Das Leben und das geistliche Wirken von Joseph Smith
Joseph Smith, der Prophet und Seher des Herrn, hat mehr für die Errettung der Menschen in dieser Welt getan als irgendein anderer Mensch, der je auf ihr gelebt hat – Jesus allein ausgenommen.“ (LuB 135:3.) Diese verblüffende Erklärung beschreibt einen Mann, der im Alter von 14 Jahren von Gott berufen wurde und nur 38 Jahre alt wurde. Zwischen Joseph Smiths Geburt in Vermont im Dezember 1805 und seinem tragischen Tod in Illinois im Juni 1844 geschah viel Erstaunliches. Gott, der Vater, und sein Sohn Jesus Christus erschienen ihm und vermittelten ihm mehr über das Wesen Gottes, als seit Jahrhunderten bekannt gewesen war. Propheten und Apostel aus alter Zeit übertrugen ihm heilige Priestertumsvollmacht und machten ihn damit zu einem neuen, bevollmächtigten Zeugen Gottes in dieser letzten Evangeliumszeit. Durch den Propheten wurde eine unvergleichliche Fülle an Erkenntnis und Lehren offenbart, unter anderem das Buch Mormon, das Buch Lehre und Bündnisse und die Köstliche Perle. Durch ihn wurde auf der Erde die wahre Kirche des Herrn erneut gegründet.
Heute schreitet das Werk, das mit Joseph Smith begonnen hat, auf der ganzen Welt voran. Präsident Wilford Woodruff hat vom Propheten Joseph Smith Zeugnis gegeben: „Er war ein Prophet Gottes, und er legte das Fundament für das größte Werk und die erhabenste Evangeliumszeit, die es je auf Erden gegeben hat.“1
Abstammung und Kindheit
Joseph Smith war Amerikaner in der sechsten Generation, seine Vorfahren waren im 17. Jahrhundert von England nach Amerika ausgewandert. Die Vorfahren des Propheten verkörperten die Eigenschaften, die oft mit den ersten amerikanischen Siedlern in Verbindung gebracht werden: Sie vertrauten darauf, dass Gott sie führt und über sie wacht, sie besaßen eine ausgeprägte Arbeitsmoral und sie dienten eifrig ihrer Familie und ihrem Land.
Josephs Eltern, Joseph Smith Sr. und Lucy Mack Smith, heirateten 1796 in Tunbridge, Vermont. Die beiden waren ein gottesfürchtiges Paar, das hart arbeitete und seine Ehe unter günstigen finanziellen Voraussetzungen begann. Leider verlor Joseph Smith Sr. seinen ersten Landbesitz und erlitt in den Folgejahren einige finanzielle Rückschläge. Die Familie Smith musste mehrmals umziehen, weil der Vater versuchte, den Lebensunterhalt durch die Bewirtschaftung der Wälder in den Bergen von New England, durch Tätigkeiten auf anderen Farmen, durch das Betreiben eines Handelsgeschäftes oder als Lehrer zu verdienen.
Joseph Smith Jr. wurde am 23. Dezember 1805 in Sharon, Vermont, als fünftes von elf Kindern geboren. Er wurde nach seinem Vater benannt. In der Familie Smith gab es – in der Reihenfolge der Geburt – folgende Kinder: ein namenloser Sohn (der unmittelbar nach der Geburt starb), Alvin, Hyrum, Sophronia, Joseph, Samuel, Ephraim (der keine zwei Wochen lebte), William, Katharine, Don Carlos und Lucy.2
Der außergewöhnliche Charakter des Propheten kam schon früh in seinem Leben zum Vorschein. Während die Familie Smith in West Lebanon, New Hampshire, lebte, grassierte eine tödliche Typhusepidemie, von der viele Einwohner betroffen waren, auch alle Kinder der Familie Smith. Die anderen Kinder erholten sich ohne Komplikationen, doch im linken Bein des etwa siebenjährigen Joseph entwickelte sich eine gefährliche Entzündung. Dr. Nathan Smith von der medizinischen Fakultät Dartmouth im nahegelegenen Hanover, New Hampshire, war bereit, mit einer neuartigen Operationsmethode zu versuchen, das Bein des Jungen zu retten. Während Dr. Smith und seine Kollegen die Operation vorbereiteten, bat Joseph seine Mutter, das Zimmer zu verlassen, damit sie sein Leid nicht mitansehen müsse. Joseph lehnte es ab, Alkohol zu trinken, um den Schmerz zu betäuben. Stattdessen wollte er nur fest von seinem Vater im Arm gehalten werden und ertrug es tapfer, als der Chirurg ein Loch in den Beinknochen bohrte und einen Teil des Knochens entfernte. Die Operation war erfolgreich, dennoch war Joseph die nächsten Jahre beim Gehen auf Krücken angewiesen, und den Rest seines Lebens hinkte er ein wenig.
Nach einer Reihe von Missernten zog Joseph Smith Sr. 1816 in der Hoffnung auf günstigere Bedingungen samt seiner Familie von Norwich, Vermont, nach Palmyra im Staat New York. „Da wir in ärmlichen Umständen lebten“, erinnerte sich der Prophet in späteren Jahren, „mussten wir für den Unterhalt unserer großen Familie hart arbeiten …, und weil jeder alles, was er nur konnte, dazu beitragen musste, blieben uns die Vorteile einer soliden Bildung verwehrt. Es genügt zu sagen: Ich lernte lediglich Lesen, Schreiben und die Grundrechenarten.“3
Die erste Vision
Über seine Erziehung schrieb Joseph Smith: „Ich stamme … von guten Eltern, die keine Mühe scheuten, mich in der christlichen Religion zu unterweisen.“4 Doch wie viele andere Christen erkannten auch Josephs Eltern, dass einige der Evangeliumsgrundsätze, die Jesus und seine Apostel verkündet hatten, in den Kirchen ihrer Zeit nicht vorhanden waren. 1820 versuchten in der Gegend um Palmyra etliche christliche Gemeinschaften, Bekehrte zu gewinnen. Josephs Mutter, zwei seiner Brüder und seine ältere Schwester schlossen sich der örtlichen Gemeinde der Presbyterianer an, doch Joseph, sein Vater und sein Bruder Alvin hielten sich zurück. Joseph war zwar nur ein Knabe, aber dennoch wegen seines Standes vor Gott und wegen des Durcheinanders unter den verschiedenen Religionsgemeinschaften zutiefst beunruhigt.
