An heiliger Stätte stehen
An heiliger Stätte zu stehen bedeutet, sich in guter Gesellschaft zu befinden, ob man nun allein oder mit anderen zusammen ist.
Es war Donnerstagabend. An diesem Abend arbeiteten meine Eltern immer im Cardston-Tempel. Ich war so wie ihr im JD-Alter. Meine Großmutter, die bei uns wohnte, war an diesem Abend nicht da, und so war ich ganz allein. Als meine Eltern fortgingen, umarmte Vati mich und sagte: „Also, Sharon, bleib in guter Gesellschaft.“
Ich dachte mir: „Was meint er denn? Er weiß doch, dass ich ganz allein sein werde!“ Aber dann erkannte ich, dass er genau das gemeint hatte.
An heiliger Stätte zu stehen bedeutet, sich in guter Gesellschaft zu befinden, ob man nun allein oder mit anderen zusammen ist. Es bedeutet, dort zu sein, wo der Heilige Geist unser Begleiter ist – allein oder in der Menge. Wenn wir fest entschlossen sind, auf unsere Gedanken und Taten zu achten und das Beste aus uns zu machen, dann werden wir auch das Beste im Leben erfahren.
An einer heiligen Stätte fühlen wir uns sicher, geschützt, geliebt und getröstet. So war es in unserem himmlischen Zuhause. Wenn wir an heiliger Stätte stehen und uns in guter Gesellschaft befinden, gibt uns das das Gefühl, wie es in dem Zuhause gewesen sein muss, das wir zurückgelassen haben und das uns manchmal so weit weg erscheint.
Zweieinhalb Jahre nach der Gründung der Kirche wurde Joseph Smith vom Herrn vor Kriegen, Hungersnöten und Plagen gewarnt, die wegen der Schlechtigkeit hereinbrechen würden. Dann sagt er uns, wie wir in einer solchen Welt sicher sein können: „Steht an heiliger Stätte, unverrückbar, bis der Tag des Herrn kommt.“ (LuB 87:8.)
An heiliger Stätte sind wir vor dem fast überwältigenden Aufruhr in der Welt geschützt. Engel können unsere Begleiter und unsere Stütze sein. (Siehe LuB 84:88.) Der große Prophet Moroni war von Schlechtigkeit und von Lamaniten umgeben, die alles töten wollten, was ihren Weg kreuzte. Er hatte sich beinahe zwanzig Jahre lang versteckt und war ganz allein. Stellt euch diese Einsamkeit einmal vor! Sein wunderbares Zeugnis und seine Belehrung in den letzten Kapiteln des Buches Mormon verraten uns jedoch, dass er sich in der Gesellschaft von Engeln und vom Heiligen Geist befand. Er war nicht allein. Der Heilige Geist kann uns das nagende, schmerzhafte Gefühl der Einsamkeit, Isolation oder Ablehnung nehmen und uns mit Frieden erfüllen. Er wird der Tröster genannt – und das ist er auch!
Möglicherweise sind wir dann am einsamsten, wenn wir unter Menschen und sogar unter Freunden sind, die sich falsch entscheiden, so dass wir allein sind. Es gibt Orte, an denen ihr nicht sicher seid, selbst wenn ihr dort jemandem helfen wollt, der euch braucht. Der Herr hat gesagt, wir sollen an heiliger Stätte stehen. Es gibt Orte, an denen der Geist niemals sein wird. Ihr kennt diese Orte. Haltet euch von ihnen fern. Nährt keine Neugierde, die ihr lieber unterbinden solltet. Achtet auf eure Gefühle, dann werdet ihr wissen, wann ihr euch unsicher oder unbehaglich fühlt.
