Wir wollen sie hierdurch prüfen
Jetzt ist es an der Zeit, uns vorzubereiten und zu beweisen, dass wir gewillt und imstande sind, alles zu tun, was der Herr, unser Gott, uns gebietet
Ich bitte den Heiligen Geist um Unterstützung für uns alle, wenn ich nun über Gedanken und Empfindungen spreche, die mir bei der Vorbereitung auf diese Generalkonferenz in Herz und Sinn gekommen sind.
Der Stellenwert von Prüfungen
Vor meiner kirchlichen Vollzeitberufung war ich über zwanzig Jahre lang an einer Universität als Dozent und in der Verwaltung tätig gewesen. Im Zuge meiner Lehrtätigkeit musste ich den Studenten vor allem auch beibringen, wie sie sich etwas selbst erarbeiten. Ein erklecklicher Teil meiner Arbeit bestand darin, Prüfungsaufgaben zu erstellen, Klausuren zu benoten und den Studenten Rückmeldung über ihre Leistungen zu geben. Wahrscheinlich wissen Sie bereits aus eigener Erfahrung, dass Klausuren nicht gerade das Angenehmste beim Wissenserwerb sind!
Und doch sind regelmäßige Tests beim Lernen unabdingbar. Durch aussagekräftige Tests können wir das, was wir auf einem bestimmten Fachgebiet wissen müssen, mit dem abgleichen, was wir tatsächlich wissen. Solche Tests stellen auch einen Maßstab für unseren Lernfortschritt dar.
Gleichermaßen gehören auch in der Schule des Erdenlebens Tests ganz wesentlich zu unserem ewigen Weiterkommen. Interessanterweise kommt das Wort Test weder in der Einheitsübersetzung der Bibel noch in den sonstigen Standardwerken vor. Stattdessen finden sich hier Begriffe wie durchforschen, erproben und prüfen, mit denen verschiedene Muster aufgezeigt werden, wie wir etwas angemessen unter Beweis stellen können – nämlich unseren geistigen Kenntnisstand und unser Verständnis vom Plan des Glücklichseins, den der Vater im Himmel aufgestellt hat, unser Engagement in diesem Plan und unser Vermögen, die Segnungen aus dem Sühnopfer des Erretters anzustreben.
Der Urheber des Erlösungsplans bezeichnet den wahren Zweck unserer irdischen Bewährungszeit sowohl in früheren als auch in neuzeitlichen heiligen Schriften mit Begriffen wie erproben, durchforschen und prüfen. „Und wir wollen sie hierdurch prüfen und sehen, ob sie alles tun werden, was auch immer der Herr, ihr Gott, ihnen gebietet.“1
Und so lautet die Bitte des Psalmisten David:
„Erprobe mich, Herr, und durchforsche mich, prüfe mich auf Herz und Nieren!
Denn deine Huld stand mir vor Augen, in deiner Wahrheit ging ich meinen Weg.“2
1833 tat der Herr kund: „Darum fürchtet euch nicht vor euren Feinden; denn ich habe in meinem Herzen beschlossen, spricht der Herr, euch in allem zu erproben, ob ihr in meinem Bund verbleiben werdet, selbst bis zum Tod, damit ihr für würdig befunden werden könnt.“3
Prüfungen und Erprobungen der heutigen Zeit
Das Jahr 2020 war zum Teil durch die weltweite Pandemie gekennzeichnet, die uns in vielerlei Hinsicht erprobt, durchforscht und geprüft hat. Ich bete dafür, dass wir als Einzelne und als Familien aus schwierigen Erfahrungen jene wertvollen Lehren ziehen, die sich nur auf diesem Wege erlernen lassen. Ich hoffe auch, dass wir alle die „Größe Gottes“ mehr anerkennen und die Tatsache, dass er uns unsere „Bedrängnisse zum Gewinn weihen“4 wird.
Zwei Grundprinzipien können uns als Richtschnur dienen und uns Kraft schenken, wenn wir uns in Lebensumständen befinden, durch die wir erprobt und geprüft werden: Erstens ist da der Grundsatz, dass wir vorbereitet sein müssen, und zweitens der, dass wir mit Beständigkeit in Christus vorwärtsstreben müssen.
