1990–1999
Im Leben Freude finden
April 1996


Im Leben Freude finden

Kürzlich stand ich bei Tagesanbruch im Nordstrand einer schönen Pazifikinsel und schaute auf die See hinaus. Ich war fasziniert davon, wie gleichmäßig und unablässig die riesigen Wellen heranrollten und sich am Ufer brachen. Es erinnerte mich daran, daß der Plan des Herrn mit seinem festgesetzten, ewigen Gesetz, der Gewißheit beständiger Gerechtigkeit und der Barmherzigkeit, die man sich durch Gehorsam verdient, auch etwas Beständiges ist. Ich bemerkte, daß jeder Wellenkamm an einer anderen Stelle auftauchte und jede Welle einen eigenen Weg zum Ufer fand. Manche stürzten über Felsen und ließen weißschäumendes Wasser zurück. Andere brachen sich am Strand und bildeten die verschiedensten Muster; sie liefen mit schäumenden Rändern am flachen Strand auf und bildeten Blasen und Wirbel, wenn sie sich zurückzogen.

Ich dachte an die unendliche Vielfalt der Entwicklungsmöglichkeiten, die der Herr uns bietet. Wir haben soviel Freiheit, so viele Möglichkeiten, unsere einzigartige Persönlichkeit, unsere Talente zu entfalten, uns Erinnerungen zu schaffen und etwas zu leisten. Weil dies für mich vorerst die letzte Gelegenheit war, das majestätische Meer zu betrachten, versuchte ich mir vorzustellen, welch herrliches Panorama die strahlende

Sie dankbar und gehorsam sind, können Sie genau so werden, wie Sie nach Gottes Absicht sein sollen.

Traurigkeit, Enttäuschungen, Schwierigkeiten sind Ereignisse im Leben, aber nicht das Leben selbst. Ich will diese Schwierigkeiten nicht unterbewerten. Schwierigkeiten können lange Zeit andauern, aber Sie dürfen nicht all Ihr Tun davon bestimmen lassen. Der Herr hat Lehi zu der grundlegenden Aussage inspiriert: „Menschen sind, damit sie Freude haben können.”1 Für die Menschen gilt diese Aussage eingeschränkt: „Damit sie Freude haben können.” Für den Herrn gilt sie uneingeschränkt. Er möchte, daß jeder von uns Freude findet. Der Satz gilt auch für Sie uneingeschränkt, wenn Sie die Gebote befolgen, an den Herrn glauben und tun, was nötig ist, damit Sie hier auf der Erde Freude haben.

Ihre Freude hängt davon ab, ob Sie dem Vater im Himmel und seinem Sohn vertrauen und ob Sie davon überzeugt sind, daß ihr Plan des Glücklichseins Ihnen wirklich Freude schenken kann. Wenn Sie über ihre Lehren nachsinnen, können Sie die Schönheit der Erde erkennen und erfülltere Beziehungen zu Ihren Mitmenschen entwickeln. Sie finden dadurch tröstliche, stärkende Erlebnisse, wenn Sie zum Vater im Himmel beten und er Ihr Beten erhört.

Wenn man sich einen Kiesel dicht vor das Auge hält, sieht er wie ein gewaltiges Hindernis aus. Wenn man ihn zu Boden fallen läßt, sieht man ihn aus der richtigen Perspektive. Genauso müssen wir Probleme und Schwierigkeiten im Leben aus der Perspektive der heiligen Schriften sehen. Andernfalls können sie leicht unser Blickfeld ausfüllen, all unsere Energie aufzehren und uns die Freude und Schönheit vorenthalten, die der Herr hier auf der Erde für uns vorgesehen hat. Manche Menschen sind wie Steine, die man in ein Meer von Problemen wirft. Sie gehen darin unter. Seien Sie wie ein Korken. Werden Sie in ein Problem getaucht, kämpfen Sie sich frei, bis Sie wieder obenauf schwimmen, damit Sie fröhlich dienen können.