Heather erzählte uns, sie sei einmal zu einer Party mit den „beliebten“ Schülern eingeladen worden. Als sie eintrat, verletzte die Musik, die durch das Haus dröhnte, ihren Geist. Sie fühlte sich sehr schlecht. Dann verzogen sich Freunde in abgedunkelte Räume. Heather sagte: „Auf der Party erkannte ich rasch, dass ich mich entscheiden musste: Entweder diese Leute oder meine Grundsätze. Beides ging nicht. Ich wusste: Ich wollte nicht, dass die Worte, die ich da hörte, oder die Szenen des Films meine Gedanken beschmutzten, ganz egal, wie beliebt diese Leute waren. Ich wusste, dass ich nicht dorthin gehörte. Während ich darauf wartete, dass meine Mutter mich abholte, schaute ich aus dem Fenster in die finstere Nacht hinaus und sah auf dem Hügel den Tempel wie ein Leuchtfeuer strahlen. Es war, als versichere mir der Herr, dass ich das Richtige tat.“ (Mit Genehmigung, Name geändert.)
An heiliger Stätte zu stehen hilft uns, heilig zu werden, aber es erfordert Übung, sich diese Tugend anzueignen. Übt euch darin, auf den Geist zu hören und gehorsam zu sein. Übt euch darin, sittlich rein zu sein. Übt euch darin, in Bezug auf Heiliges ehrfürchtig zu sein. Der Herr hat gesagt, dass wir zu ihm kommen sollen, dann kann er uns heilig machen (siehe LuB 60:7). Lasst zu, dass er euch mit Liebe, Vergebung und Frieden umgibt. Was auch immer um euch herum geschieht, ihr könnt euch darin üben und euch eine eigene Umgebung schaffen, in der der Geist des Herrn herrscht.
Ihr seid für euch selbst verantwortlich und müsst niemanden fragen, wie kurz, eng, freizügig oder durchsichtig eure Kleidung ist. Fragt euch selbst: „Was kann ich tragen? Wie soll ich aussehen und handeln, damit der Heilige Geist bei mir sein und der Vater im Himmel mich segnen kann?“
Es ist schwer, eure Wünsche dahingehend zu schulen, dass ihr Gutes und Schönheit wollt, wenn ihr ständig vom Gegenteil umgeben seid und dies viel verlockender, lustiger oder beliebter zu sein scheint.
Als ihr getauft wurdet, habt ihr das Bündnis geschlossen, die Gebote zu halten. Dieses Bündnis, gemeinsam mit der Segnung, den Geist des Herrn immer bei euch zu haben, wird jedes Mal erneuert, wenn ihr das Abendmahl würdig nehmt. Dies wird euch Kraft geben, wenn ihr Versuchungen ausgesetzt seid.
Unsere Tochter nahm Süßigkeiten in die Abendmahlsversammlung mit, um ihre drei kleinen Söhne ruhig zu halten. Als das geweihte Brot in unsere Reihe gereicht wurde, flüsterte mir der dreijährige Jake ins Ohr: „Sag ihnen, dass wir das Brot nicht brauchen. Wir haben unsere eigenen Süßigkeiten dabei.“ Als Dreijähriger sah er nur die Brotstücke und dachte, er hätte etwas Besseres. Es ist für unser Glücklichsein wichtig, dass wir Heiliges erkennen und unsere Wünsche beherrschen. Ein herrlicher Sonnenuntergang oder der Sternenhimmel, eine Rose mit Tautropfen oder ein junges Kätzchen erinnern uns immer wieder daran, dass alles, was von Gott stammt, heilig ist.
Eine heilige Stätte kann überall dort sein, wo ihr seid – allein, in der Menge, unter Fremden oder Freunden. Die Straße nach Jericho war gefährlich und schrecklich. Diebe versteckten sich hinter Sträuchern und Bäumen, um Reisende aus dem Hinterhalt zu überfallen. Es bedurfte eines freundlichen und mutigen Samariters, um aus der gefährlichen Straße eine heilige Stätte zu machen. Ihr könnt einiges tun, um an einen gewöhnlichen Ort Heiligkeit zu bringen: Wenn ihr einen Nachmittag mit kleinen Kindern verbringt, damit deren müde Mutter ausruhen kann; wenn ihr das Geschirr abwascht, obwohl euer Bruder an der Reihe ist; wenn ihr für einen alten Menschen das Haus putzt, dann vermittelt dies alles Selbstlosigkeit, Opfern und Heiligkeit.
