Gleichgeschlechtliche Neigungen
Die Geschichte der Familie Mackintosh


„Die Geschichte der Familie Mackintosh“, Gleichgeschlechtliche Neigungen: Erfahrungsberichte von Mitgliedern der Kirche, 2020

„Die Geschichte der Familie Mackintosh“, Gleichgeschlechtliche Neigungen: Erfahrungsberichte von Mitgliedern der Kirche

Die Geschichte der Familie Mackintosh

Beckys Geschichte

Becky liebt ihren Sohn Xian. Nachdem er sich geoutet hatte, lernte sie nach und nach mehr über Liebe, als sie jemals für möglich gehalten hätte – vor allem, dass bedingungslose Liebe nicht Zustimmung bedeutet. Sie wollte weder ihren Glauben noch die Liebe zu ihrem Sohn aufgeben.

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Ein Mann und eine Frau sitzen auf der Veranda

Ich bin eine Heilige der Letzten Tage, und ich habe einen schwulen Sohn. Ich liebe ihn von ganzem Herzen, mit aller Kraft und von ganzer Seele. Und ich liebe meine Religion von ganzem Herzen, mit aller Kraft und von ganzer Seele. Das macht mich als Mensch aus. Ich werde mich niemals von meinem Sohn abwenden, und ich werde niemals meinen Glauben aufgeben. Punkt. Ich bin nach meinen Beweggründen gefragt worden. Meine Antwort darauf lautet: Gott hat mir klargemacht, dass ich meinen Sohn Xian bedingungslos lieben soll.

Ich gebe zu, es hat eine Weile gedauert, bis ich wirklich verstanden habe, was „bedingungslose Liebe“ bedeutet. Ich hatte „Liebe“ mit „Zustimmung“ verwechselt. Aber als ich herausgefunden habe, was bedingungslose Liebe wirklich bedeutet, wurde mir das Herz um ein Hundertfaches weiter und schloss nicht nur meinen Sohn, sondern alle Menschen überall mit ein. Mein Glaube ist tief in mir drin. Ich kann ihn nicht aufgeben. Und ich werde auch nie meine tiefe Liebe zu meinem Sohn aufgeben.

Wenn ich über unseren Lebensweg nachdenke, erkenne ich, dass mich Gott durch Xian vieles gelehrt hat. Mein Glaube ist auf eine Weise gewachsen, wie ich es nie für möglich gehalten hätte. Gott hat mich gelehrt, was es wirklich bedeutet, Mitgefühl, Empathie und ungeheuchelte Liebe zu haben. Xian sagte zu mir: „Mama, ich weiß nicht, wie meine Zukunft aussieht, aber ein Mädchen zu heiraten, das scheint mir unmöglich.“ Das war sehr schwer, besonders weil ich wusste, dass sich mein Sohn von der Kirche entfernte. Jetzt, wo er in einer Beziehung ist, haben wir als Familie gelernt, den Kreis unserer Liebe zu erweitern. Die beiden abzuweisen entspräche nicht dem, was der Erretter gelehrt hat.

Liebe scheint in so einer Situation Gegenstand der Frage zu sein, aber in Wirklichkeit ist sie die Antwort. Ich habe gelernt, dass meine Gebete mich zum Handeln bewegen und ich erkennen kann, wann ein Mensch in meinem Umfeld leidet. Ich habe mich mehr bemüht, aus Liebe zu handeln. Ich habe gelernt: Wenn ich mich auf das Positive konzentriere und schwierige Situationen mit Liebe angehe, dann sehe ich Schönheit und Wunder anstelle von Unglück und Kummer.

Als Xian heranwuchs, machte ich mir so manche Gedanken über ihn. Ich konnte es damals gar nicht in Worte fassen und wollte auch nicht viel darüber nachdenken. Ich schob meine Gedanken beiseite und sagte mir, dass er vor seiner Mission wohl einfach keine Freundin haben wolle. Ich war begeistert, dass er aus eigenem Antrieb auf Mission gehen wollte, und das tat er denn auch. Er erfüllte eine ehrenhafte Mission in Detroit in Michigan. Nach seiner Mission ging er an die BYU Hawaii und studierte Sozialarbeit. In den Weihnachtsferien seines letzten Jahres am College schrieb er mir in einer Textnachricht unter anderem: „Mama, ich bin schwul.“ Ich glaube wirklich, dass mich der Herr schon darauf vorbereitet hatte.

