Aus der Vergangenheit lernen
Wenn man aus der Vergangenheit lernt, kann man sein eigenes Zeugnis auf der festen Grundlage von Gehorsam, Glaube und der Bestätigung durch den Geist aufbauen.
Wir leben in einer faszinierenden und manchmal verblüffenden Zeit. Vor ein paar Tagen sagte ich einem meiner Enkel, dass ich mir die Datei mit meiner Konferenzansprache noch einmal durchsehen müsse. Er sah mich verdutzt an. „Du schickst deine Ansprache per E-Mail?“, fragte er. „Ich dachte, du musst ins Konferenzzentrum!“
Nun mag es einigen wohl leichter fallen, eine E-Mail zu schicken, aber ich bin doch dankbar, heute sprechen zu dürfen, denn meine Botschaft ist, wie ich meine, wichtig für diesen Enkel, meine anderen Enkelkinder sowie für die gesamte Jugend der Kirche.
Vor vielen Jahren habe ich als Geschäftsmann eine sehr teure Lektion gelernt, weil ich nicht aufmerksam auf den Rat meines Vaters und auch nicht auf die Eingebungen des Geistes gehört habe, durch die mich der himmlische Vater führt. Mein Vater und ich waren in der Automobilbranche tätig, und die Firma Ford war auf der Suche nach Händlern für ihre neue Modellreihe. Die Geschäftsführer von Ford luden uns zu einer Vorführung ihres Produkts ein, von dem sie annahmen, es würde ein riesiger Erfolg werden. Als wir die Autos sahen, warnte mein Vater, der seit 35 Jahren in der Branche tätig war, mich davor, in den Handel einzusteigen. Das Verkaufspersonal von Ford war jedoch sehr überzeugend, und so entschied ich mich, der erste – und auch der letzte – Edsel-Händler in Salt Lake City zu werden. Wenn ihr nicht wisst, was ein Edsel ist, dann fragt euren Großvater. Er wird euch bestätigen, dass der Ford Edsel ein sensationeller Fehlschlag war.
Daraus kann nun jeder von euch eine eindrucksvolle Lektion lernen. Wenn ihr bereitwillig zuhört und lernt, könnt ihr einige der bedeutsamsten Lehren aus dem Leben derer ziehen, die lange vor euch geboren wurden. Sie waren schon dort, wo ihr jetzt seid, und haben vieles von dem erlebt, was ihr jetzt erlebt. Wenn ihr ihren Rat beherzigt, können sie euch zu Entscheidungen führen, die zu eurem Nutzen und Segen sein werden, und euch von Entscheidungen abbringen, die euch schaden. Wenn ihr an eure Eltern und an andere denkt, die vor euch geboren wurden, werdet ihr Beispiele für Glauben, Entschlossenheit, harte Arbeit, Hingabe und Opferbereitschaft erkennen, die ihr nachahmen solltet.
Man kann sich kaum eine Situation vorstellen, in der es sich nicht lohnt, aus der Erfahrung eines anderen Nutzen zu ziehen. Viele Berufe erfordern ein Praktikum, bei dem ein ambitionierter Berufsanfänger gestandene Fachleute beobachtet, um von ihrer jahrelangen Erfahrung und dem gesammelten Wissen zu lernen. Beim Profisport wird von einem Anfänger oft erwartet, dass er auf der Bank sitzt und dazulernt, indem er die erfahrenen Spieler beobachtet. Ein neuer Missionar wird einem Senior-Mitarbeiter zugeteilt, aus dessen Erfahrung er die richtigen Methoden lernen kann, wie man dem Herrn sinnvoll dient.
Natürlich bleibt uns manchmal nichts anderes übrig, als uns alleine hinauszuwagen und uns auf unserem Weg nach besten Kräften zu behaupten. Beispielsweise gibt es aus meiner Generation nicht viele, deren Erfahrung besonders hilfreich wäre, wenn es um die neuesten Technologien geht. Wenn bei einem modernen Gerät ein Problem auftritt, müssen wir uns meist an jemanden wenden, der mehr darüber weiß als wir – und das ist normalerweise einer von euch jungen Leuten.
Meine heutige Botschaft und mein Zeugnis an euch, meine jungen Freunde, besteht darin, dass ihr die Antworten auf die wichtigsten Fragen eures ewigen Lebens in den heiligen Schriften und in den Worten und Zeugnissen der Apostel und Propheten findet. Dass diese Worte überwiegend von älteren Männern aus Vergangenheit und Gegenwart stammen, macht sie nicht weniger bedeutsam. Ja, dadurch werden sie sogar noch wertvoller, denn sie stammen von Männern, die viele Jahre ein gottesfürchtiges Leben geführt und daraus gelernt haben.
