Gleichgeschlechtliche Neigungen
Lauries Geschichte


„Lauries Geschichte“, Gleichgeschlechtliche Neigungen: Erfahrungsberichte von Mitgliedern der Kirche, 2020

Lauries Geschichte, Gleichgeschlechtliche Neigungen: Erfahrungsberichte von Mitgliedern der Kirche

Lauries Geschichte

Laurie hat immer gewusst, dass das Evangelium wahr ist, aber das machte es für sie nicht unbedingt einfacher. Wegen ihres Zeugnisses waren viele einschneidende Wendepunkte in ihrem Leben sogar noch schwerer. Trotz aller Prüfungen und Tränen ist ihr aber doch ganz wichtig, dass sie fest zum Erretter und zu seinem Evangelium steht.

Lauries Geschichte

Ich heiße Laurie Campbell. Ich lebe zurzeit mit meinem Mann und meinem Sohn in Oceanside in Kalifornien.

Ich bin Werbetexterin, und ich nehme gern einfach einen Stuhl und setze mich mit meinem Laptop an den Strand, wo ich einen herrlichen Blick aufs Meer habe. Dort ist also mein Arbeitsplatz. Sehr zum Leidwesen meiner Familie, in der fast alle einem Beruf im Gesundheitswesen nachgehen, wechselte ich nach vier Jahren Mikrobiologiestudium zur Kunst, ging nach Kalifornien und war dort vier Jahre am Kunstcenter.

Ehrlich gesagt, tat mir das irgendwie gut. Meine Psyche war angeschlagen, und die Kachelmalerei, für die ich mich entschieden hatte, hat mir geholfen, nicht den Verstand zu verlieren. An der Highschool hatte ich viele Depressionen und Angststörungen und fing mit Drogen und Alkohol an. Ich hatte mich so richtig in meine Trainerin verliebt, die das aber nicht erwiderte, und ich dachte, so wirklich anfangen kann ich etwas in diese Richtung sowieso nicht, weil ich ja Mitglied der Kirche bin.

Ich wusste, dass Gott mir helfen würde, also betete ich. Aber es tat sich nichts. Meine Gebete wurden irgendwie gar nicht erhört. Manchmal wollte ich einfach aufgeben, aber ich musste ja irgendwie weitermachen. Am College hatte ich es einfach satt, mich ständig schuldig zu fühlen. Ich begann also, mich mit Frauen zu verabreden, und das tat mir gut. Ich war dann mit einer Frau zusammen, in die ich mich verliebt hatte. Ich war mir sicher, dass ich den Rest meines Lebens mit ihr verbringen wollte, und es fühlte sich irgendwie richtig an. Aber dann hatte ich wieder das Gefühl, Gott wolle nicht, dass ich so lebe. Ich habe mir mehrmals eine Pistole an den Mund gehalten, weil dieser Konflikt so unerträglich war – verliebt zu sein und so starke Gefühle für einen Menschen zu haben, und andererseits das Gefühl, sich trennen zu müssen, weil Gott das nicht möchte. So eine Trennung ist echt hart.

Das sind ja die zwei allerwichtigsten Bereiche im Leben, und für mich schienen sie völlig unvereinbar. Ich wollte einfach nicht mehr leben. Es war mühsam und schwierig, von den Drogen zu lassen, und lange gelang es mir nicht. Eine Zeit lang ging ich zu den Anonymen Alkoholikern. Ich wollte Gott an die erste Stelle setzen und alles ihm in die Hände legen. Also beschloss ich, wieder zur Kirche zu gehen, denn mein Glaube bedeutete mir immer noch viel. Es war wie ein flackerndes Licht – als würde Christus eine Kerze hochhalten, allerdings eine ziemlich kleine Kerze. Aber es vermittelte mir: „Du kannst es schaffen. Es wird nicht einfach, aber du schaffst das.“ Und das stimmte. Einfach war es nicht. Ich war immer noch total in Tracy verliebt und wollte mein Leben mit ihr verbringen. Ich kam also zu dem Schluss: Ich will diese Beziehung, aber ich gehe davon aus, dass Gott diese Beziehung nicht möchte. Also fasste ich den Entschluss, mich auf Gottes Seite zu stellen. Es verlangte mir viel Glauben ab, mit Männern auszugehen, denn es zeichnete sich dadurch immer mehr ab, dass ich wirklich lesbisch bin.

Es ging einfach nicht. Es war furchtbar. Innerlich rief ich verzweifelt um Hilfe.

Die sexuelle Orientierung ist wohl eine Art Kategorie, die für viele wichtig sein mag, aber für mich war sie ein Hindernis. Ich wollte dieses Etikett nicht. Schon damals hat es mir nicht geholfen, wenn jemand sagte: „Ach, die Kirche wird sich schon noch ändern, irgendwann werden gleichgeschlechtliche Beziehungen auch akzeptiert.“ Das belastete mich, denn ich dachte mir: Wenn das stimmt, dann kann ich ja ohnehin bei Tracy bleiben. Habe ich denn überhaupt die Kraft, alleine weiterzumachen?

