Was uns von den anderen am meisten unterscheidet
Das Priestertum Gottes … ist für die wahre Kirche Gottes ebenso unverzichtbar wie kennzeichnend.
Vor fast 70 Jahren stellte Präsident David O. McKay, damals noch Ratgeber in der Ersten Präsidentschaft, bei einer Versammlung der Generalkonferenz die folgende Frage: „Wenn man [Sie] jetzt auffordern würde, in einem Satz zu erklären, … was die Kirche Jesu Christi der Heiligen der Letzten Tage am meisten von den anderen unterscheidet – was würden Sie da sagen?
… Meine Antwort“, erklärte er, „wäre: … Vollmacht von Gott durch direkte Offenbarung.“1
Bei dieser Vollmacht von Gott handelt es sich natürlich um das heilige Priestertum.
Auch Präsident Gordon B. Hinckley hat davon Zeugnis gegeben: „[Das Priestertum] ist die Übertragung göttlicher Vollmacht, und es ist anders als alle anderen Mächte und Vollmachten auf der Erde. … Es ist die einzige Macht auf Erden, die über den Tod hinausreicht. … Ohne das Priestertum könnte es die Kirche nur dem Namen nach geben, denn es wäre keine Vollmacht vorhanden, das zu tun, was zum Reich Gottes gehört.“2
Und erst vor vier Wochen sagte Präsident James E. Faust den BYU-Studenten bei einer Andacht: „[Das Priestertum] erweckt alles, was die Kirche tut, zum Leben und leitet es. Ohne die Schlüssel und die Vollmacht des Priestertums gäbe es die Kirche gar nicht.“3
Ich habe mit diesen drei kurzen Zitaten angefangen (und man könnte unzählige hinzufügen), weil ich mit Nachdruck auf eines hinweisen möchte: Das Priestertum Gottes mit seinen Schlüsseln, heiligen Handlungen, seinem göttlichen Ursprung und der Fähigkeit, etwas auf Erden zu binden, was dann auch im Himmel Bestand hat, ist für die wahre Kirche Gottes ebenso unverzichtbar wie auch kennzeichnend. Ohne das Priestertum gäbe es die Kirche Jesu Christi der Heiligen der Letzten Tage nicht.
In diesem Gedenkjahr, in dem wir die 200. Wiederkehr des Geburtstags des Propheten Joseph Smith feiern, und 175 Jahre nach der Gründung der Kirche, möchte auch ich Zeugnis geben von der Wiederherstellung dieses heiligen Priestertums, diesem heiligen Recht, dieser königlichen Gabe, und von der Rolle, die es in unserem Leben auf beiden Seiten des Schleiers spielt – und dafür auch meine tiefe Dankbarkeit bekunden.
Welch entscheidende Funktion das Priestertum bei der Verknüpfung von Zeit und Ewigkeit hat, verdeutlichte der Erretter, als er während seines irdischen Wirkens seine Kirche gründete. Zu Petrus, dem leitenden Apostel, sagte er: „Ich werde dir die Schlüssel des Himmelreichs geben; was du auf Erden binden wirst, das wird auch im Himmel gebunden sein, und was du auf Erden lösen wirst, das wird auch im Himmel gelöst sein.“4 Sechs Tage später nahm er Petrus, Jakobus und Johannes mit auf einen Berg, wo er vor ihren Augen in Herrlichkeit verklärt wurde. Dann erschienen Propheten aus früheren Evangeliumszeiten in Herrlichkeit, darunter auf jeden Fall Mose und Elija,5 und übertrugen die Schlüssel und Mächte, die sie innehatten.
Leider wurden diese Apostel bald darauf getötet oder auf andere Weise von der Erde genommen und damit auch ihre Priestertumsschlüssel, was dazu führte, dass über 1400 Jahre lang das Priestertum und die Vollmacht Gottes unter den Menschenkindern nicht vorhanden waren. Doch zu dem Wunder aus unseren Tagen und der wundersamen Geschichte, derer wir heute Abend gedenken, gehören auch die Rückkehr ebendieser himmlischen Boten in unserer Zeit und die Wiederherstellung ebendieser Macht, die sie zum Segen aller Menschen innehatten.
