Hebt an, wo ihr steht
Jeder Priestertumsträger steht an ganz besonderer Stelle und hat einen wichtigen Auftrag, den nur er erfüllen kann.
Liebe Brüder, es ist mir eine Ehre, mit Ihnen an dieser weltweiten Priestertumsversammlung teilzunehmen. Gleich Ihnen bin ich dankbar, unseren geliebten Propheten, Präsident Thomas S. Monson, sowie Präsident Eyring bei uns zu haben. Brüder, wir danken Ihnen für Ihre Glaubenstreue und Ihre sittliche Kraft. Es ist wirklich ein Vorzug und eine Freude, Teil dieser großen Bruderschaft zu sein.
Hebt an, wo ihr steht
Vor einigen Jahren wurden ein paar Brüder gebeten, in unserem Gemeindehaus in Darmstadt einen Konzertflügel aus der Kapelle in die angrenzende Kulturhalle zu transportieren, wo er für einen Musikabend gebraucht wurde. Keiner war professioneller Möbelpacker, und die Aufgabe, diesen Inbegriff der Schwerkraft durch die Kapelle bis in die Kulturhalle zu schaffen, schien nahezu unlösbar. Jeder wusste, dass diese Aufgabe nicht nur körperliche Kraft, sondern auch sorgfältige Abstimmung erforderte. Es gab viele Vorschläge, doch mit keinem konnte der Flügel richtig gerade gehalten werden. Die Brüder wurden mehrmals nach Kraft, Größe und Alter umverteilt – nichts funktionierte.
Als sie um den Flügel herumstanden und nicht wussten, was sie noch versuchen sollten, ergriff mein guter Freund Hanno Luschin das Wort. Er sagte: „Brüder, stellt euch eng zusammen und hebt an, wo ihr steht.“
Es erschien zu einfach. Dennoch hob jeder da an, wo er gerade stand, und der Flügel erhob sich wie aus eigener Kraft vom Boden und wurde in die Kulturhalle befördert. Das war die Lösung dieser Aufgabe. Sie mussten sich nur eng zusammenstellen und da anheben, wo sie standen.
Ich habe über Bruder Luschins einfachen Vorschlag oft nachgedacht und bin von seiner tiefgründigen Wahrheit beeindruckt. Heute Abend möchte ich über diesen einfachen Grundsatz sprechen: „Anheben, wo man steht.“
Einige möchten führen, andere möchten sich verstecken
Es mag einfach klingen, aber anzuheben, wo man steht, ist ein Grundsatz, der ungeheuer viel bewirken kann. Die meisten Priestertumsträger, die ich kenne, verstehen diesen Grundsatz und leben danach. Eifrig krempeln sie ihre Ärmel hoch und machen sich an die Arbeit – was es auch sein mag. Treu erfüllen sie ihre Pflichten im Priestertum. Sie machen ihre Berufungen groß. Sie dienen dem Herrn, indem sie anderen dienen. Sie stehen eng zusammen und heben an, wo sie stehen.
Allerdings gibt es auch diejenigen, die manchmal etwas Mühe mit diesem Grundsatz haben. Und diese scheinen sich dann in zwei Lager zu teilen: Entweder wollen sie führen oder sie wollen sich verstecken. Sie wünschen sich entweder eine Krone oder aber eine Höhle.
Diejenigen, die führen wollen
Wer gerne führen möchte, hat vielleicht das Gefühl, er könne mehr leisten als das, was ihm gerade aufgetragen ist. Manch einer mag denken: „Wenn ich nur Bischof wäre, dann könnte ich wirklich etwas bewegen.“ Er glaubt, dass seine Fähigkeiten seine Berufung weit übersteigen. Vielleicht würde er sich sehr anstrengen, viel zu bewegen, wenn er in einer wichtigen Führungsposition wäre. Er fragt sich aber: „Welchen Einfluss kann ich als einfacher Heimlehrer oder als Ratgeber in der Kollegiumspräsidentschaft schon haben?“
Diejenigen, die sich verstecken wollen
Wer sich verstecken möchte, glaubt vielleicht, er sei zu beschäftigt, um in der Kirche zu dienen. Wenn das Gemeindehaus geputzt werden muss, wenn Familie Mendez Hilfe beim Umzug braucht, wenn der Bischof ihn beruft, eine Klasse zu unterrichten, scheint er immer eine Ausrede parat zu haben.
