Generalkonferenz
Nicht wie die Welt gibt
Frühjahrs-Generalkonferenz 2021


15:50

Nicht wie die Welt gibt

Die Instrumente, die wir brauchen, damit es wieder heller wird und eine Wirtschaft des wahrhaft Guten gedeihen kann, sind im Evangelium Jesu Christi reichlich vorhanden

Vor dem allerersten Osterfest hatte Jesus den Zwölf Aposteln gerade als neue heilige Handlung das Abendmahl gereicht und hob zu seiner majestätischen Abschiedsrede an. Danach sollte es weitergehen mit Getsemani, Verrat und Kreuzigung. Jesus spürte die Besorgnis und die vielleicht sogar unverhohlene Angst einiger dieser Männer. Darum sagte er zu ihnen (und zu uns):

„Euer Herz lasse sich nicht verwirren. Glaubt an Gott und glaubt an mich! …

Ich werde euch nicht als Waisen zurücklassen, ich komme zu euch. …

Frieden hinterlasse ich euch, meinen Frieden gebe ich euch; nicht, wie die Welt ihn gibt, gebe ich ihn euch. Euer Herz beunruhige sich nicht und verzage nicht.“1

Es kommen schwierige Zeiten auf dieser irdischen Welt, auch für die Gläubigen, aber die beruhigende Botschaft Christi ist, dass er, das Paschalamm, zwar wie „ein Schaf vor seinen Scherern“2 gehen würde, doch aufersteht, um, wie der Psalmist sagt, „uns Zuflucht und Stärke [zu sein], als Helfer in allen Nöten“3.

Wenden wir uns nun in dem Bewusstsein, welch schwierige Stunden vor Christus lagen, da er nun auf das Kreuz zuging, und vor seinen Jüngern, die sein Evangelium in der Mitte der Zeiten in alle Welt bringen sollten, einer damit verbundenen Botschaft zu, die an die Mitglieder der Kirche des Erretters in den Letzten Tagen gerichtet ist. Diese Botschaft steckt in der schwindelerregenden Anzahl von Versen im Buch Mormon über Konflikte aller Art: von Lamans und Lemuels unendlich nervigem Gebaren bis hin zu den Entscheidungsschlachten mit Hunderttausenden von Soldaten. Einer der offensichtlichen Gründe für diesen Schwerpunkt ist, dass das Buch Mormon ja für Leser in den Letzten Tagen geschrieben wurde, und die Verfasser (die selbst viele Kriege erlebt hatten) sprechen uns die prophetische Warnung aus, dass die Beziehungen in der Letzten Zeit von Gewalt und Konflikten geprägt sein würden.

Natürlich ist meine Theorie über Streitigkeiten in den Letzten Tagen nicht besonders originell. Vor 2000 Jahren warnte der Heiland, dass es in den Letzten Tagen „Krieg[e] und Kriegsgerücht[e]“4 geben würde, später sagte er, dass „der Frieden von der Erde genommen werden wird“5. Gewiss muss dieser Friedensfürst, der mit Nachdruck lehrte, dass Streit vom Teufel ist,6 in heutiger Zeit doch zusammen mit seinem göttlichen Vater wegen derjenigen aus der menschlichen Familie weinen, die „lieblos“ sind und es nicht hinbekommen, in Liebe zusammenzuleben.7

Brüder und Schwestern, wir sehen wahrlich zu viele Konflikte, zu viel Zorn und allgemein zu viel Unhöflichkeit um uns herum. Glücklicherweise musste die heutige Generation weder in einem Dritten Weltkrieg kämpfen noch haben wir einen weltweiten wirtschaftlichen Zusammenbruch wie den von 1929 erlebt, der zur Großen Depression führte. Wir stehen jedoch vor einer anderen Art von Drittem Weltkrieg – nicht vor einem Kampf, bei dem wir unsere Feinde vernichten, sondern vielmehr werden wir Kinder Gottes einberufen, damit wir uns mehr umeinander kümmern und helfen, die Wunden zu heilen, die wir in einer zerstrittenen Welt vorfinden. Die Große Depression, mit der wir es jetzt zu tun haben, hat weniger mit dem äußerlichen Verlust unserer Ersparnisse zu tun, sondern vielmehr mit dem inneren Verlust unseres Selbstvertrauens, mit dem echten Defizit an Glauben, Hoffnung und Nächstenliebe um uns herum. Aber die Instrumente, die wir brauchen, damit es wieder heller wird und in der Gesellschaft eine Wirtschaft des wahrhaft Guten gedeihen kann, sind im Evangelium Jesu Christi reichlich vorhanden. Wir können es uns nicht leisten – und diese Welt kann es sich nicht leisten –, dass wir diese Konzepte des Evangeliums und die stärkenden Bündnisse nicht in vollem Umfang nutzen, sei es nun im persönlichen oder im öffentlichen Leben.