Was mir am meisten geholfen hat, war mein verständnisvoller Bischof. Er sagte: „Ich kenne mich damit überhaupt nicht aus, aber lass uns überlegen, wie wir das gemeinsam schaffen.“ Drei Jahre lang hat er sich immer wieder Zeit für mich genommen. Meine Freunde und die Kirche waren mir sehr wichtig. Ich habe gebetet, in den heiligen Schriften gelesen und mein Leben niedergeschrieben. Dann kam eines Tages ein gemeinsamer Freund wieder zurück zur Kirche. Wir haben uns nur so zum Spaß verabredet. Er hat keine Annäherungsversuche gemacht und ich wollte ja auch keine. Es passte also.

Ich war zwar immer noch in Tracy verliebt, aber ich war auch gern allein. Also dachte ich, wahrscheinlich werde ich mein Leben lang unverheiratet bleiben. Eines Tages sagte er: „Ich hoffe, dass mehr aus uns wird.“ Das versetzte mich in Angst und Schrecken. Ich drückte ihm meine etwa 150 Seiten lange Lebensgeschichte in die Hand und sagte: „Weißt du was, du solltest etwas mehr über mich wissen. Lies das mal.“ Meine Freundinnen machten das ganze Wochenende über Scherze und sagten: „Du hast ihm das Buch doch nur gegeben, damit er dich in Ruhe lässt, stimmt’s?“ Ich dachte mir: „Ich bin mir da nicht so sicher.“ Ich gab ihm also die 150 Seiten und sagte: „Wenn du danach immer noch an einer Beziehung interessiert bist, dann komm doch am Sonntag zum Abendessen um 18 Uhr. Wenn du aber nicht möchtest, dann verstehe ich das absolut. Du musst mich nicht einmal anrufen, wenn du nicht willst. Das ist in Ordnung.“

Er kam um 18 Uhr und hatte Tränen in den Augen. Er weinte und sagte: „Es tut mir so leid, was du durchmachen musstest. Das ist furchtbar. Ich wünschte, ich hätte damals für dich da sein können. Ich wünschte, du hättest jemanden zum Reden gehabt.“ Ich war hin und weg! Er hielt mich einfach nur im Arm, umarmte mich ganz fest und weinte, und ich weinte auch. Er hätte ja auch ganz anders auf das Buch reagieren können, bei all dem Alkohol, den Drogen und den Beziehungen zu Frauen … Aber wir hielten einander fest, und ich hatte ein Gefühl des Einsseins, das ich noch nie zuvor so erlebt hatte. Weder mit einer Frau noch mit einem Mann. Es ließ sich mit nichts vergleichen, was ich je verspürt hatte, und er sagte: „Wenn du immer noch eine Beziehung zu mir willst, wäre mir das eine Ehre.“ Das war wirklich ein Wunder.

Ich dachte, mit der Ehe und der Familie sei ich nun am Ende all meiner Probleme angelangt. Es kommt mir immer noch lächerlich vor, dass ich so dachte. Man kennt das ja: Wenn mit den Kindern was schiefläuft, können Angst und Sorgen einem ganz schön zu schaffen machen. Genau solche Sorgen hat man aber, wenn man verheiratet ist und Kinder hat. Manche Leute sagen zu mir: „Eigentlich bist du doch lesbisch. Jetzt, wo du mit einem Mann verheiratet bist, stehst du also gar nicht zu dir.“ Ich kann verstehen, woher solche Gedanken kommen – ich hatte selber ja auch so gedacht. Aber was ich früher als Wahrheit betrachtet hatte, war nicht die ganze Wahrheit. Ich muss akzeptieren, dass es unter allen Umständen schwierig ist, und ich muss darauf vertrauen, dass der Herr uns führt.

Lauries Geschichte: Fortsetzung

Mitte der 1970er Jahre war ich in meine Trainerin an der Highschool verschossen. Schwule und Lesben wurden damals allerdings verspottet und beschimpft. Nur wenige haben sich geoutet, weil es eben so schmerzvoll war. An der Highschool hat mir der Sport sehr geholfen, weil ich dort mehrere lesbische Freundinnen hatte. Ich fühlte mich zu keiner von ihnen hingezogen, aber ich war lieber mit ihnen zusammen als mit anderen.

Ich fühlte mich in der Kirche schuldig, weil ich im Alter von 10 Jahren von einem älteren Cousin sexuell belästigt und außerdem von einem vermeintlichen „Freund der Familie“ vergewaltigt worden war. In der Kirche waren die vielen Lektionen über das Gesetz der Keuschheit dann wie ein Schnellschussfeuer, nachdem mich ein Erschießungskommando für schuldig befunden hatte. „Wenn man einmal seine Jungfräulichkeit verloren hat, bekommt man sie nie mehr zurück.“ „Was hättest du lieber: einen Gebrauchtwagen oder einen Neuwagen?“

Dieser „Freund der Familie“ war ein Pädophiler, der mir einredete, die Vergewaltigung wäre meine Schuld gewesen. Er redete mir ein, dass ich Ärger bekäme, wenn ich jemandem davon erzähle. Also hielt ich brav den Mund. Doch ich fühlte mich schuldig – schrecklich schuldig –, weil ich dachte, ich hätte die schlimmste Sünde neben Mord begangen.