Als der 14-jährige Joseph in der Heiligen Schrift las, beeindruckte ihn eine Stelle im Jakobusbrief: „Fehlt es aber einem von euch an Weisheit, dann soll er sie von Gott erbitten; Gott wird sie ihm geben, denn er gibt allen gern und macht niemand einen Vorwurf.“ (Jakobus 1:5.) Angeregt von dieser Verheißung des Herrn begab sich Joseph in einen Wald in der Nähe seines Zuhauses, um an einem Frühlingstag im Jahre 1820 zu beten. Er kniete nieder und trug Gott die Wünsche seines Herzens vor. Sofort wurde er von den Mächten der Finsternis gepackt, die ihn gänzlich überwältigten und ihn fürchten ließen, er werde vernichtet. Doch dann – als Antwort auf sein inniges Gebet – tat sich der Himmel auf, und Joseph wurde von seinem unsichtbaren Feind befreit. In einer Säule aus Licht, die heller war als die Sonne, sah er zwei menschliche Gestalten über sich in der Luft stehen. Eine von ihnen redete ihn an, nannte ihn beim Namen und sagte: „Dies ist mein geliebter Sohn. Ihn höre!“ (Joseph Smith – Lebensgeschichte 1:17.)
In dieser herrlichen Kundgebung erschienen dem jungen Joseph Gottvater und sein Sohn, Jesus Christus. Joseph sprach mit dem Erlöser, der ihn anwies, sich keiner der bestehenden Kirchen anzuschließen, denn „sie seien alle im Unrecht“ und „ihre sämtlichen Glaubensbekenntnisse seien in seinen Augen ein Gräuel; … sie verkünden Menschengebote als Lehre, sie haben zwar eine Form der Gottesfurcht, aber sie leugnen deren Macht“ (Joseph Smith – Lebensgeschichte 1:19). Joseph erhielt auch die Verheißung, „dass [ihm] zu einem späteren Zeitpunkt die Fülle des Evangeliums kundgetan werden solle“5. Nach Jahrhunderten der Finsternis wurden das Wort Gottes und die Existenz Gottvaters und seines Sohnes, Jesus Christus, der Welt durch ein jugendliches und reines Werkzeug offenbart.
Das mehrfache Erscheinen Moronis
Drei Jahre vergingen, in denen Joseph Smiths Mitmenschen ihm wegen seiner Behauptung, er habe Gott gesehen, mit Hohn und Spott begegneten. Der junge, mittlerweile 17-jährige Prophet fragte sich, was ihn noch erwartete. Am Abend des 21. Septembers 1823 betete er aufrichtig um Weisung und um Vergebung seiner jugendlichen „Sünden und Torheiten“ (Joseph Smith – Lebensgeschichte 1:29). Sein Gebet wurde erhört, indem seine Dachkammer von Licht erfüllt wurde und ein Bote des Himmels namens Moroni erschien. „[Er] gab sich als ein Engel Gottes zu erkennen“, erinnerte sich Joseph. „Er solle die frohe Botschaft verkünden, dass das Bündnis, das Gott vor alters mit Israel geschlossen hatte, bald erfüllt werden solle. In Kürze werde auch das Werk der Vorbereitung auf das Zweite Kommen des Messias beginnen. Auch stehe die Zeit vor der Tür, da das Evangelium in all seiner Fülle mit Macht allen Nationen gepredigt werden solle, damit für die Millenniumsherrschaft ein Volk bereitet werde. Mir wurde gesagt, ich sei als Werkzeug in der Hand Gottes ausersehen worden, einen Teil seiner Absichten in dieser herrlichen Evangeliumszeit zu verwirklichen.“6
Moroni sagte Joseph auch, dass eine Sammlung alter Schriften, die von Propheten aus alter Zeit auf Goldplatten graviert worden seien, in einem nahegelegenen Hügel vergraben sei. Dieser heilige Bericht handele von einem Volk, das Gott 600 Jahre vor Jesu Geburt aus Jerusalem auf die westliche Erdhälfte geführt habe. Moroni sei der letzte Prophet unter diesem Volk gewesen und habe den Bericht vergraben, den in den Letzten Tagen hervorzubringen Gott verheißen habe. Joseph Smith sei vorgesehen, dieses heilige Werk ins Englische zu übersetzen.
In den folgenden vier Jahren solle Joseph an jedem 22. September Moroni an dem Hügel treffen, um mehr Erkenntnis und weitere Anweisungen zu erhalten. Er brauche diese Jahre der Vorbereitung und Läuterung, um diesen Bericht aus alter Zeit übersetzen zu können. Er müsse dem Auftrag gewachsen sein, ein Werk hervorzubringen, das dazu diene, dass „die Juden und die Anderen davon überzeugt werden, dass Jesus der Christus ist, der ewige Gott, der sich allen Nationen kundtut“ (Titelseite des Buches Mormon).
Der Aufbau des Reiches Gottes auf der Erde
Die Übersetzung des Buches Mormon beginnt
Während Joseph Smith darauf wartete, die Goldplatten zu empfangen, trug er zum Lebensunterhalt seiner Familie bei. 1825 begab er sich nach Harmony, Pennsylvania, um für Josiah Stowell zu arbeiten. Dort wohnte er bei der Familie von Isaac und Elizabeth Hale und lernte deren Tochter Emma kennen, eine große, dunkelhaarige Lehrerin. Am 18. Januar 1827 heirateten Joseph und Emma in South Bainbridge, New York. Obwohl ihre Ehe durch den Tod von Kindern, finanzielle Schwierigkeiten und Josephs häufige Abwesenheit aufgrund seiner Verpflichtungen geprüft wurde, liebten Joseph und Emma einander stets von ganzem Herzen.
Am 22. September 1827, vier Jahre nachdem Joseph die Platten zum ersten Mal gesehen hatte, wurden sie ihm schließlich anvertraut. Doch sobald er die Platten besaß, bemühte sich eine zusammengerottete Bande aus dem Ort wiederholt und unermüdlich, sie zu stehlen. Um der Verfolgung zu entgehen, kehrten Joseph und Emma im Dezember 1827 nach Harmony zurück, wo Emmas Eltern lebten. Nachdem sie sich dort eingerichtet hatten, begann Joseph mit der Übersetzung der Platten.
