Mit der Kraft des Herrn
Wir brauchen Kraft, die unsere eigene übersteigt, um die Gebote unter allen erdenklichen Umständen zu halten.
Als junger Mann war ich Ratgeber eines sehr klugen Distriktspräsidenten der Kirche. Er war bemüht, mich anzuleiten. Ich erinnere mich an einen Rat, der mich erstaunte: „Wenn du jemandem begegnest, behandle ihn so, als ob er in ernsten Schwierigkeiten stecke, und du wirst damit bei mehr als der Hälfte der Menschen richtig liegen.“
Damals hielt ich ihn für pessimistisch. Heute, über vierzig Jahre später, ist mir klar, wie gut er die Welt und das Leben verstand. Die Welt stellt uns mit der Zeit vor immer mehr Herausforderungen, und unser körperliches Leistungsvermögen nimmt mit dem Alter allmählich ab. Es ist offensichtlich, dass wir mehr als menschliche Kraft brauchen. Der Psalmist hatte Recht: „Die Rettung der Gerechten kommt vom Herrn, er ist ihre Zuflucht in Zeiten der Not.“1
Das wiederhergestellte Evangelium Jesu Christi hilft uns zu erkennen, wie wir uns für die Kraft des Herrn bereitmachen können, wenn wir in Not sind. Es legt uns dar, warum wir mit Prüfungen konfrontiert werden. Und noch viel wichtiger ist, dass es uns zeigt, wie wir Schutz und Hilfe vom Herrn erhalten können.
Wir müssen Prüfungen überstehen, weil unser Himmlischer Vater uns liebt. Er möchte uns helfen, uns für die Segnung bereitzumachen, mit unserer Familie für immer bei ihm und seinem Sohn Jesus Christus in Herrlichkeit zu leben. Eine Bedingung für diese Gabe war, einen sterblichen Körper zu erhalten. Wir wussten, dass wir mit der Sterblichkeit Versuchungen und Schwierigkeiten unterworfen sein würden.
Das wiederhergestellte Evangelium erklärt uns nicht nur, warum wir geprüft werden müssen, sondern verdeutlicht uns auch, worin die Prüfung besteht. Der Prophet Joseph Smith hat uns eine Erklärung gegeben. Durch Offenbarung konnte er einige Worte, die bei der Erschaffung der Welt gesprochen wurden, aufschreiben. Sie betreffen uns, die Geistkinder des Himmlischen Vaters, die auf die Erde kommen sollten. Dies sind die Worte:
„Und wir wollen sie hierdurch prüfen und sehen, ob sie alles tun werden, was auch immer der Herr, ihr Gott, ihnen gebietet.“2
Diese Erklärung macht deutlich, warum wir Prüfungen erleben. Sie geben uns die Gelegenheit, uns Gott gegenüber als treu zu erweisen. So vieles stürzt im Lauf des Lebens auf uns ein, dass uns selbst das Ausharren fast unmöglich erscheinen mag. So ging es mir, als ich die Worte „Ihr müsst bis ans Ende ausharren“3 zum ersten Mal las. Es hörte sich grauenvoll an, als müsse ich stillsitzen und mich an den Armlehnen eines Stuhls festhalten, während mir jemand einen Zahn zog.
So kann es sicher auch einer von Ernteerträgen abhängigen Familie vorkommen, wenn der Regen ausbleibt. Vielleicht fragt sie sich: „Wie lange können wir noch aushalten?“ So kann es einem Jugendlichen vorkommen, der versucht, der wachsenden Flut an Schmutz und Versuchungen zu widerstehen. So kann es einem jungen Mann vorkommen, der sich verzweifelt um eine Ausbildung bemüht, die er für eine Arbeit braucht, mit der er Frau und Kinder ernähren kann. So kann es jemandem vorkommen, der keine Arbeit findet oder eine Arbeitsstelle nach der anderen verliert, weil die Firmen schließen. So kann es jemandem vorkommen, der miterlebt, wie Gesundheit und Körperkräfte bei ihm selbst oder bei seinen Lieben schon früh oder auch erst später im Leben nachlassen.
