2008
Sogar ein Kind kann es verstehen
November 2008


Sogar ein Kind kann es verstehen

Gott hat dafür gesorgt, dass die Wahrheit über ihn allen seinen Kindern verständlich ist, welchen Bildungsstand oder welche intellektuelle Fähigkeiten sie auch haben.

Elder Gérald Caussé

Eltern sind oft von den Antworten verblüfft, die ihre Kinder auf die Fragen von Erwachsenen geben. Eines Abends, als meine Frau und ich nicht zu Hause waren, stellte die Babysitterin unserer Kinder, ganz fasziniert von dem Gebet, das diese gesprochen hatten, die Frage: „Aber wo liegt der Unterschied zwischen eurer Religion und meiner?“ Unsere achtjährige Tochter antwortete prompt: „Es ist fast das Gleiche, aber wir befassen uns viel mehr damit als ihr!“ Ohne die leiseste Absicht, ihre Babysitterin zu beleidigen, wollte meine kleine Tochter auf ihre Weise hervorheben, wie wichtig den Heiligen der Letzten Tage die Suche nach Erkenntnis ist.

Joseph Smith hat erklärt: „Es ist unmöglich, dass man in Unwissenheit errettet werden kann.“ (LuB 131:6.) Er erklärte weiter: „Der Grundsatz der Erkenntnis ist der Grundsatz der Errettung … Und wer nicht so viel Erkenntnis erlangt, dass er errettet werden kann, wird schuldig gesprochen werden.“ (Lehren der Präsidenten der Kirche: Joseph Smith, Seite 233). Diese Erkenntnis beruht darauf, dass man das Wesen Gottes und Jesu Christi sowie den Erlösungsplan versteht, den sie aufgestellt haben, damit wir in ihre Gegenwart zurückkehren können. „Das ist das ewige Leben: dich, den einzigen wahren Gott, zu erkennen und Jesus Christus, den du gesandt hast.“ (Johannes 17:3.)

Der Grundsatz der Erkenntnis ist von den Menschen oft falsch ausgelegt worden. „Die Herrlichkeit Gottes ist Intelligenz.“ (LuB 93:36.) Sie übersteigt alles, was wir mit unserer Verstandeskraft je erfassen können. Menschen, die versuchen, Gott zu finden, glauben manchmal, dass sie ihn in Vorstellungen suchen müssen, die intellektuell höchst anspruchsvoll sind.

Doch unser himmlischer Vater ist uns jederzeit zugänglich. Er passt sich unserem Verständnis an. „Wenn er zu einem kleinen Kind kommt, passt er sich der Sprache und Aufnahmefähigkeit des kleinen Kindes an.“ (Lehren des Propheten Joseph Smith, Seite 164.)

Gott wäre in der Tat ungerecht, wenn das Evangelium nur einer intellektuellen Elite zugänglich wäre. In seiner Güte hat er dafür gesorgt, dass die Wahrheit über ihn allen seinen Kindern verständlich ist, welchen Bildungsstand oder welche intellektuelle Fähigkeiten sie auch haben.

Wenn ein Grundsatz sogar von einem Kind verstanden werden kann, beweist dies in der Tat, welche Macht dieser Grundsatz in sich birgt. Präsident John Taylor hat gesagt: „Ein Mensch ist wahrhaft intelligent, wenn er ein Thema, das an sich geheimnisvoll und großartig ist, so darzulegen und so zu vereinfachen weiß, dass ein Kind es verstehen kann.“ („Discourse“, Deseret News, 30. September 1857, Seite 238.) Eine reine und einfache Ausdrucksweise ist keinesfalls weniger eindringlich, vielmehr ermöglicht sie dem Heiligen Geist, den Menschen Zeugnis zu geben und ihnen größere Gewissheit ins Herz zu pflanzen.

Während seines irdischen Wirkens setzte Jesus die Einfachheit und Glaubwürdigkeit seiner Lehren immer wieder der gewundenen Logik der Pharisäer und anderer Gesetzeslehrer entgegen. Sie versuchten immer wieder, ihn mit ausgeklügelten Fragen zu prüfen, doch seine Antworten waren immer glasklar und so einfach wie die eines Kindes.

