1990–1999
Körbe und Gläser
April 1996


Körbe und Gläser

Gott hat uns viele Gaben und viele Unterschiede gegeben, aber wesentlich ist, was wir voneinander wissen - daß wir alle seine Kinder sind.

Meine lieben Brüder und Schwestern, aloha! Im Februar habe ich mich mit Ihnen gefreut, als die Zahl der Mitglieder außerhalb der Vereinigten Staaten ein wenig die Zahl der Mitglieder in den USA überstieg. Diese kleine Veränderung ist ein wichtiges Symbol dafür, daß die Kirche wirklich international ist. Ich dachte an das, was Paulus zu den Galatern gesagt hat: „Es gibt nicht mehr Juden und Griechen, nicht Sklaven und Freie, nicht Mann und Frau; denn ihr alle seid, einer’ in Christus Jesus.” (Galater 3:28.) In diesem Monat begehe ich den 54. Jahrestag meiner Taufe. Bekehrte wie ich kennen die Verheißung des Paulus: „Durch den Geist wurden wir in der Taufe alle in einen einzigen Leib aufgenommen.” (l Korinther 12:12,13.)

Brüder und Schwestern, heute möchte ich darüber sprechen, wie schön es ist, daß wir im Evangelium eins sind. Vor drei Wochen bin ich von den Philippinen, von Australien, Neuseeland, Tonga und den Fidschiinseln zurückgekommen, wo Schwester Susan Warner und ich an Führerschaftsschulungen teilgenommen haben. Davor haben Aufträge mich nach Mexiko, Honduras, Guatemala, Samoa, Korea und Japan geführt.

In all diesen Ländern haben wir lange und hart gearbeitet. Die Leute sagen: „Das muß ja sehr anstrengend gewesen sein!” Aber wir hatten im Gegenteil das Gefühl, daß wir „wie auf Adlersflügeln empor[ge]tragen” (LuB 124:18) wurden, weil wir sahen, wie die Töchter Zions auf die gute Nachricht vom Evangelium hin erwachen und sich erheben und ihre schönen Gewänder anziehen (siehe Moroni 10:31). Wir haben unterwiesen, aber, und dies möchte ich hervorheben, wir haben auch gelernt.

Die wichtigste Lektion war die, daß wir in Christus Jesus wirklich alle eins sind. Wir sind eins in unserer Liebe zu ihm. Wir sind eins in unserem Zeugnis vom Evangelium. Wir sind eins in Glaube, Hoffnung und Liebe. Wir sind eins in der Überzeugung, daß das Buch Mormon das inspirierte Wort Gottes ist. Wir sind eins in der Unterstützung für Präsident Hinckley und die übrigen

Generalautoritäten. Wir sind eins, indem wir einander lieben.

Sind wir in einem dieser Punkte vollkommen? Nein. Wir haben alle noch viel zu lernen. Sind wir in einem dieser Punkte völlig gleich? Nein. Wir befinden uns alle an verschiedenen Stellen auf der Reise, die zum Vater im Himmel zurückführt. Waren die Juden und Griechen, an die Paulus sich in seinem Brief an die Galater wandte, nach der Taufe keine Juden und Griechen mehr? Haben die Männer aufgehört, Männer zu sein, und die Frauen waren keine Frauen mehr? Nein, aber sie waren alle „auf Christus getauft” und hatten „Christus (als Gewand) angelegt” (Galater 3:27).

Nephi erklärt diesen Grundsatz so: Christus „lädt … alle ein, zu ihm zu kommen und an seiner Güte teilzuhaben; und er weist niemanden ab, der zu ihm kommt - schwarz oder weiß, geknechtet oder frei, männlich oder weiblich; … und alle sind vor Gott gleich”. (2 Nephi 26:33.)

Gott hat uns viele Gaben und viele Unterschiede gegeben, aber wesentlich ist, was wir voneinander wissen - daß wir alle seine Kinder sind. Als Mitglieder der Kirche sollen wir alle voneinander lernen, einander lieben und gemeinsam wachsen.

Die Lehren des Evangeliums sind unentbehrlich. Sie sind unbedingt notwendig, aber die Verpackung kann man sich aussuchen. An einem einfachen Beispiel möchte ich Ihnen den Unterschied zwischen der Lehre der Kirche und der kulturellen Verpackung zeigen. Hier ist ein Glas mit Pfirsichen aus Utah, die eine Hausfrau eingekocht hat, damit ihre Familie im Winter zu essen hat. Die Hausfrauen auf Hawaii kochen kein Obst ein. Sie pflücken Obst für einige Tage und lagern es für ihre Familie in einem Korb wie diesem. In diesem Korb sind eine Mango, ein paar Bananen, eine Ananas und eine Papaya. Ich habe diese Früchte in einem Supermarkt in Salt Lake City gekauft, aber sie hätten auch von einer polynesischen Hausfrau gepflückt sein können, die in einem Klima lebt, wo das Obst das ganze Jahr hindurch reift.

Der Korb und das Glas sind verschiedene Behälter, aber sie haben den gleichen Inhalt: Obst für eine Familie. Ist nun das Glas richtig und der Korb falsch? Nein, beide sind richtig. Es sind Behälter, die der Kultur und den Bedürfnissen der Menschen angepaßt sind. Und sie sind beide für ihren Inhalt geeignet, nämlich für Obst.