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Mann spricht

Einige Monate bevor er sich uns gegenüber outete, hatte ich das starke Gefühl, dass Xian schwul sei. Meine Befürchtungen bewahrheiteten sich also. Trotzdem wollte ich es einfach nicht glauben. Selbst als ich die Worte „Mama, ich bin schwul“ las, konnte ich es zunächst nicht ganz glauben. Es traf mich doch sehr. Als mir nach und nach bewusst wurde, dass es nun einmal so war, schossen mir eine Menge Fragen durch den Kopf. Was habe ich falsch gemacht? Was hätte ich anders machen können? Wie kann ich ihn „in Ordnung“ bringen? Was werden die Leute nur denken?

Als ich an demselben Abend dann zum ersten Mal mit meinem Sohn auf dem Sofa saß, ihm zuhörte und versuchte, ihn zu verstehen, fühlte ich seinen Schmerz, seinen Kummer und seine Hoffnung auf ein besseres Morgen. Ich sagte ihm, dass ich ihn liebe und dass sich an meiner Liebe niemals etwas ändern werde. Ich gebe es nur ungern zu, aber anschließend versuchte ich, ihm Ratschläge zu geben – als ob ich wüsste, was er durchmachte! Ich wollte ihm eigentlich mit meinen Worten Trost und Hoffnung in Bezug auf das Evangelium geben, und merkte gar nicht, dass ich ihm damit in Wirklichkeit immer wieder Dolche ins Herz stieß. All das wusste er schon, weil er es in seiner Jugend schon hunderte Male gehört hatte. Irgendwann wurde mir klar, dass ich Xian zuhören und ihn lieben müsse, als ob sich nichts geändert hätte. Schließlich war er ja derselbe Junge, den ich kannte und liebte.

Ich wünschte, ich könnte sagen, dass mir das leichtfiel und es völlig normal gewesen sei, ihm einfach zuzuhören und ihn zu liebzuhaben. Das ist mir erst viel später gelungen. Ich dachte zwar, ich würde ihm an diesem Abend zuhören und ihn lieben, aber ich merkte, dass da noch einiges fehlte. Ich bin dankbar für meinen geduldigen Sohn. Er hat viel geweint, und ich wusste nicht genau, warum. Ich sagte ihm immer wieder, dass ich ihn liebhabe, aber trotzdem vergoss er viele Tränen.

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Getreideähren

Als er wieder am College war, lag mein Fokus darauf, ihn ändern zu wollen, statt ihn liebzuhaben. Mehr als alles andere wollte ich von ihm hören, dass er zwar schwul sei, dem Evangelium aber treu bleibe. Dann könnte ich nämlich Frieden im Herzen spüren und wüsste, dass alles gut wird. Ich schickte ihm E-Mails mit Schriftstellen und Zitaten von kirchlichen Führern, von denen ich dachte, sie würden ihm Trost spenden und ihm helfen, wieder auf den richtigen Weg zu kommen. Doch sie machten alles nur noch schwieriger für ihn und wir entfernten uns voneinander.

Als mir dann nur daran lag, Xian zu lieben – ihn wirklich liebzuhaben, egal was geschieht, und ihm wirklich aufmerksam zuzuhören –, verbesserte sich unsere Beziehung. Die Tränen versiegten.

Liebe ist nicht nur die Antwort, sie ist auch eine bewusste Entscheidung – die Entscheidung, die der Herr von uns erwartet. Wenn ich versuche, liebevoller zu sein, gleicht der Herr das aus, was noch fehlt.

Niemand ist vollkommen, aber ich kann versuchen, vollkommen freundlich und liebevoll zu sein und aus Liebe heraus zu handeln.

Als ich mein Herz und meine Arme weiter öffnete, als ich es je für möglich gehalten hätte, wurde mir das Herz um ein Hundertfaches weiter. Meine Tür steht jedem offen.

