1990–1999
Das größte Erbe eine Allegorie
Oktober 1991


Das größte Erbe eine Allegorie

„ Wie lange Sie auch schon leben, wie viele Fehler Sie auch gemacht haben - Ihre Lebensgeschichte läßt sich noch ändern.”

Wenn ich hier an diesem historischen Pult stehe und an die Männer und Frauen denke, die schon vor mir hier gestanden haben, muß ich auch an die folgende Ermahnung denken, die an Mose gerichtet wurde, nämlich: „Leg deine Schuhe ab; denn der Ort, wo du stehst, ist heiliger Boden.” (Exodus 3:5.)

Ich bete, daß ich, wenn ich hier auf diesem heiligen Boden stehe, die Schuhe ausgezogen haben möge.

Ich möchte über etwas sprechen, was von ewiger Bedeutung ist. Dazu will ich eine Allegorie verwenden, und das bedeutet einfach, daß ich eine Geschichte mit symbolischer Bedeutung erzählen will.

Symbolisch stehe ich hier im Rahmen einer gerichtlichen Untersuchung, die von Ihrem höchsten Anwalt beantragt worden ist. Sie sind alle als Angeklagte benannt worden. Die übrigen Geschworenen und ich haben die Plädoyers aufmerksam angehört und sind überzeugt, daß es dem Anwalt der Gegenpartei letztlich darum geht, zu beweisen, daß Sie nicht würdig sind, Ihr größtes Erbe zu erhalten. Die Partei des Widersachers ist nun unermüdlich darum bemüht,

die Fakten zu sammeln, die sie braucht, um Ihnen eine Niederlage beizubringen.

Es sind Anträge vorgelegt und bereits bewilligt worden, nach denen wir jetzt verpflichtet sind, alle Unterlagen zu Ihren Geschäfts- und Privatunternehmungen vorzulegen. Dazu gehört auch eine Übersicht über Ihre Nachbarn, Freunde und Geschäftsfreunde. Außerdem sind ausführliche Angaben über Ihren Ehepartner, Ihre Kinder, Ihre Eltern und Ihre weitere Verwandtschaft gemacht worden.

Sie müssen wissen, daß der Widersacher bereit ist, soviel Zeit, Anstrengung und Geld aufzuwenden, wie nötig ist, um Sie Ihres Erbteils zu berauben. Die Gegenpartei hat in dieser Sache gegen Sie bereits Millionen von Dollars aufgebracht. Sie hat begabte und erfahrene Leute angeheuert und ist fest entschlossen, zu gewinnen!

Zum Glück werden Sie vom fähigsten und eifrigsten Anwalt vertreten, den ich je gesehen habe. Es ist erstaunlich, ihm zuzusehen, wie er sich vor dem Obersten Richter für Sie einsetzt.

Zum Beispiel hat Ihr Widersacher einen Antrag eingereicht, in dem er die Feststellung fordert, daß manche von Ihnen bereits Ihr Recht auf das größte Erbe verwirkt haben, weshalb gegen Sie ein Schnellverfahren einzuleiten sei. Viele Gerichtsbeamte nicken bereits scheinbar zustimmend. Seine Argumente sind beeindruckend.

Er nennt mehrere von Ihnen mit Namen und sagt: „Wenn diese Angeklagten schon so lange leben und noch keine ernsthaften Schritte unternommen haben, um sich für das größte Erbe zu qualifizieren, warum sollen wir dann noch die Zeit des Gerichts verschwenden? Laßt uns jetzt sofort das Urteil fällen, dann ist ihr Fall ein für allemal erledigt.” Seine Ausführungen waren so wirkungsvoll, daß im Zuhörerraum sogar vielfach applaudiert wurde.

Als sich Ihr Hauptanwalt erhob, hätte man eine Stecknadel fallen hören. Im Gerichtssaal herrschte eine Spannung, die zum Greifen war. Welche Argumente konnte er gegen die gerade vorgetragenen noch vorbringen? Ich wollte, Sie hätten dabei sein können.

Im Gegensatz zu den bombastischen und zynischen Argumenten der Gegenpartei begann Ihr Anwalt die Verteidigungsrede mit einer leisen Rede, die zu einem mächtigen Strom anschwoll. Demütig, leise, bedeutungsvoll und unwiderstehlich vertrat er Ihre Sache.

Ich wußte, daß seine Worte nicht ungehört verhallten, denn vielen im Gerichtssaal liefen Tränen über das Gesicht. Ich kann mich nicht an alle seine Argumente erinnern, aber ich weiß noch, daß er sagte, der Mensch sei nur wenig geringer als Gott (siehe Psalm 8:6) und eine Seele habe großen Wert (siehe LuB 18:10). In einem der erhabensten Augenblicke waren seine Augen von Mitleid erfüllt, und voller Entrüstung in der Stimme sagte er mahnend: „Wer von euch ohne Sünde ist, werfe als erster einen Stein.” (Johannes 8:7.)

Ferner trug er das Argument vor, dieses Leben sei die Zeit, da der Mensch sich vorbereiten solle, Gott zu begegnen (siehe Alma 34:32), und schloß mit einer atemberaubenden Zusammenfassung, in der er sagte, niemand habe das Recht, ein Menschenleben abschließend zu beurteilen, solange dieses Leben noch nicht beendet sei.

