„Ein Bischof für die Kirche“
Im Herbst 1830 erschienen vier junge Männer um die zwanzig an der Tür von Edward Partridges Hutgeschäft in Painesville in Ohio. Partridge lauschte der außergewöhnlichen Geschichte, wie die Vollmacht wiederhergestellt und neue Schriften offenbart worden waren, bezeichnete die Männer als Schwindler und schickte sie fort. Nachdem sie gegangen waren, sandte ihnen Partridge jedoch einen seiner Angestellten hinterher, damit dieser ihnen ein Exemplar des Buches abkauften, das sie bei sich trugen – das Buch Mormon.
Partridge und seine Frau Lydia waren auf der Suche nach einer Kirche, die das Evangelium des Neuen Testaments in seiner Klarheit lehrte und beweisen konnte, dass sie göttliche Vollmacht hatte, die Kirche zu führen. Als Lydia die Botschaft der Missionare vernahm, erkannte sie in deren Lehren die Wahrheit, die sie aus der Bibel kannte, und ließ sich taufen. Edward Partridge war noch immer nicht überzeugt, aber nachdem er nach New York gereist und den Propheten Joseph Smith kennengelernt hatte, ließ auch er sich taufen.
Ungefähr zur gleichen Zeit empfing Joseph Smith eine Offenbarung, in welcher der Herr Edward Partridge verhieß: „Du wirst meinen Geist (den Heiligen Geist) empfangen, nämlich den Tröster, der dich das Friedfertige des Reiches lehren wird.“ Mit dieser Zusicherung berief der Herr Partridge, „[s]ein Evangelium wie mit der Stimme einer Posaune zu predigen“ (siehe LuB 36:1). Partridge zog los, um seinen Eltern und Geschwistern in Massachusetts von seinem neuen Glauben zu erzählen. Die meisten aus seiner Familie nahmen die Botschaft zwar nicht an, doch Partridge erfüllte seinen Auftrag, ihnen das Evangelium zu verkündigen.
Am 4. Februar 1831 – unmittelbar nach Partridges Rückkehr nach Ohio – empfing Joseph Smith eine Offenbarung, die nun Lehre und Bündnisse 41 bildet, in der Edward Partridge zum ersten Bischof der zehn Monate alten Kirche berufen wurde. Das Amt des Bischofs gehörte zu den ersten Ämtern im Priestertum, die in dieser Evangeliumszeit wiederhergestellt wurden. Wie auch bei anderen Ämtern offenbarten sich die Aufgaben des Bischofs Zeile um Zeile. Im Gegensatz zu den Bischöfen der heutigen Zeit erhielt Partridge die Anweisung, nicht nur „zum Bischof für die Kirche ordiniert [zu] werden“, sondern auch „sein Handelsgeschäft auf[zu]geben und seine gesamte Zeit auf die Arbeit der Kirche [zu] verwenden“ (siehe LuB 41:9). Ohne Handbuch und ohne lebende Vorgänger fragte sich Partridge wohl, worin genau die „Arbeit der Kirche“ bestand, die er erfüllen sollte. Glücklicherweise empfing Joseph Smith ein paar Tage später eine Offenbarung (die von den ersten Mitgliedern der Kirche „das Gesetz“ genannt wurde), dank der er mehr über seine Aufgaben als Bischof erfuhr.
Diese Offenbarung steht jetzt in Lehre und Bündnisse 42. Darin gebot der Herr den Heiligen, ihm durch den Bischof und dessen Ratgeber ihren ganzen Besitz „mit einem Bündnis und Vertrag, der nicht gebrochen werden kann“, zu weihen. Dann würde der Weihende eine Treuhandschaft vom Bischof empfangen – „soviel, wie für ihn und seine Familie ausreichend ist“. Der Bischof wurde beauftragt, alles übrige Eigentum in einem Vorratshaus aufzubewahren, „sodass den Armen und den Bedürftigen zuteilwerden kann“ zum Zwecke des Landerwerbs und zum Aufbau Zions (siehe LuB 42:34,35).
