„Die Grundsätze meines Evangeliums“
Ein Grundsatz des Evangeliums ist eine auf der Lehre beruhende Richtlinie dafür, wie man die sittliche Entscheidungsfreiheit richtig ausübt
Bei der Generalkonferenz der Kirche Jesu Christi der Heiligen der Letzten Tage im Oktober 1849 wurde Elder John Taylor vom Kollegium der Zwölf Apostel berufen, Frankreich für die Verkündigung des Evangeliums Jesu Christi zu öffnen. Zu seinen Aufgaben gehörte die Arbeit an der ersten offiziellen Zeitschrift der Kirche in diesem Land. Elder Taylor verfasste und veröffentlichte 1851 einen Artikel, in dem er auf Fragen antwortete, die ihm immer wieder über die Kirche gestellt worden waren. Gegen Ende des Artikels erwähnte er diese Begebenheit:
„Vor einigen Jahren in Nauvoo hörte ich einen Herrn, er war Abgeordneter, Joseph Smith fragen, wie er es denn anstelle, so viele Menschen zu regieren und eine so vollkommene Ordnung aufrechtzuerhalten. Gleichzeitig merkte er an, dass dies dem Parlament überall sonst nicht gelinge. Mr. Smith entgegnete, dass dies ganz einfach sei. ‚Wie denn?‘, entgegnete der Herr, ‚für uns ist das sehr schwierig.‘ Mr. Smith antwortete: ‚Ich lehre sie die richtigen Grundsätze, und sie regieren sich selbst.‘“1
Ich bete darum, dass der Heilige Geist uns unterweisen und erbauen möge, während ich nun auf die wichtige Rolle von Grundsätzen im wiederhergestellten Evangelium Jesu Christi eingehe.
Grundsätze
Der Herr hat dem Propheten Joseph Smith offenbart: „Die Ältesten, Priester und Lehrer dieser Kirche sollen die Grundsätze meines Evangeliums lehren, die in der Bibel und im Buch Mormon stehen, worin die Fülle des Evangeliums enthalten ist.“2 Der Herr erklärte auch, dass die Heiligen der Letzten Tage „noch vollkommener unterwiesen [sein sollen] in Theorie, in Grundsätzlichem, in der Lehre, im Gesetz des Evangeliums, in allem, was das Reich Gottes betrifft und was ratsam ist, dass ihr es versteht“3.
Kurz und bündig gesagt ist ein Grundsatz des Evangeliums eine auf der Lehre beruhende Richtlinie dafür, wie man die sittliche Entscheidungsfreiheit richtig ausübt. Grundsätze lassen sich aus größeren Evangeliumswahrheiten ableiten und sind uns Weisung und Maßstab, während wir auf dem Weg der Bündnisse vorwärtsstreben.
Beispielsweise stehen in den ersten drei Glaubensartikeln ganz grundsätzliche Aussagen zur Lehre des wiederhergestellten Evangeliums Jesu Christi: das Wesen der Gottheit im ersten Glaubensartikel, die Folgen des Falls von Adam und Eva im zweiten Glaubensartikel und die Segnungen, die dank des Sühnopfers Jesu Christi möglich wurden, im dritten Glaubensartikel.4 Und im vierten Glaubensartikel werden die ersten Grundsätze genannt – die Richtlinien, wie man Glauben an Jesus Christus ausüben und Umkehr üben muss – sowie die ersten heiligen Handlungen des Priestertums, die es ermöglichen, dass das Sühnopfer Jesu Christi in unserem Leben wirksam wird.5
Das Wort der Weisheit ist ein weiteres Beispiel für einen Grundsatz, der uns eine Richtlinie ist. Achten Sie einmal auf diese einleitenden Verse in Lehre und Bündnisse, Abschnitt 89:
„Gegeben als Grundsatz mit einer Verheißung, angepasst der Fähigkeit der Schwachen und der Schwächsten unter allen Heiligen, die Heilige sind oder so genannt werden können.
Siehe, wahrlich, so spricht der Herr zu euch: Infolge der Schlechtigkeit und der bösen Absichten, die im Herzen von verschwörerischen Menschen in den letzten Tagen vorhanden sind und sein werden, habe ich euch gewarnt und warne euch im Voraus, indem ich euch durch Offenbarung dieses Wort der Weisheit gebe.“6
Die daran anschließenden Anweisungen sind eine beständige Richtlinie für das körperliche und auch das geistige Wohlergehen und enthalten konkrete Segnungen, die davon abhängen, wie gewissenhaft wir uns an diesen Grundsatz halten.
Wenn wir die Grundsätze des Evangeliums lernen, verstehen und danach leben, wird unser Glaube an den Erretter gestärkt, wir fühlen uns ihm gegenüber mehr verpflichtet und wir können zahlreiche Segnungen und Gaben des Geistes für unser Leben empfangen. Grundsätze der Rechtschaffenheit helfen uns auch, über unsere persönlichen Vorlieben und selbstsüchtigen Wünsche hinauszusehen, da sie uns die kostbare Perspektive der ewigen Wahrheit geben, während wir durch die verschiedensten Umstände, Herausforderungen, Entscheidungen und Erlebnisse im Erdenleben hindurchmanövrieren.
Aktuelle Beispiele, wie richtige Grundsätze dargelegt wurden
Die Aussage des Propheten Joseph Smith darüber, dass er richtige Grundsätze lehrt, ist vielleicht eine seiner am häufigsten zitierten Aussagen. In den Unterweisungen der bevollmächtigten Diener des Herrn in der heutigen Zeit finden wir eindrucksvolle Beispiele für diese inspirierte Art der Anleitung.
