Generalkonferenz
Schweig, sei still!
Herbst-Generalkonferenz 2020


11:0

Schweig, sei still!

Der Erretter lehrt uns, wie wir Frieden und Ruhe verspüren können – selbst wenn Stürme uns heftig umtoben und peitschende Wellen drohen, unsere Hoffnung untergehen zu lassen

Als unsere Kinder klein waren, verbrachten wir als Familie einige Tage an einem schönen See. Eines Nachmittags streiften sich einige der Kinder Schwimmwesten über und sprangen dann vom Boot ins Wasser. Zögerlich und aufmerksam beobachtete unsere jüngste Tochter ihre Geschwister. Mit allem Mut, den sie aufbringen konnte, hielt sie sich mit einer Hand die Nase zu und sprang ins Wasser. Sofort kam sie an die Oberfläche und rief mit einer Spur von Panik in der Stimme: „Hilfe! Hilfe!“

Ihr Leben war keineswegs in Gefahr – die Schwimmweste ließ sie, wie vorgesehen, sicher auf dem Wasser treiben. Wir hätten sie mühelos erreichen und an Deck zurückziehen können. Doch aus ihrer Sicht brauchte sie Hilfe – vielleicht weil das Wasser so kalt oder diese Erfahrung eben so neu war. Jedenfalls kletterte sie aufs Deck zurück, wo wir sie in ein trockenes Handtuch wickelten und sie für ihre Tapferkeit lobten.

Ob jung, ob alt, viele von uns haben in Augenblicken der Not schon flehentlich etwas ausgerufen wie „Hilfe!“, „Rette mich!“ oder „Bitte erhöre mein Gebet!“

Etwas Ähnliches erlebten die Jünger Jesu während seines irdischen Wirkens. In Markus lesen wir, dass Jesus wieder begann, „am Ufer des Sees zu lehren, und sehr viele Menschen versammelten sich um ihn“1. Die Menschenmenge wurde so groß, dass Jesus in ein Boot stieg2 und vom Deck aus zu ihr sprach. Den ganzen Tag lang lehrte er die Menschen in Gleichnissen, während sie am Ufer saßen.

„Am Abend … sagte er zu [seinen Jüngern]: Wir wollen ans andere Ufer hinüberfahren. Sie schickten die Leute fort“3, steuerten das Boot dann vom Ufer weg und segelten über den See Gennesaret. Jesus suchte sich hinten im Schiff ein ruhiges Plätzchen, legte sich nieder und schlief rasch ein. Bald darauf „erhob sich ein heftiger Wirbelsturm und die Wellen schlugen in das Boot, sodass es sich mit Wasser zu füllen begann“4.

Viele der Jünger Jesu waren erfahrene Fischer. Sie wussten, was bei einem Sturm auf einem Boot zu tun war. Sie waren seine Jünger, denen er vertraute und die er wahrhaft liebte. Sie hatten Beruf, persönliche Interessen und Familie hintangestellt, um Jesus nachzufolgen. Allein dass sie mit ihm im Boot waren, zeugte von ihrem Glauben an Jesus. Doch nun befand sich ihr Boot mitten im Sturm und war nahe daran zu kentern.

Wir wissen nicht, wie lange sie mit aller Kraft versuchten, das Boot im Sturm auf den Wellen zu halten, doch schließlich weckten sie Jesus und riefen mit einer Spur Panik in der Stimme:

„Meister, kümmert es dich nicht, dass wir zugrunde gehen?“5

„Herr, rette uns, wir gehen zugrunde!“6

„Meister“ nannten sie ihn – und das ist er. Er ist auch „Jesus Christus …, der Sohn Gottes, der Vater des Himmels und der Erde, der Schöpfer aller Dinge von Anfang an“7.

Schweig, sei still!

