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Trotz Fußamputation und lesbischen Neigungen vertraue ich als Mitglied der Kirche auf Christus
Meine bisherigen Erfahrungen haben mir gezeigt, wie Christus uns durch sein Sühnopfer sowohl körperlich als auch geistig heilen kann
Es war ein ganz normaler Freitag. Wie immer fuhr ich bei der Arbeit einen Gabelstapler, doch plötzlich verlor ich die Kontrolle. Als ich gegen die Wand prallte, war kaum etwas zu hören. Doch meinen Fuß durchzog unversehens ein stechender Schmerz.
Als ich nach unten schaute, sah ich, dass er zwischen Wand und Gabelstapler eingequetscht war.
Verzweifelt rief ich um Hilfe. Ansonsten erinnere ich mich nur noch an die Sirene des Krankenwagens und meine Angst vor dem, was nun kommen mochte.
Ich weiß noch, wie ich im Krankenhaus fand, es seien viel zu viele Krankenschwestern im Zimmer. Ich war auch sehr beunruhigt, weil die Krankenschwestern im Krankenhaus in Utah ein so schnelles Englisch sprachen – ich bin aus Kolumbien, und mein Englisch ist nicht besonders gut. Ich konnte sie kaum verstehen – mir kam das Ganze wie eine Ewigkeit vor. Auch ohne Diagnose wusste ich tief in mir, dass mein Fuß nicht mehr zu retten war.
Während wir auf den Unfallchirurgen warteten, kam mir mein Neffe in den Sinn. Er war ein begeisterter Fußballer – und ich wollte meinen Fuß doch so gern behalten, um mit ihm spielen zu können. Außerdem brauchte ich meinen Fuß ja noch für so vieles mehr! Zwei Chirurgen untersuchten die Verletzung eingehend. Sie meinten, es sei das Beste, den Fuß zu amputieren, um Komplikationen zu vermeiden. Ich wusste, dass dies die richtige Entscheidung war. Dennoch war ich am Boden zerstört.
Nur ein Unfall oder doch eine Strafe?
Am Morgen nach der Operation kam mir alles total unwirklich vor. Ich hatte viele Fragen, aber nur wenige Antworten. Ja, ich hatte Glück, überlebt zu haben. Der Unfall hätte weitaus schlimmer ausgehen können! Dennoch fühlte ich mich verloren. Mein Fuß war nicht mehr da. Und ich hatte keine Ahnung, wie meine Zukunft aussehen sollte.
20 Tage verbrachte ich im Krankenhaus. Meine Familie und meine Freunde trösteten mich und halfen mir, diese Zeit durchzustehen. Ich bekam Physiotherapie und beschritt den Weg zu Genesung und Heilung. Überraschenderweise brachte ich genügend Mut auf, in diesen 20 Tagen gut voranzukommen. Ich fing sogar an, mit einer Prothese laufen zu lernen.
Doch den Mut zu beten brachte ich nicht auf. Ich hatte das Gefühl, Gott nicht gegenübertreten zu können. Ich bildete mir ein, wütend auf ihn zu sein. In Wirklichkeit schämte ich mich aber nur vor mir selbst. Ich stellte mir vor, der ganze „Unfall“ sei eigentlich eine Strafe – zum einen, weil ich aufgehört hatte, in die Kirche zu gehen, und die Gebote des Herrn nicht befolgt hatte; hauptsächlich aber deswegen, weil ich, seit ich denken kann, gleichgeschlechtliche Neigungen habe. Ich dachte fälschlicherweise, der Herr sei enttäuscht von mir und schäme sich für mich.
Ich war nicht nur körperlich, sondern auch geistig verletzt.
Nach der Entlassung ging es mit meinem seelischen Wohlbefinden weiter bergab. Obwohl ich meine Familie und meine Freunde um mich hatte, fühlte ich mich einsam. Ich wusste zwar, dass ich den Vater im Himmel und Jesus Christus brauchte, um geheilt zu werden, konnte mich jedoch nicht zum Beten durchringen.