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Eine Frau am Strand

Auch am College habe ich Sport gemacht und die meiste Zeit mit lesbischen Freundinnen verbracht. Da ich ein Zeugnis vom Evangelium hatte, vermied ich es in meinem ersten Studienjahr, mit jemandem auszugehen. Im zweiten Jahr am College hörte ich jedoch auf, zur Kirche zu gehen. Ich trank und nahm Drogen. Ich war es leid, mich schuldig zu fühlen. Und da ich weder zur Kirche ging noch das Wort der Weisheit befolgte, dachte ich, ich könne ja genauso gut auch mit Frauen ausgehen.

Ich ließ mich darauf ein, weil ich dachte, das sei alles nur eine Phase. Ich dachte, irgendwann würde ich aufhören, mit Frauen auszugehen, und wieder in die Kirche gehen. Dann geschah etwas Unerwartetes: Ich verliebte mich in eine Frau. Das hat mich überrascht, weil ich eigentlich nicht davon ausgegangen bin, dass ich mich verlieben würde. (Ich weiß gar nicht, womit ich eigentlich gerechnet hatte, schließlich ging ich ja nur mit Frauen aus.) Obwohl meine Gefühle für meine Freundin so stark waren, spielte auch mein Zeugnis eine große Rolle – einerseits, weil ich eine starke Überzeugung vom Evangelium hatte, und andererseits weil es mich vor einen Konflikt stellte.

Nachdem wir etwa eineinhalb Jahre zusammen gewesen waren, trennten wir uns. Ich ging mit anderen Frauen aus, um über sie hinwegzukommen, aber das funktionierte nur bedingt. Als ich in einen anderen Bundesstaat zog, hatte ich das Gefühl und den Wunsch, ich solle herausfinden, zu welcher Gemeinde ich gehöre, und mit dem Bischof sprechen. Ich wusste gar nicht genau, was ich ihm sagen sollte. Ich spürte aber, dass es wichtig war.

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Frau schaut auf den Ozean

Im Nachhinein verstehe ich, warum. Gott sei gedankt, denn dieser Bischof wandelte wirklich in Christi Spuren. Er wandte die Macht des Priestertums zu meinem Segen an, so wie es im Plan Gottes vorgesehen ist. Er verkörperte die Schriftstelle: „Kraft des Priestertums kann und soll keine Macht und kein Einfluss anders geltend gemacht werden als nur mit überzeugender Rede, mit Langmut, mit Milde und Sanftmut und mit ungeheuchelter Liebe.“ (Lehre und Bündnisse 121:41.)

Dieser Bischof hat sich fast drei Jahre lang um mich gekümmert, auch als ich dazwischen eine Zeit lang wieder mit meiner Freundin zusammen war.

Wenn ich Mist gebaut hatte, nahmen seine Geduld, seine Langmut und seine ungeheuchelte Liebe nur noch zu.

Dass ich diese Frau liebte, fühlte sich völlig richtig an, und die Beziehung gab mir auch sehr viel. Dass unsere Beziehung falsch wäre, fiel mir schwer zu glauben, und ich wollte auch keinerlei Konsequenzen daraus ziehen. Was sich richtig anfühlte, war falsch, und was sich falsch anfühlte, war richtig! Manchmal war dieser Konflikt in mir so heftig, dass ich daran dachte, mir das Leben zu nehmen. Ich bin echt froh, dass ich noch am Leben bin.

Mit der Hilfe des Bischofs fing ich an, jeden Tag in den heiligen Schriften zu lesen und öfter in die Kirche zu gehen, auch wenn es mir schwerfiel, meinen Glauben zu bewahren. Viele Male war ich nicht imstande, Gottes Gegenwart zu spüren. Meine Gebete kamen mir eher vor wie ein Monolog, nicht wie ein Dialog.

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Eine Frau sinnt nach

Ich war mir immer sicher, dass jeder im Leben nur eine begrenzte Menge an Schmerzen ertragen muss. Es heißt, wir müssen nicht mehr ertragen, als wir können. An einem Punkt war ich ganz am Ende meiner Kräfte angelangt, und da empfand ich tief drinnen einen Schmerz, der mich irgendwie prägte und läuterte – in einer Weise, wie ich es noch nie zuvor erlebt hatte. Ich erhielt die notwendige Kraft, meine Entscheidungsfreiheit auszuüben und dem Plan des Evangeliums zu folgen.

Trotzdem war es eine schwierige Entscheidung.

Die Aussichten waren ja auch gar nicht gut. Ich hatte nicht den geringsten Wunsch, mein Leben mit einem Mann zu verbringen – geschweige denn die Ewigkeit.

Damit blieb mir nur noch eine Option: für den Rest meines Lebens unverheiratet zu bleiben. Es hat mir sehr geholfen, dass ich immer gerne Zeit für mich hatte, vor allem beim Schreiben und Fotografieren.

Ich wusste, dass das Buch Mormon wahr ist. Ich wusste, dass das Evangelium Jesu Christi wahr ist. Ich wusste, dass wir einen lebenden Propheten auf Erden haben. Also ging ich diesen Weg weiter.

In der Kirche fühlte ich mich allerdings häufig unwohl. Ich kannte niemanden. Ich rauchte und trank immer noch und nahm Drogen, und meine sexuellen Neigungen behielt ich lieber für mich. Ich wusste, dass ich kein so rechtschaffenes Leben führte wie vermutlich alle anderen in der Gemeinde. Ich fühlte mich so fremd dort, als würde ich ein fremdes Land besuchen.