Wie finden wir also in einer Welt, die vom Sturm gepeitscht wird und „die ohne Trost ist“, wie Jehova es angekündigt hat, das, was er den „Bund [des] Friedens“ nennt? Wir finden ihn, indem wir uns dem Herrn zuwenden, der ja gesagt hat, er werde barmherzig mit uns sein, und unseren Kindern „mit immerwährendem Wohlwollen“ Frieden gewähren.8 Trotz beängstigender Prophezeiungen und beunruhigender Schriftstellen, die besagen, dass der Friede im Allgemeinen von der Erde genommen werden wird, haben die Propheten, so auch unser geschätzter Prophet Russell M. Nelson, gelehrt, dass der Friede nicht von uns persönlich genommen werden muss!9 Versuchen wir also an diesem Osterfest, Frieden auf persönliche Weise zu praktizieren, indem wir bei uns selbst, unserer Familie und allen, die wir in unserer Umgebung erreichen können, die Gnade und den heilenden Balsam des Sühnopfers des Herrn Jesus Christus anwenden. Zum Glück, ja, erstaunlicherweise können wir diese wohltuende Salbe „ohne Geld und ohne Kaufpreis“10 erhalten.

Solch Hilfe und Hoffnung sind dringend nötig, denn in unserer weltweiten Gemeinde heute gibt es viele, die mit vielerlei Herausforderungen ringen – körperlich oder seelisch, sozial oder finanziell oder auf eine von zahllosen anderen Arten. Bei vielen davon sind wir nicht stark genug, sie aus eigener Kraft angehen zu können, denn die Hilfe und der Friede, die wir brauchen, sind nicht die, „wie die Welt [sie] gibt“11. Nein, für die wahrhaft schwerwiegenden Probleme brauchen wir das, was in den heiligen Schriften als „die Mächte des Himmels“ bezeichnet wird, und um Zugang zu diesen Mächten zu bekommen, müssen wir nach dem leben, was in ebendiesen Schriften „Grundsätz[e] der Rechtschaffenheit“12 heißt. Genau dieser Zusammenhang aber zwischen Grundsatz und Macht, ist die eine Lektion, die die Menschheit nie zu lernen scheint, so sagt es der Gott des Himmels und der Erde!13

Und welche Grundsätze sind das? Nun, sie werden wiederholt in den heiligen Schriften aufgeführt, sie werden immer wieder bei Konferenzen wie dieser gelehrt, und in unserer Evangeliumszeit wurden sie dem Propheten Joseph Smith als Antwort auf seine eigene Version des Ausrufs „Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen?“14 aufgezeigt. In der kalten, ungastlichen Enge des Gefängnisses zu Liberty lernte er, dass zu den Grundsätzen der Rechtschaffenheit Tugenden wie Geduld, Langmut, Sanftmut und ungeheuchelte Liebe gehören.15 Es stand außer Frage, dass wir es ohne diese Grundsätze letzten Endes mit Zwietracht und Feindseligkeit zu tun bekommen würden.

Darf ich in diesem Zusammenhang kurz darüber sprechen, woran es heutzutage zum Teil mangelt, was die erwähnten Grundsätze der Rechtschaffenheit anbelangt? Von Haus aus bin ich ja ein gut aufgelegter und fröhlicher Zeitgenosse, und in der Welt gibt es so vieles, was gut und schön ist. Materiell sind wir gewiss mehr gesegnet als jede andere Generation im Verlauf der Geschichte, doch in der Gesellschaft des 21. Jahrhunderts sehen wir im Allgemeinen – und allzu oft auch in der Kirche – Menschen, die aufgrund von Zugeständnissen in Schwierigkeiten stecken. Zu viele gebrochene Bündnisse und zu viele gebrochene Herzen sind die Folge. Denken Sie nur an die anstößige Ausdrucksweise, die mit sexueller Übertretung einhergeht. Beides ist ja in Film und Fernsehen allgegenwärtig. Oder denken Sie an sexuelle Belästigung und andere Formen ungebührlichen Verhaltens am Arbeitsplatz, worüber wir dieser Tage so viel lesen. Was die auf Bündnissen beruhende Reinheit betrifft, wird Geweihtes zu oft als Gewöhnliches und Heiliges zu oft als Profanes hingestellt. Wer versucht sein sollte, auf diesen Wegen zu wandeln oder in dieser Weise zu sprechen oder sich derartig zu verhalten – sozusagen „wie die Welt [es] gibt“ –, darf nicht erwarten, dass ihm das Frieden bescheren wird. Im Namen des Herrn verheiße ich Ihnen, dass das nicht der Fall sein wird. „Schlecht zu sein hat noch nie glücklich gemacht“16, so die Worte eines Propheten aus alter Zeit. Wenn der Tanz vorbei ist, muss der Flötenspieler stets bezahlt werden, und oft besteht das Zahlungsmittel aus Tränen und Reue.17