Anfang 1828 erlangte der wohlhabende Farmer Martin Harris aus Palmyra ein Zeugnis vom Werk des Herrn in den Letzten Tagen und fuhr nach Harmony, um Joseph bei der Übersetzung zu helfen. Bis zum Juni besagten Jahres hatte Josephs Übersetzungsarbeit ein Manuskript von 116 Seiten ergeben. Immer wieder bat Martin den Propheten um die Erlaubnis, das Manuskript zu seiner Familie in Palmyra mitnehmen und bestimmten Angehörigen zeigen zu dürfen. Der Prophet bat den Herrn um Erlaubnis, aber die Antwort lautete Nein. Dennoch brachte er seine Bitte beim Herrn noch zwei weitere Male vor, bis Martin schließlich gestattet wurde, das Manuskript mitzunehmen. Das Manuskript ging in Palmyra verloren und wurde nie wiedergefunden. Der Herr nahm dem Propheten den Urim und Tummim und die Platten für eine Weile weg. Joseph demütigte sich und übte Umkehr. Der Herr sagte ihm in einer Offenbarung, er solle Gott stets mehr fürchten als die Menschen (siehe LuB 3). Auch wenn er zu diesem Zeitpunkt erst 22 Jahre alt war, war sein Leben von da an geprägt von der unerschütterlichen Entschlossenheit, jedem Gebot des Herrn zu folgen.
Am 5. April 1829 traf der Schullehrer Oliver Cowdery, der ein Jahr jünger war als Joseph, bei ihm in Harmony ein. Er hatte gebetet und als Antwort ein Zeugnis davon empfangen, dass das Werk des Propheten wahr war. Zwei Tage später konnte die Übersetzungsarbeit fortgesetzt werden – Joseph diktierte und Oliver schrieb.
Die Wiederherstellung des Priestertums Gottes
Als Joseph und Oliver an der Übersetzung des Buches Mormon arbeiteten, lasen sie den Bericht vom Erscheinen des Erlösers bei den alten Nephiten. Daraufhin beschlossen sie, den Herrn bezüglich der Taufe zu befragen. Am 15. Mai begaben sie sich zum Ufer des Flusses Susquehanna, in der Nähe von Joseph Smiths Haus in Harmony, um zu beten. Zu ihrer Verwunderung erschien ihnen ein himmlisches Wesen, das sich selbst als Johannes der Täufer zu erkennen gab. Er übertrug ihnen das Aaronische Priestertum und wies sie an, einander zu taufen und zu ordinieren. Später erschienen den beiden – wie Johannes der Täufer es versprochen hatte – auch die biblischen Apostel Petrus, Jakobus und Johannes, übertrugen ihnen das Melchisedekische Priestertum und ordinierten sie zu Aposteln.
Zuvor hatten Joseph und Oliver Erkenntnis und Glauben besessen. Doch nach dem Erscheinen der Himmelsboten besaßen sie auch Vollmacht – die Priestertumsmacht und -vollmacht Gottes, die erforderlich ist, um seine Kirche aufzurichten und die heiligen Handlungen der Errettung zu vollziehen.
Die Veröffentlichung des Buches Mormon und die Gründung der Kirche
Im April und Mai 1829 wurde die Übersetzungsarbeit des Propheten in seinem Haus in Harmony immer häufiger durch Verfolgung unterbrochen. Joseph und Oliver zogen deshalb zeitweilig ins Gemeindegebiet von Fayette in New York, um die Übersetzung im Haus von Peter Whitmer Sr. fertigzustellen. Sie schlossen die Übersetzung im Juni ab, kaum drei Monate nachdem Oliver begonnen hatte, für den Propheten zu schreiben. Bis August hatte Joseph den Druck des Buches mit dem Verleger Egbert B. Grandin aus Palmyra vertraglich vereinbart. Martin Harris verpfändete seine Farm an Mr. Grandin, um die Druckkosten abzusichern, und später verkaufte er etwa 60 Hektar seines Landes, um das Pfand wieder auszulösen. Das Buch Mormon konnte ab dem 26. März 1830 in der Buchhandlung von Mr. Grandin gekauft werden.
Am 6. April 1830, nur elf Tage nachdem das Buch Mormon in den Handel gebracht worden war, versammelte sich eine Gruppe von etwa 60 Personen im Blockhaus von Peter Whitmer Sr. in Fayette, New York. Dort gründete Joseph Smith offiziell die Kirche, die später durch Offenbarung den Namen Kirche Jesu Christi der Heiligen der Letzten Tage erhielt (siehe LuB 115:4). Es war ein freudiger Anlass, zu dem der Geist in reichem Maße ausgegossen wurde. Das Abendmahl wurde gesegnet und ausgeteilt, Gläubige wurden getauft, die Gabe des Heiligen Geistes wurde übertragen und Männer wurden zum Priestertum ordiniert. In einer Offenbarung, die während der Versammlung empfangen wurde, bestimmte der Herr Joseph Smith zum Führer der Kirche: „ein Seher …, ein Übersetzer, ein Prophet, ein Apostel Jesu Christi, ein Ältester der Kirche durch den Willen Gottes, des Vaters, und die Gnade eures Herrn Jesus Christus“ (LuB 21:1). Die Kirche Jesu Christi war erneut auf der Erde aufgerichtet.
Kirtland, Ohio: Die Kirche wächst
Die junge Kirche wuchs schnell, weil die Mitglieder die Wahrheit, die sie gefunden hatten, begeistert verbreiteten. Bald entstanden im Bundesstaat New York Zweige in den Städten Fayette, Manchester und Colesville. Im September 1830, kurz nachdem Joseph und Emma Smith von Harmony, Pennsylvania, nach Fayette gezogen waren, offenbarte der Herr dem Propheten, dass Missionare „zu den Lamaniten gehen“ sollten, die am Westrand Missouris lebten (siehe LuB 28:8). Die Reise der Missionare führte durch die Gegend von Kirtland, Ohio, wo sie eine Gruppe nach Wahrheit suchender Glaubender trafen, aus der sich etwa 130 bekehrten – darunter Sidney Rigdon, der später Mitglied der Ersten Präsidentschaft wurde. Diese Gruppe von Heiligen in Kirtland wuchs auf einige Hundert an, weil die Mitglieder den Menschen in ihrem Umfeld vom Evangelium erzählten.