Doch die Prüfung, vor die Gott, der uns ja liebt, uns stellt, besteht nicht darin herauszufinden, ob wir Schwierigkeiten ertragen können, sondern darin, ob wir sie gut ertragen können. Wir bestehen die Prüfung, indem wir zeigen, dass wir an ihn und die Gebote, die er uns gegeben hat, denken. Schwierigkeiten gut zu ertragen heißt, dass wir diese Gebote halten – wie groß auch immer der Widerstand, die Versuchung und der Aufruhr um uns herum sein mögen. Wir haben diese klare Vorstellung, weil das wiederhergestellte Evangelium den Plan des Glücklichseins so leicht verständlich macht.
Dank dieser Klarheit können wir erkennen, welche Hilfe wir benötigen. Wir brauchen Kraft, die unsere eigene übersteigt, um die Gebote unter allen erdenklichen Umständen zu halten. Für manche kann das Armut und für andere Wohlstand bedeuten. Es können die Spuren des Alters sein oder der Überschwang der Jugend. Die Kombinationsmöglichkeiten verschiedener Prüfungen und ihre Dauer sind so vielfältig wie die Kinder des Himmlischen Vaters. Keine zwei gleichen sich. Doch was geprüft wird, ist zu jeder Zeit unseres Lebens und für jeden Einzelnen das Gleiche: Werden wir tun, was auch immer der Herr, unser Gott, uns gebietet?
Die Erkenntnis, warum wir geprüft werden und worin die Prüfung besteht, gibt Aufschluss, wo wir Hilfe finden. Wir müssen uns an Gott wenden. Er gibt uns die Gebote und wir brauchen größere Kraft als unsere eigene, um sie zu halten.
Wieder ist es das wiederhergestellte Evangelium, das uns das Einfache, was wir tun müssen, verständlich macht. Aus ihm beziehen wir auch die Zuversicht, dass wir die benötigte Hilfe bekommen werden, wenn wir es frühzeitig und beharrlich tun, noch lange bevor eine Krise eintritt.
Als Erstes, Zweites und Letztes müssen wir beten. Der Erretter hat uns erklärt, wie. Eine der klarsten Anleitungen finden wir in 3 Nephi:
„Siehe, wahrlich, wahrlich, ich sage euch: Ihr müsst immer wachen und beten, damit ihr nicht in Versuchung geratet; denn der Satan verlangt nach euch, dass er euch siebe wie Weizen.
Darum müsst ihr immer in meinem Namen zum Vater beten;
und alles, was ihr den Vater in meinem Namen bittet, sofern es recht ist und ihr glaubt, dass ihr empfangen werdet, siehe, das wird euch gegeben werden.
Betet in euren Familien immer in meinem Namen zum Vater, damit eure Frauen und eure Kinder gesegnet seien.“4 Wir müssen also immer beten.
Eine weitere einfache Möglichkeit, Kraft von Gott zu erhalten, ist, sich am Wort Gottes zu weiden: Lesen Sie in den vier heiligen Schriften der Kirche und in den Worten der lebenden Propheten und denken Sie darüber nach. Gott hat uns Hilfe verheißen, die mit dieser täglichen Gewohnheit einhergeht. Das glaubensvolle Studium der heiligen Schriften bringt uns den Heiligen Geist. Dies wird uns im Buch Mormon verheißen, ist aber auf alle Worte anwendbar, die Gott uns durch seine Propheten gegeben hat und geben wird.
„Siehe, ich möchte euch ermahnen, wenn ihr dieses hier lesen werdet, sofern es nach Gottes Weisheit ist, dass ihr es lest, dass ihr daran denkt, wie barmherzig der Herr zu den Menschenkindern gewesen ist, von der Erschaffung Adams an bis herab zu der Zeit, da ihr dieses hier empfangen werdet, und dass ihr im Herzen darüber nachdenkt.
Und ich möchte euch ermahnen: Wenn ihr dieses hier empfangt, so fragt Gott, den Ewigen Vater, im Namen Christi, ob es wahr ist; und wenn ihr mit aufrichtigem Herzen, mit wirklichem Vorsatz fragt und Glauben an Christus habt, wird er euch durch die Macht des Heiligen Geistes kundtun, dass es wahr ist.
Und durch die Macht des Heiligen Geistes könnt ihr von allem wissen, ob es wahr ist.“5
Wir sollten von dieser Verheißung nicht nur einmal und nicht nur in Bezug auf das Buch Mormon Gebrauch machen. Die Verheißung ist sicher. Die Macht des Heiligen Geistes ist real. Sie wird immer wieder zu spüren sein. Und von einer überragenden Wahrheit wird sie stets Zeugnis ablegen: dass Jesus der Messias ist.
