2012
Er liebt uns wirklich
Mai 2012


Er liebt uns wirklich

Dank dem vom Himmel vorgegebenen Muster für die Familie können wir besser verstehen, wie sehr unser Vater im Himmel jeden von uns gleichermaßen und auf vollkommene Weise liebt.

Elder Paul E. Koelliker

Ich bin gerne mit den Vollzeitmissionaren zusammen. Sie sind voller Glauben, Hoffnung und wahrer Nächstenliebe. Ihre Missionserlebnisse sind wie ein Leben in Miniaturversion, komprimiert auf 18 oder 24 Monate. Wenn sie ankommen, sind sie in geistiger Hinsicht wie kleine Kinder mit beträchtlichem Lernhunger. Doch sie gehen als reife Erwachsene, offenbar bereit, jede Schwierigkeit zu meistern, vor die sie gestellt werden. Ich schätze auch die eifrigen älteren Missionare, die so geduldig, weise, gelassen und zuversichtlich sind. Sie begegnen den energiegeladenen jungen Menschen in ihrem Umfeld mit Festigkeit und Liebe. Zusammen bilden die jungen Missionare und die älteren Ehepaare eine starke, beharrliche Streitmacht für das Gute, was sich tiefgreifend auf ihr eigenes Leben auswirkt und auf diejenigen, die sie mit ihrer Arbeit berühren.

Neulich hörte ich, wie zwei dieser großartigen jungen Missionare über ihre Erlebnisse und Bemühungen sprachen. Bei diesem Rückblick dachten sie über die Menschen nach, die sie an dem Tag angesprochen hatten und von denen einige aufgeschlossener gewesen waren als andere. Sie gingen die verschiedenen Situationen in Gedanken noch einmal durch und fragten sich: „Was können wir tun, damit sie alle den Wunsch entwickeln, mehr über den Vater im Himmel zu erfahren? Wie können wir ihnen dazu verhelfen, den Heiligen Geist zu spüren? Wie können wir sie wissen lassen, dass sie uns am Herzen liegen?“

Vor meinem geistigen Auge konnte ich diese beiden jungen Männer drei oder vier Jahre nach ihrer Mission sehen. Ich stellte mir vor, dass sie ihre Partnerin für die Ewigkeit gefunden hatten und eifrig im Ältestenkollegium mitarbeiteten oder eine Gruppe Junger Männer unterrichteten. Nun stellten sie sich, anstatt an diese Interessenten zu denken, dieselben Fragen im Hinblick auf die Mitglieder ihres Kollegiums oder die Jungen Männer, die ihrer Obhut anvertraut waren. Ich sah, wie sie ihre Missionserfahrungen ihr ganzes weiteres Leben lang als Vorlage dafür nahmen, wie man sich um andere kümmert. Wenn diese Armee rechtschaffener Jünger von ihrer Mission in vielen Ländern der Erde zurückkehrt, wird aus ihr ein Schlüsselfaktor für den weiteren Aufbau der Kirche.

Der Prophet Lehi aus dem Buch Mormon machte sich vielleicht über dieselben Fragen Gedanken wie diese Missionare, als er hörte, wie seine Söhne auf die Vision und die Anweisungen, die er erhalten hatte, reagierten: „Und so murrten Laman und Lemuel, die die ältesten waren, gegen ihren Vater. Und sie murrten, weil sie das Walten jenes Gottes nicht erkannten, der sie erschaffen hatte.“ (1 Nephi 2:12.)

Vielleicht waren wir alle schon einmal so enttäuscht wie Lehi über seine zwei ältesten Söhne. Wenn wir sehen, dass ein Kind vom Weg abkommt, dass jemand Interesse hat, aber sich nicht festlegen will, oder dass ein Ältestenanwärter unempfänglich ist, geht uns das so nahe wie einst Lehi, und wir fragen uns, was wir tun können, damit der Betreffende den Geist verspürt und auf ihn hört und sich nicht von weltlichen Ablenkungen einfangen lässt. Mir kommen da vorrangig zwei Schriftstellen in den Sinn, mit deren Hilfe wir unseren Weg durch diese Ablenkungen hindurch finden und spüren können, wie machtvoll Gottes Liebe ist.

Nephi erschließt uns durch seine Erlebnisse, wie wir das erfahren können: „Ich, Nephi, … hatte auch großes Verlangen, von den Geheimnissen Gottes zu wissen; darum rief ich den Herrn an; und siehe, er besuchte mich und erweichte mir das Herz, sodass ich alle die Worte glaubte, die mein Vater gesprochen hatte; darum lehnte ich mich nicht wie meine Brüder gegen ihn auf.“ (1 Nephi 2:16.)

