2000–2009
Entscheidungen
April 2004


Entscheidungen

Welche Segnungen und Möglichkeiten wir morgen haben, hängt von den Entscheidungen ab, die wir heute treffen.

Meine lieben Brüder im heiligen Priestertum Gottes auf der ganzen Welt, ich grüße jeden von Ihnen in Liebe und Freundschaft.

Das ganze Leben müssen wir viele Entscheidungen treffen. Manche davon sind sehr wichtig. Andere sind es nicht. Oft müssen wir uns zwischen gut und böse entscheiden. Die Entscheidungen, die wir treffen, bestimmen jedoch in hohem Maße, wie glücklich oder unglücklich wir sind, weil wir mit den Folgen unserer Entscheidungen leben müssen. Zu jeder Zeit die vollkommene Entscheidung zu treffen, ist nicht möglich. Das geht einfach nicht. Aber es ist möglich, gute Entscheidungen zu treffen, mit denen wir leben und durch die wir wachsen können. Wenn die Kinder Gottes so leben, dass sie würdig sind, von Gott geführt zu werden, können sie „für immer frei [sein] und … gut von böse unterscheiden; sie können für sich selbst handeln und müssen nicht auf sich einwirken lassen“.1

Manchmal treffen wir schlechte Entscheidungen, wenn wir dem Gruppendruck nachgeben. Kieth Merrill hatte als Teenager ein solches Erlebnis. Er und seine Freunde sprangen im East Canyon Reservoir, nordöstlich von Salt Lake City, von einer Felswand hinab ins Wasser. Daraus wurde für die Jungen unvermeidlich ein Wettbewerb, als einer von ihnen ganz nach oben auf den Damm kletterte und 15 Meter tief in den Stausee sprang. Alle anderen folgten ihm nach oben und vollführten den gleichen Sprung. Ein Junge gab sich damit nicht zufrieden und sagte: „Schön, ich kann das noch besser!“ Er kletterte an der Felswand 18 Meter hoch. Kieth wollte ihm nicht nachstehen und kletterte mit ihm. Nachdem der andere Junge ins Wasser gesprungen war und es ihm offensichtlich gut ging, nahm Kieth allen Mut zusammen und sprang. Der Wettbewerb fand jetzt nur noch zwischen den beiden statt. Kieths Freund sprang als Nächstes aus 21 Meter Höhe. Er tauchte lachend aus dem Wasser auf und rieb sich die Schultern und die Augen. Dann forderte er Kieth heraus: „Na, traust du dir das zu?“

„Natürlich. Das kriege ich hin.“ Und jeder am Ufer sagte: „Natürlich schafft er das!“

Also schwamm Kieth zurück ans Ufer und kletterte die Felsen hinauf. Er wusste: Wenn er ebenfalls aus 21 Meter Höhe sprang, würde sein Freund noch höher steigen wollen, also kletterte er 24 Meter hoch, bis ans Ende der Felswand. Niemand konnte höher kommen als an das Ende. Als Kieth hinunterblickte und sah, wie weit entfernt das Wasser war, hatte er Angst. Er hatte eine überstürzte Entscheidung getroffen. Er wollte nicht springen und hatte auch nicht das Gefühl, dass es richtig war. Stattdessen hatte er seine Entscheidung auf das Drängen und die Herausforderung eines halben Dutzends Jungen hin getroffen, an deren Namen er sich heute nicht einmal mehr erinnern kann.

Er nahm Anlauf und lief, so schnell er konnte, auf den Felsrand zu. Er kam an die Stelle, die er sorgfältig markiert hatte, und sprang nach vorn in die Luft. Auf dem Weg nach unten fiel ihm ein, dass ihn seine Eltern gelehrt hatten, seine Entscheidungen vorsichtig zu treffen, da ihn eine falsche umbringen könne. Und nun dachte er: „Jetzt ist es passiert! Du kommst mit so einer Geschwindigkeit auf dem Wasser auf, dass es hart sein wird wie Beton.“ Als er auf dem Wasser aufkam, fühlte es sich wirklich wie Beton an. Wie dankbar war er, als er mit dem Kopf endlich über dem Wasser war.

Warum war er bloß gesprungen? Was hatte er nur zu beweisen versucht? Die Jungen, die ihn herausgefordert hatten, kümmerte es nicht, und sie können sich wahrscheinlich nicht einmal mehr an diese Dummheit erinnern. Doch Kieth erkannte im Nachhinein, dass seine Entscheidung leicht hätte tödlich enden können. Er hatte dem Druck seiner Freunde nachgegeben, die etwas von ihm erwarteten, was er nicht tun wollte. Er wusste es besser. Er sagte: „Ich lebte in der Welt, aber in diesem Moment war ich außerhalb der Welt, weil ich nicht mehr über mich selbst bestimmen konnte. Ich traf keine Entscheidung für mich selbst. Die Welt traf die Entscheidungen für mich … und [ich] hatte es gerade so geschafft, dass ich nicht zwei Meter unter der Erde endete.“2

Es erfordert besonderen Mut, wenn man stehen bleibt, anstatt loszuspringen und törichterweise jemand anderem zu gestatten, an unserer Stelle zu entscheiden. Wir können unseren Standpunkt leichter vertreten, wenn wir eine klare Vorstellung von unserer Identität als Sohn Gottes und Träger des heiligen Priestertums haben, der ein großes Potenzial für eine erfüllte Zukunft besitzt.