Dieses Zeugnis bringt uns dem Erretter näher und veranlasst uns, sein Angebot, allen zu helfen, die im Schmelztiegel des irdischen Lebens geprüft werden, anzunehmen. Mehr als einmal hat er gesagt, dass er uns sammeln werde, wie eine Henne ihre Küken unter ihre Flügel nimmt. Er sagt, dass wir in Demut und mit genügend Glauben an ihn zu ihm kommen müssen, um „mit voller Herzensabsicht“6 umzukehren.
Wir können das beispielsweise tun, indem wir uns mit den Heiligen in seiner Kirche versammeln. Besuchen Sie die Versammlungen, selbst wenn es Ihnen schwer fällt. Wenn Sie entschlossen sind, wird er Ihnen helfen, die nötige Kraft zu finden.
Eine Schwester schrieb mir aus England. Als ihr Bischof sie fragte, ob sie die Berufung annehmen wolle, das Seminar am frühen Morgen zu unterrichten, sagte er zu ihr, sie solle zuerst darüber beten, ehe sie zustimme. Das tat sie und nahm die Berufung an. Als sie sich das erste Mal mit den Eltern traf, stand der Bischof neben ihr. Sie kündigte an, dass das Programm ihrer Ansicht nach an fünf Tagen in der Woche stattfinden solle. Manche Eltern schauten skeptisch. Jemand sagte: „Da wird keiner kommen. Darüber wird mit den Füßen abgestimmt.“
Die Zweifel waren nur zur Hälfte berechtigt. Die Schüler stimmten tatsächlich mit den Füßen ab. Aber ihre Anwesenheit während der kalten und dunklen Morgenstunden beträgt inzwischen über 90 Prozent. Diese Lehrerin und ihr Bischof glaubten, dass die Schüler, wenn sie erst einmal kämen, durch eine Kraft gestärkt würden, die ihre eigene übertrifft. Und so war es. Diese Kraft wird sie beschützen, wenn sie irgendwohin gehen, wo sie die einzigen Heiligen der Letzten Tage sind. Sie werden weder allein noch kraftlos sein, weil sie der Aufforderung nachgekommen sind, sich mit den Heiligen zu versammeln, als es nicht leicht war.
Diese Kraft wird den Älteren ebenso gegeben wie den Jungen. Ich kenne eine über neunzig Jahre alte Witwe. Sie sitzt im Rollstuhl. Sie betet, wie Sie es auch tun, um Hilfe bei den Problemen, die ihre menschliche Kraft überfordern. Als Antwort fühlt sie etwas im Herzen, was sie motiviert, folgendes Gebot zu halten: „Und siehe, ihr sollt euch oft versammeln.“7 So schafft sie es, die Versammlungen zu besuchen. Mitglieder ihrer Gemeinde haben mir erzählt: „Wir sind so froh, sie zu sehen. Sie hat immer einen starken Geist bei sich.“
Sie nimmt das Abendmahl und erneuert ein Bündnis. Sie denkt an den Erretter und versucht, seine Gebote zu halten. Auf diese Weise hat sie immer seinen Geist mit sich. Ihre Probleme werden vielleicht nicht gelöst. Die meisten rühren von den Entscheidungen anderer her, und selbst der Himmlische Vater, der ihre Gebete hört und sie liebt, kann andere nicht zwingen, sich richtig zu entscheiden. Aber er kann sie der Geborgenheit des Erretters anvertrauen und ihr verheißen, dass sein Geist mit ihr sein wird. Daher bin ich mir ganz sicher, dass sie mit der Kraft des Herrn diese Prüfung besteht, weil sie nämlich das Gebot, sich oft mit den Heiligen zu versammeln, hält. Das ist der Beweis dafür, dass sie alles gut erträgt, und es ist gleichzeitig die Quelle der Kraft für alles, was vor ihr liegt.
Es gibt noch etwas Einfaches zu tun. Die Kirche des Herrn ist wiederhergestellt worden und somit ist jede Berufung, in ihr zu dienen, eine Berufung, ihm zu dienen. Dieser Bischof in England war sehr klug. Er bat die Frau, über ihre Berufung zu beten. Er wusste, welche Antwort sie erhalten würde, nämlich eine Aufforderung des Himmlischen Vaters und seines geliebten Sohnes. Er wusste, was sie dadurch lernte, dass sie dem Ruf des Meisters folgte. In seinem Dienst kommt der Heilige Geist als Begleiter zu denen, die versuchen, ihr Bestes zu geben. Das muss sie gespürt haben, als sie vor den Eltern stand und als sie sah, wie die Schüler mit den Füßen abstimmten. Was schwer und mit ihrer eigenen Kraft fast unmöglich aussah, wurde mit der Kraft des Herrn eine Freude.