Schließlich hielt ich es nicht mehr aus. Ich war mit den Nerven am Ende, und zum ersten Mal seit langer Zeit war ich bereit, niederzuknien und zu beten. Bitterlich weinend schüttete ich dem Vater im Himmel mein Herz aus. Ich stellte ihm Fragen und erzählte ihm von meinen Sorgen – so lange, bis ich nicht mehr konnte.
Nach und nach wurde ich von einem Gefühl des Friedens erfüllt. In Herz und Sinn vernahm ich die Worte: „All dies wird zu deinem Besten sein und deiner Charakterbildung dienen. Es war nur ein Unfall.“
Im Ernst?
Sollte es wirklich nur ein Unfall gewesen sein? Nicht etwa eine Strafe? Diese Antwort ergab für mich keinen Sinn. Doch nach ein paar Tagen des Nachsinnens wusste ich: Es stimmt! Ebenso wusste ich, dass der Vater im Himmel mich liebt. Lange schon war der Ruf an mich erklungen, in seine Herde zurückzukehren. Jetzt war ich endlich bereit dazu. Ich beschloss, wieder in die Kirche zu gehen. Damit nahm eine unglaubliche Entwicklung ihren Anfang, die zu meiner geistigen Heilung führte. Mein liebevoller Bischof unterstützte mich dabei, mich für den Frieden, den der Erretter anbietet, vollständig zu öffnen.
Frieden anstelle von Unzulänglichkeit
In die Kirche zurückzukehren war nicht so einfach. Lange Zeit hatte ich mich sehr geschämt. Aber je mehr ich begriff, dass ich ein göttliches Wesen habe, desto weniger schämte ich mich. Inzwischen weiß ich, dass die Gefühle, die ich Frauen gegenüber habe, mich nicht zur Sünderin machen und eine fehlende Gliedmaße meinen Wert nicht einschränkt. Dieses Wissen befähigt mich tatsächlich, meine Situation aus einem anderen Blickwinkel zu betrachten, und trägt zu meinem geistigen Wachstum bei. Ich weiß auch, dass mein Blickwinkel meinen Brüdern und Schwestern im Evangelium von Nutzen sein kann. Die Gnade des Erretters versetzte mich in die Lage, selbstbewusst die Tatsache anzunehmen, dass ich ein Kind Gottes bin. Ich werde voll und ganz geliebt. Der Vater im Himmel und Jesus Christus waren in der Vergangenheit bereit, mich zu segnen. Sie sind es auch gegenwärtig und zukünftig – vorausgesetzt, ich wende mich ihnen zu. Darauf ist Verlass. Immer.
Ich habe einen Fuß verloren und ich bin lesbisch. Das stellt mich vor einige unerwartete Schwierigkeiten. Manchmal möchte ich meine Fußprothese gar nicht anlegen, sondern würde am liebsten im Bett liegen bleiben. Auch danach zu streben, alle Gebote des Vaters im Himmel zu befolgen, ist nicht immer ganz so einfach. Es mag zwar nicht jedem so gehen, der gleichgeschlechtliche Neigungen hat, doch was mich betrifft, wünsche ich mir nichts sehnlicher als einen Partner für die Ewigkeit. Manchmal bin ich ganz mutlos und denke, dass aufgrund meiner Lebensumstände kein Mann jemals Interesse an mir haben wird. Aber ich vertraue darauf, dass der Vater im Himmel alles richten wird und mich segnet, sofern ich die Bündnisse halte, die ich mit ihm geschlossen habe.
Meine Zukunft ist alles andere als gewiss. Dadurch sinkt mir manchmal der Mut. Ich weiß, dass diese Gefühle von Unzulänglichkeit und Zweifel vom Satan stammen. Wenn ich mich Christus zuwende, finde ich unfassbar viel Frieden und Freude und die Kraft, die ich brauche, um solche Gedanken zu überwinden.