Prüfung und Vorbereitung
Als Jüngern des Erretters ist uns geboten: „Bereitet alles vor, was nötig ist; und errichtet ein Haus, nämlich ein Haus des Betens, ein Haus des Fastens, ein Haus des Glaubens, ein Haus des Lernens, ein Haus der Herrlichkeit, ein Haus der Ordnung, ein Haus Gottes.“5
Überdies wird uns verheißen: „Wenn ihr bereit seid, werdet ihr euch nicht fürchten.
[Damit] ihr der Macht des Feindes entrinnen mögt und euch als ein rechtschaffenes Volk ohne Makel und schuldlos zu mir her sammelt.“6
Diese Schriftstellen umreißen in vollkommener Weise den Rahmen, wie wir Alltag und Zuhause sowohl in zeitlicher als auch in geistiger Hinsicht gestalten und vorbereiten sollen. Unser Bemühen, uns für die erprobenden Erfahrungen des Erdenlebens bereitzumachen, sollte sich am Beispiel des Erretters orientieren, denn Schritt für Schritt „wuchs [er] heran und seine Weisheit nahm zu und er fand Gefallen bei Gott und den Menschen“7 – ein ausgewogenes Verhältnis also an intellektueller, körperlicher, geistiger und sozialer Vorbereitung.
Vor ein paar Monaten haben Susan und ich eines Nachmittags unseren Lebensmittelvorrat und unsere Notfallausrüstung durchforstet. Damals weitete die Coronakrise sich gerade rapide aus, und unser Zuhause in Utah war von einer Reihe von Erdbeben erschüttert worden. Wir hatten so gut wie gleich nach unserer Hochzeit damit begonnen, den Rat des Propheten umzusetzen und uns auf Unvorhergesehenes vorzubereiten. Es schien also durchaus gut und zeitgemäß, inmitten von COVID-19 und einer Häufung von Erdbeben den Grad unserer Bereitschaft zu überprüfen. Wir wollten herausfinden, welche Note wir bei diesem unangekündigten Test erhalten würden.
Unsere Überprüfung hat uns die Augen geöffnet. In vielerlei Hinsicht war unsere Vorbereitung durchaus angemessen. In einigen Bereichen mussten wir jedoch Verbesserungen vornehmen, weil wir weder bedarfsgerecht noch rechtzeitig gehandelt hatten.
Es gab auch so manches zum Lachen. So entdeckten wir etwa in einem etwas abseits stehenden Schrank Lebensmittelvorräte, die schon seit Jahrzehnten dort ihr Dasein fristeten. Wir hatten offen gestanden sogar Bedenken, manche Behälter überhaupt zu öffnen und zu inspizieren, weil wir befürchteten, damit eine weitere Pandemie loszutreten! Zum Glück schafften wir es dann doch, die gefährlichen Substanzen sachgerecht zu entsorgen. Das Gesundheitsrisiko für die Welt ist somit aus dem Weg geräumt.
Manche Mitglieder sind der Ansicht, Notfallpläne und -ausrüstung, Lebensmittelvorräte und 72-Stunden-Notfallgepäck hätten wohl keine Bedeutung mehr, da sich die führenden Brüder diesem und ähnlichen Themen bei den letzten Generalkonferenzen nicht so ausführlich gewidmet haben. Doch schon seit Jahrzehnten ermahnen uns die Führer der Kirche immer wieder, dass wir uns vorbereiten müssen. Übereinstimmender prophetischer Rat über lange Zeit hinweg ergibt ein eindringliches, unmissverständliches Konzert, dessen warnende Lautstärke von keinem noch so lauten Solo übertönt werden kann.
So wie Krisenzeiten unsere mangelnde Vorbereitung in zeitlicher Hinsicht aufzeigen, entfalten bei schwierigen Prüfungen insbesondere auch die Krankheiten „geistige Gleichgültigkeit“ und „Selbstzufriedenheit“ ihre schädlichste Wirkung. Dem Gleichnis von den zehn Jungfrauen entnehmen wir beispielsweise, dass eine Prüfung deswegen nicht bestanden wurde, weil die Vorbereitung aufgeschoben wurde. Sicher erinnern Sie sich: Die fünf törichten Jungfrauen hatten sich einfach nicht gut genug auf die Prüfung vorbereitet, vor die sie am Tage der Ankunft des Bräutigams gestellt wurden.