Wenn sie die heiligen Schriften liest, darüber nachdenkt und betet, um sich auf den Unterricht vorzubereiten, weiß sie, dass der Erretter den Vater bittet, ihr den Heiligen Geist zu senden, wie er es auch seinen Jüngern beim letzten Abendmahl versprach, als er wusste, welche Schwierigkeiten ihnen bevorstanden und dass er sie verlassen musste. Er ließ sie nicht als Waisen zurück. Er verhieß ihnen den Heiligen Geist, wie er ihn auch uns verheißt, die wir in seinem Dienst stehen. Also, wann immer die Aufforderung zu dienen an Sie ergeht, nehmen Sie sie an. Damit verbunden ist die Hilfe in Prüfungen, die die in Ihrer jetzigen Berufung weit übersteigen.
Nicht jeder hat eine offizielle Berufung. Doch jeder Jünger dient dem Meister, indem er Zeugnis gibt und seinen Mitmenschen freundlich begegnet. Jeder hat in den Wassern der Taufe versprochen, dies zu tun. Und jeder erhält den Geist als Begleiter, wenn er sich beharrlich an seine Verpflichtungen Gott gegenüber hält.
Wenn Sie im Dienst des Meisters stehen, lernen Sie ihn kennen und lieben. Wenn Sie im Gebet und im treuen Dienst aushalten, beginnen Sie zu spüren, dass der Heilige Geist Ihnen ein Begleiter geworden ist. Viele von uns haben eine Zeit lang einen solchen Dienst erfüllt und die Begleitung des Geistes verspürt. Wenn Sie an diese Zeit zurückdenken, werden Sie sich erinnern, dass Veränderungen in Ihnen stattgefunden haben. Die Versuchung, Böses zu tun, schien nachzulassen. Das Bedürfnis, Gutes zu tun, nahm zu. Diejenigen, die Sie am besten kennen und Sie lieben, haben vielleicht gesagt: „Du bist freundlicher und geduldiger geworden. Du scheinst nicht mehr derselbe zu sein.“
Sie waren nicht mehr derselbe, weil das Sühnopfer Jesu Christi real ist. Auch die Verheißung ist real, dass wir uns erneuern, verändern und verbessern können. Wir können uns für die Prüfungen des Lebens besser wappnen. Dann gehen wir mit der Kraft des Herrn voran, einer Kraft, die man in seinem Dienst entwickelt. Er ist an unserer Seite und mit der Zeit werden wir zu seinen geprüften und gestärkten Jüngern.
Sie werden auch eine Veränderung in Ihren Gebeten feststellen. Sie beten inbrünstiger und öfter. Die Worte, die Sie sagen, nehmen eine andere Bedeutung für Sie an. Dem Gebot gemäß beten wir immer im Namen Jesu Christi zum Vater. Sie verspüren eine größere Zuversicht, wenn Sie zum Vater beten, weil Sie wissen, dass Sie sich als verlässlicher und erprobter Jünger Jesu Christi an ihn wenden. Der Himmlische Vater gibt Ihnen größeren Frieden und größere Kraft in diesem Leben und damit eine Vorfreude auf die Worte, die er sagen wird, wenn die Prüfung des Lebens vorüber ist: „Sehr gut, du bist ein tüchtiger und treuer Diener.“8
Ich weiß, dass Gott Vater lebt. Ich bezeuge, dass er jedes unserer Gebete hört und beantwortet. Ich weiß, dass sein Sohn Jesus Christus für all unsere Sünden bezahlt hat und möchte, dass wir zu ihm kommen. Ich weiß, dass der Vater und der Sohn möchten, dass wir die Prüfungen des Lebens bestehen. Ich bezeuge Ihnen, dass sie den Weg für uns bereitet haben. Durch die Wiederherstellung des Evangeliums in den Letzten Tagen ist uns der Weg geebnet worden. Wir dürfen die Gebote kennen. Wir haben das Recht, uns auf die Verheißung zu berufen, dass wir in der wahren Kirche Jesu Christi den Heiligen Geist als Begleiter haben können. Und wir können alles gut bestehen. Im Namen Jesu Christi. Amen.