Neben dem Bischof freundete ich mich schließlich noch mit jemandem in der Kirche an. Sie wurde meine neue Besuchslehrerin. Dank ihrer Liebe, Akzeptanz und Unterstützung habe ich mich wohler gefühlt. Ich hatte endlich eine Freundin in der Kirche, die wusste, wer ich bin und was ich getan hatte, und die mich deswegen nicht für schlecht oder böse oder pervers hielt.

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Sonnenuntergang über Pier und Ozean

Es dauerte noch einige Jahre, bis mein Drogen-, Alkohol- und Zigarettenproblem beigelegt war und ich mich auch ohne Lebensgefährtin wohlfühlte. Mit 30 war ich bereit, durch den Tempel zu gehen. Ich ging davon aus, dass ich mich verpflichten würde, für den Rest meines Lebens sexuell enthaltsam zu leben, und ich hatte den Glauben, dass ich das schaffen würde.

Aber dann hatte ich das Gefühl, ich solle mich mit Männern verabreden. Das wiederum drängte mich oft in die andere Richtung und ich hatte ganz klar das Gefühl, ich sei definitiv lesbisch und könne nie mit einem Mann zusammen sein. Nach einer Weile lernte ich einen Mann kennen, mit dem ich gern zusammen war. Er war sehr klug und ich unterhielt mich gern mit ihm. Wir blieben befreundet, bis er sagte, er wolle eine Beziehung. Ich hatte ein Buch über mein Leben geschrieben und übergab ihm das. Darin standen all die schlimmen Sünden, die ich begangen hatte.

Ich dachte, ich werde ihn wohl nie wiedersehen. Aber am Sonntag kam er zum Abendessen.

Er konnte nicht nur mit meiner Vergangenheit leben, sondern er war auch tief bewegt davon.

Er weinte und entschuldigte sich dafür, dass er nicht da gewesen sei, als ich jung war, und dass er mir damals nicht habe helfen können.

Ich war wirklich überrascht und tief bewegt. In dem Moment änderten sich meine Gefühle für ihn. Seitdem weiß ich, dass er der Richtige für mich ist. Und er ist ein Mann – das überraschte mich am meisten.

Heute noch erzähle ich manchmal meine Geschichte, wenn ich das Bedürfnis habe, aufzuklären und zu informieren, damit andere Menschen gleichgeschlechtliche Neigungen und homosexuelle, bisexuelle oder transsexuelle Mitglieder der Kirche besser verstehen können, die sich fragen, wo in der Gemeinschaft der Heiligen Platz für sie ist. Manchmal werde ich danach anders behandelt, und einige wenige gehen mir aus dem Weg oder machen sogar einen großen Bogen um mich. Aber meistens vertiefen sich Freundschaften dadurch und ich merke, dass ich mit anderen mehr gemeinsam habe, als ich anfangs dachte.

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Ein Paar beobachtet den Sonnenuntergang am Ozean

Ich gebe zu, dass ich mich schwer damit tue, wenn jemand sagt: „Natürlich kannst du rechtschaffen sein, du bist ja auch verheiratet. Das macht es für dich leichter.“ Das stört mich, weil ich neuerdings unter posttraumatischen Belastungsstörungen leide und drei Kinder großziehe, die alle so ihre Probleme haben. Das macht es noch schwerer. Die Schmerzen meiner Kinder zu ertragen war schlimmer, als meine eigenen aushalten zu müssen. Ich dachte: „Bitte, tu mir weh, wenn es sein muss, aber nicht meinen Kindern!“

Mein Glaube ist in vielerlei Hinsicht gewachsen. Auf jeden Fall ist mir jetzt klar, dass das Allerschwierigste noch nicht unbedingt hinter mir liegen muss. Ich bin dankbar, dass ich einen Ehemann habe, der mich liebt und unterstützt und so viel mit mir durchgestanden hat. Er hat mir das Leben wirklich leichter gemacht, als wir unsere Kinder trotz all ihrer Probleme gemeinsam großgezogen haben.

Mein Glaube hat sich bewährt. Ich lege alles in die Hand des Herrn und bin zuversichtlich, dass es uns irgendwie dann letztlich doch etwas bringt. Auch als die Hölle selbst ihren Rachen mehrmals weit nach mir aufriss, so weiß ich doch ganz genau, dass es mir zum Guten dient (siehe Lehre und Bündnisse 122:7).

Meine Liebe zum Erretter und zu seinem Evangelium und meine Hingabe daran kann und werde ich nie wieder aufgeben.

Dallasʼ Geschichte: Lauries Ehemann

Dallas wollte immer so eine Beziehung führen, wie er es bei seinen Eltern gesehen hatte. Allerdings glaubte er nicht, dass dies möglich wäre – bis er Laurie kennenlernte. Ihre Vergangenheit schockierte ihn verständlicherweise, aber er erkannte schnell: Wenn Laurie ihn trotz seiner Unvollkommenheiten akzeptiert, dann kann er auch Laurie so nehmen, wie sie ist.