Vor 20 Jahren sprach Präsident Ezra Taft Benson über Berichte von Bischöfen und Pfahlpräsidenten, dass einige Mitglieder „Berufungen ablehnen und behaupten, sie seien ‚zu beschäftigt‘ oder sie ‚hätten keine Zeit‘. Andere nehmen die Berufungen an, weigern sich aber, diese Berufungen groß zu machen.“
Präsident Benson sagte weiter: „Der Herr erwartet, dass ein jeder von uns eine Berufung in seiner Kirche hat, damit andere durch unsere Talente und unseren Einfluss gesegnet werden können.“1
So seltsam es auch klingt, die Wurzel dieser beiden Neigungen – entweder führen oder aber sich verstecken wollen – ist oftmals dieselbe: Selbstsucht.
Ein besserer Weg
Es gibt einen besseren Weg, den der Erretter selbst uns lehrt: „Und wer bei euch der Erste sein will, soll euer Sklave sein.“2
Wenn wir danach streben, anderen zu dienen, bewegt uns nicht Selbstsucht, sondern Nächstenliebe. So hat Jesus Christus sein Leben gestaltet, und so muss ein Träger des Priestertums sein Leben gestalten. Der Erlöser machte sich nichts aus den Ehrungen der Menschen. Der Satan bot ihm alle Reiche und alle Herrlichkeit der Welt, doch Jesus wies das Angebot sofort und vollständig zurück.3 Im Laufe seines Lebens muss der Erretter sich oft müde und bedrängt gefühlt haben. Er hatte selten einen Augenblick für sich; dennoch nahm er sich immer Zeit für die Kranken, die Betrübten und diejenigen, die sonst nicht beachtet wurden.
Trotz dieses leuchtenden Beispiels verfangen wir uns allzu leicht und oft im Streben nach menschlichen Ehren, statt dem Herrn mit all unserer Macht, ganzem Sinn und aller Kraft zu dienen.
Brüder: Wird der Herr, wenn wir einmal vor ihm stehen, um gerichtet zu werden, auf die Ämter schauen, die wir in der Welt oder selbst in der Kirche innegehabt haben? Meinen Sie, dass andere Titel als „Ehemann“, „Vater“ oder „Priestertumsträger“ für ihn von großer Bedeutung sein werden? Meinen Sie, er will wissen, wie voll unser Terminkalender war oder an wie vielen wichtigen Sitzungen wir teilgenommen haben? Glauben Sie, dass es als Entschuldigung angenommen wird, wenn wir unsere Tage erfolgreich mit Terminen gefüllt, es aber nicht geschafft haben, Zeit mit Frau und Kindern zu verbringen?
Der Herr urteilt auf ganz andere Weise als wir. Er freut sich über den edlen Diener, nicht über den „Edlen“, der sich selbst dient.
Wer im Diesseits demütig ist, wird im Jenseits Kronen der Herrlichkeit tragen. Jesus selbst verkündete diese Lehre, als er die Geschichte von einem reichen Mann erzählte, der sich in Purpur und feines Leinen kleidete und jeden Tag üppig aß, während der Bettler Lazarus lediglich darauf hoffte, das zu essen, was vom Tisch des Reichen herunterfiel. Im nächsten Leben stand Lazarus in Herrlichkeit neben Abraham, während der reiche Mann in die Hölle geworfen wurde, wo er unter Qualen aufblickte.4
Das Beispiel von John Rowe Moyle
Vor 200 Jahren wurde John Rowe Moyle geboren. John hatte sich der Kirche angeschlossen und seine Heimat in England verlassen. Er war mit einer Handkarrenabteilung in das Salzseetal gezogen. In einem kleinen Ort, den nur ein Tal von Salt Lake City trennte, baute er seiner Familie ein Haus. John war ein erfahrener Steinmetz. Wegen seiner Fertigkeiten wurde er gebeten, am Salt-Lake- Tempel mitzuarbeiten.
