Das Schwestern-Solo
Die Verfasserin lebt in Utah.
„Und Jesus, dem die Hymne gilt, vernimmt das Loblied gern.“ (Gesangbuch, Nr. 155)
Sophie konnte nicht alle Noten hören. War sie mutig genug, ihr Solo zu singen?
Sophie sang für ihr Leben gern. In der Schule, bei ihren Freundinnen, daheim – überall trällerte sie vor sich hin. Am liebsten aber sang sie in der Kirche.
„Mama“, sagte Sophie eines Tages. „Ich will besser singen können. Kann ich Unterricht bekommen?“
„Das klingt gut“, meinte Mama. „Ich erkundige mich mal!“
Das Singen fiel Sophie aber nicht immer leicht. Sie war nämlich gehörlos und konnte die meisten Geräusche und Klänge gar nicht hören. Hinter dem Ohr trug sie aber ein kleines Hörgerät, womit sie besser hören konnte. Dennoch nahm sie Geräusche anders wahr als andere Leute. Sophie sang trotzdem sehr gern.
„Gute Neuigkeiten!“, berichtete Mama ein paar Tage später. „Ich habe einen Chor gefunden, bei dem du mitmachen kannst. Die Kinder dort lernen, gemeinsam zu singen. Die Lehrerin hat gesagt, dass du morgen schon kommen kannst.“
Vergnügt drehte sich Sophie im Kreis. Sie war außer sich vor Freude!
Abends aber wurde sie ein bisschen nervös.
„Freust du dich schon auf die Chorprobe morgen?“, fragte ihre große Schwester Kayla.
Sophie nickte. „Ja. Ich habe aber auch ein bisschen Angst. Ich wünschte, ich müsste da nicht alleine hingehen.“
„Du schaffst das!“, sagte Kayla. „Aber vielleicht hilft es dir, wenn ich mitkomme? Wir können zusammen singen lernen!“
Sophie umarmte Kayla. „Das wäre super!“
Am nächsten Morgen standen Sophie und Kayla früh auf und machten sich auf den Weg zur Chorprobe. Als Sophie ins Auto stieg, kamen ihr beunruhigende Gedanken. Was, wenn sie die Lehrerin nicht verstehen konnte? Was, wenn sie keine Freunde fand? Was, wenn man sie anstarrte?
Mama fuhr auf den Parkplatz und drehte sich zu Sophie um. Sophie rutschte den Sitz hinunter.
„Ich weiß nicht, ob ich noch hin will“, sagte sie.
„Wieso, was ist denn passiert?“, fragte Mama. „Du hast dich doch so darauf gefreut!“
Sophie sagte nichts. Sie schaute zu Boden und ließ ihre Beine baumeln.
Mama lächelte. „Du musst nicht gehen, wenn du nicht willst. Aber wenn du nervös bist, kannst du zum Vater im Himmel beten. Er wird dir helfen! Und Kayla ist doch auch bei dir.“
Kayla nahm Sophies Hand. „Wir schaffen das schon!“, sagte sie.
Sophie schluckte. Ihr war ganz schön mulmig zumute, aber trotzdem stieg sie aus dem Auto. Auf dem Weg ins Klassenzimmer hielt sie Kaylas Hand fest.
Die ersten paar Male setzte sich Sophie immer neben Kayla. Eines Tages fiel Sophie aber ein Mädchen auf, das immer alleine war. Ob es auch Angst hatte? Sophie setzte sich zu dem Mädchen.
„Hi!“, sagte Sophie. „Darf ich mich zu dir setzen?“ Das Mädchen nickte. Bald schon lachten und sangen sie zusammen. Sophie war froh, dass sie sich getraut hatte, sich mit dem Mädchen anzufreunden.
Auch machte das Singen als Gruppe viel Spaß! Sophie gefiel es, die Noten zu lernen, und sie wippte mit dem Fuß zum Rhythmus der Musik. Sie konnte sogar ein paar anderen Kindern den Text in Zeichensprache beibringen.
Eines Tages kündigte die Lehrerin etwas Spannendes an. In einem besonderen Programm würde jeder Schüler drei Solos bekommen. Daheim übten Kayla und Sophie ihre Solos eifrig. Bald schon beherrschte Sophie zwei Solos. Das dritte aber war sehr schwer. Sie konnte nämlich nicht alle Noten hören. Wie sollte sie das ganz alleine vor so vielen Menschen nur schaffen?
Sophie dachte daran, was Mama ihr gesagt hatte, nämlich den Vater im Himmel um Hilfe zu bitten. Also kniete sie sich hin. „Vater im Himmel, das letzte Lied fällt mir sehr schwer. Hilfst du mir, dass ich es singen kann und nicht so aufgeregt bin?“
Bei der nächsten Probe kam Sophies Lehrerin auf sie zu. „Ich weiß, dass du ein bisschen Angst vor dem dritten Solo hast. Willst du es vielleicht zusammen mit Kayla singen? Es wäre dann ein Schwestern-Solo.“
Sophie lächelte. Ihr wurde es ganz warm ums Herz. Sie war glücklich. Sie wusste, dass der Vater im Himmel ihr Gebet erhört hatte.
Beim Auftritt sang Sophie die ersten beiden Solos sehr sicher. Vor dem dritten Solo sprang sie auf und ergriff Kaylas Hand. Gemeinsam liefen sie auf die Bühne und sangen mit kräftiger, stolzerfüllter Stimme ihr Schwestern-Solo. Sophie war weder aufgeregt noch hatte sie Angst. Der Vater im Himmel hatte ihr Gebet auf unerwartete Weise erhört, aber sie war dankbar, dass er ihr immer zuhörte.