Leider sind manche unserer schlechten Entscheidungen nicht rückgängig zu machen, aber viele sind es doch. Oft können wir unseren Kurs ändern und wieder auf die richtige Bahn gelangen. Um wieder auf die richtige Bahn zu gelangen, müssen wir vielleicht die Grundsätze der Umkehr anwenden: erstens unseren Fehler erkennen; zweitens das falsche Verhalten aufgeben; drittens es niemals wiederholen; und es viertens eingestehen3 und, wenn möglich, Wiedergutmachung leisten. Durch Erfahrung zu lernen hat seinen Wert, aber das ist die schmerzhaftere Methode. Wir können schneller und leichter Fortschritt machen, wenn wir von unseren Eltern, von Menschen, die uns lieben, und von unseren Lehrern lernen. Wir können außerdem aus den Fehlern anderer lernen, indem wir die Folgen ihrer falschen Entscheidungen beobachten.

Manche Entscheidungen eröffnen uns positive Möglichkeiten, ganz gleich, welchen Weg wir einschlagen – zum Beispiel, wenn wir uns zwischen verschiedenen Berufen oder Schulen entscheiden müssen. Ich kenne einen intelligenten und begabten jungen Mann, der Arzt werden wollte, doch bot sich ihm keine Gelegenheit; also entschied er sich für ein Jurastudium. Er wurde ein sehr erfolgreicher Rechtsanwalt, aber ich bin mir sicher, dass er als Arzt ebenso erfolgreich geworden wäre.

Manche unserer wichtigen Entscheidungen sind zeitlich befristet. Wenn wir die Entscheidung aufschieben, ist die Gelegenheit vorüber und kommt nie wieder. Manchmal halten uns Zweifel davon ab, eine Entscheidung zu treffen, die Veränderungen zur Folge hätte. So kann eine Gelegenheit verpasst werden. Jemand sagte einmal: „Wenn du vor einer Entscheidung stehst und sie nicht triffst, ist das auch eine Entscheidung.“4

Manchen Menschen fällt es schwer, Entscheidungen zu treffen. Ein Psychiater fragte einmal einen Patienten: „Fällt es Ihnen manchmal schwer, zu einem Entschluss zu kommen?“ Der Patient erwiderte: „Also, ja und nein.“ Ich hoffe und bete, dass wir so entschlossen sein können wie Josua, als er verkündete: „Entscheidet euch heute, wem ihr dienen wollt … Ich aber und mein Haus, wir wollen dem Herrn dienen.“5

Manche Entscheidungen haben schwerwiegendere Folgen als andere. Wir treffen in diesem Leben keine größere freiwillige Entscheidung als die, wen wir heiraten. Diese Entscheidung kann uns ewige Freude und Glücklichsein einbringen. Um in der Ehe vollständige Erfüllung zu finden, müssen sich beide Partner voll und ganz an die Ehe binden.

Manche wichtigen Entscheidungen, die zur Erfüllung und zum Glück führen, sollten nur einmal getroffen werden und dann für immer feststehen. Zum Beispiel müssen wir nur einmal den festen und unwiderruflichen Entschluss fassen, nicht zu rauchen, keinen Alkohol zu trinken und keine bewusstseinsverändernden Drogen zu nehmen.

1976 war Elder Robert C. Oaks Oberst in der Luftwaffe der Vereinigten Staaten und gehörte dem Vermittlerstab für Vorfälle auf hoher See an. Der Stab war vom Marinebezirk Leningrad zum Abendessen eingeladen worden. Ungefähr 50 leitende Offiziere der Sowjetunion und der Vereinigten Staaten waren anwesend, als der Gastgeber vor dem Essen einen Toast ausbringen wollte. Die Gruppe stand zum ersten Toast auf und hob die Gläser, von denen die meisten mit russischem Wodka gefüllt waren. Bruder Oaks hatte rosa Limonade in seinem Glas, was dem gastgebenden Admiral sofort auffiel. Er hielt inne und verlangte, dass Bruder Oaks sein Glas mit Wodka füllte; er wollte erst fortfahren, wenn das geschehen war. Bruder Oaks lehnte ab und erklärte, er sei mit dem zufrieden, was sich in seinem Glas befand.

