1990–1999
Das ist eure Zeit
Oktober 1991


Das ist eure Zeit

„Die Menschen um euch wissen, wer ihr seid; sie lesen es in euren Augen und spüren den Geist, den ihr ausstrahlt, wenn sie mit euch zusammen sind.”

Als ich als Pfahl-JD-Leiterin entlassen wurde, stellte ich zu meiner Überraschung fest, daß ich vor allem das Camp vermißte. Ich vermißte den Spaß und die Aufregung der Mädchen, wenn sie die Welt um sich herum schätzen lernten und auch das zarte Zeugnis derer, die „noch nie so ein Gefühl gehabt” hatten. Ich vermißte die Mädchen, die mir so ans Herz gewachsen waren. Und ich vermißte die Nächte unter freiem Himmel.

Es liegt ein besonderer Zauber darin, auf einem JD-Camp unter freiem Himmel zu schlafen, vor allem wenn es ganz finster ist, der Mond nicht scheint und nur die Sterne hell leuchten. Die Stimmung ist wie geschaffen für leise Gespräche über das, was wirklich zählt, und für Musik. Wie müde die Mädchen auch sein mögen, man hört doch Musik - kleine Gruppen, die irgendwo in der Dunkelheit singen, ehe sie sich schlafen legen, und manchmal sogar der weit entfernte Klang einer Ukulele oder Gitarre. Ich habe die Erfahrung gemacht, daß man, wenn man draußen schläft, viel näher am Geschehen ist, wenn jemand mitten in der Nacht Hilfe, Trost oder Rat braucht.

Es war eine solche Nacht, als ich in jenem letzten Jahr aufs Camp ging. Nachdem die letzten weinenden Zeltbewohnerinnen ins Bett gesteckt worden waren und das Camp schließlich ruhig war, bemerkte ich, daß sich am Himmel bereits der Morgen ankündigte. Wir hatten nach einem Platz gesucht, wo wir bei Sonnenaufgang einen Gottesdienst abhalten konnten, und da ich noch wach war, schien das die geeignete Zeit, diesen Platz zu finden. Also kroch ich aus meinem Schlaf sack und ging einen kleinen Pfad entlang zwischen den Bäumen hindurch. Nachdem ich eine kleine Anhöhe hinaufgestiegen war, befand ich mich auf einer Wiese, von der man über das ganze Tal und die Berge im Norden blicken konnte. Ich stand lange Zeit dort und beobachtete, wie der Himmel heller wurde und sich die grauen Wolken zunächst rosa, dann weiß färbten.

Als es heller wurde, kamen mir die Berge jenseits des Tales irgendwie bekannt vor, obwohl ich noch nie an diesem Ort gewesen war. Zuerst verwarf ich den Gedanken, doch dann wurde mir klar, daß ich die Rückseite der Berge betrachtete, die ich aus einer anderen Sicht so gut kannte. Es waren die Berge, die ich als Kind von meinem Schlafzimmerfenster aus sehen konnte. Wie oft hatte ich zugesehen, wie sie an stürmischen Tagen die Farbe wechselten, wenn sich die Wolken über den Bergen zusammenballten und der Regen in das Tal hinabfiel, wo unsere Ranch lag.

Erinnerungen an meine Mutter und meinen Vater und an ihre Liebe durchfluteten mich. Ich dachte an meinen himmlischen Vater und davon wie sehr er mich gesegnet hatte. Als ich dort stand und den Sonnenaufgang beobachtete, konnte ich die Wärme der liebenden, führenden Hand des Erretters spüren. Ich wußte, ohne daß man es mir sagen mußte, daß ich buchstäblich eine Tochter Gottes war und durch das Opfer seines Sohnes eines Tages wieder mit meinen irdischen Eltern Zusammensein und in der Gegenwart des himmlischen Vaters leben kann. Ich hatte diese Wahrheit schon oft gelehrt, aber an diesem Morgen schien es, als hätte ich sie selbst zum erstenmal entdeckt.