Eines Tages stellten die Jünger Jesu ihm folgende Frage: „Wer ist im Himmelreich der Größte?“

Jesus rief ein Kind herbei, stellte es in ihre Mitte und sagte: „Amen, das sage ich euch: Wenn ihr nicht umkehrt und wie die Kinder werdet, könnt ihr nicht in das Himmelreich kommen.

Wer so klein sein kann wie dieses Kind, der ist im Himmelreich der Größte.“ (Matthäus 18:1,2-4.)

Ein andermal sagte Jesus: „Ich preise dich, Vater, Herr des Himmels und der Erde, weil du all das den Weisen und Klugen verborgen, den Unmündigen aber offenbart hast.“ (Lukas 10:21.)

Die Bibel ist wahrscheinlich häufiger ausgelegt und philosophisch diskutiert worden als jedes andere Buch. Trotzdem hat ein Kind, das dieses Buch zum ersten Mal liest, mindestens dieselbe, wenn nicht sogar eine größere Chance, die Lehre zu verstehen als die Mehrheit jener Schriftgelehrten. Die Lehren des Erretters sind jedermann angepasst. Ein achtjähriges Kind kann genügend verstehen, um ins Wasser der Taufe zu steigen und ganz bewusst einen Bund mit Gott zu schließen.

Was würde ein Kind verstehen, nachdem es den Bericht über die Taufe Jesu gelesen hat? Jesus ließ sich im Jordan von Johannes dem Täufer taufen. „Und der Heilige Geist kam sichtbar in Gestalt einer Taube auf ihn herab.“ Eine Stimme sprach: „Du bist mein geliebter Sohn, an dir habe ich Gefallen gefunden.“ (Lukas 3:22.) Das Kind würde eine klare Vorstellung haben, was die Gottheit ist – drei getrennte Personen, die miteinander völlig einig sind: Gottvater, sein Sohn Jesus Christus und der Heilige Geist.

Die Ursache für den Abfall vom Glauben – sowohl Einzelner als auch von Gruppen – lag häufig darin, dass der Grundsatz der Einfachheit und Klarheit verworfen wurde. Im Buch Mormon brandmarkt der Prophet Jakob diejenigen aus alter Zeit, die „die Worte der Klarheit verachtet und die Propheten umgebracht und nach Dingen getrachtet [haben], die sie nicht haben verstehen können. Darum müssen sie wegen ihrer Blindheit, und diese Blindheit kam, weil sie über das Ziel hinausgeschaut haben, notwendigerweise fallen; denn Gott hat seine Klarheit von ihnen weggenommen und ihnen, weil sie es gewünscht haben, viele Dinge gegeben, die sie nicht verstehen können.“ (Jakob 4:14.)

Manchmal sind wir vielleicht versucht, zu denken, es sei zu einfach – so wie Naaman, der syrische Feldherr, der aufgrund seines Stolzes zögerte, Elischas Rat zu folgen, weil dieser in seinen Augen zu einfach war, um ihn vom Aussatz zu befreien. Seine Diener halfen ihm, seine Torheit zu erkennen:

„Wenn der Prophet etwas Schweres von dir verlangt hätte, würdest du es tun; wie viel mehr jetzt, da er zu dir nur gesagt hat: Wasch dich und du wirst rein.

So ging er also zum Jordan hinab und tauchte siebenmal unter, wie ihm der Gottesmann befohlen hatte. Da wurde sein Leib gesund wie der Leib eines Kindes und er war rein.“ (2 Könige 5:13,14.)

Seine Reinigung war nicht nur körperlicher Natur: Sein geistiger Leib wurde ebenfalls gereinigt, als er diese großartige Lektion über Demut annahm.

Kleine Kinder haben eine wunderbare Lernbereitschaft. Sie haben vollkommenes Vertrauen in ihre Lehrer, einen reinen Geist und große Demut – mit anderen Worten, genau die Eigenschaften, die dem Heiligen Geist die Tür öffnen. Er ist der Kanal, durch den wir Erkenntnis von allem Geistigen erlangen. Paulus schrieb an die Korinther: „So erkennt auch keiner Gott – nur der Geist Gottes.“ (1 Korinther 2:11.)