Es gibt ein bekanntes Zitat, das George Santayana zugeschrieben wird. Ihr habt es vermutlich schon einmal gehört: „Wer sich nicht der Vergangenheit erinnert, ist verurteilt, sie zu wiederholen.“ (John Bartlett, Hg., Familiar Quotations, 15. Auflage, 1980, Seite 703.) Es gibt mehrere Versionen dieses Zitats, die sich in ein oder zwei Wörtern unterscheiden, aber unabhängig vom genauen Wortlaut bleibt die Aussage tiefgründig. Aus der Vergangenheit kann man wichtige Lektionen lernen, und ihr solltet sie lernen, damit ihr eure geistige Kraft nicht damit verschwendet, frühere Fehler und falsche Entscheidungen zu wiederholen.
Man muss kein Mitglied der Kirche sein – man muss noch nicht einmal gläubig sein – um am Leben der Kinder Gottes, wie es im Alten Testament aufgezeichnet ist, zu erkennen, dass die Geschichte sich wiederholt. Immer wieder sehen wir, wie auf Rechtschaffenheit Schlechtigkeit folgt. Ähnlich sind die Beschreibungen im Buch Mormon. Die alten Völker auf dem amerikanischen Kontinent folgten demselben Muster: Auf Rechtschaffenheit folgte Wohlstand, darauf materieller Überfluss, darauf Gier, darauf Stolz, darauf Schlechtigkeit und ein sittlicher Verfall, bis die Menschen so viel Unheil über sich gebracht hatten, dass sie zu Demut, Umkehr und zum Sinneswandel aufgerüttelt wurden.
In der vergleichsweise kurzen Zeitspanne, die das Neue Testament umfasst, wiederholt sich dieses Muster aus der Geschichte erneut. Diesmal wandten sich die Menschen gegen Christus und seine Apostel, und der Verfall war so groß, dass wir ihn als großen Abfall vom Glauben kennen. Er führte zu Jahrhunderten geistigen Stillstands und Unwissenheit – dem finsteren Mittelalter.
Über diese Zeiten des Abfalls und der geistigen Finsternis, die in der Geschichte immer wiederkehren, muss ich ein deutliches Wort sagen. Unser himmlischer Vater liebt alle seine Kinder und möchte, dass alle die Segnungen des Evangeliums bekommen. Geistiges Licht geht nicht etwa verloren, weil Gott sich von seinen Kindern abwendete. Geistige Finsternis tritt vielmehr dann ein, wenn seine Kinder ihm gemeinschaftlich den Rücken zukehren. Sie ist eine natürliche Folge von falschen Entscheidungen, die der Einzelne, eine Gemeinschaft, ein Land oder eine ganze Zivilisation treffen. Dies wurde im Laufe der Zeit immer wieder bewiesen. Eine wichtige Lektion aus diesem Muster aus der Geschichte ist, dass unsere Entscheidungen – ob wir sie persönlich oder gemeinschaftlich treffen – für uns selbst und unsere Nachkommen geistig Folgen haben.
In jeder Evangeliumszeit zeigt sich Gottes liebevoller Wunsch, seine Kinder zu segnen, in der wundersamen Wiederherstellung von Evangeliumswahrheiten durch lebende Propheten. Die Wiederherstellung des Evangeliums durch den Propheten Joseph Smith Anfang des 19. Jahrhunderts ist nur das jüngste Beispiel. Ähnliche Wiederherstellungen in früherer Zeit kamen durch Propheten wie Noach, Abraham, Mose und natürlich den Herrn Jesus Christus zustande.
Die 179 Jahre seit der offiziellen Gründung der Kirche Jesu Christi der Heiligen der Letzten Tage waren in jeder Hinsicht außergewöhnlich. Niemals in der Geschichte der Menschheit gab es eine Zeit mit so markantem Fortschritt in Wissenschaft und Technik. Dieser Fortschritt hat dazu beigetragen, dass sich das Evangelium in aller Welt verbreiten konnte. Aber er hat auch zu mehr Materialismus, zunehmender Zügellosigkeit und zum sittlichen Verfall beigetragen.
Wir leben in einer Zeit, da die Grenzen des guten Geschmacks und allgemeinen Anstands so weit zurückgedrängt werden, dass sie praktisch nicht mehr existieren. Die Gebote Gottes sind auf einem hin- und herschwankenden Marktplatz von Meinungen, auf dem das Konzept „richtig“ und „falsch“ völlig abgelehnt wird, auf dem Rückzug. Gewisse Teile der Gesellschaft scheinen alle, die ihr Leben am Glauben ausrichten, generell mit Argwohn zu betrachten. Und wenn ein gläubiger Mensch andere vor den möglichen Folgen ihres sündigen Verhaltens warnen möchte, wird er verspottet und ausgelacht, und seine heiligsten Bräuche und die Werte, die er am meisten in Ehren hält, werden öffentlich verhöhnt.
