2006
Wir müssen Gott näherkommen
November 2006


Wir müssen Gott näherkommen

Das Priestertum bringt durch das Wirken des Geistes den Einzelnen durch Ordinierung, heilige Handlungen und indem es sein Wesen läutert, Gott näher.

Vor Jahren zog unsere junge Familie in ein Haus im Neubaugebiet am Rande unseres Wohnorts, von wo aus man einen freien Blick auf die Berge im Osten hatte. An einem Montagmorgen – ich hatte mich gerade fertig angezogen und wollte zur Tür hinaus zur Arbeit eilen – kam unser sechsjähriger Sohn Craig mit seinem vierjährigen Bruder Andrew an der Hand ins Zimmer. Craig blickte entschlossen zu mir auf und sagte: „Papa, gestern in der Primarvereinigung hat uns unsere Lehrerin erzählt, dass man, wenn man das Priestertum trägt, Berge versetzen kann. Ich hab das Andy erzählt, und er glaubt mir nicht. Du trägst doch das Priestertum, oder, Papa?“ Klein, wie er war, drehte er sich um, zeigte aus dem Fenster, blickte sich zu mir um und sagte: „Siehst du diese Berge dort drüben? Zeig es ihm, Papa!“

Was dann folgte, war sehr schön. Wie dankbar war ich doch für kleine Söhne, die gerade ein lebenslanges Lernen über das Priestertum begannen.

Obgleich der Herr denjenigen, denen er das Priestertum übertragen hatte, tatsächlich gesagt hat, dass sich durch Glaube Berge bewegen lassen1 und auch Beispiele dafür verzeichnet sind2, hoffe ich dazu beitragen zu können, dass der Aspekt der Lehre vom Priestertum besser verstanden wird, der Menschen bewegt, Gott näher zu kommen, und ihnen die Möglichkeit gibt, so zu werden wie er und in Ewigkeit in seiner Gegenwart zu leben. Diese Lehre betrifft sowohl die Söhne als auch die Töchter Gottes. Dementsprechend bete ich darum, dass das, was ich sagen möchte, für beide Geschlechter von Nutzen sein wird.

1823 erschien der Engel Moroni dem Propheten Joseph Smith und zitierte mehrere Schriftstellen, darunter auch die folgende aus Maleachi: „Siehe, ich werde euch das Priestertum durch die Hand des Propheten Elija offenbaren.“3 Diese erste aufgezeichnete Äußerung in dieser Evangeliumszeit über das Priestertum deutete auf das hin, was sich in den kommenden Jahrzehnten Schritt für Schritt ereignen sollte.

1829 stellte Johannes der Täufer das Aaronische Priestertum wieder her4, kurz darauf folgten ihm Petrus, Jakobus und Johannes und stellten das Melchisedekische Priestertum wieder her.5

1836 stellten Mose und Elias die Schlüssel zur Sammlung Israels und die der Evangeliumszeit Abrahams wieder her,6 ihnen folgte Elija, der die Schlüssel der Siegelung wiederherstellte. Die Offenbarung schließt dann mit den Worten Elijas an den Propheten Joseph Smith: „Darum sind die Schlüssel dieser Evangeliumszeit in eure Hände übergeben.“7

Nun, da sich die ganze Vollmacht sowie alle Ämter und Schlüssel des Priestertums wieder auf der Erde befanden, betonte der Herr im Jahre 1841 gegenüber dem Propheten, wie wichtig es sei, Tempel zu bauen, in denen der Herr seinen Kindern Priestertumsverordnungen zugänglich machen könne, durch die seine Söhne und Töchter vorbereitet werden würden, in seine Gegenwart zurückzukehren.8

Er erklärte: „Lasst dieses Haus … gebaut werden, damit ich darin meinem Volk meine Verordnungen offenbaren kann,

denn es beliebt mir, … zu offenbaren, … was die Evangeliumszeit der Fülle der Zeiten betrifft.“9

Bereits in Kirtland hatte der Herr den Propheten Joseph Smith über den Eid und Bund des Priestertums belehrt und die Bedingungen erläutert, durch die verheißene Segnungen verwirklicht werden.10 In Nauvoo wuchs das Verständnis, was die ewige Tragweite und Macht des Priestertums betraf11, durch das alle glaubenstreuen Kinder Gottes gesegnet werden, sei es in diesem oder im nächsten Leben.12 Das Priestertum wird zwar den würdigen Söhnen Gottes gegeben, seine Töchter sind jedoch auch ein Teil seines Volkes, dem er seine Priestertumsverordnungen offenbart. Und die Verheißung, mit allem gesegnet zu werden, „was [der] Vater hat“13, gilt gleichermaßen für Männer und Frauen, die Glauben an Jesus Christus ausüben, die heilige Handlungen empfangen und im Glauben bis ans Ende ausharren. „Darum wird in [den] Verordnungen [des Melchisedekischen Priestertums] die Macht des Göttlichen kundgetan.“14