Vielleicht war es so. Ich hatte vom Geist ein Zeugnis empfangen.

Ich stand da oben auf dem Berg und dankte dem himmlischen Vater für dieses Wissen. Und ich versprach ihm, mein Leben seinem Dienst zu weihen. Ich kann die Freude, die ich dabei empfand, gar nicht ausdrücken. Ich wollte zum Camp zurückrennen und alle aufwecken. Ich wollte ihnen sagen, wer sie wirklich sind, Töchter Gottes! Ich wollte sie auffordern, Glauben zu haben und mit dem himmlischen Vater zu sprechen - aufzuhören, sich wegen Kleinigkeiten oder Dingen, die sie nicht ändern konnten, Sorgen zu machen. Sie sollten wissen, daß Gott lebt und über uns wacht und daß durch seinen Sohn Jesus Christus alles möglich ist! Er verlangt nur, daß wir aus dem, was wir haben, das Beste machen und ihm nahe bleiben. Ich wollte ihnen sagen: „Ihr seid Töchter Gottes, und er liebt euch! Er braucht euch - jede von euch! Wißt ihr das?!”

Als ich zum Camp zurückkam, weckte ich sie lieber doch nicht auf - die meisten Leute hören nicht besonders gut zu, wenn sie noch nicht richtig wach sind. Deshalb habe ich es mir für einen anderen Zeitpunkt aufbewahrt - für heute.

Meine jungen Schwestern, wißt ihr, daß ihr Töchter Gottes seid? Wenn doch nur jede von euch dies ganz sicher wüßte, dann hättet ihr inneren Frieden und genug Selbstvertrauen, um jeder Herausforderung des Lebens zu begegnen. Ihr müßtet euch nie fragen, was ihr tun sollt, wenn Versuchungen kommen.

Viele von euch wissen, daß es wahr ist, was ich euch sage. Ihr wißt, wer ihr seid. Ihr habt die liebende, führende Hand des Erretters gespürt, wenn ihr den Eingebungen des Heiligen Geistes gefolgt seid und den Frieden in eurem Herzen gefunden habt, von dem ich gesprochen habe. Die Menschen um euch wissen, wer ihr seid; sie lesen es in euren Augen und spüren den Geist, den ihr ausstrahlt, wenn sie mit euch zusammensind. Auf unseren Reisen durch die Welt sind wir vielen von euch begegnet. Wir haben gehört, wie ihr euch verpflichtet habt, „allzeit und in allem, wo auch immer ihr euch befindet, als Zeugen Gottes aufzutreten” (siehe Mosia 18:9), wenn ihr den JD-Leitgedanken in vielen verschiedenen Sprachen aufgesagt habt. Wir haben viele von euch umarmt und mit vielen gesprochen. Es begeistert uns zu sehen, wie das Gebet, die heiligen Schriften und das Leben nach dem Evangelium in Vorbereitung auf die Segnungen des Tempels Teil eures Lebens geworden sind!

Janalyn ist eine von euch. Jedes Jahr werden in Utah drei Mädchen für die „Days of ’47”-Feier ausgewählt, die die Nachkommen der Mormonenpioniere repräsentieren. Jana war für ihren herausragenden Dienst im Gemeinwesen ausgezeichnet worden und gehörte zu den Teilnehmern der Endausscheidung. Als sie auf der Bühne auf die Endausscheidung wartete, merkte sie, daß sie in Gedanken den JD-Leitgedanken aufsagte. Da spürte sie besonderen Frieden im Herzen. Sie dachte: „Ich kann als Zeuge Gottes auftreten - selbst hier, zu dieser Zeit und an diesem Ort.” Ihr einziger Wunsch war, „zur richtigen Zeit am richtigen Ort zu sein, um dem Herrn am besten helfen zu können, sein Reich aufzubauen”. Als bekanntgegeben wurde, daß sie ausgewählt worden war, bat man sie, ein paar Worte zu sagen. Sie nahm das Mikrophon in die Hand und obwohl sie wußte, daß von den Zuhörern viele nicht der Kirche angehörten, gab sie Zeugnis. Die Zuhörer wurden ganz still, als sie sagte: „Ich habe gefastet. Und gestern abend habe ich gebetet und dem Herrn gesagt, daß ich ihn repräsentieren werde, wenn mir diese Ehre zuteil wird. Ich bin dankbar für diese Berufung, die Nachkommen der Pioniere zu repräsentieren.”

