„Berichte von der ersten Vision“, Themen und Fragen, 2023
Fragen zur Kirche und zum Evangelium
Berichte von der ersten Vision
Überblick
Joseph Smith hat bezeugt, dass ihm Gottvater und Jesus Christus in einem Wäldchen in der Nähe seines Elternhauses erschienen sind, als er etwa 14 Jahre alt war. Diese göttliche Kundgebung wurde in der Folge „erste Vision“ genannt. Zu Lebzeiten des Propheten schrieben sowohl Joseph als auch andere etliche Schilderungen dieser ersten Vision nieder.
Joseph Smith selbst veröffentlichte zwei Berichte von der ersten Vision. Der bekanntere wurde kanonisiert und steht in der Köstlichen Perle. Zwei unveröffentlichte Fassungen, eine aus Joseph Smiths erster Autobiografie und eine aus seinem Tagebuch, blieben weitgehend unbekannt und wurden der Allgemeinheit erst in den 60er Jahren von der Kirche zugänglich gemacht.
Die unterschiedlichen Fassungen stimmen im Wesentlichen überein. Was Schwerpunkt und Einzelheiten betrifft, weichen sie natürlich voneinander ab. Wer meint, dass jede Abweichung in den einzelnen Fassungen der ersten Vision ein Beweis dafür wäre, dass sie erfunden wurde, täuscht sich. Denn wie jeder Historiker weiß, betont jemand, der über Jahre hinweg bei verschiedenen Gelegenheiten ein Erlebnis vor einer immer wieder wechselnden Zuhörerschaft erzählt, in jedem Bericht unterschiedliche Aspekte und führt andere Einzelheiten an.
Die größten Abweichungen in Joseph Smiths Schilderungen von der ersten Vision finden sich im frühesten Bericht, der 1832 zu Papier gebracht wurde. Diese Fassung unterscheidet sich in einigen Punkten von den anderen Berichten:
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Im Bericht von 1832 fügte einer von Josephs Schreibern die Worte „in meinem 16. Lebensjahr“ ein. Den anderen Fassungen zufolge war er 14 Jahre alt. Dies ist höchstwahrscheinlich auf einen Schreibfehler zurückzuführen.
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Im ersten Bericht begehrt Joseph Smith in seinem Gebet Sündenvergebung. Laut den späteren Fassungen will er wissen, welcher Kirche er sich anschließen soll. Diese beiden Fragen waren wahrscheinlich in Josephs Gedanken eng miteinander verknüpft und spiegelten beide seinen Wunsch nach Errettung wider.
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Im ersten Bericht heißt es: „Der Herr öffnete mir die Himmel und ich sah den Herrn, und er sprach zu mir.“ Im kanonisierten Bericht erklärt Joseph, dass Gottvater ihm den Sohn vorstellt, der sodann zu ihm spricht. Obwohl die Fassung aus dem Jahr 1832 diese Einzelheit nicht enthält, liegt die Betonung in allen Berichten auf der zentralen Rolle Jesu Christi bei der Vision. Er ist es, der Josephs Fragen beantwortet.
Josephs unterschiedliche Schilderungen der ersten Vision versetzen uns in die Lage, über dieses bemerkenswerte Ereignis mehr Details zu erfahren, als wenn es weniger gut dokumentiert wäre. Wenn man als Heiliger der Letzten Tage die verschiedenen Fassungen liest, kann dadurch das aufrichtige Zeugnis des Propheten schätzen lernen, dass Gott dessen Gebet mit einer bemerkenswerten Vision erhört hat.
Wieso bestehen überhaupt Unterschiede zwischen den verschiedenen Berichten Joseph Smiths über die erste Vision?
Von Joseph Smith selbst sind uns vier Schilderungen der ersten Vision überliefert. Zusätzlich zu diesen Berichten haben fünf seiner Zeitgenossen einen Bericht verfasst, nachdem sie Joseph über sein Erlebnis haben sprechen hören. Die verschiedenen Fassungen mit ihren jeweiligen Schwerpunkten und Einzelheiten vermitteln uns in ihrer Gesamtheit ein umfassenderes Bild von diesem wunderbaren Ereignis.
Je nach Zielgruppe und Absicht der Schilderung werden in Berichten zuweilen unterschiedliche Teilaspekte hervorgehoben. Josephs Fassungen sind ein gutes Beispiel dafür. Selbst wenn sich die Schilderungen in den Schwerpunkten und den Details unterscheiden, erzählen sie doch eine in sich stimmige Geschichte. Ein Beispiel aus den heiligen Schriften für dieses Phänomen findet sich etwa in den unterschiedlichen Berichten über die Bekehrung des Paulus im Neuen Testament.