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Ein Mann sitzt in der Küche

Ich erinnere mich noch an das Gemurmel der Leute, das zu hören war, als mein ältester Bruder in einer Ansprache in der Abendmahlsversammlung erzählte, er habe unsere Eltern noch nie streiten hören. Manche dachten, er übertreibe. Andere meinten, so etwas sei nicht möglich. Wir konnten das gar nicht verstehen. Waren denn nicht alle Eltern so? Ich war in einem Umfeld aufgewachsen, in dem zu merken war, dass meine Eltern einander liebten und achteten. Und wir wussten, dass sie uns liebten. Ich weiß nicht, wie sie das gemacht haben, aber es war eine wunderbare Welt, in der wir groß geworden sind. Bei so guten Voraussetzungen sollte man meinen, dass mein Leben problemlos verlaufen wäre. So war es aber nicht.

Ich war 16 Jahre von Mission zurück, als ich Laurie kennenlernte. Ein gemeinsamer Freund stellte uns einander vor, nachdem er mich monatelang ermuntert hatte, wieder zur Kirche zurückzukehren. Ich fand Laurie sehr attraktiv und ziemlich stur. Sie ließ sich definitiv nicht verbiegen. Zu dem Zeitpunkt hatte sie sich lange damit abgeplagt, ihren Glauben zurückzugewinnen und in den Tempel zu gehen. Sie hatte aus Erfahrung gelernt, worauf es ankommt. Ich war noch nicht ganz so weit.

Eine Zeit lang verabredeten wir uns jeden Monat einmal. Ich war unglaublich gern mit ihr zusammen. Sie war irgendwie anders. Einem Menschen wie ihr war ich noch nie begegnet. So vergingen die Monate, und ich freute mich immer wieder darauf, Zeit mit ihr zu verbringen. Ich vermute, dass sie sich damals auch ein Bild von mir gemacht hat, und das fiel nicht nur positiv aus. Eines Abends ließ sie mich wissen, dass sie mehr erwartete, und erzählte mir, wie wichtig ihr das Evangelium sei und dass sie besorgt sei, dass wir da nicht die gleiche Blickrichtung hatten. Das gab mir zu denken. Als wir uns so unterhielten, wurde mir plötzlich klar, dass ich mit ihr die gleiche Beziehung haben könnte, wie meine Eltern sie zueinander hatten. Das war mir noch nie in den Sinn gekommen. Ich hatte nicht geahnt, dass so etwas überhaupt möglich sein könne.

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Jemand schreibt Tagebuch

Ich sagte ihr, dass ich unsere Beziehung gern vertiefen würde. Im Gegenzug gab sie mir etwas Lesestoff – ihre Lebensgeschichte. Ich versprach ihr, den Bericht zu lesen, während sie übers Wochenende weg war. Ich nahm das Manuskript mit nach Hause und wollte gar nicht reinschauen. 24 Stunden lang lag es da und nervte mich. Angestoßen von den Gefühlen, von denen ich ihr erzählt hatte, öffnete ich es schließlich und begann zu lesen. (Erst da wurde mir klar, dass sie auch eine ausgezeichnete Schriftstellerin ist.) Was ich an jenem Abend gelesen habe, war das Schlimmste, was ich je gelesen habe. Wie konnte jemand, der mir so sehr am Herzen lag, so Schlimmes erlebt haben, ohne dass ich davon wusste?

In dem Buch ging es auch um ihre gleichgeschlechtlichen Neigungen und ihre Probleme mit dem Wort der Weisheit. Als ich weiterlas, kam ich zu einem Satz, der unerwartet war: „Es spielt keine Rolle, wie bequem oder behaglich das Leben ist oder wie zufrieden man damit ist: Wenn man dem Erretter nicht näherkommt, spielt es keine Rolle, wohin einen das Leben sonst noch führt.“

Vergleicht man meine Wertschätzung für sie mit einem Keil, dann war dies der Hammer. Dessen Schlag brach die Schale rund um mein Herz auf und ich war dem Leben, der Welt und dem Schmerz ausgeliefert. Ich musste eine Entscheidung treffen: Ich konnte entweder meinen bisherigen Weg fortsetzen und so sterben oder mich für das Leben entscheiden. Ich blickte den Abgrund hinab und entschied mich von ganzem Herzen für das Leben.

Ich wusste in dem Moment, dass ich für ein Leben mit Laurie nicht würdig war und auch nicht dem entsprach, was sie sich wünschte, aber ich wusste, dass ich sie liebte. Ich versuchte, mich so schnell wie möglich zu ändern. Veränderungen gehören zum großen Plan des Glücklichseins dazu. Ich bin sehr dankbar dafür, dass wir uns ändern können.

Bevor wir geheiratet haben, hatte ich hin und wieder Bedenken. Nun kannte ich ja Lauries Vergangenheit und fragte mich, ob das zwischen uns funktionieren könne.

Ich hatte Angst. Ich bin schließlich ein Mann, aber sie stand ja nicht allzu sehr auf Männer.

Immer wenn ich solche Bedenken hatte, führte ich mir vor Augen, dass ja auch ich nicht perfekt sei und dass ich dankbar sein könne, wenn sie mich so akzeptiert, wie ich bin. Wenn sie bereit ist, mich so anzunehmen, kann ich dann nicht das Gleiche für sie tun?

Ich nahm mir ganz bewusst vor, nicht großartig über ihre Vergangenheit nachzudenken, und daran habe ich mich gehalten.

Nach zwanzig gemeinsamen Jahren habe ich überraschenderweise viel mehr Zeit damit verbracht, mich zu fragen, wieso ich eigentlich keine Bedenken hatte, als dass ich tatsächlich Bedenken hatte. Es versteht sich wohl von selbst, dass ich keinen Grund hatte, mir wegen ihrer Vergangenheit Sorgen zu machen.