Die krönende Verordnung des Tempels können Mann und Frau nur gemeinsam verwirklichen, und zwar wenn sie aneinander gesiegelt werden und eine ewige Familie bilden. Kraft dieser und aller anderen Priestertumsverordnungen werden die Familien der Erde gesegnet sein.15 Die Siegelung ist so grundlegend für die Absichten des Herrn, dass er den Glaubenstreuen, die ohne eigenes Verschulden in diesem Leben nicht gesiegelt werden, diese Segnung im künftigen Leben versprochen hat.16 Keine andere religiöse Lehre unterstreicht besser, dass Gott seine Söhne und seine Töchter gleichermaßen liebt.

Das Priestertum hat auch die Macht, unser Wesen zu verändern. Paulus schrieb: „All jene, die zu diesem Priestertum ordiniert sind, die werden dem Sohn Gottes gleichgemacht.“17 Diese Angleichung wird nicht allein durch die Ordinierung und durch heilige Handlungen bewirkt, sondern auch durch die Vervollkommnung des Herzens, etwas, was „im Laufe der Zeit“18 erfolgt, wenn wir „den Einflüsterungen des Heiligen Geistes [nachgeben] und den natürlichen Menschen [ablegen]“19. Wenn ein Mann zum Melchisedekischen Priestertum ordiniert wird, tritt er in eine „Ordnung“20 ein, in der er durch den Dienst an anderen, insbesondere an seiner eigenen Familie, geläutert und damit gesegnet werden kann, dass der Heilige Geist ihn beständig begleitet.21

Der Herr sprach uns alle an, als er lehrte, dass sich die Macht und der Einfluss des Himmels von einem Priestertumsträger zurückziehen, wenn dieser Unrecht begeht, diese Macht und dieser Einfluss aber größer werden, wenn der Betreffende rechtschaffen ist. Er nannte Eigenschaften, „wodurch sich die Seele sehr erweitert“, wie „überzeugende[] Rede, … Langmut, … Milde und Sanftmut, … ungeheuchelte[] Liebe, … Wohlwollen und [reine] Erkenntnis“22. Dann fügte er diese lehrreichen Worte hinzu: „Lass dein Inneres auch erfüllt sein von Nächstenliebe zu allen Menschen und zum Haushalt des Glaubens und lass Tugend immerfort deine Gedanken zieren; dann wird dein Vertrauen in der Gegenwart Gottes stark werden und die Lehre des Priestertums wird auf deine Seele fallen wie der Tau vom Himmel.“23

Es ist bezeichnend, dass der Herr nach der Aufforderung, „allen Menschen“ Nächstenliebe entgegenzubringen, die Worte „und zum Haushalt des Glaubens“ hinzufügte. Warum? Schließt die Aussage „allen Menschen“ nicht den „Haushalt des Glaubens“ mit ein? Überlegen Sie, welche Auswirkungen es hat, wenn dieser Zusatz insbesondere als „unser eigener Haushalt des Glaubens“ verstanden wird. Leider gibt es in der Kirche einige wenige, die Menschen außerhalb ihrer Familie mehr Nächstenliebe erweisen als ihrem Ehepartner, ihren Kindern, Geschwistern oder Eltern. Sie täuschen in der Öffentlichkeit vielleicht Freundlichkeit vor, während sie privat die Saat des Streites säen und nähren, und diejenigen erniedrigen, die ihnen am nächsten stehen sollten. So etwas darf nicht sein.

Der Herr sprach dann von Gedanken, die immerfort von Tugend geziert – geschmückt und geschützt – werden. Derartige Gedanken verabscheuen die Sünde.24 Sie machen möglich, dass unser „Ja“ ohne jede Tücke ein „Ja“ ist und unser „Nein“ ein „Nein“.25 Sie sehen das Gute und das Potenzial in anderen, ohne sich von deren unvermeidlichen Unvollkommenheiten davon abschrecken zu lassen.