Was für Frucht gibt es? Paulus sagt uns: „Die Frucht des Geistes aber ist Liebe, Freude, Friede, Langmut, Freundlichkeit, Güte, Treue, Sanftmut und Selbstbeherrschung.” (Galater 5: 22,23.) In der Schwesternschaft der FHV, in der Bruderschaft der Priestertumskollegien, wenn wir uns andächtig versammeln, um das Abendmahl zu nehmen, vereint die Frucht des Geistes uns in Liebe, Freude und Frieden, ob die FHV nun in Taipeh oder Tonga ist, das Priestertumskollegium in Montana oder Mexiko, die Abendmahlsversammlung auf den Fidschiinseln oder den Philippinen.

Auf der ganzen Welt können wir als Brüder und Schwestern im Evangelium voneinander lernen, einander näherkommen und an Liebe zueinander zunehmen. Unsere Einigkeit erwächst aus dem, was wir auf der ganzen Welt gemeinsam haben. Das sind die Lehren und die Verordnungen des Evangeliums, unser Glaube an Jesus Christus, unser Zeugnis von der heiligen Schrift, unsere Dankbarkeit, weil wir von lebenden Propheten geführt werden, und das Bewußtsein, daß wir gemeinsam danach streben, Heilige zu sein. Das sind die Grundsätze des Evangeliums.

Wir müssen empfänglich für die unwandelbaren und mächtigen grundlegenden Prinzipien des Evangeliums sein. Wir müssen begreifen, daß sie am wichtigsten sind. Errichten wir auf diesen Grundsätzen ein festes Fundament. Wenn dann ein Wolkenbruch kommt und die Wassermassen heranfluten, ist unser Haus „auf Fels gebaut” und stürzt nicht ein (siehe Matthäus 7:25).

Auf diesem festen Fundament wollen wir uns dann miteinander freuen, einander zuhören, voneinander lernen und einander helfen, diese Grundsätze in unterschiedlichen Umständen, unterschiedlichen Kulturen, unterschiedlichen Generationen und unterschiedlichen Ländern anzuwenden.

Seit sechs Jahren höre ich den FHV-Mitgliedern der Kirche zu. Ich habe von allen gelernt. Ich habe von geschiedenen Müttern gelernt, die ihre Kinder unter großen Mühen allein erziehen. Ich habe von Frauen gelernt, die ledig sind und sich nach einer Ehe sehnen, von Frauen, die sich nach Kindern sehnen und keine bekommen können, und von Frauen, die zu Hause mit seelischen und körperlichen Mißhandlungen rechnen müssen. Ich habe von Frauen gelernt, die Heimarbeit machen, und von anderen, die außerhalb des Hauses arbeiten. Ich habe von Frauen gelernt, die in Abhängigkeit von chemischen Substanzen leben, als Kind sexuell mißbraucht wurden oder an einer chronischen Krankheit leiden.

Es war nur wenigen unter diesen Frauen bewußt, daß sie mir etwas gaben. Die meisten dachten, sie bäten um Hilfe. Aber alle waren ein Segen für mich, wenn ich ihnen zuhörte und von ihnen lernte.

Als ich vor genau sechs Jahren in die FHV-Präsidentschaft berufen wurde, sagte Präsident Hinckley zu mir: „Sie bringen eine besondere Eigenschaft in diese Präsidentschaft mit. Sie sind die Repräsentantin derer, die jenseits der Grenzen der Vereinigten Staaten und Kanadas leben, oder mit anderen Worten, Sie werden die Mitglieder der Kirche in vielen, vielen Ländern ansprechen. An Ihnen werden sie alle sehen, daß auch sie mit der Kirche eins sind.” Er gab mir einen Segen, daß meine Zunge gelöst würde, wenn ich zu den Menschen spräche.

Präsident Hinckley, ich möchte vor dem Herrn, vor Ihnen und vor diesen Zuhörern bezeugen, daß Ihr Segen sich buchstäblich erfüllt hat.

Ich spreche weder Koreanisch noch Spanisch oder die Tongasprache. Doch als ich den Auftrag erhielt, zu den FHV-Mitgliedern und ihren Priestertumsführern in den Ländern zu fahren, in denen diese Sprachen gesprochen werden, war ich von dem Wunsch erfüllt, in ihrer Sprache zu ihnen zu sprechen. Präsident Hinckleys Segen und seine tröstlichen Worte gaben mir Kraft. Mit der Hilfe der Übersetzungsabteilung der Kirche und guter Lehrer, die stundenlang mit mir geübt haben, konnte ich meine Ansprachen in Spanisch, Koreanisch und Tonga halten, als ich diese Menschen besuchte. Ich spürte, wie der Geist ihnen meine Worte ins Herz trug, und ich spürte, wie „die Frucht des Geistes” (Galater 5:22) mir dafür ihre Liebe, ihre Freude und ihren Glauben brachte. Ich fühlte, wie wir im Geist eins waren.

Brüder und Schwestern, ob Ihre Frucht nun Pfirsiche oder Papayas sind, ob Sie sie in Gläsern oder Körben bringen, wir danken Ihnen, daß Sie sie in Liebe bringen. Vater im Himmel, mögen wir eins sein und mögen wir dein sein (siehe LuB 38:27); das erbitte ich im Namen unseres Erretters, Jesus Christus. Amen.