Sie sind zu einem gottgegebenen Zweck auf der Erde. Dieser Zweck besteht nicht darin, daß man unablässig unterhalten wird oder ständig nach Vergnügen sucht. Sie sind hier, um geprüft zu werden und sich zu bewähren, damit Sie die weiteren Segnungen, die Gott für Sie bereithält, empfangen können.2 Dazu bedarf es der Geduld, die uns ausharren läßt.3 Manche Segnungen erhält man in diesem Leben, andere kommen erst jenseits des Schleiers. Der Herr ist auf Ihre Entwicklung bedacht. Dieser Fortschritt wird beschleunigt, wenn Sie sich willig von ihm durch jede läuternde Erfahrung leiten lassen, der Sie begegnen, ganz gleich, ob sie Ihnen von Anfang an gefällt oder nicht.

Wenn Sie dem Herrn vertrauen, wenn Sie bereit sind, Herz und Sinn auf seinen Willen auszurichten, wenn Sie darum bitten, daß sein Geist Sie leitet, seinen Willen zu tun, dann werden Sie bestimmt glücklich sein und soviel wie möglich aus diesem Erdenleben lernen. Wenn Sie alles, worum Sie gebeten werden, in Frage stellen und bei jeder Herausforderung zurückschrecken, fällt es dem Herrn viel schwerer, Sie zu segnen.4

Die Entscheidungsfreiheit, also das Recht zu wählen, haben Sie nicht erhalten, damit Sie alles bekommen können, was Sie wollen. Diese Gabe haben Sie mitbekommen, damit Sie sich für das entscheiden, was der Vater im Himmel mit Ihnen vorhat. Auf diese Weise kann er Sie führen, so daß Sie so werden, wie er es vorgesehen hat.5 Dieser Weg führt zu herrlicher Freude und macht Sie glücklich.

Lernen Sie von Menschen, die ihre Schwierigkeiten annehmen und trotz widriger Umstände voll Freude leben. Eine Frau mit einer unheilbaren Krankheit, die schnell zum Tode führte, fand doch immer Freude. Sie kannte den Plan des Glücklichseins, hatte die heiligen Handlungen des Tempels empfangen und tat alles, um der verheißenen Segnungen würdig zu sein. In ihrem Tagebuch lesen wir: „Es ist ein schöner Herbsttag. Ich habe die Post geholt und mich auf die Schaukel gesetzt. Ich war so glücklich und zufrieden in der warmen Sonne im duftenden Garten. Ich saß einfach da und war begeistert, daß ich noch auf dieser schönen Erde lebe. … Der Herr ist so gut zu mir. Wie danke ich ihm, daß ich noch hier bin und mich wohlfühle. Ich bin sooo glücklich, daß ich in diesem schönen Haus jauchzen und tanzen möchte, während die Sonne durch die großen Fenster scheint. Ich lebe gern.”

Eine tapfere Mutter, die mutig mit einer schweren Krankheit rang, arbeitete mühsam unzählige Stunden an einer großen Stickarbeit, einem Kunstwerk, das als Geschenk für ein Ehepaar gedacht war, das schwer geprüft wurde. Für dieses Ehepaar ist das Geschenk ein kostbarer Besitz. Es zeigt, was man erreichen kann, wenn man sich trotz widriger Umstände anstrengt, und es ist eine Botschaft der Hoffnung, eingebunden in Liebe und Opferbereitschaft.

Von den Kindern können wir lernen, wie man trotz größter Schwierigkeiten Freude finden kann. Kinder wissen noch nicht, wie man sich durch die Gedanken an all das, was man nicht hat, niederdrücken läßt. Sie freuen sich über das, was sie haben. Ich erinnere mich an einen kleinen Jungen, der am Bach spielte. Er hatte ein Stück Angelschnur an zwei leere Limonadendosen gebunden. Er warf eine über einen Ast und füllte sie mit Wasser. Dann zog er an der zweiten Dose und ließ sie dann los. Die volle Dose fiel hinunter und zog mit ihrem Gewicht die leere nach oben. Er lachte und hüpfte vor Vergnügen.