Der Vers endet mit einem schönen, lehrreichen Hinweis auf einen Destillierungsvorgang. Um zu verdeutlichen, wie wir diese Grundsätze anwenden können, um uns zu läutern, stellen Sie sich zwei äußerlich identische Gläser mit Wasser vor, die in einen Raum mit hoher Luftfeuchtigkeit gestellt werden. Nach einer Weile läuft das eine Glas an, weil das Wasser darin eine andere Temperatur angenommen hat. Es ist zuvor entsprechend vorbereitet worden, was man anfänglich nicht sehen konnte. Das andere Glas hingegen bleibt trocken und unverändert. Ohne Nötigung kann die Feuchtigkeit auf das eine Glas „zufließen“26, während das andere nichts abbekommt. In gleicher Weise passen Eigenschaften, die unsere Seele sehr erweitern, Nächstenliebe gegenüber anderen – insbesondere unserer Familie –, und Gedanken, die von Tugend geziert werden, unsere geistige Temperatur so an, dass die Lehre des Priestertums auf unsere Seele träufeln kann.

So bringt das Priestertum also durch das Wirken des Geistes den Einzelnen durch Ordinierung, heilige Handlungen und indem es sein Wesen läutert, Gott näher und gibt Gottes Kindern somit die Möglichkeit, so zu werden wie er und in Ewigkeit in seiner Gegenwart zu leben. Dieses Werk ist herrlicher, als Berge zu versetzen!27

Ich schließe mit den flehentlichen Worten von Thomas Kelly, die von Parley P. Pratt bearbeitet wurden und die auch mein Gebet sind:

Wie der Tau, vom Himmel träufelnd,

auf dem Gras sucht sanfte Rast,

es belebt und so erfüllet,

was du vorgesehen hast;

so lass, Herr, auch deine Lehre

auf uns Menschen kommen nun,

dass sie uns dazu bewege,

deiner Liebe Werk zu tun.28

Im Namen Jesu Christi. Amen.

Anmerkungen

  1. Siehe Matthäus 17:20

  2. Ether 12:30; Mose 7:13; siehe auch Jakob 4:6; Helaman 10:9

  3. Joseph Smith – Lebensgeschichte 1:38

  4. Siehe LuB 13

  5. Siehe LuB 18:9; 27:12

  6. Siehe LuB 110:11,12

  7. LuB 110:13-16

  8. Die Unterweisungen, die der Prophet Joseph Smith im oberen Raum seines Ladens in Nauvoo gegeben hat, belegen, dass der Herr die Tempelverordnungen auf der Erde wiederhergestellt hat, noch ehe er sie seinem Volk im Nauvoo-Tempel offenbart und zugänglich gemacht hat. Letzteres setzt er heute in allen seinen Tempeln fort, und damit gehen persönliche Offenbarung und Inspiration einher. (Siehe History of the Church, 5:1f.)

  9. LuB 124:40,41; Hervorhebung hinzugefügt; siehe auch Vers 31,32,34,39

  10. Siehe LuB 84:33-42

  11. Siehe LuB 128:8,9

  12. Siehe LuB 137:7-9; siehe auch Verkündet mein Evangelium!, Seite 98f.

  13. LuB 84:38

  14. LuB 84:20

  15. Siehe Abraham 2:11

  16. „Die Propheten haben deutlich gesagt, dass keinem Sohn und keiner Tochter Gottes irgendeine Segnung vorenthalten wird, wenn sie ihn lieben, an ihn glauben, seine Gebote halten und treu bis ans Ende ausharren.“ (M. Russell Ballard, Counseling with Our Councils: Learning to Minister Together in the Church and in the Family, 1997, Seite 55.) „Alle, die sich für [die Siegelung im Tempel und für eine ewige Familie] würdig machen, werden sie zu der vom Herrn bestimmten Zeit hier oder im Jenseits erhalten.“ (Richard G. Scott, „Die Macht der Rechtschaffenheit“, Der Stern, Januar 1999, Seite 81.)

  17. Schriftenführer, Joseph-Smith-Übersetzung Hebräer 7:3; siehe auch Mose 1:6

  18. Mose 7:21

  19. Mosia 3:19

  20. Alma 13:2; LuB 107:3

  21. Siehe LuB 20:77,79; 121:46

  22. LuB 121:41,42

  23. LuB 121:45

  24. Siehe Alma 13:12

  25. Siehe Matthäus 5:37

  26. LuB 121:46

  27. Siehe Mose 1:39

  28. „Wie der Tau vom Himmel träufelnd“, Gesangbuch, Nr. 149