Jesus erhob sich von seinem Lager im Boot, drohte dem Wind und befahl dem tobenden See: „Schweig, sei still! Und der Wind legte sich [tatsächlich] und es trat völlige Stille ein.“8 Dann unterwies Jesus, der größte Lehrer aller Zeiten, seine Jünger durch zwei simple, doch liebevoll gestellte Fragen:

„Warum habt ihr solche Angst?“9 und

„Wo ist euer Glaube?“10

Wir als Sterbliche neigen dazu oder sind sogar versucht, dass wir, wenn Schwierigkeiten, Sorgen und Nöte uns von allen Seiten bedrängen, ausrufen: „Meister, kümmert es dich nicht, dass ich zugrunde gehe? Rette mich!“ Selbst Joseph Smith rief in einem schauderhaften Gefängnis flehentlich: „O Gott, wo bist du? Und wo ist das Gezelt, das dein Versteck bedeckt?“11

Ganz gewiss versteht der Erretter der Welt, dass uns im Erdenleben Grenzen gesetzt sind, denn er lehrt uns, wie wir Frieden und Ruhe verspüren können – selbst wenn Stürme uns heftig umtoben und peitschende Wellen drohen, unsere Hoffnung untergehen zu lassen.

All diejenigen, deren Glaube erprobt ist, deren Glaube dem eines Kindes ähnelt oder die nur ein Fünkchen Glauben besitzen,12 bittet Jesus: „Kommt alle zu mir.“13 „Glaubt an meinen Namen.“14 „Lernt von mir und hört auf meine Worte.“15 Liebevoll gebietet er: „Kehrt um und lasst euch in meinem Namen taufen“16, „Liebt einander[, wie] ich euch geliebt habe“17 und „Denkt immer an mich“18. Jesus macht mit den Worten Mut: „Dies habe ich zu euch gesagt, damit ihr in mir Frieden habt. In der Welt seid ihr in Bedrängnis; aber habt Mut: Ich habe die Welt besiegt.“19

Ich kann mir vorstellen, dass die Jünger Jesu in dem vom Sturm hin- und hergepeitschten Boot notgedrungen alle Hände voll zu tun hatten, als die Wellen aufs Deck schlugen und sie Wasser aus dem Kiel schöpfen mussten. Ich sehe vor mir, wie sie die Segel reffen und versuchen, wenigstens ein bisschen Kontrolle über ihr kleines Wasserfahrzeug zu behalten. Ihnen ging es erst einmal ums nackte Überleben, und ihr Hilferuf war dringlich und ernst gemeint.

Vielen von uns geht es heute nicht anders. Schlag auf Schlag stellen uns jüngste Ereignisse auf der ganzen Welt, im eigenen Land, in unserem Umfeld, in der Familie vor unvorhergesehene Schwierigkeiten. In unruhigen Zeiten kann es uns so vorkommen, als gelange unser Glaube an die Grenzen unseres Durchhaltevermögens und Verständnisses. Wellen der Furcht können uns ablenken und Gottes Güte vergessen lassen, und unsere Sicht ist dann getrübt und verschwommen. Doch gerade auf diesen schwierigen Abschnitten unseres Weges kann unser Glaube nicht nur geprüft, sondern auch gefestigt werden.

Ungeachtet unserer Lebensumstände können wir uns bewusst anstrengen, unseren Glauben an Jesus Christus zu vergrößern und zu verstärken. Unser Glaube wird gestärkt, wenn wir daran denken, dass wir Gottes Kinder sind und dass er uns liebt. Unser Glaube wächst, wenn wir voller Hoffnung und Eifer mit dem Wort Gottes einen Versuch machen und unser Allerbestes geben, um Christi Lehren zu befolgen. Unser Glaube nimmt zu, wenn wir uns dafür entscheiden, zu glauben, anstatt zu zweifeln, zu vergeben, anstatt zu verurteilen, umzukehren, anstatt uns aufzulehnen. Unser Glaube wird geläutert, wenn wir geduldig auf die Verdienste und die Barmherzigkeit und Gnade des heiligen Messias vertrauen.20