Euch, die ihr wie Janalyn wißt, daß ihr Töchter Gottes seid und die ihr dieser Erkenntnis gemäß lebt, sagen wir: Macht so weiter. Bleibt auf dem Weg, den ihr beschritten habt. Das ist eure Zeit, um in Rechtschaffenheit voranzugehen, so daß andere euch folgen können und sich gemeinsam mit euch vorbereiten, „zu Christus zu kommen” (Moroni 10:30).

Euch, die ihr vielleicht an euch zweifelt und euch fragt, ob Gott euch wirklich liebt, sagen wir: Jetzt ist die Zeit, um mit dem Wort Gottes einen Versuch zu machen, indem ihr seine Gebote haltet und ihm nahebleibt. Das Gefühl der Liebe und des Angenommenseins kann es ohne Gehorsam nicht geben.

Wie es in dem Heft Für eine starke Jugend heißt: „Man kann nicht schlecht handeln und sich gut fühlen. Das ist unmöglich.” (Für eine starke Jugend, Seite 4.) Aus Liebe und Interesse an euch hat die Erste Präsidentschaft diese Grundsätze zusammengestellt, damit ihr wissen könnt, wie man kluge Entscheidungen trifft und die Liebe des Erretters erfährt.

Die Grundsätze sind auf einem kleinen Faltblatt zusammengefaßt. Tragt es zur Erinnerung an die Grundsätze, nach denen ihr lebt, immer bei euch.

Euch, die ihr wißt, daß ihr etwas Falsches tut, sagen wir: Hört jetzt damit auf. Kehrt um. Kommt zurück. Ihr könnt es schaffen. Es gibt Menschen, die euch helfen können. Der himmlische Vater liebt euch und braucht euch, jede von euch.

Ihr Mädchen, beginnt und beendet den Tag mit einem Gebet. Lest jeden Tag in der heiligen Schrift. Wenn ihr betet und mit dem himmlischen Vater sprecht, wenn ihr zulaßt, daß er durch die heilige Schrift und durch seinen Geist mit euch in Verbindung tritt, dann erhaltet ihr Antwort auf eure Gebete - so wie Dawn.

Als Dawns Eltern nach Japan auf Mission berufen wurden, hatte sie die Wahl, mit ihnen zu gehen oder zu Hause zu bleiben. Nach Japan gehen bedeutete, ihre Freunde zu verlieren, das letzte Jahr an der High-School zu versäumen und überhaupt viele ihrer Zukunftspläne zu ändern. Es war eine schwere Entscheidung. Sie sagte: „Ich habe viel geweint und mich gefragt, warum das ausgerechnet mir passieren mußte.”

Sie fastete und betete. Es schien ein Zufall zu sein, daß sie im Seminar das Buch Mormon studierten und über Lehis Familie sprachen. Früher hatte sie sich immer gefragt, warum es Laman und Lemuel so schwergefallen war, das Rechte zu wählen. Es hatte sie immer gestört, daß sie, die älteren Brüder, nicht mit gutem Beispiel vorangegangen waren. Sie verglich die Schriften mit sich. Sie war das älteste Kind in ihrer Familie. Nach Japan zu gehen bedeutete für sie dasselbe wie in die Wildnis zu ziehen. Sie mußte viel Wichtiges zurücklassen. Sie sagte: „Ich wollte nicht wie Laman und Lemuel sein. Ich wollte dem himmlischen Vater gehorchen und seinen Willen tun.” Sie wußte, daß ihre Entscheidung richtig war, als sie mit ihren Eltern sprach und ihnen sagte, sie würde gern mit ihnen nach Japan gehen. Sie hatte ein gutes Gefühl.