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Mann streichelt Pferd

Gott hat mir nicht alle Fragen beantwortet. Das wäre wohl zu einfach. Aber er hat meine Gebete erhört, wie es nur ein liebevoller Vater im Himmel kann. Während ich ihn um Einsicht und Führung gebeten habe, hat er mir noch mehr Grund gegeben, ihm zu vertrauen und mich auf ihn zu stützen. Er hat mir noch mehr gegeben, damit ich dazulernen kann.

Natürlich könnte ich mich auch zusammenrollen, weinen und fragen: „Was ist aus meiner ewigen Familie geworden?“ Aber ich habe gelernt, wie wichtig es ist, loszulassen. Ich lege alles dem Erretter zu Füßen – immer und immer wieder. Dann fühlt es sich an, als werde mir diese riesige Last genommen, und ich verspüre Frieden.

„Frieden hinterlasse ich euch, meinen Frieden gebe ich euch; nicht, wie die Welt ihn gibt, gebe ich ihn euch. Euer Herz beunruhige sich nicht und verzage nicht.“ (Johannes 14:27.)

Ich habe weiterhin Gottvertrauen und lasse mich vom Geist leiten aus dem Gedanken heraus, dass Gott unsere Kinder viel mehr liebt, als wir es können. Jeder möchte, so wie er ist, geliebt, akzeptiert, respektiert, geachtet und für vertrauenswürdig gehalten werden. Wir sind alle Brüder und Schwestern. Es ist ein Segen, zu wissen, dass wir einen liebevollen Vater im Himmel haben, dass unser Erretter Jesus Christus durch einen lebenden Propheten wirkt, der uns führt und leitet und uns niemals in die Irre führen wird. Wenn ich dem Rat und der Führung Gottes folge und daran denke, dass die Familie im Mittelpunkt des Erlösungsplans steht, kann ich liebevoll und gesprächsbereit sein.

Elder Richard G. Scott hat gesagt: „Sie werden ein Werkzeug, wodurch der Herr andere segnen kann. Der Geist lässt Sie die Anteilnahme und das Interesse des Erretters und anschließend die Herzlichkeit und Kraft seiner Liebe spüren.“ („Heilung finden“, Der Stern, Juli 1994, Seite 8.)

Ich habe herausgefunden, dass dies wahr ist, denn ich habe mich aufrichtig bemüht, ein Werkzeug in der Hand des Herrn zu sein. Ich vertraue darauf, dass sich alles gemäß dem vollkommenen Urteil Gottes ergeben wird, wenn ich Xian und alle meine Kinder wie auch andere Menschen ohne Wenn und Aber liebe.

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Familienfoto

Ich hoffe, wir alle können unseren Nachbarn, Angehörigen und Freunden, die gleichgeschlechtliche Neigungen haben, bisexuell oder transsexuell oder was auch immer sind, liebevoll und freundlich die Hand reichen. Wir können einander helfen, wir können verständnisvoll sein und Liebe zeigen, wie es auch der Erretter uns gegenüber tut. Wir können auf jemanden zugehen, eine SMS schicken, jemanden umarmen, einen Teller mit Keksen vorbeibringen, Blumen schicken oder jemanden zum Essen einladen. Liebe ist die Antwort. Freundlichkeit ist der Weg – der Weg des Erretters.

Scotts Geschichte

Selbst nachdem sich Scotts Sohn geoutet hatte, dachte Scott immer noch, schwul zu sein sei eine Entscheidung. Scotts erste Reaktion war Wut, doch er hielt sich zurück. Später versicherte ihm sein Sohn, dass das keine Entscheidung sei. In dem Moment wurde Scott einiges klar: Er brachte seinem Sohn gegenüber seine Liebe zum Ausdruck und entschuldigte sich für die unsensiblen Kommentare, die er öfter von sich gegeben hatte.