Wenn unser Verlangen, zu wissen, geweckt ist, werden wir geistig befähigt, die Stimme des Herrn zu hören. Einen Weg zu finden, wie man dieses Verlangen weckt und nährt, ist das, wonach wir alle – Missionare, Eltern, Lehrer, Führungsbeamte und Mitglieder – streben und was unser aller Aufgabe ist. Wenn wir dann spüren, dass sich dieser Wunsch in unserem Herzen regt, sind wir bereit, aus der zweiten Schriftstelle, die ich zitieren möchte, eine Lehre zu ziehen.

Im Juni 1831, als die ersten Führer der Kirche ihre Berufungen erhielten, sagte der Herr zu Joseph Smith, dass der Satan im Land umhergehe und die Nationen täusche. Er sagte weiter, er werde uns zur Bekämpfung dieser Ablenkungsmanöver „in allem ein Muster geben“, damit wir nicht getäuscht werden (siehe LuB 52:14).

Ein Muster ist eine Vorlage oder Leitlinie, ein Schritt, den man wiederholt, oder ein Weg, den man beschreitet, um mit Gottes Absichten im Einklang zu bleiben. Wenn wir uns danach richten, bleiben wir demütig und wach und somit in der Lage, die Stimme des Heiligen Geistes von den Stimmen zu unterscheiden, die uns ablenken und in die Irre führen. Der Herr hat erklärt: „Wer unter meiner Macht erzittert, wird stark gemacht werden und wird Früchte des Lobes und der Weisheit hervorbringen, gemäß den Offenbarungen und Wahrheiten, die ich euch gegeben habe.“ (LuB 52:17.)

Es ist ein Segen, dass wir beten dürfen. Wenn wir dies demütig tun, mit wirklicher Herzensabsicht, kann der Heilige Geist unser Herz berühren und uns an das erinnern, was wir wussten, bevor wir dieses irdische Dasein antraten. Wenn wir den Plan des himmlischen Vaters für uns wirklich verstehen, betrachten wir es auch als unsere Aufgabe, dafür zu sorgen, dass andere von seinem Plan erfahren und ihn verstehen. Eng mit unserer Hilfe für andere verknüpft ist die Art und Weise, wie wir das Evangelium in unserem Leben umsetzen. Wenn wir wirklich nach dem Evangelium leben, und zwar nach dem Muster, das der Herr Jesus Christus lehrte, wächst unsere Fähigkeit, anderen beizustehen. Die folgende Begebenheit ist ein Beispiel dafür, wie dieser Grundsatz funktioniert.

Zwei junge Missionare klopften an eine Tür, in der Hoffnung, jemanden zu finden, der ihre Botschaft annehmen würde. Die Tür öffnete sich und ein ziemlich korpulenter Mann begrüßte sie in nicht gerade freundlichem Ton: „Ich hatte euch doch gesagt, dass ihr nicht mehr bei mir anklopfen sollt! Ich habe euch schon einmal gewarnt, dass es für euch unangenehm wird, wenn ihr jemals wiederkommt. Lasst mich jetzt in Ruhe!“ Schnell schloss er die Tür.

Als die Missionare weggingen, legte der ältere, erfahrenere der beiden dem jüngeren seinen Arm auf die Schulter, um ihn zu trösten und ihm Mut zu machen. Sie wussten nicht, dass der Mann sie durchs Fenster beobachtete, um sicherzugehen, dass sie ihn auch richtig verstanden hatten. Er hatte fest damit gerechnet, dass sie lachen und seine barsche Reaktion auf ihren Versuch, sich mit ihm zu unterhalten, nicht ernst nehmen würden. Als er jedoch diese freundliche Geste des Missionars sah, wurde sein Herz plötzlich erweicht. Er öffnete die Tür wieder und bat die Missionare, zurückzukommen und ihm ihre Botschaft mitzuteilen.

Wenn wir uns Gottes Willen unterordnen und nach seinem Muster leben, verspüren wir seinen Geist. Der Erretter hat gesagt: „Daran werden alle erkennen, dass ihr meine Jünger seid: wenn ihr einander liebt.“ (Johannes 13:35.) Dieser Grundsatz, einander zu lieben und die Fähigkeit zu entwickeln, unsere Gedanken, Worte und Taten an Christus auszurichten, ist elementar, wenn wir Jünger Christi werden und sein Evangelium lehren wollen.