„Die törichten nahmen ihre Lampen mit, aber kein Öl,
die Klugen aber nahmen mit ihren Lampen noch Öl in Krügen mit. …
Mitten in der Nacht aber erscholl der Ruf: Siehe, der Bräutigam! Geht ihm entgegen!
Da standen die Jungfrauen alle auf und machten ihre Lampen zurecht.
Die törichten aber sagten zu den klugen: Gebt uns von eurem Öl, sonst gehen unsere Lampen aus!
Die Klugen erwiderten ihnen: Dann reicht es nicht für uns und für euch; geht lieber zu den Händlern und kauft es euch!
Während sie noch unterwegs waren, um es zu kaufen, kam der Bräutigam. Die Jungfrauen, die bereit waren, gingen mit ihm in den Hochzeitssaal und die Tür wurde zugeschlossen.
Später kamen auch die anderen Jungfrauen und riefen: Herr, Herr, mach uns auf!8
Er aber antwortete ihnen und sprach: Amen, ich sage euch: Ihr kennt mich nicht.“9
Zumindest bei dieser Prüfung hatten die fünf törichten Jungfrauen bewiesen, dass sie keine Täter des Wortes waren, sondern lediglich Hörer.10
Einer meiner Bekannten absolvierte sein Jurastudium mit immensem Fleiß. Das ganze Semester über nahm sich Sam jeden Tag Zeit, die Mitschriften eines jeden Kurses, den er belegt hatte, durchzugehen, zusammenzufassen und auf dieser Grundlage zu lernen. Ebenso sah er auch am Ende jeder Woche und jedes Monats all seine Mitschriften gewissenhaft durch. Diese Vorgehensweise versetzte ihn in die Lage, die Rechtswissenschaften tatsächlich zu erlernen und sich nicht bloß ein paar Einzelheiten zu merken. Als dann die Abschlussprüfung nahte, war Sam bereit. Tatsächlich erwies sich die Zeit der Abschlussprüfung für ihn als längst nicht so aufreibend wie der Rest der juristischen Ausbildung. Vor jeder bestandenen Prüfung steht zielgerichtete und rechtzeitige Vorbereitung.
Sams Methode beim Jurastudium ist charakteristisch für jene Vorgehensweise, derer sich der Herr vorrangig bedient, damit wir Fortschritt machen und uns weiterentwickeln können: „Denn siehe, so spricht Gott, der Herr: Ich werde den Menschenkindern Zeile um Zeile geben, Weisung um Weisung, hier ein wenig und dort ein wenig; und gesegnet sind diejenigen, die auf meine Weisungen hören und meinem Rat ihr Ohr leihen, denn sie werden Weisheit lernen; denn dem, der empfängt, werde ich mehr geben.“11
Ich fordere uns alle daher auf, uns zu überlegen, wie es uns geht,12 uns selbst zu fragen, ob wir im Glauben sind, und uns selbst zu prüfen!13 Was haben wir aus den veränderten Lebensbedingungen und Einschränkungen dieser letzten Monate gelernt? Wo müssen wir uns auf geistigem, körperlichem, sozialem, seelischem und intellektuellem Gebiet verbessern? Jetzt ist es an der Zeit, uns vorzubereiten und zu beweisen, dass wir gewillt und imstande sind, alles zu tun, was der Herr, unser Gott, uns gebietet.