Eine erhebliche Spannung baute sich auf und selbst seine eigenen Stabskameraden, von denen die meisten einen höheren Rang hatten als er, wurden angesichts der ausweglosen Situation nervös. Bruder Oaks’ sowjetischer Begleiter zischte ihm ins Ohr: „Füllen Sie Wodka in Ihr Glas!“ Bruder Oaks sprach das kürzeste Gebet seines Lebens: „Gott, hilf mir!“

Innerhalb von Sekunden flüsterte der sowjetische Dolmetscher, ein Hauptmann, mit dem er sich zuvor über Religion unterhalten hatte, dem gastgebenden Admiral zu: „Es ist wegen seiner Religion.“ Der Admiral nickte, die Spannung löste sich augenblicklich und das Programm ging weiter.6

Elder Oaks hatte sich schon vor Jahren dazu entschieden, niemals Alkohol zu trinken, und so musste er in diesem Moment der Prüfung diese Entscheidung nicht noch einmal treffen. Elder Oaks war überzeugt davon, dass aus der Übertretung einer Leitlinie seines Glaubens ein weitaus größerer Schaden entstanden wäre als aus der schädlichen Wirkung des Wodkas. Es schadete übrigens seiner Karriere nicht, dass er seinen religiösen Grundsätzen treu blieb. Er wurde später noch Viersternegeneral.

Merkwürdigerweise erscheint es oftmals vernünftig, das Falsche zu tun, vielleicht, weil es wie der einfachste Weg aussieht. Oft hören wir als Rechtfertigung für falsches Verhalten: „Aber das macht doch jeder.“ Dieses Übel verdreht die Wahrheit und stammt vom Satan. Nephi sagt uns: „So betrügt der Teufel ihre Seele und führt sie mit Bedacht hinweg, hinab zur Hölle.“7

Ganz gleich, wie viele Menschen in unserer Gesellschaft sich damit abgeben, niemand ist darin gerechtfertigt, unehrlich zu sein, zu lügen, zu betrügen, eine vulgäre Ausdrucksweise zu benutzen, insbesondere den Namen des Herrn zu missbrauchen, unsittliche sexuelle Beziehungen zu haben oder den Tag des Herrn zu missachten.

Das Verhalten anderer ist keine Maßgabe dafür, was richtig oder falsch ist. Ein Mensch, der den Mut hat, sich richtig zu entscheiden, kann viele andere bewegen, sich ebenfalls weise zu entscheiden. Ich möchte bekräftigen, was in der Broschüre Für eine starke Jugend steht:

„Ihr tragt die Verantwortung für eure Entscheidungen. Ihr könnt es nicht auf die Umstände, eure Familie oder eure Freunde schieben, wenn ihr euch entscheidet, den Geboten Gottes nicht zu gehorchen. Ihr seid Kinder Gottes und habt große Macht. Ihr könnt euch entscheiden, rechtschaffen und glücklich zu sein – unter welchen Umständen ihr auch leben mögt.“8

Wie treffen wir richtige Entscheidungen? Mit einer Entscheidung geht ein bewusster Entschluss einher. Um eine intelligente Entscheidung zu treffen, müssen wir alle bekannten Fakten und Aspekte einer Angelegenheit abwägen. Doch das reicht nicht aus. Richtige Entscheidungen erfordern Gebet und Inspiration. Abschnitt 9 in Lehre und Bündnisse verrät uns das Rezept. Der Herr sagte zu Oliver Cowdery:

„Siehe, du hast es nicht verstanden; du hast gemeint, ich würde es dir geben, obschon du dir keine Gedanken gemacht hast, außer mich zu bitten.

Aber siehe, ich sage dir: Du musst es mit dem Verstand durcharbeiten; dann musst du mich fragen, ob es recht ist, und wenn es recht ist, dann werde ich machen, dass dein Herz in dir brennt; darum wirst du fühlen, dass es recht ist.

Wenn es aber nicht recht ist, wirst du keine solchen Gefühle haben, sondern du wirst eine Gedankenstarre haben, die dich das vergessen lassen wird, was falsch ist.“9

Wenn wir in die Zukunft schauen, werden wir mehr Kraft und Verantwortungsbewusstsein für unsere Entscheidungen in einer Welt entwickeln müssen, in der die Menschen „Böses gut und Gutes böse nennen“.10 Unsere Entscheidungen sind nicht weise, wenn sie sich gegen Gottes Willen oder den Rat der Priestertumsführer richten. Welche Segnungen und Möglichkeiten wir morgen haben, hängt von den Entscheidungen ab, die wir heute treffen.

Brüder, es ist meine Überzeugung und mein Zeugnis, dass wir gemeinsam die Pflicht haben, der ganzen Welt ein Vorbild an Rechtschaffenheit zu sein. Unter der großartigen Führung von Präsident Gordon B. Hinckley müssen wir durch die inspirierten Entscheidungen, die wir treffen, den Weg weisen. Sie besitzen die Macht, sich zu entscheiden. Mögen wir alle diese gottgegebene Fähigkeit weise nutzen, wenn wir diese Entscheidungen für die Ewigkeit treffen. Im Namen Jesu Christi. Amen.

  1. 2 Nephi 2:26

  2. Nach „Deciding about Decisions“, New Era, Juni 1976, Seite 12f.

  3. Siehe LuB 58:43

  4. William James, zitiert in 20,000 Quips and Quotes, 1968, Hg. Evan Esar, Seite 132

  5. Josua 24:15

  6. Nach Believe! Helping Youth Trust in the Lord, 2003, Seite 27f.

  7. 2 Nephi 28:21

  8. Für eine starke Jugend, 2002, Seite 5

  9. LuB 9:7-9

  10. 2 Nephi 15:20