Partridge erfüllte eine seiner ersten großen Aufgaben als Bischof, als die Heiligen, denen geboten worden war, aus New York zu fliehen, in Ohio ankamen. Partridge wurde beauftragt, sie auf Land für ihren Erbteil anzusiedeln. Leman Copley, ein Mitglied aus der Anfangszeit der Kirche, bot an, die Heiligen aus Colesville in New York sein 307 Hektar großes Grundstück in Thompson in Ohio – ungefähr 32 Kilometer von Kirtland – besiedeln zu lassen. Partridge benötigte eine konkretere Offenbarung, wie er die Heiligen aus Colesville auf Copleys Grundstück organisieren sollte. Als Antwort gab der Herr Partridge Anweisungen durch Joseph Smith, die nun Lehre und Bündnisse 51 bilden. Der Herr teilte Partridge mit, dieser solle beim Aufteilen des Landes für die Heiligen aus Colesville „diesem Volk ihre Anteile bestimmen, einem jeden gleich, gemäß ihren Familien, gemäß ihren Bedürfnissen und ihrem Bedarf“ (siehe LuB 51:3). Obwohl Partridge noch ein Grundstück in Painesville besaß und kein Land benötigte, wurde ihm in dieser Offenbarung gesagt, dass er, weil er seinen Beruf als Hutmacher aufgegeben hatte, um Bischof zu werden, als Dank von den Vorräten im Vorratshaus nehmen solle, um für seine Familie zu sorgen (siehe LuB 51:14).
Das Gesetz der Weihung zu leben, war eigentlich ein Recht, das den Mitgliedern gewährt worden war (siehe LuB 51:15). Das sahen jedoch nicht alle so. Copley zog sein Angebot schon bald zurück und vertrieb die Heiligen aus Colesville von seinem Land, sodass diese nicht wussten, wo sie nun wohnen sollten. Am 10. Juni löste eine Offenbarung, die jetzt Lehre und Bündnisse 54 bildet, das Problem auf überraschende Weise: Die Heiligen wurden darin aufgerufen, nach Missouri zu ziehen – das über 1200 Kilometer entfernt lag (siehe LuB 54:8).
Etwa zur gleichen Zeit bereiteten sich auch Joseph Smith, Edward Partridge und andere darauf vor, nach Missouri aufzubrechen, denn dort sollte die Stadt Zion gegründet werden (siehe LuB 52:24). Partridge ging davon aus, in ein paar Monaten zurückzukehren. Doch nach der Ankunft der Ältesten in Independence in Missouri, einer Stadt an der Grenze im Westen des Bundesstaates, empfing Joseph Smith eine Offenbarung (Lehre und Bündnisse 57), in der ihm verkündet wurde, Independence solle das Zentrum Zions in den Letzten Tagen bilden. Die Offenbarung enthielt auch einen fast beängstigenden Auftrag: „Darum ist es Weisheit, dass die Heiligen das Land kaufen, ebenso das ganze Gebiet westlich davon, ja, bis an die [westliche Grenze von Missouri] und ebenso alles Gebiet, das an die Prärie grenzt.“ (Siehe LuB 57:4,5.) Der Herr gebot weiter: „Lasst meinen Knecht Edward Partridge in dem Amt stehen, zu dem ich ihn bestimmt habe, und den Heiligen ihr Erbteil zuteilen, so wie ich es geboten habe.“ (Siehe LuB 57:7.) Der Herr berief dann einige dazu, in Missouri zu bleiben und Zion aufzurichten. Entgegen seinen Plänen gehörte Partridge zu denjenigen, die „sich so schnell wie möglich mit ihrer Familie im Land Zion ansiedeln [sollten], um alles so zu tun, wie [er] es gesagt“ hatte (siehe LuB 57:14; siehe auch LuB 58:24,25).