Inzwischen verlasse ich mich darauf, dass Gott mein Leben lenkt. Im Zuge dessen lerne ich auch, wie ich zu Frauen und Männern innerhalb der Grenzen, die der Herr gesetzt hat, tiefgründigere, sinnvollere Beziehungen aufbauen kann. Der Herr schenkt mir das Gottvertrauen, dass er es mir eines Tages ermöglichen wird, einen Mann zu finden, den ich lieben und an den ich gesiegelt werden kann. Doch was auch geschieht – ich habe gelernt, mich um meiner selbst willen zu achten, mein Leben anzunehmen und auf die Segnungen zu vertrauen, die der Herr für mich bereithält.
Durch unsere Blessuren können wir dem Erretter näherkommen
Im Laufe meines Lebens habe ich gelernt: Jeder Mensch erlebt Schwierigkeiten und Ungerechtigkeiten und macht schmerzvolle, unerklärliche Erfahrungen durch. Wir alle ziehen uns auf die eine oder andere Weise Blessuren zu. Doch nun weiß ich auch, dass individuelle Erfahrungen uns dem Erretter näherbringen und uns helfen können, die grenzenlose Macht zu erfassen, durch die er zu unserem Gunsten wirkt.
Elder Neil L. Andersen vom Kollegium der Zwölf Apostel hat gesagt: „In einer seiner bittersten Stunden erfuhr der Prophet Joseph Smith vom Herrn: ‚Wisse, … dass dies alles dir Erfahrung bringen und dir zum Guten dienen wird.‘ Wie können uns schmerzhafte Wunden zum Guten dienen? Gehen Sie im Schmelztiegel irdischer Prüfungen geduldig weiter vorwärts, dann bringt die heilende Kraft des Erretters Ihnen Licht, Verständnis, Frieden und Hoffnung.“1
Eine Gliedmaße verloren zu haben und mich zu Frauen hingezogen zu fühlen – beides schmerzte mich anfangs wirklich sehr. Was ich durchgemacht habe, hat mir jedoch geholfen, zu Christus zu kommen, und er hat mir Frieden gebracht. Heute ist mir klar, dass keine dieser Lebensumstände meinen Wert als Mensch schmälert. Auch halten sie mich nicht davon ab, alle Segnungen zu erlangen, die der Plan der Erlösung vorsieht. Gewiss werde ich dadurch nicht daran gehindert, das wahre Glück zu finden, das daraus erwächst, dass ich Jesus Christus nachfolge und seine Gebote so gut befolge, wie ich kann.
Ich habe nicht die geringste Ahnung, was mir die Zukunft bringt oder welche Schwierigkeiten mir noch bevorstehen, bis ich in die Gegenwart meines Vaters im Himmel zurückkehre. Eines jedoch weiß ich: Jede Anfechtung, der wir ins Auge sehen, mit anderen Worten jede Blessur, die wir davontragen – ob psychisch, seelisch, körperlich oder geistig –, kann geheilt werden, wenn wir uns dem Erretter zuwenden. Er kann uns helfen, aus dem, was wir im Erdenleben durchmachen, Hoffnung und Kraft zu schöpfen. Zudem hat er verheißen, dass am Tag der Auferstehung unser Leib, unser Geist und unser Herz vollständige Heilung erfahren (siehe Alma 42; 11:42-44).
Weil ich gleichgeschlechtliche Neigungen habe, schämte ich mich und fühlte mich unzulänglich. Diese Gefühle musste ich überwinden, und von den körperlichen und seelischen Auswirkungen der Amputation musste ich geheilt werden. Ich habe die heilende Macht Christi erlebt und werde sie weiterhin täglich erleben, wenn ich mich für den Herrn entscheide. Er hat mir geholfen, mich selbst zu lieben und Erfüllung darin zu finden, nach seinem Evangelium zu leben. Entscheidet man sich, ihm nachzufolgen und das Leben in Gottes Hand zu legen, erkennt man, dass man innerlich geläutert und in allem geführt wird sowie Liebe und wahren Frieden erfährt (siehe Alma 42:13).