Es wird Momente geben, in denen der Heilige Geist euch zuflüstert, dass ihr den Ort, an dem ihr gerade seid, zu einem besseren machen könnt. Die russische Stadt Omsk in Sibirien erschien mir kalt und öd, bis ich eine Gruppe von jungen Männern und Frauen das Lied „Wie groß bist du!“ in ihrer Muttersprache singen hörte. Plötzlich wurde die ganze Welt – oder zumindest unsere Welt – warm, erfüllt von Liebe und Freude, eben eine heilige Stätte.
Ein großer Reichtum an Intelligenz, Führung und Sicherheit eröffnet sich euch, wenn ihr regelmäßig gedankenvoll betet und die heiligen Schriften studiert. Dies hält euren Geist fest und standhaft an heiliger Stätte, wenn ihr in der Schule seid, Kleidung einkauft oder im Internet surft. Präsident James E. Faust hat gesagt: „Ich denke, dass das Schriftstudium die beste Waschmaschine für unreine oder unkontrollierte Gedanken ist.“ („Die Macht der Selbstbeherrschung“, Liahona, Juli 2000, Seite 53.)
Heiligkeit ist ruhig und freundlich und leicht zu übersehen, wenn wir nicht aufpassen. Der auferstandene Herr ging mit zwei Männern nach Emmaus. Die beiden waren so sehr mit den Ereignissen der Kreuzigung und der Auferstehung beschäftigt, dass sie nicht bemerkten, dass der Herr selbst ihr Weggefährte war.
Vor Jahren sang ich mit Menschen anderer Glaubensrichtungen Händels Messias. Obwohl wir unterschiedlichen Glaubens waren, sangen wir doch von demselben Messias, unserem persönlichen Erretter. Ich hatte das Oratorium schon oft gesungen, doch während einer Probe sagte mir der Geist, dass ich nicht nur Noten sang, sondern mein Zeugnis: „Aber er hat unsere Krankheit getragen und unsere Schmerzen auf sich geladen.“ (Jesaja 53:4.) Ich wusste von ganzem Herzen, dass er dies für mich getan hatte. Einen Moment lang verblassten die 300 anderen Stimmen zu einem Flüstern, und mir war, als sei ich allein mit dem Herrn. Ich verspürte seine Liebe und die Zusicherung, dass er die Krankheiten und die Schmerzen meiner Jugendzeit getragen hatte und dass er auch weiterhin für den Rest meines Lebens mit mir gehen wird, wenn ich gehorsam bin.
Es ist jeden Preis wert, diese Segnung, den Trost und die große Liebe des Herrn zu fühlen.
Wenn ihr einmal verstanden habt, was heilige Stätten sind, dann wisst ihr, wo ihr euch befinden müsst. Es kann bedeuten, dass wir unsere weltlichen Vorlieben oder Beliebtheit opfern müssen. Es mag Demut und Vergebung oder vollständige Umkehr erfordern. Es erfordert reine Hände und ein lauteres Herz. (Psalmen 24:3,4.) Tut, was nötig ist, um unverrückbar an heiliger Stätte stehen zu können, um für Wahrheit und Rechtschaffenheit einzutreten, und zwar ungeachtet der hohlen Verlockungen und der Frevel und Absichten böswilliger Menschen (LuB 89:4) und der Medien. Um mit den Worten Präsident Hinckleys zu sprechen: „Richten wir uns ein wenig mehr auf, und lassen wir die Würde eines guten Charakters durch unser Leben sichtbar werden.“ („Eine Zeit, um neu anzufangen“, Liahona, Juli 2000, Seite 107.) Meine lieben Jungen Damen, ladet den Herrn ein, mit euch zu gehen. Lasst zu, dass er euer lebenslanger Begleiter ist, jeden Tag eures Lebens, damit ihr in das Zuhause zurückkehren könnt, nach dem ihr euch sehnt, in die heiligste aller Stätten.
Ich schließe mit einem Lied, das mein Gebet für euch und für mich wiedergibt:
Mehr Lauterkeit gib mir,
mehr Kraft aus den Höhn,
mehr Freiheit von Sünde,
mehr göttlich Verstehn.
Mehr würdig des Reiches,
mehr innere Ruh,
mehr heilend und segnend,
mehr, Heiland, wie du!
(Gesangbuch, Nr. 79.)
Im Namen Jesu Christi. Amen.