Partridge schrieb Lydia ein paar Tage später, dass er diesen Sommer nicht nach Ohio zurückkehren würde. Er bat sie stattdessen, mit den fünf Töchtern zu ihm ins Grenzgebiet von Missouri zu kommen. Doch anstatt im Herbst zu ihnen zurückkehren zu können, um ihnen beim Umzug helfen, schrieb er weiter: „Bruder Gilbert oder ich müssen hier bleiben, um die Verkäufe im Dezember zu beaufsichtigen. Da ich nicht weiß, ob er bis dahin zurückkehren kann, halte ich es für ratsam, entgegen meiner Erwartungen fürs Erste hier zu bleiben.“ Er warnte sie auch davor, was sie erwarten würde, sobald sie ihm nach Missouri folgte: „Wir werden leiden und hier für einige Zeit viel entbehren müssen, woran du und ich seit Jahren nicht gewöhnt sind.“ Sie beherzigten den Rat des Herrn, sich untereinander und mit ihm zu beraten (siehe LuB 58:24), und Partridge machte seiner Frau ein paar Vorschläge, wie sie und die Töchter die Reise bewältigen konnten. Dann schlug er ihr vor, so vorzugehen, wie sie es für das Beste hielt. Bereitwillig gehorchte Lydia der Offenbarung, packte ihr Hab und Gut und reiste mit den fünf Töchtern nach Westen an einen Ort, den sie nie zuvor gesehen hatte.
In Missouri wartete Partridge auf die Ankunft der Heiligen aus Colesville und vieler andere und befolgte den Auftrag des Herrn, sich darauf vorzubereiten, „den Heiligen ihr Erbteil zu[zu]teilen“ (siehe LuB 57:7). Innerhalb von nur zwei Wochen nach seiner Ankunft in Missouri begann er, Land zu erwerben. Als die Heiligen dann die Ländereien besiedelten, hielt sich Partridge wiederum an die Anweisungen, die er ihm Mai erhalten hatte, dass er nämlich, „wenn er jemandem sein Teil bestimmt, [er] ihm ein Schriftstück geben [soll], das ihm sein Teil sichert“ (siehe LuB 51:4).
Wegen dieser Offenbarung fertigte Partridge Weihungsurkunden an, die aus zwei Teilen bestanden. Im ersten Teil verzeichnete er sorgfältig das Eigentum und die Waren, die ein Mitglied oder eine ganze Familie „vor den Bischof“ brachte (LuB 42:31). Im Gegenzug schrieb Partridge auf dem zweiten Teil der Urkunde sorgfältig das Eigentum oder die Waren auf, über die jedes Mitglied die Treuhandschaft hatte – für gewöhnlich war es das Gleiche, was sie geweiht hatten. Jedes Mitglied wurde dann „als Treuhänder über seinem Eigentum oder dem, was er durch Weihung empfangen hat“, bestimmt (LuB 42:32).
Partridge fungierte als Stellvertreter des Herrn für viele Heilige, die sich entschlossen, das Gesetz der Weihung zu leben und die Aufforderung des Herrn anzunehmen, die Grundsätze der Treuhandschaft, Entscheidungsfreiheit und Rechenschaft zu befolgen. Allerdings gab es auch Mitglieder, die das Gesetz nicht befolgen wollten. Manche erwarben auf eigene Faust Land. Andere, wie Copley oder ein anderer Mann namens Bates, spendeten Eigentum oder Geld, überlegten es sich dann aber anders und verlangten es zurück. Partridges wurde dazu berufen, sowohl die widerspenstigen als auch die empfänglichen Heiligen zu zu erbauen und zu ermutigen. Nachdem das Gesetz der Weihung empfangen wurde, schrieb John Whitmer: „Bischof Edward Partridge besuchte die verschiedenen Zweige der Kirche, doch manche weigerten sich, das Gesetz anzunehmen.“
