Isaaks Ansprache
„Was wir wissen, davon reden wir.“ (Johannes 3:11)
Eine wahre Begebenheit
Isaak merkte, dass der PV-Unterricht fast vorüber war, denn er hörte Schritte draußen vor der Klassentür. Und es dauerte auch gar nicht mehr lange, bis die Lehrerin jemanden bat, das Schlussgebet zu sprechen.
Sobald Isaak „Amen“ gesagt hatte, stand er auf und lief zur Tür. Er ging zwar gerne in die PV, aber er konnte es immer kaum erwarten, seine Mutter, seinen Vater und Lukas, seinen kleinen Bruder, wieder zu sehen. Doch noch ehe er die Tür öffnen konnte, sagte die Lehrerin: „Isaak, komm doch bitte einmal zu mir.“
„Klar“, antwortete Isaak. Schwester Nelson rief noch ein paar weitere Kinder zu sich. Sie hielt Isaak und den übrigen Kindern kleine Zettel hin. „Würdet ihr bitte nächste Woche im Eröffnungsteil eine Ansprache halten?“, fragte sie.
„Ja, ja.“ Isaak war inzwischen fünf Jahre alt und konnte sehen, dass sein Name zusammen mit vielen anderen Wörtern auf dem Zettel stand. Er versuchte gar nicht erst, die anderen Wörter zu lesen – er war sicher, dass es dabei um seine Ansprache ging. Er hatte zugesagt, weil er immer gern tat, was seine Lehrerin sagte, aber er hatte Angst, vor all den Kindern zu stehen und eine Ansprache zu halten. Er wusste, dass selbst die kleinen Kinder abwechselnd eine Ansprache hielten, eine Schriftstelle vorlasen oder das Gebet sprachen, aber er selbst war bisher noch nicht an die Reihe gekommen.
Er dachte an die Ansprachen, die andere Kinder gehalten hatte. Wenn ein Kind noch sehr klein war und eine Ansprache halten sollte, endete das Ganze manchmal damit, dass es so große Angst hatte, dass es kein Wort herausbrachte und seine Mutter oder sein Vater die Ansprache halten musste! Manchmal las ein Kind bei seiner Ansprache auch eine Geschichte vor, aber Isaak konnte noch nicht so gut lesen. Manche Ansprachen waren so schwer zu verstehen, dass er gar nicht erst zuhörte. Er hatte keine Ahnung, was für eine Ansprache er halten sollte, denn immerhin war er ja erst fünf Jahre alt!
„Na gut“, dachte er bei sich. „Vielleicht vergisst sie ja, dass sie mich gebeten hat.“ Als er im Flur stand, sah er seine Mutter und Lukas aus dem Kindergarten kommen. „Hallo, Mama“, rief er und umarmte sie.
„Was ist denn das?“, fragte Mama und nahm ihm den Zettel aus der Hand. „Toll! Du darfst nächste Woche eine Ansprache halten!“
Isaak versuchte ein Lächeln und nickte vorsichtig. Vielleicht vergaß Mama es ja auch bald wieder, hoffte er.
Auf dem Nachhauseweg erzählte Mama Isaaks Vater von der Ansprache. „Wie aufregend“, rief Papa. „Wir kommen ganz bestimmt, um dich sprechen zu hören, Isaak. Soll dir einer von uns bei der Ansprache helfen?“
Es durfte ihm jemand bei der Ansprache helfen? Plötzlich ging es Isaak schon viel besser. „Mama am besten“, sagte er.
„In Ordnung“, gab Mama zur Antwort. „Wir setzen uns dann bald mal zusammen.“
Sonntag, Montag und Dienstag vergingen und Isaak hatte schon ganz vergessen, dass er eine Ansprache halten sollte. Aber am Mittwoch sagte Mama: „Isaak, lass uns deine PV-Ansprache vorbereiten!“
„O nein“, dachte Isaak. „Sie hat es nicht vergessen.“ Langsam ging er zu seiner Mutter hinüber, die einen Stift und einen Block in der Hand hielt. Er hatte ein komisches Gefühl in der Magengegend. „Eigentlich will ich gar keine Ansprache halten, Mama. Ich weiß nicht, wie das geht, und ich habe Angst.“
„Du schaffst das schon. Lass uns mal gemeinsam überlegen.“ Mama legte ihm den Arm um die Schultern. „In deiner Ansprache soll es um den Glauben an Jesus Christus gehen. Weißt du, was Glaube ist?“
Isaak wusste noch, was seine PV-Lehrerin über den Glauben gesagt hatte. Außerdem hatten Mama und Papa beim Familienabend auch über den Glauben gesprochen. Aber er wusste bestimmt nicht genug darüber, um eine ganze Ansprache zu halten! „Hat das etwas damit zu tun, dass man betet und die Gebote hält?“, fragte er und zog die Stirn sorgenvoll in Falten.