Die Fassungen von der ersten Vision entstanden unter verschiedenen Umständen: Eine war die Niederschrift in einer persönlichen Lebensgeschichte, eine andere die Schilderung des Vorkommnisses vor einem Besucher zuhause, bei wieder einer anderen wurde die Lebensgeschichte für einen offiziellen Geschichtsbericht diktiert, und eine ist die Antwort auf die Frage eines Journalisten. In jedem Fall scheint Joseph Details genannt zu haben, die er für die jeweilige Zielgruppe als besonders relevant einstufte. Die Abweichungen zwischen den Berichten sind solcher Art, wie Historiker und Wissenschaftler, die sich mit dem Erinnerungsvermögen befassen, in Dokumenten erwarten, die unter solch unterschiedlichen Gegebenheiten hervorgebracht wurden.
Die Unterschiede zwischen den einzelnen Fassungen zeigen auch auf, wie sich Josephs Verständnis und seine Perspektive mit der Zeit, durch Erfahrung und durch zusätzliche Offenbarungen erweitert haben. Als Joseph Smith 1832 seinen ersten Bericht diktierte, stand er ziemlich am Anfang seines geistlichen Wirkens. Der Bericht ist größtenteils privater Natur und konzentriert sich auf die Bedeutung, die die Vision für Joseph persönlich hatte. Als Joseph später die Fassung diktierte, die heute in der Köstlichen Perle steht, ging es ihm eher um den Stellenwert, den die Vision nicht nur für ihn, sondern für die Kirche und die Welt als Ganzes hatte.
Wie viele himmlische Wesen hat Joseph Smith bei der ersten Vision gesehen?
In drei der vier Fassungen nennt Joseph eindeutig „zwei Personen“: Gottvater und Jesus Christus. In einem Bericht erwähnt er zudem, dass er auch Engel gesehen habe. Josephs erste Schilderung ist am wenigsten ausführlich. In dieser Fassung aus dem Jahr 1832 schildert er, wie „der Herr“ die Himmel öffnete und Joseph sodann „den Herrn“ erblickte.
Dieser Bericht lässt sich auf verschiedene Weise deuten. Joseph Smith könnte mit „der Herr“ sowohl Gottvater als auch den Sohn gemeint haben – wie das zu Josephs Zeit vereinzelt üblich war. Oder er hat sich einfach auf Jesus Christus konzentriert – jenes göttliche Wesen, das ihm seine Sünden vergab und ihm die Botschaft überbrachte, von der die Vision handelt.
Hat Joseph Smith nun für Vergebung gebetet oder wollte er wissen, welcher Kirche er sich anschließen soll?
In Josephs frühestem Bericht von der ersten Vision, den er als junger Mann verfasst hat, steht, dass er für die Vergebung seiner Sünden betete. In seinen späteren Berichten, die er nach vielen Jahren als Führer einer wachsenden Kirche verfasste, geht es eher um seine Suche nach der Kirche, der er sich anschließen sollte. Tatsächlich waren diese beiden Fragen für Joseph wohl eng miteinander verknüpft. Beide spiegelten seinen Wunsch wider, errettet zu werden.
Weshalb wird in den einzelnen Berichten von der ersten Vision das Alter Joseph Smiths unterschiedlich angegeben?
Seinen ersten Bericht von der ersten Vision verfasste Joseph Smith 1832 eigenhändig. Erst einige Zeit nach Josephs Niederschrift fügte ein Schreiber Josephs Alter zwischen den Zeilen ein, und zwar schrieb er, dass Joseph zur Zeit der Vision im „sechzehnten Jahr“ (also 15 Jahre alt) gewesen war. Es ist nicht bekannt, ob der Schreiber diesen Zusatz mit Joseph abgesprochen hat. In allen folgenden Fassungen gab Joseph an, dass er 14 Jahre alt gewesen war.
Josephs Berichte wurden allesamt mehr als zehn Jahre nach der Vision verfasst. Selbst wenn er seinen Schreiber angewiesen hat, zu notieren, dass er 15 Jahre alt war, ist er wohl nach reiflicher Überlegung offenbar zu dem Schluss gekommen, dass er zum Zeitpunkt der Vision 14 Jahre alt gewesen war. Historiker gehen davon aus, dass solche Unstimmigkeiten immer wieder mal auftreten, wenn jemand aus dem Gedächtnis seine Lebensgeschichte erzählt. Auf jeden Fall ist die Tatsache, dass sich die Vision tatsächlich ereignet hat, weitaus wichtiger als das genaue Datum.
Gibt es geschichtliche Belege, dass 1820 bei Palmyra im Bundesstaat New York eine Erweckungsbewegung stattgefunden hat?
Ja. In seiner Lebensgeschichte aus dem Jahr 1838 schreibt Joseph Smith, seine erste Vision habe sich im Frühjahr 1820 zugetragen. Joseph hatte schon einige Zeit vor der Vision Fragen im Kopf gehabt, die ihn letztlich zum Beten veranlassten. In der Fassung von 1832 schrieb Joseph, dass er bereits im Alter von 12 Jahren, also etwa um das Jahr 1818 herum, begonnen habe, sich große Gedanken „über das Wohlergehen meiner unsterblichen Seele“ zu machen. Aus geschichtlichen Aufzeichnungen geht eindeutig hervor, dass zu dieser Zeit in den Vereinigten Staaten eine allgemeine Begeisterung für Religion um sich griff, insbesondere im Westen des Bundesstaates New York, wo Joseph Smith wohnte.