Mit dem Wachstum der Kirche in New York nahm auch der Widerstand gegen die Kirche zu. Im Dezember 1830 empfing der Prophet eine Offenbarung mit der Anweisung, dass die Mitglieder ins über 400 Kilometer entfernte Ohio ziehen sollten (siehe LuB 37:1). In den nächsten Monaten verkaufte die Mehrzahl der Heiligen in New York ihren Besitz – oft mit großen Verlusten – und brachte die erforderlichen Opfer, um sich in Kirtland, Ohio, zu sammeln. Joseph und Emma waren unter den Ersten, die nach Ohio aufbrachen. Sie erreichten Kirtland um den 1. Februar 1831.
Zwei Sammlungsorte für die Heiligen
Im Juni 1831, als die Kirche in Kirtland sich stark vergrößerte, wies der Herr den Propheten und andere Führer der Kirche an, nach Missouri zu reisen. Dort werde er ihnen „das Land [ihres] Erbteils“ kundtun (siehe LuB 52:3-5,42,43). Im Juni und Juli 1831 reisten der Prophet und andere fast 1500 Kilometer von Kirtland in den Kreis Jackson in Missouri – am westlichen Rand des besiedelten Gebietes in Amerika. Kurz nach seiner Ankunft empfing der Prophet eine Offenbarung vom Herrn, die besagte, dass das Land Missouri das Land sei, „das ich für die Sammlung der Heiligen bestimmt und geweiht habe. Darum ist dies das Land der Verheißung und der Ort für die Stadt Zion. … Der Ort, der jetzt Independence genannt wird, ist das Zentrum; und ein Platz für den Tempel ist westlich davon.“ (LuB 57:1-3.)
Der 25-jährige Joseph Smith ging daran, die Grundlage der Stadt Zion in Amerika zu legen, und erfüllte so die Prophezeiungen, die in alter Zeit von biblischen Propheten gemacht worden waren. Im August 1831 präsidierte er über die Weihung des Landes als Sammlungsort und weihte ein Grundstück für den Tempel. Kurze Zeit später kehrte der Prophet nach Ohio zurück, wo er einige glaubenstreue Mitglieder anspornte, sich in Missouri zu sammeln. Hunderte von Heiligen erduldeten die Strapazen der langen Reise durch das amerikanische Grenzland im 19. Jahrhundert und zogen ihrer neuen Heimat in Missouri entgegen.
Zwischen 1831 und 1838 waren sowohl in Ohio als auch in Missouri Mitglieder der Kirche beheimatet. Der Prophet, Mitglieder des Kollegiums der Zwölf Apostel und viele Mitglieder der Kirche wohnten in Kirtland, während andere Mitglieder auf Weisung des Propheten von ihren Priestertumsführern nach Missouri geführt wurden, um sich dort zu sammeln. Die Führer der Kirche hielten durch Briefe den Kontakt und reisten regelmäßig zwischen Kirtland und Missouri hin und her.
Fortdauernde Offenbarung
Während der Prophet in der Gegend von Kirtland wohnte, empfing er viele Offenbarungen vom Herrn bezüglich der Wiederherstellung des Evangeliums in den Letzten Tagen. Im November 1831 beschlossen die Führer der Kirche, viele dieser Offenbarungen im sogenannten Buch der Gebote gebündelt zu veröffentlichen. Das Buch sollte in Independence, Missouri, gedruckt werden. Eine wütende Horde zerstörte jedoch im Juli 1833 die Druckerpresse und einen Großteil der gedruckten Seiten. Abgesehen von einigen Exemplaren, die gerettet werden konnten, war das Buch der Gebote nie für die Mitglieder erhältlich. 1835 wurden dann die für das Buch der Gebote vorgesehenen Offenbarungen sowie auch viele weitere Offenbarungen in Kirtland als das Buch Lehre und Bündnisse herausgebracht.
Während der Zeit in der Gegend um Kirtland arbeitete der Prophet auch an der Joseph-Smith-Übersetzung der Bibel weiter, mit der er 1830 begonnen hatte, wie es ihm vom Herrn geboten worden war. Im Laufe der Jahrhunderte war viel Klares und Kostbares aus der Bibel verschwunden, und der Prophet wurde vom Geist dabei geführt, Berichtigungen an der King-James-Übersetzung der Bibel vorzunehmen und verloren gegangene Inhalte wiederherzustellen. Diese Arbeit führte zur Wiederherstellung wichtiger Evangeliumswahrheiten, auch zu vielen Offenbarungen, die heute im Buch Lehre und Bündnisse enthalten sind. Der Prophet beabsichtigte, seine Überarbeitung der Bibel herauszubringen, doch dringende Angelegenheiten und Schwierigkeiten wie die Verfolgung machten eine vollständige Veröffentlichung zu seinen Lebzeiten unmöglich.
Während seiner Arbeit an der inspirierten Überarbeitung der Bibel erhielt Joseph Smith die Offenbarung, die heute das Buch Mose darstellt, und fertigte eine inspirierte Übersetzung von Matthäus 24 an, die heute als Joseph Smith – Matthäus bezeichnet wird. Im Jahre 1835 begann der Prophet mit der Übersetzung des Buches Abraham von alten ägyptischen Papyri, die die Kirche erworben hatte. Alle diese Übersetzungen wurden später Teil der Köstlichen Perle.
In Kirtland empfing der Prophet auch Offenbarungen, die festlegen, wie die Kirche generell geführt werden soll. Auf Weisung des Herrn bildete Joseph Smith im Jahre 1832 die Erste Präsidentschaft.7 1835 rief er das Kollegium der Zwölf Apostel und ein Siebzigerkollegium ins Leben. In Kirtland wurde 1834 ein Pfahl gegründet. In dieser Zeit richtete Joseph Smith auch Kollegien des Aaronischen und des Melchisedekischen Priestertums ein, die sich der Bedürfnisse der Mitglieder vor Ort annehmen sollten.