Partridges Tochter Emily Dow Partridge sagte später über den schwierigen Umgang mit den unvollkommenen Mitgliedern: „Wenn ich zurückblicke und an die große Verantwortung denke, die auf den Schultern meines Vaters, dem ersten Bischof, ruhte – wie mittellos er war, wie viel er entbehren musste, wie viele Bedrängnisse er erlitt, wie er von falschen Brüdern beschuldigt wurde, wie die Armen ihn kritisierten, wie die Feinde uns verfolgten –, bin ich nicht über seinen frühen Tod verwundert.“ Partridges Patriarchalischer Segen enthielt die Warnung: „Du sollst in deinem Amt bleiben, bis du ihm überdrüssig bist und wünschst, davon entlassen zu werden, damit du für eine kleine Weile ausruhen kannst.“
Partridge musste sich nicht nur mit den menschlichen Schwächen anderer befassen, sondern erkennen, dass auch er ein gefallenes Wesen hatte. Als er sich der Herausforderung stellen musste, Zion mit nur wenigen erkennbaren Mitteln aufzubauen, zweifelte er offensichtlich daran, ob dies bewerkstelligt werden könne. Daraufhin warnte ihn der Herr: „Aber wenn er von seinen Sünden nicht umkehrt, nämlich von Unglauben und Verblendung des Herzens, dann soll er sich in acht nehmen, dass er nicht falle.“ (Siehe LuB 58:15.) Aus Partridges Brief an Lydia vom August 1831 geht hervor, wie unsicher er hinsichtlich seiner Position war: „Du weißt, dass ich eine wichtige Stellung bekleide“, schrieb er. „Und da ich bisweilen gezüchtigt werde, kommt es mir manchmal so vor, als ob ich versagen werde; ich will damit nicht sagen, ich wolle aufgeben, aber ich fürchte, dass mir diese Stellung mehr abverlangt, als ich zur Zufriedenheit des himmlischen Vaters leisten kann.“ Er bat seine Frau dann flehentlich: „Bete für mich, damit ich nicht falle.“
Zwei Jahre später, im Juli 1833, drang ein zorniger Pöbel in das Haus von Partridge ein, wo er sich mit seiner Frau und seinem drei Wochen alten Sohn Edward Partridge Jr. befand, und zerrte ihn ins Stadtzentrum von Independence, wo sie ihn verprügelten, teerten und federten. Drei Tage später boten Partridge und fünf weitere Männer furchtlos ihr Leben als Lösegeld für die restlichen Heiligen, in der Hoffnung, weitere Gewalttaten an den Mitgliedern zu verhindern. Ihr Angebot wurde abgelehnt und die Männer wurden stattdessen gezwungen, einzuwilligen, Jackson County zu verlassen. Ein paar Wochen später schrieb Partridge seinen Freunden in Ohio: „Ich fühle mich bereit, mich in der Sache meines gesegneten Meisters zu verausgaben und verausgabt zu werden.“
Die Offenbarungen, durch die Partridge als Bischof berufen wurde und in denen die Aufgaben dieses Amtes beschrieben wurden, prägten den Rest seines Lebens. Er war weiterhin als Bischof tätig, als die Heiligen in Missouri wohnten auch in den ersten Jahren in Illinois. Im Frühjahr 1840 erkrankte Partridge, während er in Nauvoo ein Haus für seine Familie baute. Er starb am 27. Mai 1840 und ließ eine Frau und fünf Kinder im Alter von 6 bis 20 Jahren zurück.
Als Partridge zum Bischof berufen wurde, beschrieb ihn der Herr als jemand, dessen „Herz rein vor [ihm] ist, denn er ist so wie Natanaël vor alters, in dem keine Falschheit ist“ (siehe LuB 41:11). David Pettigrew, ein Mitglied aus den Anfangsjahren der Kirche, beschrieb Partridge als „ehrenhaften Mann, der dieses hohe Amt, das er bekleidete, mit großer Würde und so erfüllte, wie es im Neuen Testament beschrieben ist. Er war ernsthaft und nachdenklich, jedoch zugleich freundlich und liebenswürdig, und auch seine Familie ist äußerst liebenswürdig.“ W. W. Phelps schrieb über Partridge: „Nur wenige sind in der Lage sein, seinen Mantel mit solch einfacher Würde zu tragen. Er war ein ehrlicher Mensch und er lag mir sehr am Herzen.“ Acht Monate nach Partridges Tod offenbarte der Herr, dass sich der treue erste Bischof der wiederhergestellten Kirche bei ihm befand (siehe LuB 124:19).