Wenn dieser Wunsch geweckt ist, sind wir bereit, nach den verheißenen Mustern Ausschau zu halten. Wenn wir nach diesen Mustern suchen, werden wir zur Lehre Christi geführt, wie sie vom Heiland und den Propheten und Führern seiner Kirche gelehrt wird. Ein Muster dieser Lehre besteht darin, bis ans Ende auszuharren: „Und gesegnet sind, die an jenem Tage danach trachten, mein Zion hervorzubringen, denn sie werden die Gabe und die Macht des Heiligen Geistes haben; und wenn sie bis ans Ende ausharren, werden sie am letzten Tag emporgehoben werden und werden im immerwährenden Reich des Lammes errettet werden.“ (1 Nephi 13:37.)

Was nun ist das beste Mittel, um die Gabe und Macht des Heiligen Geistes mit uns zu haben? Es ist die Kraft, die man empfängt, wenn man ein glaubenstreuer Jünger Jesu Christi ist. Es ist unsere Liebe zu ihm und unseren Mitmenschen. Der Erretter selbst definierte das Muster der Liebe, als er erklärte: „Ein neues Gebot gebe ich euch: Liebt einander! Wie ich euch geliebt habe, so sollt auch ihr einander lieben.“ (Johannes 13:34.)

Präsident Gordon B. Hinckley bekräftigte diesen Grundsatz: „Den Herrn zu lieben ist nicht nur ein guter Rat, nicht nur ein frommer Wunsch. Es ist ein Gebot. … Die Liebe zu Gott ist die Wurzel aller Tugend, aller Güte, aller Charakterstärke und Treue, das Richtige zu tun.“ („Worte des lebenden Propheten“, Der Stern, Dezember 1996, Seite 8.)

Im Plan des himmlischen Vaters ist das Muster der Familie festgelegt, damit wir die Macht der Liebe erfahren, anwenden und begreifen. An dem Tag, als meine eigene Familie gegründet wurde, betraten meine liebe Ann und ich den Tempel und gingen den Bund der Ehe ein. Ich dachte an diesem Tag, dass ich sie unglaublich liebe, aber ich hatte gerade erst eine Ahnung davon, was Liebe bedeutet. Mit jedem Kind oder Enkelkind, das in unser Leben trat, nahm unsere Liebe zu, sodass wir sie alle gleichermaßen und von ganzem Herzen lieben. Offenbar kennt die Fähigkeit, immer mehr zu lieben, keine Grenzen.

Die Liebe, die vom Vater im Himmel ausgeht, ist wie Schwerkraft, die uns in den Himmel zieht. Wenn wir die Ablenkungen ausschalten, die uns zu Weltlichem verleiten, und unsere Entscheidungsfreiheit so ausüben, dass wir den Herrn suchen, öffnen wir unser Herz einer celestialen Macht, die uns zu ihm zieht. Nephi beschrieb ihre Auswirkung. Er sagte, sie habe ihm das Fleisch verzehrt (siehe 2 Nephi 4:21). Die Macht dieser Liebe veranlasste Alma, „den Gesang der erlösenden Liebe“ zu singen (Alma 5:26; siehe auch Vers 9). Sie rührte Mormon derart an, dass er uns aufforderte, „mit der ganzen Kraft des Herzens zum Vater“ zu beten, dass wir von dieser Liebe erfüllt werden mögen (Moroni 7:48).

Sowohl in neuzeitlicher heiliger Schrift als auch in der aus alter Zeit ist vielfach von der ewigen Liebe des himmlischen Vaters für seine Kinder die Rede. Ich bin davon überzeugt, dass die Arme des Herrn ständig ausgestreckt sind, immer bereit, jeden von uns zu umarmen und jedem von uns mit jener leisen, durchdringenden Stimme zu sagen, dass er uns liebt.

Dank dem vom Himmel vorgegebenen Muster für die Familie können wir besser verstehen, wie sehr unser Vater im Himmel jeden von uns gleichermaßen und auf vollkommene Weise liebt. Ich bezeuge, dass dem so ist. Gott kennt uns und liebt uns wirklich. Er hat uns eine Vorstellung von seiner heiligen Wohnstätte gegeben und Propheten und Apostel berufen, die uns die Grundsätze und Muster lehren, die uns zu ihm zurückbringen. Wenn wir uns bemühen, das Verlangen, zu wissen, in uns und anderen zu wecken, und wenn wir unser Leben nach den Mustern ausrichten, die wir dabei entdecken, werden wir zum Herrn hingezogen. Ich bezeuge, dass Jesus wirklich der Sohn Gottes ist, unser Vorbild, unser geliebter Erlöser. Im Namen Jesu Christi. Amen.