Der erste Tempel dieser Evangeliumszeit
Als einen der wichtigsten Aspekte der Wiederherstellung offenbarte der Herr Joseph Smith, dass heilige Tempel gebraucht werden. Im Dezember 1832 gebot der Herr den Heiligen, in Kirt-land mit dem Bau eines Tempels zu beginnen. Obwohl viele Mitglieder keine vernünftige Behausung, keine Arbeit und auch nicht genug zu essen hatten, nahmen sie dieses Gebot des Herrn begeistert an – und der Prophet arbeitete mit ihnen Seite an Seite.
Am 27. März 1836 weihte Joseph Smith den Tempel. Dabei wurde der Geist ausgegossen wie beim Pfingstereignis. Eine Woche später, am 3. April 1836, fand eines der bedeutsamsten Ereignisse der Religionsgeschichte statt. Der Herr Jesus Christus erschien Joseph Smith und Oliver Cowdery im Tempel und verkündete: „Ich habe dieses Haus angenommen, und mein Name wird hier sein, und ich werde mich meinem Volk mit Barmherzigkeit in diesem Haus kundtun.“ (LuB 110:7.) Es erschienen auch drei Boten aus alttestamentarischen Evangeliumszeiten – Mose, Elias und Elija. Diese stellten Priestertumsschlüssel und -vollmacht wieder her, die auf der Erde für lange Zeit nicht mehr vorhanden gewesen waren. Nun hatte der Prophet Joseph Smith die Vollmacht, Israel aus den vier Teilen der Erde zu sammeln und Familien für Zeit und alle Ewigkeit aneinander zu siegeln (siehe LuB 110:11-16). Diese Wiederherstellung von Priestertumsschlüsseln entsprach der Vorgehensweise des Herrn, dem Propheten „Zeile um Zeile, Weisung um Weisung, hier ein wenig und dort ein wenig“ zu geben (siehe LuB 128:21), bis die Fülle des Evangeliums Jesu Christi auf der Erde wiederhergestellt war.
Das immerwährende Evangelium wird verkündet
Während des gesamten geistlichen Wirkens des Propheten wies der Herr ihn an, Missionare auszusenden, um „das Evangelium jedem Geschöpf“ zu predigen (siehe LuB 68:8). Auch der Prophet selbst spürte die Last, die mit diesem Auftrag einherging, und ließ viele Male sein Zuhause und seine Familie zurück, um das Evangelium zu verkünden. In den ersten Jahren nach der Gründung der Kirche wurden Missionare berufen, in verschiedenen Gebieten der Vereinigten Staaten und Kanadas zu predigen.
Später, im Sommer 1837, wurde der Prophet inspiriert, Älteste nach England zu senden. Der Prophet beauftragte Heber C. Kimball, ein Mitglied des Kollegiums der Zwölf Apostel, eine kleine Gruppe von Missionaren bei diesem großen Vorhaben zu führen. Elder Kimball ließ seine Familie fast mittellos zurück und trat seine Reise im festen Glauben daran an, dass der Herr ihn führen werde. Innerhalb eines Jahres schlossen sich in England etwa 2000 Menschen der Kirche an. Joseph Smith sandte dann von 1839 bis 1841 weitere Mitglieder der Zwölf zum Missionsdienst nach Großbritannien. Auch diese Mission war bemerkenswert erfolgreich. Bis zum Jahr 1841 hatten über 6000 Menschen das Evangelium angenommen. Viele von ihnen wanderten nach Amerika aus. Sie gaben der Kirche in einer Zeit großer Schwierigkeiten neues Leben und große Kraft.
Die Flucht aus Kirtland
Die Heiligen hatten in Kirtland beinahe seit dem Zeitpunkt ihrer Ankunft unter Verfolgungen gelitten, doch in den Jahren 1837 und 1838 wurden die Feindseligkeiten immer heftiger. „Was das Reich Gottes betrifft“, so sagte der Prophet, „richtet der Teufel immer genau zur selben Zeit sein Reich auf, um sich Gott entgegenzustellen.“8 Der Prophet bekam die ganze Wucht der feindlichen Angriffe zu spüren – sowohl von Feinden außerhalb der Kirche als auch von Abgefallenen, die sich gegen ihn gewendet hatten. Er wurde zu Unrecht vieler Verbrechen beschuldigt, wurde wegen zahlreicher unbegründeter Zivil- und Strafanklagen vor Gericht zitiert und war gezwungen, sich vor denen zu verstecken, die ihm nach dem Leben trachteten. Doch inmitten der fast unaufhörlichen Schwierigkeiten und Angriffe verlor er nie den Glauben oder den Mut.
Schließlich wurde die Verfolgung im der Gegend um Kirtland unerträglich. Im Januar 1838 waren der Prophet und seine Familie gezwungen, Kirtland zu verlassen und Zuflucht in Far West, Missouri, zu suchen. Bis zum Jahresende folgten ihm die meisten Heiligen in Kirtland und ließen ihre Häuser und ihren geliebten Tempel zurück.
Die Heiligen in Missouri
Die Vertreibung aus dem Kreis Jackson und der Marsch des Zionslagers
Nicht nur die Heiligen in Kirtland versuchten, die Kirche in der Region zu stärken. Auch viele andere Mitglieder der Kirche im Kreis Jackson in Missouri taten das Gleiche. Die ersten Heiligen der Letzten Tage hatten sich dort im Sommer 1831 niedergelassen. Zwei Jahre später war die Zahl der Mitglieder auf etwa 1200 angewachsen, was etwa ein Drittel der dortigen Bevölkerung ausmachte.
Die Ankunft der vielen Mitglieder beunruhigte die Siedler, die schon länger in der Gegend wohnten. Die Einwohner Missouris befürchteten, die politische Macht an die Neuankömmlinge zu verlieren, von denen die meisten aus dem Norden der Vereinigten Staaten stammten und die im Süden verbreitete Sklaverei nicht unterstützten. Außerdem empfanden sie Argwohn gegenüber den ungewöhnlichen Lehren der Heiligen der Letzten Tage – beispielsweise dem Glauben an das Buch Mormon, an neue Offenbarungen und an die Sammlung in Zion. Zudem verübelten sie es den Mitgliedern, dass sie in erster Linie untereinander Handel trieben. Wütende Feinde, die sich zusammenrotteten, und die örtliche Bürgerwehr begannen bald, die Heiligen zu schikanieren, und vertrieben sie im November 1833 aus dem Kreis Jackson. Die meisten Mitglieder flohen nach Norden über den Fluss Missouri in den Kreis Clay.