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lächelnder Mann

Becky und ich sind seit über 30 Jahren verheiratet. Wir haben sieben Kinder. Vor ein paar Jahren, als wir unsere Kinder im Evangelium Christi großzogen, gingen wir davon aus, dass alles in Ordnung sei. Dann kam Xian, unser mittlerer Sohn, in den Weihnachtsferien vom College nach Hause und schickte meiner Frau und mir auf Facebook diese Nachricht:

„Hey, ich will nicht allzu lange um den heißen Brei herumreden. Ich wollte euch nur etwas sagen, was ihr sicher schon wisst. Ihr werdet es euch zumindest schon gedacht haben. Ich bin schwul. Ich bin sicher, das ist nicht die schönste Nachricht, die man sich als Eltern wünscht, aber es kommt mir nicht richtig vor, euch etwas zu verschweigen, was für mich sehr real ist. Ich möchte, dass ihr wisst, dass ich immer noch ganz derselbe verrückte Xian bin. Haha. Ich liebe euch so sehr, ihr seid die besten Eltern, die sich ein Kind nur wünschen kann. Deshalb habe ich auch so lange gebraucht, es euch zu sagen. Ich kann recht gut mit dem Schmerz leben, den mir das manchmal bereitet, aber ich möchte euch nicht verletzen, denn das habt ihr nicht verdient. Noch einmal: Ich hab euch sehr lieb. Ich möchte mich kurz fassen, denn ich bin mir sicher, dass ihr lieber persönlich mit mir sprechen möchtet, was für mich auch völlig in Ordnung ist. Ich habe bisher noch niemandem davon erzählt. Ich wollte, dass ihr die Ersten seid, die es erfahren.“

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Zwei Menschen sitzen nebeneinander

Ich habe das gelesen und gedacht: „Nein, das wusste ich nicht, und ich habe es mir auch nicht gedacht. Wie hätte ich mir so etwas denken können?“ Dass er sich in einer Facebook-Nachricht outete, war für mich unfassbar. Aber rückblickend war das wohl das Genialste, was er hätte machen können. So konnte ich es nämlich ohne ihn erstmal verdauen und mich abreagieren. Ich hätte wahrscheinlich etwas zu ihm gesagt, was ich bereut hätte.

Dann ging ich zu Becky ins Nebenzimmer und fragte, ob sie die gleiche Nachricht erhalten habe. Ich war so wütend. Ich konnte nicht fassen, warum sich Xian so etwas ausgesucht hatte, denn damals dachte ich, dass man sich das aussucht. Ich habe ein paar gemeine Sachen gesagt. Ich bin froh, dass Becky die Einzige war, die sie gehört hat.

Als Xian an diesem Abend bei uns ankam, war ich schon zu Bett gegangen. Aber Becky war wach, also sprach sie mit ihm. Als sie wieder ins Schlafzimmer kam, fragte ich: „Wo warst du denn?“

„Ich habe mich mit Xian unterhalten.“

„Und wie ist es gelaufen?“

„Ganz gut.“

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Mann repariert eine Maschine

Ich stand auf, um mit ihm zu sprechen, und Becky sagte: „Sei nett zu ihm. Bitte sei nett.“ Es ist traurig, dass sie mir das überhaupt sagen musste. Ich ging runter und umarmte Xian lang und fest. Dann sagte ich einfach: „Ich hab dich lieb.“

Xian wusste das sehr zu schätzen. Dann sagte er: „Weißt du, Papa, im Laufe der Jahre hast du ein paar wirklich gemeine Dinge gesagt.“ Und er hatte recht. Ich war davon ausgegangen, dass Homosexuelle sich für diese Neigung entschieden haben. Und wenn sie freiwillig so leben wollten, dann hätten sie meine Abneigung mehr als nur verdient.

Ich wusste also nicht, was ich darauf antworten sollte. Ich konnte einfach nur sagen: „Hey, lass uns schlafen gehen und wir sprechen später darüber.“ Xian ging zurück aufs College und ich machte mich daran, ihn möglichst wieder „auf die rechte Bahn“ zu bringen. Ich las alles, was ich aus Sicht der Kirche zu diesem Thema finden konnte, und schickte es Xian zum Lesen. Er schrieb mir dann immer zurück, legte anderes Material bei und schilderte mir seine Sicht der Dinge. Ich war nach wie vor ziemlich verschlossen. Ich hoffte so sehr, dass es vergehen werde, als sei es nur eine Phase, die er durchmacht.