Es herrschte Schweigen, als er fertig war, und dieses Schweigen wurde erst von der Stimme des Obersten Richters durchbrochen, der seinen Beschluß verkündete: „Der Antrag der Klagevertreter wird abgelehnt. Die Fragen, die hier gebündelt entschieden werden sollten, werden besser zurückgestellt, bis die Betroffenen einzeln angehört worden sind.”

Jetzt, wo Sie sich darauf vorbereiten, in den Zeugenstand zu treten, muß ich Ihnen erklären, daß Ihnen zunächst ein paar einleitende Fragen gestellt werden, und zwar als erstes: Lieben Sie den Herrn, Ihren Gott, mit ganzem Herzen, mit ganzer Seele und mit all Ihren Gedanken? (Siehe Matthäus 22:37.) Wenn die Antwort nein lautet, wird beantragt, daß das Urteil über Sie gefällt wird, und dem Antrag wird stattgegeben werden.

Wenn Sie dagegen mit Ja antworten, wird die Gegenpartei die Glaubwürdigkeit Ihrer Antwort sofort in Frage stellen und wissen wollen, ob sie seine Gebote halten (siehe Johannes 14:15). Wenn Sie das verneinen, ist Ihr Betrug offensichtlich, und Sie sind kraft Ihres eigenen Zeugnisses verurteilt. Wenn Sie dagegen bejahen, folgen stunden-, vielleicht tagelange Befragungen, und es wird bei jeder Frage darum gehen, ob Sie wirklich seine Gebote halten. Unter anderem werden Ihnen die folgenden Fragen gestellt werden:

  1. Lieben Sie Ihren Nächsten wie sich selbst? (Siehe Matthäus 22:39.)

  2. Sind Ihnen weltliche Bestrebungen und Ihr Vergnügen wichtiger als der Dienst an Gott? (Siehe Exodus 20:3.)

  3. Mißbrauchen Sie den Namen des Herrn, Ihres Gottes? (Siehe Exodus 20:7.)

  4. Halten Sie den Sabbat heilig? (Siehe Exodus 20:8.)

  5. Ehren Sie Ihren Vater und Ihre Mutter? (Siehe Exodus 20:12.)

  6. Begehen Sie Ehebruch oder Unzucht? (Siehe Exodus 20:14.)

  7. Stehlen Sie? (Siehe Exodus 20:15.)

  8. Sagen Sie falsch gegen Ihren Nächsten aus? (Siehe Exodus 20:16.)

  9. Verlangen Sie nach dem, was Sie nicht haben? (Siehe Exodus 20:27.)

Denken Sie daran, die Gegenpartei wird über Ihr Verhalten genau Bescheid wissen. Sie wird Zeugen geladen haben, die gegen Sie aussagen sollen. Ihre Nachbarn werden da sein, um Zeugnis abzulegen, wie Sie sich

ihnen gegenüber verhalten haben. Diejenigen, die Ihr Verhalten am Sabbat beobachtet haben, werden in den Zeugenstand gerufen werden. Zu jedem Punkt, an dem Sie verletzlich sind, werden Zeugen vorgestellt werden, die Ihrer Aussage, die Sie unter Eid gegeben haben, widersprechen werden.

Als Ihre Anwälte werden wir natürlich genauso gut vorbereitet sein. Ihr Hauptanwalt wird jeden Zeugen beibringen, der zu Ihren Gunsten spricht, und ihn zu allem befragen, was für Sie verwendet werden kann.

Eins ist allerdings klar: wie Ihre Sache ausgehen wird, hängt davon ab, welche Fakten Sie präsentieren. Es gibt unter Strafverteidigern ein altes Sprichwort, das besagt: „Wir machen die Fakten nicht, wir präsentieren sie bloß.” Die Fakten, die Ihr Leben repräsentieren, bestimmen letztlich über Ihren Sieg oder Ihre Niederlage.

Das ist einer der Gründe dafür, daß ich heute gekommen bin. Ich bin gebeten worden, dafür zu sorgen, daß Sie in dieser Sache gründlich informiert sind, und Sie dringend zu bitten, bei Bedarf solche Fakten zu schaffen, die es dem Obersten Richter erlauben, zu Ihren Gunsten zu entscheiden. Zum Glück für Sie können Sie solche Fakten noch schaffen. Wie lange Sie auch schon leben, wie viele Fehler Sie auch gemacht haben -Ihre Lebensgeschichte läßt sich noch ändern. Sie können sie noch schreiben. Es ist noch nicht zu spät. Bitte, ich flehe Sie an, helfen Sie ihm, daß er Ihnen helfen kann, Ihr größtes Erbe zu erlangen.

Ehe ich schließe, möchte ich noch sagen, daß ich Ila, meinen Schatz, meinen Herzschlag, von ganzem Herzen liebe. Ich ehre sie und das Frauentum, das sie so elegant repräsentiert. Ich liebe unsere fünf Kinder, die meine besten Freunde sind, und unsere zwölf Enkelkinder, die mich regelmäßig daran erinnern, wieviel Freude bedingungslose Liebe mit sich bringt.

Im Namen des Herrn Jesus Christus. Amen.