2005
Vergebt!
Oktober 2005


Kommt, hört, was der Prophet uns sagt

Vergebt!

Der französische Schriftsteller Guy de Maupassant erzählt die Geschichte eines Bauern namens Hauchecorne. Als der über den Dorfplatz ging, fiel sein Blick auf ein Stück Schnur auf dem Kopfsteinpflaster. Er hob es auf und steckte es in die Tasche.

Später am selben Tag wurde der Verlust einer Geldbörse gemeldet. Hauchecorne wurde festgenommen und vor den Bürgermeister geführt. Er beteuerte seine Unschuld und zeigte das Stück Schnur, das er aufgehoben hatte. Aber niemand glaubte ihm, und er wurde ausgelacht.

Am nächsten Tag fand sich die Geldbörse wieder, und Hauchecome wurde von jeder Schuld freigesprochen. Er war jedoch erbost wegen der falschen Anschuldigung, wurde verbittert und wollte die Angelegenheit nicht auf sich beruhen lassen. Er wollte weder vergeben noch vergessen, dachte kaum an etwas anderes und sprach von nichts anderem. Mit wem er auch redete – er konnte nur von dem Unrecht erzählen, das ihm widerfahren war. Besessen von seinem Groll wurde er schließlich todkrank und starb. Selbst im Todeskampf murmelte er immer wieder vor sich hin: „Ein Stück Schnur, ein Stück Schnur.“ (Siehe „The Piece of String“, The Works of Guy de Maupassant, undatiert, Seite 34ff.)

Diese Geschichte ließe sich in unserer Zeit beliebig oft wiederholen – mit anderen Personen und unter veränderten Umständen. Wie schwer fällt es uns doch, jemandem zu vergeben, der uns gekränkt hat!

Brüder und Schwestern, lassen Sie uns doch die Wunden verbinden, die durch Rachepläne denen gegenüber entstanden sind, die uns Unrecht getan haben. Uns allen ist ein wenig der Wunsch nach Rache zu Eigen. Glücklicherweise steht es in unserer Macht, darüber hinauszuwachsen. Ich bitte Sie inständig: Flehen Sie den Herrn um die Kraft an, vergeben zu können. Es mag nicht leicht sein, und es mag lange dauern. Doch wenn wir uns darum bemühen, werden wir Frieden im Herzen finden. Dies ist dann der angenehme Friede Christi, der ja gesagt hat: „Selig, die Frieden stiften; denn sie werden Söhne Gottes genannt werden.“ (Matthäus 5:9.)

Aus „Von euch wird verlangt, dass ihr allen Menschen vergebt“, Der Stern, November 1991, Seite 2ff.