Im Mai 1829 stieß Joseph Smith bei der Übersetzung des Buches Mormon auf eine Stelle, in der es um die Taufe ging. Er sprach darüber mit seinem Schreiber, Oliver Cowdery, und die beiden wandten sich diesbezüglich im Gebet an den Herrn. Cowdery schreibt: „Wir beteten mit aller Macht, weil wir wissen wollten, wie wir die Segnungen der Taufe und den Heiligen Geist empfangen konnten. … Eifrig trachteten wir nach … der Macht des heiligen Priestertums und der Vollmacht, es auszuüben.“6
Als Antwort auf dieses inständige Gebet erschien Johannes der Täufer und stellte die Schlüssel und Mächte des Aaronischen Priestertums wieder her, welches die jungen Männer unter uns empfangen haben. Ein paar Wochen später erschienen Petrus, Jakobus und Johannes, um die Schlüssel und Mächte des Melchisedekischen Priestertums wiederherzustellen – auch die für das Apostelamt. Als dann ein Tempel errichtet worden war, zu dem weitere Himmelsboten kommen konnten, wiederholte sich am 3. April 1836 in etwa das, was damals auf dem Berg der Verklärung geschehen war. Einen Teil davon hat Präsident Hinckley einmal als die „Offenbarungskaskade von Kirtland“ bezeichnet: Der Erretter selbst sowie Mose, Elija und Elias erschienen in Herrlichkeit dem Propheten Joseph Smith und Oliver Cowdery und übertrugen ihnen die Schlüssel und Mächte aus ihrer jeweiligen Evangeliumszeit. Am Ende dieses Zusammentreffens ertönte das Donnerwort: „Darum sind die Schlüssel dieser Evangeliumszeit in eure Hände übergeben.“7
Kein Wunder, dass der Prophet Joseph Smith in unsere kurzen und aussagekräftigen Glaubensartikel Folgendes mit aufgenommen hat: „Wir glauben, dass man durch Prophezeiung und das Händeauflegen derer, die Vollmacht dazu haben, von Gott berufen werden muss, um das Evangelium zu predigen und seine heiligen Handlungen zu vollziehen.“8 Mit Vollmacht von Gott handeln erfordert gewiss mehr als ein Abkommen zwischen Menschen. Diese Vollmacht kann nicht im Zuge einer theologischen Ausbildung erworben oder durch Zustimmung einer Gemeinde übertragen werden. Nein, im bevollmächtigten Werk Gottes muss es eine Macht geben, die größer ist als die der Gemeindemitglieder und der Menschen auf der Straße und in den Priesterseminaren – diese Tatsache war vielen aufrichtig Gott Suchenden bekannt und wurde schon vor der Wiederherstellung über Generationen hinweg offen zugegeben.
Es stimmt schon, dass einige damals kein Verlangen danach hatten, dass ihre Geistlichen eine besondere göttliche Vollmacht für sich beanspruchten, die meisten Menschen aber sehnten sich nach einem von Gott bestätigten Priestertum und fragten sich verzweifelt, wo es zu finden sei.9 In diesem Sinne muss die Wiederherstellung der Priestertumsvollmacht durch Joseph Smith für jene, welche genau das empfanden, was der bekannte Geistliche Charles Wesley auszusprechen wagte, eine Befreiung von einer jahrhundertealten Bürde gewesen sein. Charles Wesley löste sich in religiöser Hinsicht von seinem berühmteren Bruder John, als dieser beschlossen hatte, andere zu ordinieren, ohne jedoch Vollmacht dazu zu haben. Mit einem Augenzwinkern schrieb er:
Wie leicht ist doch ein Bischof gemacht,
durch eine Laune von Mann oder Frau.
Wesley legte Coke die Hände auf,
doch tat man das bei ihm auch?10
In Erwiderung dieser provokativen Frage können wir in der wiederhergestellten Kirche Jesu Christi auf die Linie der Priestertumsvollmacht verweisen, wie sie der jüngste Diakon der Gemeinde, der Bischof, der ihn anleitet, und der Prophet, der uns alle führt, ausübt. Diese Linie lässt sich in ununterbrochener Folge auf dienende Engel zurückführen, die vom Sohn Gottes selbst gekommen waren und denen diese unvergleichliche Himmelsgabe mitgegeben war.
Und wie sehr brauchen wir doch die Segnungen des Priestertums – als Kirche, als Einzelne und als Familien in der Kirche! Nur ein Beispiel.
Ich habe bereits die Zeit in Kirtland angesprochen. Die Jahre 1836/37 waren die schwierigsten, die die junge Kirche bis dahin erlebt hatte – finanziell, politisch und intern. Mitten in diesen Schwierigkeiten empfing Joseph Smith die bemerkenswerte prophetische Eingebung, er solle einige seiner fähigsten Männer (letztlich das gesamte Kollegium der Zwölf Apostel) ins Ausland auf Mission schicken. Es war eine kühne, inspirierte Entscheidung, die die Kirche letzten Endes vor den Gefahren der damaligen Zeit bewahrte, aber in dem Moment war es eine große Belastung für die Heiligen – schmerzhaft für die, die fortgingen, und vielleicht noch schlimmer für diejenigen, die zurückblieben.