Vielleicht sehen wir auch andere Formen der Misshandlung oder Erniedrigung. Gerade wir als Jünger des Herrn Jesus Christus müssen doppelt achtgeben, dass wir uns an solchem Verhalten nicht beteiligen. Wir dürfen uns auf keinen Fall irgendeiner Form von ungerechter Herrschaft oder Misshandlung, Missbrauch oder Nötigung schuldig machen – sei es körperlich, seelisch, auf kirchlicher Ebene oder auf irgendeine andere Weise. Ich weiß noch, wie ich vor einigen Jahren die Glut von Präsident Gordon B. Hinckley spürte, als er zu den Männern der Kirche über diejenigen sprach, die er als Tyrannen in den eigenen vier Wänden18 bezeichnete:

„Was für eine tragische und abscheuliche Erscheinung sind doch Missbrauch und Misshandlung der Ehefrau!“, sagte er. „Jeder Mann in der Kirche, der seine Frau missbraucht, misshandelt, sie erniedrigt, sie beleidigt, der ungerechte Herrschaft über sie ausübt, ist unwürdig, das Priestertum zu tragen. [Er] ist eines Tempelscheins unwürdig.“19 Gleichermaßen verachtenswert, so seine Worte, sei jede Form der Misshandlung oder des Missbrauchs von Kindern.20

In zu vielen Fällen können sich ansonsten gläubige Männer, Frauen und selbst Kinder unfreundlicher oder gar niederschmetternder Worte denen gegenüber schuldig machen, an die sie möglicherweise durch eine heilige Handlung im Tempel des Herrn gesiegelt sind. Jeder hat das Recht, sich zuhause geliebt, sicher und geborgen zu fühlen. Lassen Sie uns doch bitte versuchen, dort eine solche Umgebung zu wahren. Als Friedensstifter haben Sie die Verheißung, dass Sie den Heiligen Geist als ständigen Begleiter haben werden, und Segnungen werden Ihnen „ohne Nötigung“ für immer zufließen.21 Niemand kann sich einer spitzen Zunge oder unfreundlicher Worte bedienen und dennoch den „Gesang der erlösenden Liebe singen“22.

Ich möchte dort schließen, wo ich begonnen habe. Morgen ist Ostern, eine Zeit, in der die rechtschaffenen Grundsätze des Evangeliums Jesu Christi und sein Sühnopfer alles überwinden – Konflikte und Streitigkeiten, Verzweiflung und Übertretung und letztlich den Tod. Es ist eine Zeit, in der wir völlige Treue in Wort und Tat geloben – dem Lamm Gottes, das „unsere Krankheit getragen und unsere Schmerzen auf sich geladen“23 hat, da es fest entschlossen war, das Erlösungswerk für uns zu Ende zu führen.

Trotz Verrat und Schmerz, Misshandlung und Quälerei und während er die angehäuften Sünden und Sorgen der ganzen Menschheit trug, schaute der Sohn des lebendigen Gottes den langen Weg des Erdenlebens entlang, erblickte uns und sagte: „Frieden hinterlasse ich euch, meinen Frieden gebe ich euch; nicht, wie die Welt ihn gibt, gebe ich ihn euch. Euer Herz beunruhige sich nicht und verzage nicht.“24 Ich wünsche Ihnen ein gesegnetes, frohes und friedliches Osterfest. Für dessen unermessliche Möglichkeiten hat der Friedensfürst, den ich von ganzem Herzen liebe und dessen Kirche dies ist, bereits bezahlt. Für ihn, ja, den Herrn Jesus Christus, lege ich ein unumstößliches Zeugnis ab. Amen.