Jeden Montag verließ John um zwei Uhr morgens seine Familie und ging sechs Stunden zu Fuß, um rechtzeitig bei der Arbeit zu sein. Am Freitag verließ er um 17:00 Uhr seine Arbeit und war dann fast bis Mitternacht unterwegs, ehe er zu Hause ankam. Das machte er Jahr für Jahr.
Als er eines Tages erledigte, was er zu Hause zu tun hatte, schlug eine Kuh nach ihm aus und traf sein Bein, das dadurch mehrfach gebrochen wurde. Die medizinischen Möglichkeiten waren begrenzt, und so konnte man das gebrochene Bein nur noch amputieren. So banden Johns Angehörige und seine Freunde ihn auf einer Tür fest und trennten mit einer Zimmermannssäge sein Bein ein paar Zentimeter unter dem Knie ab.
Trotz der laienhaften Operation heilte das Bein allmählich. Sobald John sich im Bett aufsetzen konnte, begann er, ein Holzbein zu schnitzen, mit einem raffinierten Gelenk, das als Knöchel für einen künstlichen Fuß diente. Es war äußerst schmerzhaft, mit dieser Prothese zu gehen, aber John gab nicht auf. Er steigerte seine Kondition, bis er jede Woche die 35 Kilometer bis zum Salt-Lake-Tempel gehen konnte, wo er seine Arbeit fortsetzte.
Mit seinen Händen meißelte er die Worte „Heilig dem Herrn“, die heute als goldene Inschrift jeder sieht, der den Salt-Lake-Tempel besucht.5
John tat das nicht, um von Menschen gelobt zu werden. Noch entzog er sich seiner Pflicht, obwohl er allen Grund dazu hatte. Er wusste, was der Herr von ihm erwartete.
Viele Jahre später wurde Johns Enkel, Henry D. Moyle, als Mitglied des Kollegiums der Zwölf Apostel berufen und gehörte schließlich auch der Ersten Präsidentschaft der Kirche an. Präsident Moyles Dienst in diesen Berufungen war ehrenhaft, aber der Dienst seines Großvaters John ist, obwohl nicht ganz so bekannt, dem Herrn gleichermaßen angenehm. Johns Charakter und seine Opferbereitschaft sind für seine Familie und die Kirche ein Banner der Glaubenstreue und des Pflichtgefühls. John Rowe Moyle verstand, was es heißt, anzuheben, wo man steht.
Das Beispiel von Helamans 2000 Kriegern
Persönliche Anerkennung ist selten ein Indiz dafür, wie wertvoll unsere Dienste sind. Wir kennen zum Beispiel keinen der Namen der 2000 Söhne Helamans. Für sich betrachtet sind sie namenlos. Doch als Gruppe wird man sich ihres Namens immer wegen ihrer Ehrlichkeit, ihres Mutes und ihrer Einsatzbereitschaft erinnern. Gemeinsam erreichten sie, was keiner von ihnen allein hätte erreichen können.
Brüder im Priestertum, daraus können wir viel lernen. Wenn wir eng zusammenstehen und dort anheben, wo wir stehen, wenn uns die Herrlichkeit des Reiches Gottes wichtiger ist als unser eigenes Ansehen oder unser Vergnügen, können wir weitaus mehr erreichen.
Jede Berufung ist eine Gelegenheit, zu dienen und zu wachsen
Keine Berufung ist unter unserer Würde. Jede Berufung ist eine Gelegenheit, zu dienen und zu wachsen. Der Herr hat die Kirche so eingerichtet, dass jedes Mitglied die Gelegenheit zum Dienen erhält, was wiederum zu persönlichem geistigen Wachstum führt. Welche Berufung Sie auch haben: Bitte betrachten Sie diese Berufung nicht nur als Gelegenheit, etwas für andere zu tun und sie zu stärken, sondern auch, so zu werden, wie der himmlische Vater Sie haben möchte.
