Die zwei Seiten des Betens
„ Gott hat zwischen sich und seinen Kindern auf der Erde eine Verbindung geschaffen, in die der Satan, unser gemeinsamer Feind, nicht eindringen kann, und diese Verbindung ist das Beten im geheimen.”
Nun, da sich eine Tür in meinem Leben schließt und eine andere sich öffnet, bin ich sehr dankbar, meine Brüder und Schwestern, daß ich heute Nachmittag in diesem historischen Gebäude sein darf, von dessen Kanzel sämtliche Propheten der wiederhergestellten Kirche gesprochen und Zeugnis gegeben haben, Joseph Smith allein ausgenommen. Ich kann nichts Besseres tun, als darum zu beten, daß derselbe Geist, der diese Männer getrieben hat, auch mit mir sein möge, wenn ich jetzt kurz spreche.
Das Fundament der Kirche Jesu Christi der Heiligen der Letzten Tage ist im Gebet verankert. So war es das inbrünstige Gebet des jungen Joseph Smith, das die Tür zur Wiederherstellung des Evangeliums öffnete. Die grundlegende Schriftstelle im ersten Kapitel des Jakobus, die Joseph zum Gang in den Wald veranlaßte, weist deutlich auf die Bedingungen hin, unter denen Gott seinen Kindern antwortet. Dort heißt es, wir müßten „voll Glauben bitten und nicht zweifeln; denn wer zweifelt, ist wie eine Welle, die vom Wind im Meer hin und her getrieben wird.” (Jakobus 1:6.) In der Schrift gibt es dann noch einen Nachsatz: „Ein solcher Mensch” - nämlich einer, der zweifelt -
„bilde sich nicht ein, daß er vom Herrn etwas erhalten wird.” (Vers 7.)
Außer dieser grundlegenden Schriftstelle, in der der Schlüssel zur Schatzkammer von Gottes Wissen und Weisheit liegt, gibt es noch andere, in denen das Prinzip des Betens mit seiner praktischen Anwendung im Leben noch weiter erklärt wird. So heißt es beispielsweise in Alma 34:27: „Ja, und wenn ihr den Herrn nicht anruft, so laßt euer Herz voll sein, ständig im Gebet zu ihm begriffen für euer Wohlergehen und auch für das Wohlergehen derer, die um euch sind.” Darum sollen wir, wenn wir schon nicht tatsächlich im formalen Akt des Betens begriffen sind, stets ein Gebet im Herzen haben, wo auch immer wir sind und was auch immer wir tun.
Eine weitere Schlüsselstelle über das Beten, die über die Ermahnung hinausgeht und es zum Gebot macht, findet sich in, Lehre und Bündnisse’, Abschnitt 19, wo es heißt: „Und weiter gebiete ich dir: Bete sowohl laut als auch im Herzen, ja, sowohl vor der Welt als auch heimlich, sowohl in der Öffentlichkeit als auch wenn du allein bist.” (Vers 28.)
Wir mögen uns fragen: „Warum hält Gott es für richtig, es zum Gebot zu machen, daß wir sowohl laut als auch im geheimen beten?”
Offensichtlich ist das Beten im geheimen in vielen Fällen nötig, wo lautes Beten peinlich oder undurchführbar wäre. Wenn wir uns also in einer gesellschaftlichen oder geschäftlichen Situation befinden, kommt oft gar nichts anderes in Frage, als im geheimen zu beten.
Ein noch bedeutsamerer Grund für das Beten im geheimen findet sich aber in, Lehre und Bündnisse’, Abschnitt 6, wo es heißt: „Ja, ich sage es dir, damit du weißt, daß es niemanden gibt außer Gott, der deine Gedanken und deine Herzensabsichten kennt.” (Vers 16.)
Andere Schriftstellen dehnen diesen Gedanken noch aus: nicht nur Gott, sondern auch diejenigen, die Gott inspiriert, sind einbezogen. So gelangte Zeezrom, der hinterlistige Gesetzeskundige, der von Alma und Amulek belehrt wurde, zu der Überzeugung, „daß sie die Gedanken und Absichten seines Herzens erkannten; denn ihnen war Macht gegeben, dies gemäß dem Geist der Prophezeiung wissen zu können” (Alma 12:7).
Somit ist es klar, daß der Satan und sein Gefolge, die aus der Gegenwart Gottes verstoßen wurden und für seinen Geist unempfänglich sind, nicht zu denen gehören können, die aufgrund von Prophezeiung und Offenbarung die Gedanken und Absichten unseres Herzens erkennen können. In seiner Weisheit und Barmherzigkeit hat also Gott zwischen sich und seinen Kindern auf der Erde eine Verbindung geschaffen, in die der Satan, unser gemeinsamer Feind, nicht eindringen kann, und diese Verbindung ist das Beten im geheimen. Dies ist für uns Heilige der Letzten Tage sehr bedeutsam, denn dadurch können wir mit dem himmlischen Vater im geheimen sprechen mit der Gewißheit, daß der Widersacher nicht dazwischentreten kann.