Mama schrieb etwas auf den Block. „Natürlich“, sagte sie. „Warum beten wir und halten die Gebote?“
„Weil Jesus und der himmlische Vater das möchten.“ Das war eine leichte Frage gewesen.
Mama schrieb noch etwas auf. „Was geschieht mit dem Glauben, wenn man betet und die Gebote hält?“
„Er wächst.“ Isaak wusste noch, dass seine Lehrerin gesagt hatte, der Glaube wachse, wenn man das Rechte wählt.
„Wie fühlt man sich, wenn der Glaube wächst, Isaak? Wie fühlst du dich, wenn du betest und die Gebote hältst?“
„Glücklich!“ Isaak wünschte, es wäre so einfach, eine Ansprache zu halten, wie mit seiner Mutter darüber zu reden.
„Nur noch ein paar Fragen“, sagte Mama. „Glaubst du an Jesus Christus?“ Als Isaak nickte, fragte Mama: „Warum?“
„Weil die heilige Schrift sagt, dass er lebt.“ Isaak hatte ein gutes Gefühl, wenn er über Jesus sprach. Er konnte spüren, dass Jesus ihn liebte. Er lächelte und lehnte sich an seine Mutter, während sie schrieb.
Plötzlich sagte sie zu seiner großen Überraschung: „Schön. Deine Ansprache ist fertig. Nun wollen wir sie einmal üben.“
Am Sonntagmorgen ging Isaak vorsichtig nach vorne. Er faltete das Blatt auseinander, das seine Mutter beschrieben hatte, als sie ihm Fragen gestellt hatte. Seine Antworten waren seine Ansprache! Er hatte sie ein paar Mal mit Papa geübt. Jetzt stellte sich Mama an seine Seite und flüsterte ihm die Fragen zu, die er schon einmal beantwortet hatte. Isaak hielt seine Ansprache mit eigenen Worten.
„An Jesus Christus glauben bedeutet, dass man betet und die Gebote hält. Wir beten und halten die Gebote, weil der himmlische Vater und Jesus das möchten. Wenn wir das tun, wächst unser Glaube. Ich bin glücklich, wenn ich bete und die Gebote halte. Dann wächst mein Glaube. Ich glaube an Jesus Christus, weil die heilige Schrift sagt, dass er lebt. Im Namen Jesu Christi. Amen.“
Er sah, wie Papa, der hinten saß, ihm zulächelte. Alle waren still – sie hatten zugehört! Als er an seiner Lehrerin vorüberging, sah er, dass sie sich freute. Er fühlte sich richtig gut. Er hatte eine Ansprache gehalten, die er selbst vorbereitet hatte, und er war sicher, dass Jesus sich auch darüber freute!
„Die meisten Menschen kommen… zur Kirche… um eines geistigen Erlebnisses willen. … Wer unter uns aufgerufen wird, zu sprechen, … hat die Pflicht, so gut er kann, dafür zu sorgen. Das können wir aber nur, wenn wir bestrebt sind, Gott zu erkennen, wenn wir unablässig um das Licht seines einziggezeugten Sohnes bemüht sind. Wenn unser Herz dann recht ist, … wenn wir gebetet… und uns vorbereitet und uns Gedanken gemacht haben, bis wir nicht mehr wissen, was wir sonst noch tun könnten, dann kann Gott zu uns genau wie zu Alma und den Söhnen Mosias sagen: ‚Hebe dein Haupt empor und freue dich… ich [werde dir] Erfolg schenken.‘ [Alma 8:15; 26:27.]“
Elder Jeffrey R. Holland vom Kollegium der Zwölf Apostel, „,Ein Lehrer, der von Gott gekommen ist‘“, Der Stern, Juli 1998, Seite 26.