Wenn ich zu einem Zionspfahl gefahren bin, um eine neue Pfahlpräsidentschaft zu berufen, war ich manchmal überrascht, wenn ein Bruder mir in einem Interview sagte, dass er das Gefühl gehabt habe, er werde der nächsten Pfahlpräsidentschaft angehören.
Als ich das zum ersten Mal hörte, war ich mir nicht sicher, wie ich reagieren sollte.
Es dauerte eine Weile, bevor der Heilige Geist mir Erkenntnis gab. Ich glaube, dass der Herr für jeden Mann eine bestimmte Berufung hat. Manchmal gewährt er uns geistige Eingebungen, die uns sagen, dass wir würdig sind, eine bestimmte Berufung zu erhalten. Das ist ein geistiger Segen, die liebevolle Barmherzigkeit Gottes.
Doch bisweilen hören wir nicht alles, was der Herr uns damit sagt. „Du bist zwar würdig für dieses Amt“, mag er sagen, „es ist jedoch nicht die Berufung, die ich für dich habe. Stattdessen möchte ich, dass du dort anhebst, wo du stehst.“ Gott weiß, was für uns am besten ist.
Eine Aufgabe, die nur Sie erfüllen können
Jeder Priestertumsträger steht an ganz besonderer Stelle und hat einen wichtigen Auftrag, den nur er erfüllen kann.
Wir alle haben Geschichten darüber gehört, wie Präsident Monson die Alten und die Kranken besucht und segnet, wie er sich stets ihrer Nöte annimmt und sie aufmuntert und ihnen Trost und Zuneigung schenkt. Präsident Monson hat eine ganz natürliche Art, die bei den Menschen bewirkt, dass sie sich selbst etwas mehr mögen. Wäre es nicht herrlich, wenn Präsident Monson jede Familie in der Kirche besuchen und betreuen könnte?
Gewiss doch! Aber natürlich kann er es nicht – und er soll es auch nicht. Der Herr hat ihm das nicht aufgetragen. Der Herr hat uns als Heimlehrer beauftragt, für die uns zugeteilten Familien da zu sein und sie zu betreuen. Der Herr hat nicht Präsident Monson aufgetragen, unseren Familienabend vorzubereiten und zu leiten. Er will, dass wir als Vater dies übernehmen.
Vielleicht haben Sie das Gefühl, dass andere fähiger oder erfahrener sind als Sie und Ihre Berufungen oder Aufträge besser erfüllen könnten als Sie, aber der Herr hat Ihnen diese Aufgaben aus einem bestimmten Grund gegeben. Vielleicht gibt es Menschen oder Herzen, die nur Sie erreichen und berühren können. Vielleicht kann niemand sonst das genau so wie Sie.
Unser himmlischer Vater möchte, dass wir ihn in dem edlen Werk vertreten, seinen Kindern die Hand zu reichen und sie zu segnen. Er verlangt von uns, mit der Macht des Priestertums in Herz und Seele standhaft zu sein und in der Berufung, die wir gerade haben, unser Bestes zu geben.
Brüder, so stark Sie auch sein mögen: Sie können und sollen den Flügel nicht allein hochheben. Desgleichen kann und soll niemand von uns das Werk des Herrn allein voranbringen. Doch wenn wir alle an dem Platz, den der Herr für uns bestimmt hat, eng zusammenstehen und dort anheben, wo wir stehen, kann niemand verhindern, dass es mit dem Werk Gottes aufwärts- und vorwärtsgeht.
Brüder, hören wir doch auf, entweder eine Position anzustreben oder aber uns zurückzuziehen!
Mögen wir immer an diese grundlegende Lektion denken: Wir sind Bannerträger des Herrn Jesus Christus, gestützt vom Heiligen Geist Gottes, gläubig und treu bis ans Ende. Wir alle weihen uns voll und ganz der Sache Zions und sind durch einen Bund verpflichtet, eng zusammenzustehen und dort anzuheben, wo wir stehen.
Darum bete ich. Ich bleibe Ihnen verbunden und segne Sie im Namen Jesu Christi. Amen.