Ein Geschenk von Herzen
Sie mochte es nicht, wenn wir sangen. Warum standen wir also am Weihnachtsabend vor ihrer Tür, um ihr ein Lied zu singen?
Nachdem mein Vater mit seiner Catering-Firma gescheitert war, befand sich meine Familie in großen finanziellen Schwierigkeiten. Ich weiß noch, wie meine Mutter nach Hause kam, Tränen in den Augen, und uns nicht sagen wollte, was los war, obwohl ich sie danach gefragt hatte. Schon bald mussten wir in eine kleine Einzimmerwohnung umziehen. Mehr konnten wir uns nicht leisten.
Bis dahin hatten wir zur Weihnachtszeit immer viel Essen zubereitet, neue Kleider gekauft, gefeiert, interessante Orte besucht und Geschenke gemacht und erhalten. Meine Mutter war eine begabte „Weihnachtsfrau“, wie wir sie nannten. Sie schenkte von Herzen gern, und jedes Jahr zu Weihnachten machte sie sich mit Begeisterung daran, ihre Mitmenschen mit einem Geschenk zu überraschen. Als wir älter wurden, bemühten wir uns ebenfalls, mehr an andere zu denken als an uns selbst.
Doch in diesem Jahr wussten wir nicht, was wir tun sollten. Mutter machte sich große Sorgen, weil wir Weihnachten zum ersten Mal nicht in unserem eigenen Haus feiern konnten. Sie war besorgt, weil sie nicht wusste, was sie anderen schenken konnte. Wir machten ihr jedoch Mut. Schließlich konnten wir, wenn auch nur auf ganz bescheidene Weise, doch dazu beitragen, den Geist der Weihnacht zu verbreiten.
Wir kamen jedoch kaum über die Runden. Zudem war es schwierig, in unserer neuen Nachbarschaft den Frieden zu bewahren. Unsere Vermieterin war keine Christin, und sie ärgerte sich, dass wir früh am Morgen aufstanden, um als Familie gemeinsam zu beten und zu singen. Unser Gesang weckte sie auf, weil sie im Zimmer nebenan wohnte. Sie beklagte sich oft, deshalb bemühten wir uns, ganz leise zu singen und sie nicht zu stören. Als sie feststellte, dass wir unser Familiengebet am Morgen nicht aufgeben wollten, beklagte sie sich immer seltener.
Mein Vater hatte eine Idee. Er meinte, wir sollten unserer Vermieterin als Weihnachtsgeschenk Weihnachtslieder singen. Alle waren von der Idee begeistert – nur ich nicht. Ich war absolut dagegen und erinnerte meine Familie daran, dass die Nachbarin sich immer über unsere Familiengebete beklagt hatte. Deshalb schlug ich vor, wir sollten für jemanden singen, der es zu schätzen wusste, und nicht für sie.
Mein Vater bestand aber darauf und erklärte, es sei eine Chance für uns, ihr zu zeigen, dass wir trotz unterschiedlicher Religion Freunde sein wollten. Mir blieb keine andere Wahl, als gemeinsam mit meiner Familie Weihnachtslieder für unsere Nachbarin auszusuchen und einzuüben.
Am Weihnachtsabend standen wir vor ihrer Tür und klopften an. Sie öffnete uns nicht. Ärger stieg in mir auf und ich wollte meinen Vater schon darauf hinweisen, dass es reine Zeitverschwendung sei. Aber als ich mich umwandte, sah ich, dass meine ganze Familie lächelte – alle freuten sich auf das, was wir vorhatten. Da wünschte ich mir, dieselbe Freude spüren zu können.
Schließlich öffnete unsere Vermieterin die Tür und wusste einen Augenblick lang nicht, was sie tun sollte. Mein Vater sagte ihr ganz ruhig, dass wir für sie singen wollten und dazu, wenn es ihr recht sei, in ihre Wohnung kommen wollten. Sie trat zur Seite, und wir gingen hinein. Wir sangen alle Weihnachtslieder, die uns einfielen – alle, die wir geübt hatten, und auch andere. Schon bald herrschte eine wunderschöne Stimmung in dem Zimmer. Wir wussten zwar, dass sie die Bedeutung des Textes wahrscheinlich nicht verstand, aber sie lächelte, als wir sangen. Sie sagte uns auch, dass sie sich einsam fühlte und sich nach ihrer eigenen Familie sehnte, wenn sie uns sah. Ehe wir gingen, wünschten wir ihr frohe Weihnachten und ein glückliches neues Jahr. Sie dankte uns, und wir gingen in unser Zimmer zurück.
An diesem Abend konnte ich nicht einschlafen. Ich dachte über das nach, was wir erlebt hatten. Mir wurde bewusst, dass man ein Weihnachtsgeschenk nicht unbedingt im Laden kaufen oder selbst herstellen muss; vielmehr geht es um unsere Einstellung und den Wunsch, zu tun, was wir können, um unsere Mitmenschen glücklich zu machen. Ich erkannte, dass man kein Geld braucht, um jemandem zu Weihnachten das schönste Geschenk machen zu können, nämlich Liebe zu schenken.
An diesem Abend wusste ich, dass meine Familie den Geist der Weihnacht gespürt hatte, als wir einer einsamen Nachbarin eine kleine Freude machten.