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Zwei Männer unterhalten sich

Nach ein paar Jahren kam Xian vom College nach Hause und sagte: „Papa, wir wollten doch eigentlich reden – also wirklich ganz offen miteinander reden.“

Sofort sagte ich: „In Ordnung, lass uns reden.“ Ich fing an und feuerte die ganze Munition ab, die sich bei mir angestaut hatte. „Xian, wie kannst du dir so etwas aussuchen? Wieso tust du das?“ Er sah mich an und schmunzelte. Er lachte mich nicht aus. Er schmunzelte einfach. Ich bin sicher, dass er das so oft gehört hatte, dass es ihm lächerlich vorkam.

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Zwei Männer umarmen sich

Dann sagte er: „Papa, ich hab mir das nicht ausgesucht. Wieso sollte sich jemand so etwas aussuchen?“

Da ging mir endlich ein Licht auf. All der Schmerz und der Kummer wegen der ganzen Witze, die ich gemacht hatte; all die gemeinen Kommentare und die vielen Male, wo ich vor der ganzen Familie etwas Abfälliges über jemanden gesagt habe, während Xian dasaß und dachte: „Mein Vater hat keine Ahnung, dass er über mich spricht.“ All das kam mir in dem Moment wieder in den Sinn. Der Schmerz, den mein Sohn durchgemacht hat. Das war für mich der Wendepunkt. Und es war der Augenblick, von dem an ich Inspiration erhielt.

Ich erinnerte mich an eine Geschichte, die ich Jahre zuvor gehört hatte. Ein Sportjournalist war beauftragt worden, bei den Olympischen Spielen über die Wettbewerbe im Rudern, Kanufahren und Kajakfahren zu berichten. Er interviewte einen Mannschaftskapitän und fragte: „Was ist mit dem Wind? Mit dem Regen? Mit dem Wellengang der anderen Boote?“

Der Mannschaftskapitän antwortete immer wieder: „Das ist außerhalb meines Bootes.“ Als der Journalist fragte, was er damit meine, erklärte der Sportler: „Das alles kann ich nicht beeinflussen. Es bringt also nichts, mir darüber Gedanken zu machen. Ich konzentriere mich auf das, was in meinem Boot geschieht.“

Als ich so dasaß und mit Xian sprach, wurde mir klar, dass ich versucht hatte, ihn zu korrigieren, aber das war nicht meine Aufgabe. Es war außerhalb meines Bootes. Mir wurde auch klar, dass ich voreingenommen gewesen war. Als Christen glauben wir aber, dass Christus der Richter ist. Also habe ich das alles in das Boot von Christus gelegt. Was in meinem Boot noch übrigblieb, war einzig und allein, ihn liebzuhaben. Alle meine Kinder brauchen meine Liebe – die Liebe ihres Vaters. Keines von ihnen sollte verstoßen werden.

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lächelnder Mann

Aber auch mein Glaube an das Evangelium braucht nicht verstoßen zu werden. Becky und ich lieben das Evangelium, und ich bin so froh, mit einer Frau verheiratet zu sein, die das Gleiche glaubt wie ich. Manche Leute denken, weil wir unseren schwulen Sohn lieben, haben wir uns von der Kirche entfernt. Aber nach dem Evangelium zu leben ist das Beste, was wir für unsere Familie tun können. Ich habe Xian gesagt, wir würden um seinetwillen niemals die Kirche verlassen, und er sagte, dass er das auch nicht von uns erwarte.

Jemanden bedingungslos zu lieben bedeutet nicht, die Kirche zu verlassen, nur weil das Kind gerade eine schwere Zeit durchmacht. Becky und ich hören den Führern der Kirche bei den Generalkonferenzen zu, und wir sind dankbar, dass dieses Thema nun aufgegriffen wird. Es ist gut zu sehen, dass sie sich in eine Richtung bewegen, in der man offen und mitfühlend darüber sprechen kann.

Die Geschichte der Familie Mackintosh

Scott Mackintosh: Ich bin Scott Mackintosh. Ich habe eine hübsche junge Dame namens Becky geheiratet. Ich liebe die freie Natur, das Campen und die Jagd. Diesen Hobbys gehen wir als Familie gerne nach.

Becky Mackintosh: Ich bin Becky Mackintosh und ich lebe in Lehi in Utah. Ich habe sieben Kinder und sieben Enkel.

Xian Mackintosh: Ich heiße Xian Mackintosh. Ich habe vor kurzem mein Studium der Sozialwissenschaften im Fach Psychische Gesundheit abgeschlossen.