Vor mehreren Jahren wollte ein junger Mann, der sich in ein schönes Mädchen verliebt hatte, Rat von mir haben. Er zögerte mit der Heirat, weil ihre Eltern vom Glauben abgefallen waren. Er sagte, die Mutter des Mädchens habe ihm gesagt, sie wisse, daß die Kirche unwahr sei. Als er sie gefragt habe, woher sie das wisse, habe sie ihm geantwortet, eine Stimme habe ihr einmal zugeflüstert, sie solle in einen Buchladen in der Nähe gehen. Sie habe das getan und dort ein bösartiges Buch gegen die Mormonen gefunden, und nachdem sie es gelesen hatte, sei sie zu dem Schluß gekommen, daß die Kirche unwahr sei. Hätte diese Schwester das Evangelium verstanden, so hätte sie im geheimen gebetet, Gott vom Erlebten berichten und ihn dann bitten sollen, er möge ihr offenbaren, ob ihre Schlußfolgerung richtig sei - ganz so, wie es in ’Lehre und Bündnisse’ beschrieben ist (siehe LuB 9:8,9).
David Whitmer berichtete, der Prophet Joseph Smith habe gesagt: „Einige Offenbarungen sind von Gott; einige Offenbarungen sind von Menschen, und einige Offenbarungen sind vom Teufel.” (B. H. Roberts, Comprchensive History of the Church, 1:163-166.) Zwar kann der Satan Gedanken j übertragen, aber ob diese Gedanken Fuß gej faßt haben, das weiß er erst dann, wenn sie? sich in Worten oder Taten widerspiegeln.
Dies alles deutet darauf hin, daß wir uns genau überlegen müssen, was wir sagen und tun. Wir müssen auch vorsichtig bedenken, wie wir das Kostbare hüten, das uns durch den Geist offenbart wird. Ein Beispiel: Als Heber J. Grant als junger Mann über den Pfahl Tooele präsidierte, gab ihm der Patriarch John Rowberry einen besonderen Segen. Nachher sagte er zu Präsident Grant:
„Ich habe etwas gesehen, was ich nicht zu sagen wagte.” Präsident Grant berichtete später, es sei ihm im gleichen Augenblick bekanntgegeben worden, daß er eines Tages Präsident der Kirche sein würde. Er sprach mit niemandem über diese Offenbarung, zeichnete sie nie auf und gab sie erst bekannt, als sie zur Tatsache geworden war. (Siehe Francis M. Gibbons, Heber J. Grant: Man of Steel, Prophet of God, Seite VIII.) Das war weise von ihm, denn hätte er es anderen offenbart, so hätte sein Feind, der Satan, davon gewußt und ihm infolgedessen unvorstellbare Schwierigkeiten in den Weg legen können.
Oft reden wir zuviel. Wir sagen etwas, was nicht gesagt zu werden braucht oder nicht gesagt werden darf. Denn wenn wir davon sprechen, öffnen wir vielleicht den Spalt, der Luzifer Gelegenheit gibt, sich in unser Leben zu drängen. Aus dem Zweiten Buch Nephi erfahren wir, daß der Satan danach trachtet, „daß alle Menschen so elend seien wie er selbst” (2 Nephi 2:27). Er und sein Anhang bemühen sich beharrlich, uns auf ihr Niveau hinabzuziehen. Sie benutzen jede List, jeden Kunstgriff, um ihre Absicht zu erreichen. Wenn sie von Offenbarungen Kenntnis erlangen, beispielsweise wie der, die Präsident Grant gegeben wurde, oder wenn sie aus unseren Worten und Taten darauf schließen können, daß es unter uns Feindseligkeit, Haß oder Zwietracht gibt, können sie daraus Nutzen ziehen und uns Schaden zufügen. Der Verstand muß uns demnach sagen, daß wir uns der Worte und Handlungen enthalten müssen, die es dem Satan möglich machen, uns zu schädigen, oder die darauf abzielen, Zwietracht und Feindschaft entstehen zu lassen.
Jahrelang haben wir ein Ehepaar gekannt und bewundert, das allem Anschein nach glücklich und zufrieden war. Es war eine große Überraschung, als bekannt wurde, daß zwischen den beiden Zwietracht und Bitterkeit herrschten, verursacht durch fast ununterbrochenes Zanken und Nörgeln. Dadurch hatten sie das Band der Liebe, das sie anfangs verbunden hatte, durchgewetzt und einander ihre Selbstachtung untergraben; sie hatten dem Satan die Tür geöffnet.
Um wieviel besser ist es, den Ermahnungen des Erretters zu folgen, nämlich mit Güte und Liebe zu sprechen und im eigenen Zuhause den sicheren Hafen zu schaffen, wo wir vor dem weltlichen Tumult geschützt sind, der ständig durch die Ränke unseres gemeinsamen Feindes geschürt wird. Und um wieviel besser ist es, sich auf das Positive statt auf das Negative zu konzentrieren und dadurch einander zu erbauen und zu schützen, so daß der satanische Einfluß in unserem Leben auf das Mindestmaß beschränkt bleibt. Mögen wir alle dies tun, das erbitte ich im Namen Jesu Christi. Amen.