Joseph Smith war wegen der Bedrängnisse der Heiligen in Missouri zutiefst besorgt. Im August 1833 schrieb er von Kirtland aus an die Führer der Kirche in Missouri: „Brüder, wenn ich bei euch wäre, würde ich euer Leid buchstäblich mit euch teilen, und obwohl die menschliche Natur sich vom Leid abwenden möchte, wird mein Geist es nicht zulassen, euch zu verlassen, bis zu meinem Tod, so wahr mir Gott helfe. O, seid guten Mutes, denn unsere Errettung ist nicht mehr fern. O Gott, bewahre meine Brüder in Zion.“9
Im Februar 1834 wurde Joseph Smith in einer Offenbarung angewiesen, eine Gruppe Männer von Kirtland nach Missouri zu führen, um den bedrängten Heiligen dort beizustehen und ihnen zu helfen, ihr Land im Kreis Jackson zurückzugewinnen (siehe LuB 103). Auf dieses Gebot des Herrn hin stellte Joseph Smith eine Truppe zusammen, die nach Missouri marschieren sollte. Man nannte sie das Zionslager. Im Mai und Juni 1834 marschierte die Truppe, die letzten Endes aus mehr als 200 Mitgliedern bestand, nach Westen durch Ohio, Indiana, Illinois und Missouri. Sie wurde von zahlreichen Schwierigkeiten heimgesucht, unter anderem brach die Cholera aus. Am 22. Juni 1834, als die Truppe sich dem Kreis Jackson näherte, wurde der Prophet in einer Offenbarung angewiesen, das Zionslager aufzulösen. Dennoch versprach der Herr, dass Zion zu der von ihm bestimmten Zeit erlöst werden solle (siehe LuB 105:9-14). Nachdem der Prophet im Kreis Clay einen Pfahl mit David Whitmer als Präsidenten gegründet hatte, kehrte er nach Ohio zurück.
Das Zionslager gewann zwar nicht das Eigentum der Heiligen zurück, war aber eine unschätzbar wertvolle Lernerfahrung für die zukünftigen Führer der Kirche, denn diejenigen, die dabei waren, verinnerlichten dank des Beispiels und der Lehren des Propheten die Grundsätze rechtschaffenen Führens. Bei einer Versammlung mit Angehörigen des Zionslagers und anderen Mitgliedern der Kirche rief der Prophet am 14. Februar 1835 in Kirtland das Kollegium der Zwölf Apostel ins Leben. Zwei Wochen später bildete er ein Siebzigerkollegium. Neun Mitglieder des Kollegiums der Zwölf Apostel und alle Mitglieder des Siebzigerkollegiums hatten dem Zionslager angehört.
Die Heiligen lassen sich im Norden Missouris nieder
Viele Mitglieder blieben im Kreis Clay, Missouri, bis die Bürger dieses Kreises im Jahre 1836 verlauten ließen, sie könnten keine Zuflucht mehr gewähren. Die Heiligen zogen deshalb in den Norden Missouris. Die meisten von ihnen ließen sich im Kreis Caldwell nieder, der vom Parlament des Staates Missouri eigens für die vertriebenen Heiligen der Letzten Tage eingerichtet worden war. 1838 kam noch eine große Gruppe von Heiligen dazu, die aus Kirtland vertrieben worden war. Im März dieses Jahres kam der Prophet mit seiner Familie in Far West – der blühenden Siedlung der Heiligen der Letzten Tage im Kreis Caldwell – an und richtete dort den Hauptsitz der Kirche ein. Im April wies der Herr Joseph Smith an, in Far West einen Tempel zu errichten (siehe LuB 115:7-16).
Leider fanden die Heiligen im Norden Missouris nur kurz Frieden. Im Herbst 1838 wurden die Heiligen der Letzten Tage erneut von Mobs und von der Bürgerwehr schikaniert und angegriffen. Als Mitglieder Vergeltung übten und sich selbst verteidigten, wurden Joseph Smith und andere Führer der Kirche des Hochverrats beschuldigt und festgenommen. Im November saßen sie in Independence und später in Richmond im Gefängnis, bis sie am 1. Dezember in das Gefängnis von Liberty gebracht wurden. Der Prophet und seine Begleiter verbrachten den Winter unter unmenschlichen Bedingungen und litten sehr. Sie wurden im Gefängniskerker festgehalten – einem dunklen, kalten und schmutzigen Keller –, und das Essen, das man ihnen vorsetzte, war so schlecht, dass sie erst aßen, wenn der Hunger sie dazu zwang. Der Prophet beschrieb seinen Zustand und den der Heiligen als „eine Prüfung unseres Glaubens, die der Abrahams gleichkommt“10.
Während der Gefangenschaft des Propheten wurden tausende Heilige der Letzten Tage – auch die Familie des Propheten – im Winter und Frühling 1838/39 aus ihren Häusern in Missouri vertrieben. Am 7. März 1839 schrieb Emma aus Quincy in Illinois an Joseph: „Nur Gott weiß, was mir durch den Kopf ging und was ich im Herzen empfand, als ich unser Haus, unsere Heimat und fast unseren ganzen Besitz – unsere kleinen Kinder ausgenommen – hinter mir ließ und mich aufmachte, den Staat Missouri zu verlassen und dich – eingesperrt in diesem einsamen Gefängnis – zurückzulassen.“11 Unter der Führung von Brigham Young und anderer Führer der Kirche gelangten die Heiligen nach Osten in den Staat Illinois.
Die Jahre in Nauvoo
Ein beliebter Führer seines Volkes
Wegen eines Gerichtsstandswechsels wurden der Prophet und seine Begleiter im April 1839 vom Gefängnis in Liberty nach Gallatin in Missouri verlegt. Während eines weiteren Transports der Gefangenen von Gallatin nach Columbia, Missouri, erlaubten die Wachen ihnen die Flucht aus der ungerechten Haft. Sie schafften es bis Quincy, Illinois, wo der Großteil der Mitglieder sich nach der Flucht aus Missouri gesammelt hatte. Schon bald ließen sich die meisten Heiligen auf Weisung des Propheten 80 Kilometer nördlich in Commerce, Illinois, – einer kleinen Siedlung an einer Biegung des Mississippi – nieder. Joseph benannte den Ort in Nauvoo um, und in den folgenden Jahren strömten Mitglieder und Neubekehrte aus den Vereinigten Staaten, Kanada und Großbritannien nach Nauvoo, wodurch die Gegend zu einer der bevölkerungsreichsten in Illinois wurde.
