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Durch ein Häkelprojekt habe ich gelernt, was es bedeutet, sein Zeugnis erneut aufzubauen
Während der Pandemie hat mir ein Hobby vor Augen geführt, wie es vor sich geht, dass der Glaube wächst und gestärkt wird
Mit dem halbfertigen Engel in der Hand durchstöberte ich meine alte, staubige Handarbeitsschachtel. Kopf und Rumpf des Engels hatte ich bereits gehäkelt, doch nun brauchte ich für den Heiligenschein und die Flügel noch gelbes Garn, und ich war mir nicht sicher, ob ich noch welches hatte.
Mit elf hatte ich häkeln gelernt, aber dann hatte ich etwa zehn Jahre lang keine Häkelnadel mehr in die Hand genommen. Erst während der Pandemie war Häkeln für mich wieder zu einem Hobby geworden. Diesmal war ich ehrgeizig und wollte vor Weihnachten unbedingt noch eine ganze Reihe von Krippenfiguren fertigstellen.
Als ich gerade aufgeben wollte, fiel mein Blick auf ein buntes Knäuel in der Schachtel. Ich zupfte an dem Material und zum Vorschein kam eine unförmige Decke. Sie hatte breite, kitschige Streifen in Farben, die so gar nicht zusammenpassten: orange, rosa, marineblau und gelb – allesamt gehäkelt in einem derart schrillen Muster, dass es einen schwindlig machen konnte.
Die Streifen waren alle verschieden breit. Die Stiche waren locker und ungleichmäßig ausgeführt. Trotzdem entlockte mir die Decke ein Lächeln, denn ich erinnerte mich daran, wie ich sie als Kind gehäkelt hatte. Schon lange bevor sie fertig war, hatten meine Konzentration und Motivation nachgelassen, und nun hatte sie jahrelang ungenutzt und unbeachtet unter einem Stapel unfertiger Handarbeiten gelegen.
Ich zog an dem noch nicht vernähten Faden der obersten Häkelreihe und trennte, da der Faden ja lose war, mit einem kurzen Ruck gleich mehrere Stiche auf.
Nach kurzem Zögern trennte ich die Decke dann gleich weiter auf. Sie war inzwischen ja ganz aus der Mode gekommen, die Farben viel zu schreiend für meinen Geschmack, und doch betrübte mich der Gedanke ein wenig, die harte Arbeit meiner jungen Finger von damals nun aufzutrennen. Doch mir wurde klar, dass wegen dieser Häkeldecke das Garn all die Jahre über genau dort gelegen hatte, wo ich es nun brauchte. Ich konnte es nun also ganz einfach für einen besseren Zweck weiterverwenden.
Also trennte ich die Decke auf, bis sich das Garn in einem verworrenen Haufen auf meinem Schoß stapelte, und dann fing ich an zu häkeln. Unter meinen nunmehr viel geübteren Fingern wurden aus den unbeholfenen Häkelstichen der damaligen Decke nun kompliziert gemusterte Engelsflügel.
Und dabei kam mir ein seltsamer Gedanke in den Sinn:
Mein Zeugnis ist wie dieser kleine Engel.
Der Wiederaufbau meines Glaubens
Bei dem Gedanken musste ich anfangs lächeln, aber je länger ich darüber nachdachte, desto mehr wurde mir klar, dass es stimmte. Wie die Decke war auch mein Zeugnis anfangs einfach und kindlich zusammengesetzt gewesen. Dann wurde es quasi aufgetrennt, als mein Glaube auf die Probe gestellt wurde. Die lockeren, unbeholfenen Stiche, die die Grundlage meines Zeugnisses gebildet hatten, schienen auseinandergezogen zu werden.
Und letztlich gab es den Wiederaufbau. Als ich mich nicht mehr an das klammerte, was ich zuvor besessen hatte, als ich auf den Erretter zu vertrauen begann und zuließ, dass mein Zeugnis wächst und sich verändert, entwickelte es sich zu etwas weitaus Schönerem, zu etwas Tiefgründigerem und Bedeutsamerem als das, was ich als Kind zu erschaffen imstande gewesen war.
Elder Bruce C. Hafen, ein emeritierter Generalautorität-Siebziger, hat diesen Gedanken „die Einfachheit jenseits der Komplexität“1 genannt – im Wesentlichen geht es ihm darum, dass wir zu einer neuen, stärkeren Art von Einfachheit gelangen, wenn wir uns durch schwierige Lebensfragen hindurcharbeiten. Er hat erklärt: „Jeder unserer Tunnel der Unklarheit soll uns doch etwas lehren und uns nicht bloß quälen. … Aufgrund unseres Glaubens entscheiden wir uns letztlich bewusst dafür, dass wir trotz aller Verworrenheit Fortschritt machen und mit offenen Augen und offenem Herzen wachsen wollen.“2
Je länger ich darüber nachdachte, desto klarer wurde mir, dass nicht nur mein Zeugnis, sondern auch mein Leben diesem Muster folgten. Es geschah nicht alles auf einmal, sondern ich hatte mich langsam und allmählich gewandelt. Durch Christus hatte ich mich verändert. Durch Christus hatte ich Widrigkeiten überstanden und war etwas Neues geworden.
Christus als unseren Erlöser erkennen
Anfangs war mein Häkelprojekt bloß ein Hobby während der Quarantäne gewesen, doch irgendwann wurde es zur perfekten Erinnerung an den Einfluss Christi und die Feier eines neuen Lebens. Denn genau das bietet uns Christus an: die Chance, zu etwas völlig Neuem gemacht zu werden. Wir feiern das Baby in Betlehem, weil wir wissen, dass aus diesem Kind jemand wurde, der uns die Möglichkeit bieten konnte, zu wachsen, uns zu verändern und heil zu werden.
Präsident Thomas S. Monson (1927–2018) hat gesagt: „Wenn wir auf den Wegen Jesu wandeln, werden wir feststellen, dass er mehr ist als das Kind in Betlehem, mehr als der Sohn des Zimmermanns, mehr als der größte Lehrer, der je gelebt hat. Wir werden erkennen, dass er der Sohn Gottes ist, unser Erretter und Erlöser.“3
Die Geburt Christi war ein wundersames und wunderbares Ereignis, und mein Weihnachtsfest wird vertieft und bereichert, weil ich darüber nachdenke, weshalb die Nachricht des Engels solch „große Freude“ (Lukas 2:10) brachte. Außerdem hat der Engel ja prophezeit: „[Maria] wird einen Sohn gebären; ihm sollst du den Namen Jesus geben; denn er wird sein Volk von seinen Sünden erlösen.“ (Matthäus 1:21.)
Da wir nun die Geburt Christi feiern, können wir auch an die Hoffnung auf ein neues Leben denken und an die zweite Chance, die er uns schenkt. Weihnachten ist eine wunderbare Zeit der Bräuche und des Schenkens und kann auch eine Zeit sein, in der wir unser Zeugnis stärken oder gar wieder neu aufbauen. Wir können zulassen, dass der Herr uns mit seinen Fähigkeiten und in seiner Weisheit zu etwas Besserem macht, als wir uns das je hätten vorstellen können.