Zu Beginn unserer Ehe gab es ja viele andere Dinge, über die wir uns Sorgen machen mussten, zum Beispiel Kinder, Finanzen, Kinder, Gesundheit und nochmals Kinder. Wovon wir gedacht hatten, dass es uns die größten Sorgen machen würde, das wurde plötzlich unwichtig, weil andere Aspekte unseres Familienlebens in den Vordergrund traten. Durch Lauries bisherigen Weg zurück zum Evangelium war ihr Glaube stark und sehr praxisnah geworden. Ihre geistige Kraft gab mir Zuversicht. Es war für uns beide schlimm, dass sie wegen ihrer Depressionen (oder wie auch immer die verschiedenen Diagnosen lauteten) mitunter das Gefühl für den Geist verlor. Doch trotz aller Widrigkeiten blieb sie treu.

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Ehepaar schaut auf den Ozean

Es ist ein Segen, dass ich Laurie habe. Unser gemeinsames Leben war bislang nicht einfach, aber gut. Ich komme noch nicht ganz an meine Eltern heran, aber ich versuche es. Wir haben auf unsere Weise zueinandergefunden. Tief im Inneren bin ich immer noch völlig begeistert, wenn sie sagt: „Das Evangelium hat nicht bewirkt, dass ich mich zu Männern hingezogen fühle. Aber es hat bewirkt, dass ich mich zu diesem einem Mann hingezogen fühle.“ Und der bin ich! Das ist mehr, als ich anfangs zu hoffen gewagt hatte.

Die Geschichte aus der Sicht von Lauries Freundin

Umkehr kann schwer sein, aber sie ist notwendig. Laurie brauchte einfach jemanden, der ihr Mut zusprach – so, wie nur eine Freundin dies konnte, die zu ihr hielt, ganz gleich, was Laurie in der damaligen Situation tat oder wozu das führen würde.

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Nahaufnahme von einer Blume

Ich traf Rip – so nenne ich Laurie – zum ersten Mal, als sie anfing, hin und wieder unsere Gemeinde für Alleinstehende zu besuchen. Sie war mir sehr sympathisch geworden, nachdem sie ein besonders ansprechendes Zeugnis über eine Besuchslehrerin gegeben hatte, die sie am College gehabt hatte. Es war bei weitem die lustigste und rührendste Geschichte, die ich je über das Besuchslehren gehört hatte.

Wie es das Schicksal so wollte, dauerte es nicht lange, bis ich ihre Besuchslehrerin wurde.

Durch ihren Humor war rasch ein guter Grundstein gelegt. Wir wurden Freundinnen, und sie vertraute sich mir immer wieder an, wenn sie Probleme hatte oder etwas wieder nicht klappte. Ich hörte ihr zu und zeigte angesichts ihrer vielen Probleme Mitgefühl.

Sie wünschte sich so sehr, ein für allemal einen Schlussstrich unter ihr Verhalten in Bezug auf mehrere Dinge zu ziehen, wozu Probleme mit dem Wort der Weisheit zählten sowie ihre Beziehung zu einer Frau. Doch sie schaffte es einfach nicht, wie sie oftmals klagte.

Ich wollte gern ihre Freundin bleiben, egal was sie gerade tat oder wozu das führte.

Etwa ein Jahr nach Beginn unserer Freundschaft lud ich sie einmal in ein Lokal zum Mittagessen ein. Ich hatte dabei keine Hintergedanken, ich dachte einfach, dass Besuchslehren so ja auch ganz nett sein kann. Bis heute lachen wir darüber. Nachdem wir bestellt hatten, beklagte sie sich über die zahlreichen Hindernisse, die sich ihr auf dem Weg der Umkehr scheinbar immer wieder in den Weg stellten. Irgendwann sagte sie teils im Scherz und teils im Ernst: „Also gibt es doch keinen Grund, weshalb ich jetzt schon umkehren muss, oder? Ich habe doch noch jahrelang Zeit, bevor ich mich dem stellen muss.“

An dem Punkt wurde ich ganz still, und ehe ich mich versah, sagte ich ihr, dass sie jetzt aufhören müsse, mit dem Herrn zu spielen und den Tag ihrer Umkehr aufzuschieben. Ich sagte ihr, da sie klug sei und ihre Verpflichtungen genau kenne, erwarte der Herr doch wohl von ihr, dass sie mit dem aufhöre, was sie innerlich zerreißt.

Ich war deutlicher, als ich normalerweise gewesen wäre, wenn ich nicht den Eindruck gehabt hätte, dass sie das hören müsse. Sie rührte ihr Essen im Restaurant nicht einmal an. Noch nie zuvor war ich Laurie gegenüber so kritisch und unglaublich ernsthaft gewesen.

Damals wusste ich nicht, was daraus folgen würde. Ich wusste aber, dass ich sie bis ins Mark getroffen hatte. Sie hatte nicht erwartet, dass ich so brutal ehrlich zu ihr sein und ihre Einstellung „Ich kann später aufhören und umkehren“ in Frage stellen würde.

Es gab keine sofortige Veränderung, aber sie nahm meine Worte sehr ernst. Vor ihr lag kein leichter Weg. Es ist immer noch kein leichter Weg für sie, allerdings aus ganz anderen Gründen. Aber sie wollte sich ändern, und ihr war endlich klargeworden, dass Reden allein nichts bringt.