Überall um uns herum gibt es einfache, verjüngende Erlebnisse. Das können Sicherheitsventile sein, die den Druck vermindern und den Geist erheben. Denken Sie nicht ständig an das, was Ihnen fehlt oder was Sie verloren haben. Der Herr hat den Gehör- y samen verheißen, daß er sie an allem, was eif besitzt, teilhaben lassen wird.aVielleicht entbehren Sie hier etwas, aber im Jenseits werden Sie die Fülle haben, wenn Sie sich hier durch Tapferkeit würdig gemacht haben.

Ufenn der Herr Ihnen in seiner Weisheit etwas vorenthält, was Sie sich sehr wünschen, dann halten Sie nach dem Ausschau, was er Ihnen als Ausgleich dafür schenkt^ Wenn jemand blind oder taub ist, so sind die übrigen Sinne um so schärfer. Den Kranken schenkt er Geduld, Verständnis und Dankbarkeit für die Güte der anderen Menschen. Wenn wir einen lieben Menschen verlieren, so verstärkt er das Band der Liebe, schenkt uns einen Schatz von Erinnerungen und entfacht die Hoffnung auf ein späteres Wiedersehen. Wenn Sie den Willen des Herrn bereitwillig annehmen und an ihn glauben, werden Sie entdecken, welche Segnungen er Ihnen zum Ausgleich schenkt.6. Den bedrängten Menschen um Alma sagte der Herr: „Ich will euch die Last … leicht machen, so daß ihr sie nicht mehr auf eurem Rücken spüren könnt, … und das will ich tun, damit ihr später als Zeuge für mich dasteht und damit ihr mit Gewißheit wissen könnt, daß ich, der Herr Gott, mein Volk in seinen Bedrängnissen besuche.

Die Last … wurde leicht gemacht; ja, der Herr stärkte sie, so daß sie ihre Last mühelos tragen konnten, und sie unterwarfen sich frohgemut und mit Geduld in allem dem Willen des Herrn.” (Mosia 24:13-15.)

Camilla Kimball, Amelia McConkie und Helen Richards haben Malunterricht genommen, nachdem sie ihren Mann verloren hatten. So hinterlassen sie nicht nur ein künstlerisches Vermächtnis, sondern sie werden auch niemals einen Sonnenuntergang, ein Gesicht oder einen Baum genauso sehen wie früher. Sie entdecken jetzt feine Nuancen in Farbe und Form und freuen sich an all der Schönheit in ihrer Umgebung. Wählen Sie etwas aus wie Musik, Tanz, Bildhauerei oder Poesie. Kreativität schenkt Ihnen mehr Freude am Leben. Sie erzeugt Dankbarkeit. Sie entwickelt schlummernde Talente, schärft Ihr Denkvermögen und hilft Ihnen, den Sinn des Lebens zu entdecken. Sie vertreibt Einsamkeit und Kummer, schafft Erneuerung und Begeisterung und gibt dem Leben Würze.

Man wird auf Dauer glücklich, wenn man seinen Mitmenschen bereitwillig dient. Prä-

sident Kimball hat gesagt: „Gott sieht uns, und er wacht über uns. Was wir brauchen, gibt er uns aber meist durch einen anderen Menschen. Es ist also ganz wesentlich, daß wir einander dienen.”7 Ich kenne eine Frau, die wirklich glücklich war. Jeden Morgen bat sie den Vater im Himmel, sie zu jemandem zu führen, dem sie helfen konnte. Dieses aufrichtige Gebet wurde immer wieder erhört. Sie machte vielen die Last leichter und das Leben schöner. Sie wurde unablässig dafür gesegnet, daß sie ein Werkzeug des Herrn war.

Ich weiß, daß der Herr jede unserer Schwierigkeiten, sogar die, die aus eigener Nachlässigkeit oder gar Übertretung entstanden sind, in eine Erfahrung verwandeln kann, durch die wir wachsen und sogar immer höher gelangen.8 Natürlich schlage ich nicht vor, daß wir übertreten, um zu wachsen. Das ist schmerzlich, schwierig und völlig überflüssig. Es ist viel klüger und auch leichter, in Rechtschaffenheit vorwärtszugehen. Aber durch aufrichtige Umkehr, Glauben an den Herrn Jesus Christus und Gehorsam gegenüber seinen Geboten kann man selbst aus der Enttäuschung, die der Übertretung folgt, noch zum Glück finden.