Becky Mackintosh: Xian ist ein Spaßvogel, er bringt die Leute gern zum Lachen.

Scott Mackintosh: Er liebt Tiere. Wir hatten Igel, Frettchen und auch Ziegen, die wir sieben Jahre lang jeden Tag gemolken haben, und er hat immer fleißig mitgeholfen.

Becky Mackintosh: Als Xian sich geoutet hat, hat er seinem Vater und mir eine Nachricht über Facebook geschickt.

Xian Mackintosh: Ich war auf dem Weg nach Salt Lake City, um mich von ein paar Freunden zu verabschieden, die hier wohnen, und mir wurde klar, dass ich es meinen Eltern jetzt erzählen muss.

Scott Mackintosh: Die Nachricht lautete: „Ich will nicht lange um den heißen Brei herumreden. Ich wollte euch nur sagen, dass ich schwul bin.“

Xian Mackintosh: Ich sagte ihnen, dass ich schwul bin. Es war das erste Mal, dass ich diese Worte tatsächlich jemandem gesagt und geschrieben habe.

Scott Mackintosh: Da stand: „Vielleicht habt ihr euch das ja auch schon gedacht oder euch das zumindest schon gefragt.“

Xian Mackintosh: Ich bin immer noch der gleiche Sohn und hab euch sehr lieb. Ich will euch nicht verletzen.

Scott Mackintosh: Ich lese das also und denke: Nein, das habe ich mir nicht gedacht. Wieso sollte ich?

Xian Mackintosh: Es ist vielleicht nicht normal, sich so zu outen.

Scott Mackintosh: Dass er sich in einer Facebook-Nachricht geoutet hat, war für mich unfassbar.

Xian Mackintosh: Bei meinen Eltern hatte ich das Gefühl, dass das der beste Weg sei. So konnten sie es lesen und darüber nachdenken und sich in Ruhe abreagieren, ohne dass ich dabei war.

Scott Mackintosh: Rückblickend war das genial von ihm, weil ich so Zeit hatte, alles zu verdauen und den ganzen Ärger loszuwerden.

Becky Mackintosh: Ich habe ihn sofort angerufen und gesagt: „Ich habe deine Nachricht bekommen. Komm schnell nach Hause, damit wir reden können.“

Xian Mackintosh: Ich kam nach Hause und unterhielt mich mit meiner Mutter.

Becky Mackintosh: Ich habe ihm alle möglichen Ratschläge gegeben.

Xian Mackintosh: Ich weiß noch, was sie als Allererstes gemacht hat. Sie verschränkte die Hände und sagte: „Also, was wollen wir jetzt unternehmen?“ Ich wusste nicht so recht, wie ich darauf reagieren sollte, und sie meinte: „Wir müssen dir anscheinend Testosteron verabreichen. Vielleicht sind deine Werte aus dem Gleichgewicht geraten.“ Ich dachte mir nur: „Mama, es liegt doch nicht am Testosteron!“

Scott Mackintosh: Ich fragte sie: „Wo warst du denn?“ Sie sagte: „Ich habe mich mit Xian unterhalten.“ Ich fragte: „Und wie ist es gelaufen?“ Sie antwortete: „Ganz gut.“ Und sie sagte: „Sei einfach nett. Bitte sei nett.“ Es ist traurig, dass sie mir das überhaupt sagen musste.

Xian Mackintosh: Wir sprachen gar nicht wirklich miteinander. Er umarmte mich einfach und sagte: „Ich hab dich lieb.“ Das hat mir so viel bedeutet, dass er das sagte, auch wenn ihn so viele Gefühle bewegten und er es nicht verstand und sicherlich wütend war. Das Erste, was er mir sagte, war genau das, was ich brauchte.

Scott Mackintosh: In den nächsten Jahren haben wir uns dagegengestemmt. Ich habe so sehr gehofft, dass es vergehen werde, dass es eine Phase sei, die er durchmacht.

Xian Mackintosh: Die Reaktion meiner Eltern war am Anfang nicht gerade die beste, obwohl sie mir sagten und zeigten, dass sie mich liebhätten. Sie begriffen nicht, dass ich schon seit 24 Jahren damit lebe.