Es dauerte Jahre, aber ich glaube, in diesem Moment ging sie die Verpflichtung ein, nicht mehr mit Worten zu spielen, sondern neue Wege zu beschreiten und ihr Leben dauerhaft zu ändern.

Ganz gleich, ob sie sich jemals ändern würde oder nicht, wir waren und blieben jedoch Freundinnen, und das wusste sie. Wenn wir uns treffen, ist es immer so, als wäre zwischendurch gar keine Zeit vergangen.

Schließlich zogen wir beide fort und stellten fest, dass wir einander nicht mehr kontaktieren konnten, da wir beide eine neue Telefonnummer hatten, die aber nirgendwo aufgeführt war (damals gab es noch keine sozialen Medien). Wir versuchten beide, die andere ausfindig zu machen, aber ich wohnte fast am anderen Ende des Landes, und das erschwerte die Suche. Schließlich war Rip diejenige, die mich fand (was sie mir bis heute unter die Nase reibt). Ich glaube nicht, dass wir jemals wieder den Kontakt zueinander verlieren werden. Das Wiedersehen nach acht Jahren kam uns so vor, als sei überhaupt keine Zeit vergangen. Ihretwegen habe ich ein tieferes Zeugnis vom Evangelium Jesu Christi. Für mich ist sie eine wahre Heldin. Ich bewundere sie und schaue zu ihr auf.

Unsere Beziehung ist geprägt von Zuneigung und gegenseitiger Achtung, aber das ist fast nur Nebensache, weil wir beide eine äußerst humorvolle Ader haben und gern herumalbern. Wir lachen zusammen, ziehen uns gegenseitig auf und helfen einander. Wir tauschen uns aus und respektieren unterschiedliche Standpunkte und lernen gleichzeitig voneinander.

Ich weiß es sehr zu schätzen, dass wir uns nicht gegenseitig verurteilen – niemals. Sie ist eine wahre Freundin. Ich habe so viel von ihr gelernt, und wie ich schon sagte, wäre sie auch dann noch eine echte Freundin, wenn sie sich nicht vor vielen Jahren geändert hätte. Wir haben uns beide weiterentwickelt und fragen uns doch immer noch, wie man es bei der Kindererziehung richtig macht. Mehr als einmal war sie die Antwort auf meine Gebete, ohne es überhaupt zu wissen. Sie ist bewundernswert.

Rips Wunsch, das zu tun, was sie für richtig hielt, war stärker als ihr Wunsch, etwas zu tun, wovon sie wusste, dass sie davon lassen musste. Hätte sie sich nicht ändern wollen, hätten wir das Gespräch damals beim Mittagessen nicht geführt. Ich hätte nicht im Traum daran gedacht, ihr oder sonst jemandem zu sagen, was sie tun oder lassen soll, wenn sie nicht den Wunsch gehabt hätte, davon umzukehren. Ich war wirklich erschrocken darüber, was ich an jenem Tag zu ihr gesagt hatte.

Wie wir alle wissen, steht es uns ja nicht zu, jemanden zu richten oder zu verurteilen. Natürlich haben wir die Fähigkeit, selbst Recht von Unrecht zu unterscheiden und auf dieser Basis unsere Entscheidungen zu treffen, aber wir haben nicht das Recht, unsere Überzeugungen einem anderen aufzuzwingen.

Schon als Kind brachten mir meine Eltern bei, jemanden, der in der Kirche neben uns sitzt und nach Zigarettenrauch riecht, nicht zu verurteilen, weil uns das nämlich nichts angeht. Und wir sind sicherlich nicht imstande, über jemanden zu urteilen, der uns gegenübersitzt und vielleicht Lügen erzählt. Meine Eltern brachten mir also bei, niemanden zu verurteilen, da wir Menschen nicht imstande sind, ein kluges und gerechtes Urteil zu fällen. Abgesehen davon, dass wir nicht urteilen sollen, dürfen wir nicht einmal Vorurteile hegen. Unsere Aufgabe ist es, mutig für Nächstenliebe einzutreten.

Ich danke Rip und allen Menschen, die ich kennenlernen durfte und die andere Lebenserfahrungen gemacht haben als ich. Ich danke ihnen, dass sie mich in ihr Leben gelassen haben. Diese Beziehungen haben mir sehr gut getan.

Die Geschichte aus der Sicht von Lauries Bischof

Die Führer der Kirche spielen eine wichtige Rolle, denn sie lassen die Menschen in ihrem Umfeld die Liebe des Erretters verspüren. Verständnis und Geduld sind dabei entscheidend. Aber am wichtigsten ist die Liebe – ganz egal, was vorgefallen ist.

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Eine Frau schaut auf einen Pier und auf den Ozean

Ich wurde gebeten, nicht nur meine Sichtweise zu schildern, sondern auch Aussagen von Verwandten, Freunden und Führern der Kirche miteinzubeziehen, die mich auf dem Weg von einer gleichgeschlechtlichen Beziehung zum aktiven Mitglied der Kirche unterstützt haben. Der Mensch, der neben dem Erretter und meinen Eltern im Himmel den größten Einfluss auf meinen Lebensweg gehabt hat, war mein Bischof. Da er inzwischen verstorben ist, schien es mir wichtig, einiges von dem aufzuschreiben, was er tat, um mich zu unterstützen und mich liebevoll in die Herde Gottes zurückzuführen. Ich hoffe, das hilft auch anderen Führungsverantwortlichen, das Gleiche für diejenigen zu tun, für die sie eine äußerst wichtige und heilige Verantwortung tragen.