Stellen Sie eine Liste mit Ideen auf, was Sie tun können, um glücklich zu sein, zum Beispiel:

  • Sinnen Sie über die heiligen Schriften nach, damit Sie den Plan des Glücklichseins verstehen.

  • Beten Sie voll Glauben an Jesus Christus.

  • Lieben Sie Ihre Mitmenschen und dienen Sie ihnen.

  • Empfangen Sie die heiligen Handlungen des Tempels. Gehen Sie dann wieder hin, um anderen zu helfen.

  • Hören Sie auf den Propheten und befolgen Sie seinen Rat.

  • Seien Sie dankbar für das, was Sie haben.

  • Lächeln Sie öfter.

Diese Liste wird Sie zu Zufriedenheit und Freude führen.

In einem bekannten brasilianischen Lied steht eine Unwahrheit, die viele glauben: „Die Traurigkeit nimmt kein Ende, aber das Glück wohl.” Ich bezeuge, daß das Glück kein Ende nimmt, daß aber die Traurigkeit ein Ende hat, wenn wir an Jesus Christus glauben und seinen Lehren folgen.

Ganz gleich, was Sie oder jemand, den Sie lieben, an Schwerem durchmachen muß, stellen Sie es nicht in den Mittelpunkt Ihres Denkens und Handelns. Herausforderungen lassen uns wachsen. Sie sind vorübergehende Schwierigkeiten vor dem Hintergrund eines schönen Lebens. Lassen Sie sich nicht von einem einzigen Ereignis so in Anspruch nehmen, daß Sie an nichts anderes denken und nicht mehr für sich selbst oder

diejenigen, die sich auf Sie verlassen, sorgen können. Vergessen Sie nicht: Genau wie der Körper brauchen geistige und seelische Wunden auch Zeit zum Heilen.

Der Herr hat gesagt: „Sei geduldig in deinen Bedrängnissen, denn du wirst viele haben; aber ertrage sie, denn sieh, ich bin mit dir, ja, bis ans Ende deiner Tage”.9 Wenn Sie geduldig sind, werden Sie verstehen, was es heißt, wenn er sagt: „Ich bin mit dir.” Die Liebe Gottes schenkt Frieden und Freude. Öffnen Sie das Fenster Ihres Herzens weit, und lassen Sie das Sonnenlicht der Liebe Jesu herein!

Der Glaube an Jesus Christus verleiht dem Leben bleibenden Sinn. Sie sind auf der Reise zur Erhöhung. Manche Erfahrungen machen uns glücklicher als andere, aber beim Herrn hat alles einen Sinn.10

Danken Sie dem Vater im Himmel und seinem geliebten Sohn für den Plan des Glücklichseins und die Evangeliumsgrundsätze, auf denen er beruht. Seien Sie dankbar für die heiligen Handlungen und die Bündnisse, die sie uns gegeben haben. Ich bezeuge feierlich, daß Gott und Christus die Macht haben, Ihr Leben mit Frieden und Freude zu krönen und ihm Sinn und Zweck zu geben. Sie werden erfahren, daß Traurigkeit und Enttäuschung vorübergehen. Dank Jesus Christus können wir in alle Ewigkeit glücklich sein. Ich bezeuge feierlich, daß er lebt, daß er Sie liebt, und daß er Ihnen helfen wird. Im Namen Jesu Christi. Amen.

  1. 2Nephi2:25.

  2. Siehe Abraham 3:25.

  3. Siehe Mosia 3:19. :

  4. Siehe l Nephi 3:7.

  5. Siehe LuB 58:26-32.

  6. Siehe Zitat von Orson F. Whitney in Spencer W. Kimball, Faith Precedes the Mirade, 1972, Seite 98.

  7. The Teachings of Spencer W. Kimball, Hg. Edward L. Kimball, 1982, Seite 252.

  8. SieheJesaja40:31.

  9. LuB 24:8.

  10. Siehe Joseph F. Smith, Gospel Doctrine, 5. Ausgabe, 1939, Seite 177.