Kommt euch manches davon bekannt vor, meine jungen Brüder und Schwestern? Seht ihr, wie das Muster aus der Geschichte erneut zum Vorschein kommt – dass auf Rechtschaffenheit Wohlstand folgt, darauf materieller Überfluss, darauf Gier, darauf Stolz, darauf Schlechtigkeit und ein sittlicher Verfall – das gleiche Muster, das wir immer wieder im Alten und Neuen Testament und im Buch Mormon finden können? Noch wichtiger: Welchen Einfluss haben diese Lektionen aus der Vergangenheit auf die Entscheidungen, die ihr heute und für den Rest eures Lebens trefft?
Die Stimme des Herrn ist klar und unmissverständlich. Er kennt euch. Er hat euch lieb. Er möchte, dass ihr auf ewig glücklich seid. Aber gemäß eurer gottgegebenen Entscheidungsfreiheit liegt die Wahl bei euch. Jeder von euch muss für sich selbst entscheiden, ob er die Vergangenheit ignoriert und die schmerzlichen Fehler und tragischen Fallgruben erträgt, denen vorangegangene Generationen zum Opfer fielen, und die schrecklichen Folgen falscher Entscheidungen selbst trägt. Wie viel besser wird euer Leben sein, wenn ihr dem edlen Beispiel glaubenstreuer Jünger Christi folgt, wie zum Beispiel den Söhnen Helamans, Moroni, Joseph Smith und den unerschütterlichen Pionieren, und euch so wie sie dafür entscheidet, den Geboten des himmlischen Vaters treu zu bleiben.
Ich hoffe und bete von ganzem Herzen, dass ihr klug genug seid, aus der Vergangenheit zu lernen. Ihr müsst nicht wie Laman oder Lemuel leben, um festzustellen, dass es weitaus besser ist, wie Nephi oder Jakob zu sein. Ihr müsst nicht den Weg Kains oder Gadiantons einschlagen, um zu erkennen, dass schlecht zu sein noch nie glücklich gemacht hat (siehe Alma 41:10). Und ihr müsst nicht zulassen, dass euer Heimatland zu Sodom und Gomorra wird, nur um zu erkennen, dass das kein guter Ort ist, um Kinder großzuziehen.
Wenn ihr aus der Vergangenheit lernt, könnt ihr unerschrocken im Licht wandeln, ohne Gefahr zu laufen, in der Finsternis zu stolpern. Genau so ist es vorgesehen. Das ist Gottes Plan: Vater und Mutter, Großvater und Großmutter lehren ihre Kinder, die Kinder lernen von ihnen und werden dann durch ihre eigenen Erfahrungen und Möglichkeiten zu einer rechtschaffeneren Generation. Wenn ihr aus der Vergangenheit lernt, könnt ihr euer eigenes Zeugnis auf der festen Grundlage von Gehorsam, Glaube und der Bestätigung durch den Geist aufbauen.
Natürlich reicht es nicht aus, diese Lektionen im rein geschichtlichen und kulturellen Sinne zu lernen. Wenn ihr Namen, Daten und die Abfolge von Ereignissen aus einem Buch lernt, nützt euch das nichts, solange nicht die Bedeutung und die Botschaft in euer Herz geschrieben sind. Wenn ihr sie durch Zeugnis und Glauben nährt, können die Lektionen aus der Vergangenheit in eurem Herzen Wurzeln schlagen und zu einem lebendigen Teil eurer selbst werden.
Und so kommt alles wie immer auf den eigenen Glauben und das eigene Zeugnis zurück. Darin besteht der Unterschied, meine jungen Brüder und Schwestern. So erlangt ihr Erkenntnis. So könnt ihr die Fehler der Vergangenheit vermeiden und eure geistige Gesinnung auf die nächste Stufe heben. Wenn ihr euch für die Einflüsterungen des Heiligen Geistes öffnet und empfänglich seid, werdet ihr die Lektionen aus der Vergangenheit verstehen, und sie werden sich durch die Macht eures Zeugnisses in eure Seele brennen.
Wie erlangt man solch ein Zeugnis? Dafür gibt es keine moderne Technologie, und die wird es nie geben. Ihr könnt nicht googlen, um ein Zeugnis zu bekommen. Ihr könnt Glauben nicht per E-Mail schicken. Man erlangt ein pulsierendes Zeugnis, das das Leben verändert, heute auf die gleiche Weise wie schon immer. Dieser Vorgang hat sich nie geändert. Man erlangt es, indem man den Wunsch hegt, durch Studium, Gebet, Gehorsam und Dienen. Aus diesem Grund sind die Lehren der Propheten und Apostel der Gegenwart und der Vergangenheit für euer Leben heute so bedeutsam, wie sie es schon immer waren.
Dass ihr in der Zukunft Glück, Freude und Frieden finden möget, indem ihr aus den großartigen und ewig gültigen Lektionen der Vergangenheit lernt, darum bete ich für jeden von euch – für meine Enkel und die gesamte Jugend der Kirche, wo ihr auch sein mögt. Im Namen Jesu Christi. Amen.