Ich zitiere Elder Robert B. Thompson:
„Der Tag war gekommen, an dem die Ältesten sich auf den Weg nach England machen sollten, und ich [hielt] am Haus von Bruder [Heber C.] Kimball [an], um zu fragen, wann er [sich auf den Weg machen] wolle, da ich vorhatte, ihn zwei- oder dreihundert Meilen zu begleiten. Ich hatte nämlich die Absicht, die nächste Zeit in Kanada zu arbeiten.
Die Tür war nur angelehnt. Ich trat ein und war erstaunt über das Bild, das sich mir bot. Ich wollte mich zurückziehen, weil ich mich wie ein Eindringling fühlte, aber meine Füße waren wie festgewachsen. Der Vater schüttete vor … Gott seine Seele aus und flehte ihn an, … er, der sich um die Spatzen sorgt und die Raben ernährt, möge während seiner Abwesenheit seiner Frau und den Kindern alles zukommen lassen, was sie benötigten. Dann legte er, wie die Patriarchen und kraft seines Amtes, einem jeden die Hände auf und gab ihm einen väterlichen Segen … und überantwortete ihn der Obhut und dem Schutz Gottes, während er in einem fremden Land das Evangelium verkünden werde. Als er im Begriff war, [diese Segen zu geben,] ging seine Stimme in dem Schluchzen der anderen, die [in ihrer jugendlichen Art versuchten, stark zu sein, obwohl es ihnen sehr schwer fiel], fast unter. … Er machte weiter, aber er war zu gerührt, als dass er wie gewohnt hätte fortfahren können. … Ab und an musste er innehalten, und … dicke Tränen liefen ihm über die Wangen, die verrieten, welche Gefühle ihn im Innersten bewegten. Ich war nicht stark genug, mich zurückzuhalten“, berichtet Bruder Thompson. „Auch ich musste weinen, und meine Tränen mischten sich mit den ihren. Gleichzeitig war ich aber auch dankbar, dass es mir vergönnt war, diesen Augenblick mitzuerleben.“11
Diese Szene hat sich auf die eine oder andere Weise tausend-, hunderttausendfach in der Kirche Jesu Christi der Heiligen der Letzten Tage wiederholt – bei Angst, in Not, bei einer Berufung, einer Gefahr, einer Krankheit, einem Unfall oder einem Todesfall. Ich habe solche Situationen erlebt. Ich habe die Macht Gottes bei mir zu Hause und in meinem Wirken erkannt. Ich habe erlebt, wie das Böse vertrieben und Elemente unter Kontrolle gebracht wurden. Ich weiß, was es heißt, einen Berg von Schwierigkeiten zu versetzen und ein unheilvolles Rotes Meer zu teilen. Ich weiß, was es heißt, wenn der zerstörende Engel an einem vorübergeht.12 Dass ich die Vollmacht des Heiligen Priestertums nach der Ordnung des Sohnes Gottes13 erhalten und diese Macht ausgeübt habe, ist für mich und meine Familie ein immenser Segen, den ich mir für die ganze Welt wünsche. Und genau das soll das Priestertum in unserem Leben bedeuten – es kann auf unvergleichliche, unendliche und dauerhafte Weise zum Segen gereichen.
Voller Dankbarkeit für solche Segnungen stimme ich mit Ihnen in den Chor der Lebenden und Verstorbenen ein, die in diesem Gedenkjahr singen: „Preiset den Mann, der einst sprach mit Jehova“14 – und der auch mit Adam, Gabriel, Mose und Moroni, Elija, Elias, Petrus, Jakobus und Johannes, Johannes dem Täufer und unzähligen anderen sprach.15 Er war wahrhaftig ein Prophet, „von Christus ernannt“.16 Mögen wir – Jung und Alt, Jungen und Männer, Väter und Söhne – das Priestertum schätzen, das durch ihn wiederhergestellt wurde, die Schlüssel und heiligen Handlungen des Priestertums, durch die allein die Macht des Göttlichen kundgetan wird und ohne die diese Macht nicht kundgetan werden kann.17 Ich gebe Zeugnis von der Wiederherstellung des Priestertums und dem unverzichtbaren unterscheidenden Merkmal der wahren Kirche Gottes, das es schon immer gegeben hat. Im Namen dessen, dessen Priestertum dies ist, ja, des Herrn Jesus Christus. Amen.