Gleich beim ersten Gespräch erzählte ich meinem Bischof alles über meine Beziehungen zu Frauen, dass ich derzeit mit einer Frau zusammen war, Drogen nahm und Alkohol trank. Beim ersten Termin hatten wir nicht so viel Zeit, also vereinbarten wir für die folgende Woche einen längeren Termin. In der Zwischenzeit hatte er vermutlich Rücksprache mit dem Pfahlpräsidenten gehalten, denn beim zweiten Treffen stellte er andere Fragen, um festzustellen, wie weit ich gegangen war. Das war Anfang der 80er Jahre, wo die Führer der Kirche wenig bis gar nichts über gleichgeschlechtliche Neigungen wussten. Die Fragen verunsicherten mich. Glücklicherweise muss der Bischof das gespürt haben, denn er hielt inne, holte Luft und ließ sich dann vom Heiligen Geist leiten. Ich erinnere mich nicht einmal mehr daran, was er danach sagte. Am meisten erinnere ich mich daran, dass ich den Geist verspürte, der von ihm ausging, und dass ich ganz deutlich spürte, dass sowohl meine himmlischen Eltern als auch mein Bischof mich lieben.

Er sagte: „Ich kenne mich mit dem, womit Sie klarkommen müssen, nicht gut aus. Vielleicht können Sie mir helfen, Sie besser zu verstehen. Ich weiß, dass der Herr Sie liebt und dankbar ist, dass Sie den Wunsch haben, umzukehren und Ihr Leben zu ändern. Ich bin bereit, alles zu tun, was nötig ist, um Ihnen zu helfen, zurückzukommen.“

Keiner von uns hätte geahnt, dass wir uns noch fast drei Jahre lang fast jede Woche zusammensetzen sollten. Ich bin mir nicht sicher, ob wir dazu bereit gewesen wären, wenn wir gewusst hätten, wie lang und beschwerlich der Weg sein würde. Trotzdem hat mein Bischof nie aufgegeben – selbst dann nicht, wenn ich es tat. Er ermunterte mich, redete auf mich ein und schenkte mir Hoffnung, wenn ich keine verspüren konnte. Viel später sagte mir der Bischof, dass er von niemandem so viel Geduld gelernt habe wie von mir. Und auch ich habe sehr viel über Geduld gelernt.

Abgesehen davon, dass er ein wunderbarer Christ war, der sich meiner Sache – eher gesagt, der Sache des Herrn – verschrieben hatte, hat mein Bischof mir auf noch andere Weise sehr geholfen:

  1. Wir haben bei jedem Termin gebetet, manchmal auch vorher und hinterher.

  2. Obwohl keiner von uns genau wusste, welcher Weg vor mir lag, ließ er sich nicht beirren und vertraute darauf, dass der Herr schon wisse, was zu tun sei.

  3. Er kam mir nicht mit einem Urteil, sondern überzeugte mich durch Sanftmut.

  4. Er blieb geduldig, auch als ich wieder mit der Frau zusammen war, in die ich verliebt war.

  5. Er konzentrierte sich auf das Rechtschaffene, was ich tun konnte – tägliches Schriftstudium oder der wöchentliche Besuch der Kirche –, und nicht auf unredliche Taten, die ich noch nicht unter Kontrolle bekommen hatte.

  6. Er stärkte mein Vertrauen, indem er mich für das lobte, was ich tun konnte.

  7. Er ließ immer den Geist die Richtung vorgeben; er reagierte zunächst vielleicht auf natürliche oder menschliche Weise, hielt dann aber inne, um sich vom Geist führen zu lassen.

  8. Er las immer mindestens eine Schriftstelle vor, von der er dachte, sie würde helfen, manchmal auch mehrere, wenn wir uns unterhielten und ihm etwas in den Sinn kam.

  9. Er gab mir immer einen Segen, wenn es ihm der Geist eingab.

  10. Er wählte gebeterfüllt eine Besuchslehrerin aus, die sich in der Folge liebevoll um mich kümmerte.

  11. Wenn ich nicht in die Kirche kam, rief er mich an, erkundigte sich nach dem Grund und ermunterte mich, in der nächsten Woche zu kommen.

  12. Und vor allem liebte er mich – egal, was ich getan oder nicht getan hatte.

Nach dem Tod meines Bischofs hatte ich über die Jahre mehrfach das starke Gefühl, dass er bei mir war. Ich habe keine Ahnung, wie so etwas im Jenseits abläuft. Ich weiß aber, dass die Verbindung, die wir zu unseren Lieben haben, nicht mit dem Tod endet. Ich weiß, dass wir von beiden Seiten des Schleiers Hilfe erhalten. Ich jedenfalls bin dankbar dafür, dass der Bischof in meinem Leben immer noch ein Segen ist, auch wenn ich ihn nicht sehe. Die Geheimnisse Gottes sind wunderbar, auch wenn sie zumeist ein Geheimnis bleiben.

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