Dem setzte er hinzu: „Der irdisch gesinnte Mensch aber lässt sich nicht auf das ein, was vom Geist Gottes kommt. Torheit ist es für ihn, und er kann es nicht verstehen, weil es nur mit Hilfe des Geistes beurteilt werden kann.“ (1 Korinther 2:14.)

Wir wissen, der fleischlich gesinnte oder natürliche Mensch „ist ein Feind Gottes …, wenn er nicht den Einflüsterungen des Heiligen Geistes nachgibt“. Dazu muss er „fügsam, sanftmütig, demütig, geduldig, voll von Liebe [werden] und willig, sich allem zu fügen, was der Herr für richtig hält, ihm aufzuerlegen, so wie ein Kind sich seinem Vater fügt“ (Mosia 3:19).

In seiner philosophischen Kurzgeschichte Der kleine Prinz beschreibt Antoine de Saint-Exupéry die Verwirrung eines kleinen Jungen, der ein Rosenfeld entdeckt und begreift, dass die Blume, die er hat und die er mit solcher Liebe gehegt hat, nicht einzigartig, sondern ganz gewöhnlich ist. Schließlich wird ihm klar, dass das, was seine Rose einzigartig macht, nicht ihre äußere Erscheinung ist, sondern die Zeit und die Liebe, die er ihr gewidmet hat, um für sie zu sorgen. Er ruft aus:

„Die Menschen … züchten fünftausend Rosen in ein und demselben Garten [–] und doch finden sie dort nicht, was sie suchen. …

Und dabei kann man das, was sie suchen, in einer einzigen Rose oder einem bisschen Wasser finden. …

Aber die Augen sind blind. Man muss mit dem Herzen suchen.“

In gleicher Weise hängt unsere Gotteserkenntnis nicht von der Menge der Informationen ab, die wir anhäufen. Immerhin kann alles, was wir für unsere Erlösung über das Evangelium wissen müssen, in einigen wenigen Punkten der Lehre, Grundsätzen und wesentlichen Geboten zusammengefasst werden, die wir bereits vor der Taufe in den Missionarslektionen hören. Ob wir Gott kennen, hängt davon ab, dass wir unser Herz öffnen, um geistige Erkenntnis und ein glühendes Zeugnis davon zu erlangen, dass diese wenigen grundlegenden Punkte der Lehre wahr sind. Gott zu kennen heißt, dass man ein Zeugnis davon hat, dass er da ist, und im Herzen spürt, dass er uns liebt. Es bedeutet, Jesus Christus als unseren Erlöser anzuerkennen und den glühenden Wunsch zu haben, seinem Beispiel zu folgen. Wenn wir Gott und unserem Nächsten dienen, legen wir Zeugnis von Christus ab und ermöglichen unseren Mitmenschen, ihn besser kennenzulernen.

Diese Grundsätze finden ihre praktische Anwendung im Unterricht in unseren Gemeinden und Zweigen. Für Sie, die Lehrer der Kirche, ist das Hauptziel Ihrer Lektion, dass sich Ihre Schüler im Herzen bekehren. Die Qualität des Unterrichts bemisst sich nicht nach der Menge neuer Informationen, die Sie Ihren Schülern geben. Sie ergibt sich aus Ihrer Fähigkeit, den Geist einzuladen und Ihre Schüler dazu zu bewegen, sich innerlich zu verpflichten, ihr Leben nach dem Gelernten auszurichten. Dadurch, dass sie ihren Glauben ausüben und das Gelernte in die Tat umsetzen, vertiefen sie ihre geistige Erkenntnis.

Ich bete darum, dass wir wissen, wie wir, einem Kind gleich, unser Herz öffnen und Freude daran haben, das Wort Gottes in der ganzen Macht seiner Einfachheit zu hören und zu tun. Ich gebe Zeugnis, dass wir dadurch „die Geheimnisse [Gottes] und das Friedfertige erkennen … – das, was Freude bringt, das, was ewiges Leben bringt“ (LuB 42:61). Im Namen Jesu Christi. Amen.