Scott Mackintosh: In den ersten zwei Jahren habe ich versucht, ihn zu ändern.

Xian Mackintosh: Mein Vater ist ein toller Kerl, wirklich ein großartiger Mensch. Aber er ist auch durch und durch ein Mann. Ich dachte mir, einen schwulen Sohn zu haben, sei ihm bestimmt richtig peinlich und er könne dies nicht annehmen.

Scott Mackintosh: Ich hatte gedacht, man entscheidet sich für so eine Neigung, und wenn dem so ist, dann hat so jemand auch meine Abneigung verdient.

Xian Mackintosh: Ich kam in den Weihnachtsferien nach Hause, aber das Thema wurde nicht angeschnitten. Wir unterhielten uns über alles Mögliche, nur nicht darüber, dass ich schwul bin.

Scott Mackintosh: Er sagte: „Papa, wir wollten doch eigentlich reden – also wirklich ganz offen miteinander reden.“ Also gut, reden wir.

Xian Mackintosh: Ich hatte Angst, und ich bin sicher, er war genauso nervös.

Scott Mackintosh: Ich fing an und feuerte die ganze Munition ab, die sich bei mir angestaut hatte. Ich platzte einfach heraus: „Xian, wie kannst du dir so etwas aussuchen? Wieso tust du das?“ Er sah mich an und schmunzelte. Er lachte mich nicht aus, sondern schmunzelte einfach. Er fand das amüsant und sagte: „Ich hab mir das nicht ausgesucht, Papa.“

Xian Mackintosh: Wieso sollte sich jemand so etwas aussuchen? Ich glaube, da machte es langsam „Klick“ bei ihm.

Scott Mackintosh: Schlagartig wurde mir klar, welche Schmerzen und welchen Kummer er gehabt hatte wegen all der Witze, der gemeinen Kommentare und der vielen Male, wo ich vor der ganzen Familie etwas Abfälliges über jemanden gesagt habe, während er da saß und dachte: „Mein Vater hat keine Ahnung, dass er über mich spricht.“ Mir stand vor Augen, welchen Schmerz mein Sohn durchgemacht haben musste. Das war für mich gewissermaßen ein Wendepunkt. Das hat alles geändert, und ich habe meinen Sohn einfach in den Arm genommen und ihm meine Liebe gezeigt.

Becky Mackintosh: Zwei Jahre später sagte Xian zu mir: „Mama, ich weiß nicht, was mir die Zukunft bringt, aber ich glaube kaum, dass ich eine Frau heiraten kann.“

Xian Mackintosh: Nachdem ich jahrelang versucht hatte, eine Frau zu finden, an der ich Interesse habe, wurde mir irgendwann klar, dass das in meinem Fall nicht geht.

Becky Mackintosh: Hart war, als mir klarwurde, dass er sich von der Kirche abwendet.

Xian Mackintosh: Ich kam langsam dorthin, wo ich heute bin, und stehe zu meiner Homosexualität.

Scott Mackintosh: Mein Sohn hat eine Beziehung zu einem anderen Mann – das entspricht nicht dem, was wir ihm beigebracht haben.

Becky Mackintosh: Ich könnte ich mich jetzt zusammenrollen, weinen und fragen: „Was ist aus meiner ewigen Familie geworden?“ Doch wenn man loslässt und alles dem Erretter zu Füßen legt, spürt man, wie einem diese große Last genommen wird und man Frieden hat.

Xian Mackintosh: Ich muss einfach wissen, dass sie mich immer noch liebhat, denn das war meine Sorge.

Becky Mackintosh: Meine Tür steht jedem offen.

Xian Mackintosh: Das war mir sehr wichtig: dass wir unterschiedlicher Meinung sein können, aber letztendlich doch alle zur Familie gehören. Wie ich mit Menschen umgehe und welchen Respekt ich ihnen entgegenbringe, wurde durch meine Erziehung geprägt und durch die Tatsache, dass ich mit dem Evangelium aufgewachsen bin.

Scott Mackintosh: Ich glaube, der Erretter lässt es zu, dass uns Dinge widerfahren, die uns stärker machen. Ich denke mir, das wird auch bei Xian der Fall sein. Ich bin mir sicher, dass ihn der Heiland sehr liebhat.

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