Joseph und Emma zogen in ein Blockhaus direkt am Fluss, das dem Propheten während der ersten Zeit in Nauvoo auch als Büro diente. Seinen Lebensunterhalt dort verdiente er als Farmer und später als Gemischtwarenhändler. Doch weil seine Verpflichtungen in der Kirche und im Gemeinwesen einen Großteil seiner Zeit beanspruchten, hatte der Prophet oft Mühe, für die materiellen Bedürfnisse seiner Familie zu sorgen. Im Oktober 1841 konnte sein gesamter Besitz folgendermaßen zusammengefasst werden: „Old Charley (ein Pferd), das ihm in Kirtland geschenkt worden war, zwei zahme Rehe, zwei alte und vier junge Truthähne, eine alte Kuh, die ihm ein Bruder in Missouri geschenkt hatte, sein treuer Major (ein Hund) … und die wenigen Möbel im Haus“12.
Ende August 1843 zogen der Prophet und seine Familie in ein neu gebautes, zweistöckiges Haus – das Mansion House – auf der gegenüberliegenden Straßenseite. Zu dieser Zeit hatten Joseph und Emma vier lebende Kinder. Im Laufe der Jahre hatten sie sechs geliebte Kinder begraben, und ein weiteres Kind sollte nach dem Tod von Joseph noch geboren werden. Die elf Kinder von Joseph und Emma Smith waren: Alvin, geboren 1828, der kurz nach der Geburt verstarb; die Zwillinge Thadeus und Louisa, geboren 1831, die kurz nach der Geburt verstarben; die adoptierten Zwillinge Joseph und Julia, die 1831 als Kinder von John und Julia Murdock zur Welt kamen und von Joseph und Emma aufgenommen wurden, nachdem Schwester Murdock bei der Entbindung verstorben war (der 11 Monate alte Joseph starb 1832)13; Joseph III., geboren 1832; Frederick, geboren 1836; Alexander, geboren 1838; Don Carlos, geboren 1840, im Alter von 14 Monaten gestorben; ein Sohn, geboren 1842, gestorben am Tag seiner Geburt; David, geboren 1844, knapp 5 Monate nach dem Märtyrertod seines Vaters.
Während seines gesamten Wirkens war der Prophet sehr gerne mit den Mitgliedern zusammen. Über die Stadt Nauvoo und ihre Einwohner sagte er einmal: „Das ist der schönste Ort und das beste Volk unter dem Himmel.“14 Die Mitglieder liebten ihn ebenso und betrachteten ihn als ihren Freund. Oft nannten sie ihn „Bruder Joseph“. Ein Bekehrter bemerkte: „Von ihm ging eine Anziehungskraft aus, die jeden Menschen, der ihn kennenlernte, zu ihm hinzog.“15 „Er gibt nicht vor, ein Mann ohne Fehl und Tadel zu sein“, schrieb ein Einwohner Nauvoos. „Er ist ein Mann, den man einfach mögen muss; … auch ist er wegen seiner Geistesgröße nicht aufgeblasen, so wie es viele glauben, im Gegenteil, er pflegt freundlichen Umgang mit gewöhnlichen Leuten.“16 William Clayton, ein Bekehrter aus England, schickte von Nauvoo aus einen Brief nach Hause, in dem er über den Propheten schrieb: „Ich wünschte wirklich, so ein Mann zu sein.“17
Der Prophet hielt viele Reden in Nauvoo und die Mitglieder hörten ihm sehr gern zu, denn er verkündete die offenbarten Wahrheiten des Evangeliums mit Kraft. Angus M. Cannon erinnerte sich: „Niemals hörte ich ihn sprechen, ohne dass mein ganzes Wesen elektrisiert wurde und meine ganze Seele den Herrn pries.“18 Brigham Young verkündete: „Ich nutzte jede Gelegenheit, den Propheten Joseph zu treffen und ihn öffentlich und privat sprechen zu hören, damit ich Erkenntnis aus der Quelle, aus der er sprach, schöpfen konnte, damit ich sie besitzen und sie vorbringen könnte, wenn ich sie brauchte. … Solche Momente waren mir kostbarer als aller Reichtum der Welt.“19
Joseph Smiths Führungsrolle ging aber über seine kirchlichen Aufgaben hinaus. In Nauvoo befasste sich der Prophet mit zivilen, rechtlichen, geschäftlichen, akademischen und militärischen Angelegenheiten. Er wollte, dass die Stadt Nauvoo fortschrittlich sei und ihren Einwohnern alle Vorteile und Chancen im Hinblick auf Kultur und Zivilisation bieten konnte. Im Januar 1844 gab Joseph Smith seine Kandidatur als Präsident der Vereinigten Staaten bekannt, in erster Linie wegen seiner Enttäuschung darüber, dass die Staats- und Bundesbeamten sich geweigert hatten, Wiedergutmachung für die an Recht und Eigentum beraubten Heiligen in Missouri zu leisten. Die meisten Beobachter schrieben ihm zwar kaum eine Chance auf den Wahlsieg zu, doch seine Kandidatur lenkte die öffentliche Aufmerksamkeit auf die umfassende Verletzung der in der Verfassung garantierten Rechte der Heiligen. Alle Menschen, erklärte der Prophet einmal, „haben das gleiche Recht, die Früchte des großen Baumes unserer nationalen Freiheit zu genießen.“20
Heilig dem Herrn: In Nauvoo entsteht ein Tempel Gottes
Als die Heiligen Kirtland verlassen mussten, ließen sie den Tempel zurück, den sie unter so großen Mühen gebaut hatten. Doch schon bald sollten sie wieder einen heiligen Tempel in ihrer Mitte haben, denn der Herr gebot ihnen, mit dem Bau eines Tempels in Nauvoo zu beginnen. Die Arbeit begann im Herbst 1840, die Ecksteine wurden am 6. April 1841 während einer Zeremonie gelegt, bei der der Prophet den Vorsitz führte. Die Errichtung des Nauvoo-Tempels gehörte zu den bedeutendsten Bauvorhaben im damaligen Westen der Vereinigten Staaten. Der Bau des Tempels forderte den Heiligen enorme Opfer ab, denn aufgrund der ständigen Zuwanderung in die wachsende Stadt waren die meisten Mitglieder arm.