Bei der Abschiedsfeier sagte Dawn ihren Freunden, wie sehr sie sie liebhatte und wie sehr sie sie vermissen werde; dann sagte sie: „Ich weiß, daß der beste Freund, den ich habe, Jesus Christus ist. Ich spüre seine Liebe jeden Tag.”

Jetzt ist eure Zeit, in der heiligen Schrift nach Weisung zu suchen und durch das Gebet eine engere Beziehung zum Erretter aufzubauen. Er kann auch euer bester Freund werden. Durch ihn könnt ihr selbst wissen, daß ihr eine Tochter Gottes seid. Er ist der Sohn Gottes, der Erretter der Welt. Und ihr seid seine Schwestern. Bedenkt nur!

In was für einer aufregenden Zeit leben wir doch - in diesem Augenblick der Geschichte, wo das Evangelium in seiner Fülle wiederhergestellt worden ist und sich die Grenzen der Länder auf dramatische Weise öffnen, damit die Evangeliumsbotschaft verbreitet werden kann!

Ihr Mädchen, jetzt ist eure Zeit, um euch vorzubereiten, euren Teil zu tun - euren Platz einzunehmen in der großen Bewegung, die sich über die ganze Erde ergießt wie eine mächtige Welle. Gebet, Schriftstudium und Gehorsam gegenüber den Geboten bereiten euch darauf vor, für das Evangelium Jesu Christi in Rechtschaffenheit voranzugehen.

Als JD-Präsidentschaft rufen wir euch auf, euch in euren Gemeinden und Zweigen zu vereinigen, euch zu lieben und gegenseitig zu stärken. Wir rufen euch auf, fest zusammenzustehen und für Sittlichkeit einzutreten, gegen die bösen Mächte der Welt anzugehen. Werdet ihr euch zu Wahrheit und Rechtschaffenheit bekennen und andere führen, die euch folgen, wenn ihr den Weg weist? Werdet ihr als Zeugen für den himmlischen Vater und seinen Sohn Jesus Christus auftreten?

Hört die Worte von Präsidentin Ardeth G. Kapp.

„Ich höre, wie sich ein anschwellender Chor von Stimmen junger Mädchen immer weiter über das Land und über das Meer bis in den Himmel ausbreitet - als Antwort auf den Ruf nach rechtschaffenen Mädchen. Ich sehe, wie ihr fest und standhaft im Glauben steht … erfüllt von der Freude der Jugend. Erfaßt von der Begeisterung, gute Werke zu tun und kluge Entscheidungen zu treffen. Ich sehe, wie ihr lernt und wachst und die Schönheit der Welt für euch entdeckt. Wie ihr euch um die kümmert, die vielleicht schwächer sind. Wie ihr zusammensteht und Kraft sammelt, indem ihr die Ideale der Jungen Damen zu einem Teil eures Lebens macht. … Wie ihr dadurch stärker werdet, daß Mädchen wie ihr von den Bergen, den Tälern, den Inseln des Meeres, den unfruchtbaren Wüsten und den tropischen Regenwäldern zusammenkommen … von überallher, wo der Same des Evangeliums gesät worden ist.

Reicht anderen in einer großen vereinten Schwesternschaft die Hand. Vereinigt euch in Rechtschaffenheit. Haltet eure Fahnen hoch, so daß alle sie sehen können. Schämt euch des Evangeliums Jesu Christi nicht, denn ihr kämpft für eine herrliche Sache!” (JD-Fireside, 10. November 1985.)

„Schaut auf diesen Tag. Erhebt euch in all eurer Pracht, und tragt die Fahnen der zukünftigen Welt.” (Maude Osmond Cook, Ensign, November 1977, Seite 32.)

Wir achten euch, wir beten für euch, wir lieben euch. Möge Gott euch segnen. Das sage ich im Namen Jesu Christi. Amen.