Prüfungen und Vorwärtsstreben
Ich war einmal bei der Trauerfeier für einen jungen Missionar, der bei einem Unfall ums Leben gekommen war. Sein Vater hielt eine Ansprache und brachte zum Ausdruck, wie herzzerreißend es für ihn war, dass der Tod ihm sein geliebtes Kind so unerwartet entrissen hatte. Er sagte geradeheraus, er könne weder die Gründe dafür noch den Zeitpunkt nachvollziehen. Aber ich werde nie vergessen, wie dieser gute Mann außerdem sagte, er wisse, dass Gott die Gründe für den Tod seines Kindes und den Zeitpunkt kenne – und das sei für ihn ausreichend. Er teilte der Trauergemeinde mit, dass er und seine Familie zwar tieftraurig seien, dass aber doch alles gut werden würde und sie in ihrem Zeugnis fest und standhaft bleiben würden. Er schloss seine Ansprache mit den Worten: „Ich möchte Sie wissen lassen, dass unsere Familie, was das Evangelium Jesu Christi betrifft, voll und ganz dabei ist. Wir sind voll und ganz dabei.“
Obwohl der Verlust ihres Sohnes erschütternd und schlimm war, waren diese tapferen Familienangehörigen doch geistig bereit und bewiesen, dass sie dem, was sie litten, Lektionen von ewiger Tragweite entnehmen konnten.14
Glaubenstreue hat weder mit Naivität noch mit Fanatismus zu tun. Dem Glauben treu sein bedeutet vielmehr, Jesus Christus als unserem Erretter zu vertrauen und unsere Zuversicht in seinen Namen und seine Verheißungen zu setzen. Wenn wir „mit Beständigkeit in Christus vorwärtsstreben, erfüllt vom vollkommenen Glanz der Hoffnung und von Liebe zu Gott und zu allen Menschen“15, bekommen wir eine Sicht auf die Ewigkeit und eine Vorstellungskraft, die unser begrenztes Verständnis als Sterbliche bei weitem übertreffen. Wir sind dann in der Lage, uns zu „sammeln und an heiligen Stätten [zu] stehen“16 und „nicht [zu wanken], bis der Tag des Herrn kommt“17.
In meiner Zeit als Präsident der Brigham-Young-Universität Idaho besuchte Elder Jeffrey R. Holland im Dezember 1998 unseren Campus. Er war bei einer unserer wöchentlichen Andachten als Redner vorgesehen. Susan und ich hatten einige Studenten zu einem Treffen mit Elder Holland vor der Andacht eingeladen. Am Ende dieser Zusammenkunft fragte ich Elder Holland: „Wenn Sie diesen Studenten nur einen einzigen Rat geben könnten, wie würde der lauten?“
Er erwiderte:
„Wir erleben heutzutage eine immer zügiger voranschreitende Polarisierung. Die Chance, eine Position in der Mitte einzunehmen, wird uns Heiligen der Letzten Tage genommen. Den Mittelstreifen gibt es bald nicht mehr.
Wer mitten in einem Fluss Wasser tritt, gelangt freilich irgendwohin – nämlich ganz einfach dorthin, wohin die Strömung ihn treibt. Sich von den Wellen mitnehmen zu lassen, ihrem Auf und Ab zu folgen und mit der Strömung zu treiben, wird jedoch nicht ausreichen.
Man muss Entscheidungen treffen. Keine Entscheidung ist auch eine Entscheidung. Lernen Sie daher jetzt, wie man seine Wahl trifft.“
Elder Hollands Aussage über die zunehmende Polarisierung hat sich als prophetisch erwiesen und wird durch die Tendenzen in der Gesellschaft und die Ereignisse in den 22 Jahren, die seit seiner Antwort auf meine Frage vergangen sind, untermauert. Elder Holland hat die immer größer werdende Kluft zwischen den Wegen des Herrn und denen der Welt vorhergesagt und warnend darauf hingewiesen, dass sich die angenehmen Tage, da man mit einem Fuß in der wiederhergestellten Kirche und mit einem Fuß in der Welt stehen konnte, rasch dem Ende zuneigen. Dieser Diener des Herrn hat die jungen Leute dazu aufgerufen, Entscheidungen zu treffen, sich vorzubereiten und engagierte Jünger des Erretters zu werden. Er hat aufgezeigt, dass man sich vorbereiten und vorwärtsstreben und jene Lebenserfahrungen durchmachen muss, durch die man erprobt, durchforscht und geprüft wird.
Verheißung und Zeugnis
Das Erprobtwerden ist im großen Plan des Glücklichseins, den der Vater im Himmel aufgestellt hat, von entscheidender Bedeutung. Ich verheiße Ihnen: Wenn wir uns sowohl vorbereiten als auch im Glauben an den Erretter vorwärtsstreben, können wir bei der letzten Prüfungsfrage des Erdenlebens alle dieselbe Note bekommen: „Sehr gut, du tüchtiger und treuer Diener. Über Weniges warst du treu, über Vieles werde ich dich setzen. Komm, nimm teil am Freudenfest deines Herrn!“18
Ich bezeuge: Gott, der ewige Vater, ist unser Vater. Jesus Christus ist sein einziggezeugter und lebendiger Sohn, unser Erretter und Erlöser. Für diese Wahrheiten gebe ich voller Freude Zeugnis im heiligen Namen des Herrn Jesus Christus. Amen.