Mitunter äußerte sich diese Begeisterung in Erweckungsversammlungen wie etwa die der Methodisten 1818 bei Palmyra. Im folgenden Jahr kamen die dortigen Methodisten auch in Vienna (dem heutigen Phelps) im Bundesstaat New York zusammen, also nur etwa 25 Kilometer von der Farm der Familie Smith entfernt. In den Tagebüchern eines methodistischen Wanderpredigers ist davon die Rede, dass 1819 und 1820 in der Gegend, wo Joseph Smith lebte, eine religiöse Erweckungsbewegung stattfand. Es wird darin berichtet, dass Hochwürden George Lane, ein Erweckungspfarrer der Methodisten, in beiden Jahren in jener Gegend darüber sprach, „wie Gott eine Erneuerung herbeiführt“. Im späten Frühjahr 1820 fand in Palmyra ein dreitägiges Campmeeting der Methodisten statt. Ein paar Jahre später, 1824, kam es ebenfalls zu zahlreichen Erweckungsbewegungen. Selbst wenn Joseph die Erweckungsbewegungen nicht ausdrücklich erwähnt, sind sie doch ein untrüglicher Beweis der „ungewöhnlichen Erregung“, die er schildert.
Wieso hat Joseph seine Schilderung von der ersten Vision erst so lange danach niedergeschrieben?
In den ersten 24 Jahren seines Lebens verfasste Joseph Smith keinerlei autobiografische Aufzeichnungen. Er wuchs in einer Familie auf, die zwar lesen und schreiben konnte, doch er selbst verfügte nur über wenig Schulbildung. Wir wissen, dass es ihm schwerfiel, sich schriftlich auszudrücken.
Kurz nach der Gründung der Kirche erhielt Joseph Smith vom Herrn das Gebot, einen Geschichtsbericht zu führen. Es ist bezeichnend, dass Joseph bald nach Erhalt dieses Gebots als Erstes unter anderem einen Bericht über die erste Vision verfasst hat.
Warum erwähnen einige Mitglieder aus der Anfangszeit der Kirche in ihren Berichten von der Wiederherstellung die erste Vision gar nicht?
Die Mitglieder aus der Anfangszeit der Kirche erzählten manchmal die Geschichte von der Wiederherstellung, ohne ein Wort über die erste Vision zu verlieren. So hinterließen zum Beispiel Joseph Smiths Mutter Lucy und sein Bruder William beide einen Bericht, der mit dem Besuch des Engels Moroni im Jahr 1823 beginnt, in dem das Erscheinen Gottvaters und des Sohnes jedoch unerwähnt bleibt. Auch Oliver Cowderys erster veröffentlichter Bericht über die Wiederherstellung beginnt mit dem Erscheinen Moronis.
In der Öffentlichkeit hat Joseph selbst die Vision viele Jahre lang weder betont noch häufig thematisiert. Einem seiner Berichte lässt sich entnehmen, dass er anfangs sogar seiner Familie keine Einzelheiten erzählen wollte – wohl aus Scheu, über ein so einmaliges, heiliges Erlebnis zu sprechen. Andererseits gab Joseph Smith häufig Zeugnis für das Erscheinen Moronis und die Übersetzung des Buches Mormon. Viele Mitglieder aus der Anfangszeit der Kirche betrachteten vor allem diese Ereignisse als den schlagenden Beweis dafür, dass Joseph Smith von Gott berufen war. Die Berichte, die von Mitgliedern überliefert sind, schmälern jedoch Joseph Smiths Zeugnis von der Vision nicht, sondern spiegeln eher die Begeisterung und das Zeugnis der frühen Heiligen der Letzten Tage vom Buch Mormon wider.
Gibt es Ähnlichkeiten zwischen Joseph Smiths Bericht aus dem Jahr 1832 über die erste Vision und den Bekehrungsgeschichten anderer Christen seiner Zeit?
In der Menschheitsgeschichte war Joseph Smiths erste Vision jedenfalls ein überragendes Ereignis. Obgleich sich auch seine Zeitgenossen zu ihren eigenen geistigen Visionen äußerten, sind diese Schilderungen allesamt persönliche Bekehrungsgeschichten. Josephs unvergleichliches Erlebnis stellt den Beginn einer Reihe von Wundern dar, die zur Wiederherstellung der Fülle des Evangeliums Jesu Christi führten.
Der Bericht von der ersten Vision aus dem Jahr 1832 enthält einige Ausdrücke, die auch in den Bekehrungsgeschichten anderer Christen seiner Zeit zu finden sind. Es überrascht nicht, dass Joseph Smith die Vision mit Worten schildert, die ihm vertraut sind. In ähnlicher Weise geschieht das auch heute: Mitglieder der Kirche stützen sich bei ihrem Zeugnis auf Formulierungen, die sie von anderen übernommen haben. Die Ausdrucksweise, mit der wir Zeugnis geben, folgt zwar oft einem bestimmten Muster, aber unsere individuellen geistigen Erfahrungen sind dennoch einzigartig und persönlich.