Bereits am 15. April 1840 begann der Prophet mit der Verkündigung der Lehre von der Taufe für Verstorbene. Da der Bau des Tempels gerade erst begonnen hatte, vollzogen die Heiligen anfangs Taufen für Verstorbene in den umliegenden Flüssen und Bächen. Im Januar 1841 offenbarte der Herr, dass dies nur so lange fortgesetzt werden dürfe, solange im Tempel noch keine Taufen vollzogen werden können (siehe LuB 124:29-31). Im Sommer und Herbst 1841 bauten die Heiligen in den kürzlich ausgehobenen Keller des Tempels ein provisorisches Taufbecken aus Holz ein. Am 21. November 1841 wurden in diesem Becken erstmalig Taufen für Verstorbene vollzogen.
1841 wurden die ersten Ehesiegelungen vorgenommen und 1843 diktierte der Prophet die Offenbarung über die ewige Natur des Ehebundes (siehe LuB 132). Die Lehren in dieser Offenbarung waren dem Propheten schon seit 1831 bekannt.21 Wie Gott es ihm geboten hatte, verkündete er auch die Lehre von der Mehrehe.
Da die Fertigstellung des Tempels noch einige Zeit dauern sollte, zog Joseph Smith es vor, das Endowment bereits außerhalb des heiligen Gebäudes zu vollziehen. Am 4. Mai 1842 vollzog der Prophet im Obergeschoss seines roten Backsteinhauses in Nauvoo für eine kleine Gruppe von Brüdern, darunter auch Brigham Young, zum ersten Mal das Endowment. Der Prophet erlebte die Fertigstellung des Nauvoo-Tempels nicht mehr. Doch in den Jahren 1845 und 1846 empfingen tausende Mitglieder das Endowment von Brigham Young und anderen, die diese Segnungen vom Propheten erhalten hatten.
Das geistliche Wirken von Joseph Smith neigt sich dem Ende zu
Während die Heiligen in Nauvoo zunächst relativ friedlich leben konnten, zogen sich über dem Propheten zunehmend die Wolken der Verfolgung zusammen, und er spürte, dass seine irdische Mission sich dem Ende zuneigte. In einer denkwürdigen Zusammenkunft im März 1844 beauftragte der Prophet die Zwölf Apostel, die Kirche nach seinem Tod zu führen, und erklärte, dass sie nun alle dafür nötigen Schlüssel und Vollmachten besaßen. Wilford Woodruff, der damals dem Kollegium der Zwölf Apostel angehörte, sagte später: „Ich gebe Zeugnis, dass der Prophet Joseph Smith die Apostel in den ersten Frühlingstagen 1844 in Nauvoo zusammenrief und ihnen die Verordnungen der Kirche und des Reiches Gottes übergab. Und alle Schlüssel und Mächte, die Gott ihm übertragen hatte, siegelte er auf unser Haupt und forderte uns auf, die Verantwortung auf unsere Schultern nehmen und dieses Reich weiterzuführen, sonst würden wir verdammt werden. … Sein Gesicht war klar wie Bernstein und er war von einer Macht umgeben, wie ich sie niemals zuvor an einem sterblichen Menschen gesehen hatte.“22 Nach dem Tod des Propheten sollte die Verantwortung für die Kirche und das Reich Gottes auf Erden auf dem Kollegium der Zwölf Apostel ruhen.
Im Juni 1844 wurde der Prophet angeklagt, einen Aufruhr angezettelt zu haben. Obwohl er in dieser Sache in Nauvoo freigesprochen wurde, bestand der Gouverneur von Illinois, Thomas Ford, darauf, dass sich der Prophet einer weiteren Verhandlung wegen des gleichen Vergehens in Carthage, Illinois, – dem Verwaltungssitz des Kreises Hancock – stelle. Nach ihrer Ankunft in Carthage wurden der Prophet und sein Bruder Hyrum zwar im Zusammenhang mit dem ursprünglichen Anklagepunkt auf Kaution freigelassen, doch sofort wegen Hochverrats gegen den Staat Illinois angeklagt und ins örtliche Gefängnis geworfen.
Am heißen und schwülen Nachmittag des 27. Juni 1844 stürmte ein zusammengerotteter Haufen mit geschwärztem Gesicht das Gefängnis und ermordete Joseph und Hyrum Smith. Etwa drei Stunden später sandten Willard Richards und John Taylor, die mit den Märtyrern im Gefängnis gewesen waren, eine düstere Botschaft nach Nauvoo: „Gefängnis in Carthage, 27. Juni 1844, 20:05 Uhr. Joseph und Hyrum sind tot. … Es ging alles sehr schnell.“23 Im Alter von 38 Jahren hatte der Prophet Joseph Smith sein Zeugnis mit seinem Blut besiegelt. Er hatte sein Werk auf Erden vollendet, die Kirche und das Reich Gottes zum letzten Mal auf der Erde aufgerichtet – und nun fiel Joseph Smith den Gewehrkugeln von Mördern zum Opfer. Der Herr selbst hat vom Propheten Joseph Smith Zeugnis abgelegt: „[Ich habe] Joseph Smith … durch meine Engel, meine dienenden Knechte, und mit meiner eigenen Stimme aus den Himmeln aufgerufen …, dass er mein Werk hervorbringe; und diese Grundlage hat er gelegt und war treu; und ich habe ihn zu mir genommen. Viele haben sich über seinen Tod gewundert; aber es war nötig, dass er sein Zeugnis mit seinem Blut besiegeln musste, damit er geehrt werden konnte und die Schlechten schuldig gesprochen werden konnten.“ (LuB 136:37-39.)
Joseph Smith, der große Prophet, Seher und Offenbarer der Letzten Tage, war ein tapferer und gehorsamer Diener des Allerhöchsten. Präsident Brigham Young hat bezeugt: „Ich glaube nicht, dass es auf der Erde irgendeinen Menschen gibt, der ihn besser kannte als ich; und ich wage zu sagen, dass es, Jesus Christus ausgenommen, auf der Erde niemals einen besseren Menschen gab oder gibt. Ich bin sein Zeuge.“24