen, inspiriert ist“, bezeugte Präsident Monson. „Der Herr Jesus Christus ist tatsächlich sein Schöpfer.“
Jahrzehntelang hatten die kirchlichen Führer die Mission der Kirche als aus drei Elementen bestehend definiert – die Heiligen vervollkommnen, das Evangelium verkünden und die Toten erlösen. Präsident Monson vertrat die Meinung, Wohlfahrt müsse nunmehr als „viertes Stuhlbein“ hinzukommen. Im September 2009 genehmigte er eine Überarbeitung des Handbuchs Anweisungen der Kirche, in die auch die Sorge für die Armen und Bedürftigen als Teil der Mission der Kirche aufgenommen wurde.
„Wir sind umgeben von Menschen, die unsere Aufmerksamkeit, unseren Zuspruch, unsere Unterstützung, unseren Trost und unsere Freundlichkeit brauchen“, stellte Präsident Monson einige Wochen später auf der Generalkonferenz fest. „Wir sind die Hände des Herrn hier auf der Erde, und wir haben den Auftrag, zu dienen und seine Kinder emporzuheben. Er ist auf einen jeden von uns angewiesen.“