„Der Glaube ist keine vollkommene Kenntnis“, hat Elder Neal A. Maxwell gesagt, „aber er schenkt uns tiefes Gottvertrauen, und Gottes Kenntnis ist ja vollkommen.“21 Selbst in turbulenten Zeiten bleibt der Glaube an den Herrn Jesus Christus fest und hält Widerstand aus. Er hilft uns, unwichtige Ablenkungen beiseitezuschieben. Er ermutigt uns, den Weg der Bündnisse weiterzugehen. Der Glaube räumt Entmutigung aus dem Weg und ermöglicht es uns, der Zukunft entschlossen und selbstbewusst entgegenzusehen. Er gibt uns ein, um Hilfe und Befreiung zu bitten, wenn wir im Namen des Sohnes zu unserem Vater beten. Und scheint ein flehentliches Gebet unerhört zu bleiben, bringt unser beständiger Glaube an Jesus Christus Geduld und Demut hervor und versetzt uns in die Lage, ehrfürchtig die Worte zu sagen: „Dein Wille geschehe.“22

Präsident Russell M. Nelson hat erklärt:

„Wir dürfen nicht zulassen, dass unsere Ängste unseren Glauben verdrängen. Wir können diese Ängste besiegen, indem wir unseren Glauben stärken.

Beginnen Sie bei Ihren Kindern. … Lassen Sie sie Ihren Glauben spüren, und zwar auch dann, wenn Sie in schwere Bedrängnis geraten. Richten Sie Ihren Glauben auf unseren liebevollen Vater im Himmel und seinen geliebten Sohn, den Herrn Jesus Christus. … Sagen Sie diesen kostbaren Jungen und Mädchen, dass sie Kinder Gottes sind, als sein Abbild erschaffen, und dass sie eine heilige Bestimmung und ein heiliges Potenzial haben. Jeder Mensch muss im Leben Schwierigkeiten überwinden und Glauben entwickeln.“23

Neulich hörte ich, was zwei Vierjährige über ihren Glauben an Jesus Christus sagten, als sie die Frage „Wie hilft euch Jesus Christus?“ beantworteten. Das erste Kind sagte: „Ich weiß, dass Jesus mich liebt, weil er für mich gestorben ist. Er hat auch die Erwachsenen lieb.“ Das zweite Kind meinte: „Er hilft mir, wenn ich traurig bin oder schlechte Laune hab. Er hilft mir auch, wenn ich nicht mehr weiterweiß.“

Jesus hat erklärt: „Darum, wer umkehrt und zu mir kommt wie ein kleines Kind, den werde ich empfangen, denn solchen gehört das Reich Gottes.“24

„Denn Gott hat die Welt so sehr geliebt, dass er seinen einzigen Sohn hingab, damit jeder, der an ihn glaubt, nicht verlorengeht, sondern ewiges Leben hat.“25

Vor kurzem hat Präsident Nelson verheißen, dass „weniger Angst und mehr Glaube die Folge sein werden“, wenn wir „von neuem damit beginnen, die Worte des Erretters wirklich zu hören, auf sie zu horchen und sie zu befolgen“.26

Jesus beruhigt das Meer

Schwestern und Brüder, unsere derzeitigen schwierigen Lebensumstände sind nicht unsere endgültige, ewige Bestimmung. Als Mitglieder der Kirche Jesu Christi der Heiligen der Letzten Tage haben wir durch Bündnisse den Namen Jesu Christi auf uns genommen. Wir haben Glauben an seine erlösende Macht und vertrauen auf seine großen und kostbaren Verheißungen. Wir haben allen Grund zur Freude, denn unser Herr und Heiland kennt unsere Sorgen und Nöte und unseren Kummer ganz genau. So wie Jesus einst mit seinen Jüngern unterwegs war, sitzt er auch in unserem Boot. Ich bezeuge, dass er sein Leben gegeben hat, damit Sie und ich nicht zugrunde gehen. Mögen wir auf ihn vertrauen, seine Gebote befolgen und voller Glauben hören, wie er sagt: „Schweig, sei still!“27 Im heiligen Namen Jesu Christi. Amen.