Der Grundsatz der Störungsfreiheit
Präsident Dallin H. Oaks sprach bei der Herbst-Generalkonferenz 1998 über die Aufgaben der Träger des Aaronischen Priestertums beim Vorbereiten, Segnen und Austeilen des Abendmahls. Er erläuterte den Grundsatz der Störungsfreiheit, der besagt, dass ein Träger des Aaronischen Priestertums nicht möchte, dass etwas an seinem Erscheinungsbild oder Verhalten ein Mitglied der Kirche davon ablenkt, Gott zu verehren und seine Bündnisse zu erneuern. Präsident Oaks hob auch die damit verbundenen Grundsätze Ordentlichkeit, Sauberkeit, Andacht und Würde hervor.
Interessanterweise nannte Präsident Oaks den jungen Männern keine ellenlange Liste mit all dem, was sie tun oder lassen sollten. Vielmehr erläuterte er den Grundsatz und erwartete, dass die jungen Männer und deren Eltern und Lehrer ihr eigenes Urteilsvermögen gebrauchen und Inspiration empfangen, wie sie sich daran halten können.
Er sagte: „Ich werde keine Detailregelungen festlegen, da die Situation in jeder Gemeinde und jedem Zweig unserer weltweiten Kirche anders ist, sodass eine konkrete Regelung, die sich für eine bestimmte Situation empfiehlt, in einer anderen vielleicht fehl am Platz wäre. Ich werde jedoch Grundsätzliches nennen, das auf der Lehre beruht. Wenn das verstanden wird und wenn dementsprechend vorgegangen wird, brauchen wir wohl kaum zusätzliche Regelungen. Falls sich aber im Einzelfall Regeln oder ein Rat als notwendig erweisen, können die örtlichen Führer das in Übereinstimmung mit den Lehren und den damit zusammenhängenden Grundsätzen festlegen.“7
Der Grundsatz des Sabbats als ein Zeichen
Bei der Frühjahrs-Generalkonferenz 2015 erklärte uns Präsident Russell M. Nelson, dass der Sabbat eine Wonne ist.8 Er sprach auch darüber, wie ihm ein Grundsatz bewusstgeworden ist, der der Sabbatheiligung zugrunde liegt:
„Wie hält man den Sabbat heilig? Als ich noch sehr viel jünger war, beschäftigte ich mich mit Listen, die andere Leute darüber zusammengestellt hatten, was man am Sabbat tun oder nicht tun sollte. Erst später erfuhr ich aus den heiligen Schriften, dass mein Verhalten am Sabbat und meine Einstellung zum Sabbat ein Zeichen zwischen mir und meinem Vater im Himmel darstellen. Als ich das erkannt hatte, war ich nicht mehr auf Listen von Geboten und Verboten angewiesen. Wenn ich überlegte, ob eine bestimmte Tätigkeit am Sabbat angebracht war, fragte ich mich einfach: ‚Welches Zeichen möchte ich Gott geben?‘ Diese Frage verschaffte mir völlige Klarheit, was meine Entscheidungen am Sabbat betraf.“9
Präsident Nelsons einfache und doch eindringliche Frage hebt einen Grundsatz hervor, der mit aller Unsicherheit aufräumt, was mit der Sabbatheiligung gemeint ist und was wir in dieser Hinsicht tun sollten. In seiner Frage steckt ein Grundsatz und eine Richtlinie, die uns allen in unseren verschiedenen Lebenssituationen helfen kann.
Der Grundsatz willens zu sein, Gott siegen zu lassen
Vor sechs Monaten schilderte uns Präsident Nelson seine große Freude darüber, dass er zu einer neuen Erkenntnis über die Bedeutung des Wortes Israel geführt wurde. Er sagte, es habe ihn sehr bewegt, als er erfuhr, dass „mit dem Namen Israel jemand gemeint [ist], der bereit ist, Gott in seinem Leben siegen zu lassen“10. Danach sprach Präsident Nelson über ein paar wichtige Punkte, die sich aus dieser Erkenntnis ergeben.
Seine Botschaft darüber, willens zu sein, Gott siegen zu lassen, ist ein hervorragendes Beispiel dafür, wie ein richtiger Grundsatz gelehrt wird, damit wir uns selbst regieren können. Und so wie bei seiner Ansprache darüber, wie man den Sabbat zu einer Wonne machen kann, stellte Präsident Nelson auch hier grundsätzliche Fragen, die uns allen Führung und Maßstab sind.
„Sind Sie bereit, Gott in Ihrem Leben siegen zu lassen? Sind Sie bereit, Gott den größten Einfluss in Ihrem Leben zu gewähren?“
Weiter sagte er:
„Überlegen Sie nur, welchen Segen Ihnen diese Bereitschaft bringen kann. Wenn Sie unverheiratet sind und einen ewigen Partner suchen, wird Ihnen der Wunsch, zu Israel zu gehören, bei der Entscheidung helfen, mit wem Sie ausgehen und wie Sie eine Verabredung gestalten.
Wenn Sie mit jemandem verheiratet sind, der seine Bündnisse gebrochen hat, können durch Ihre Bereitschaft, Gott in Ihrem Leben siegen zu lassen, Ihre Bündnisse mit Gott unversehrt bleiben. Der Erretter wird Ihr gebrochenes Herz heilen. Die Himmel werden sich auftun, wenn Sie wissen wollen, wie Sie weiter vorankommen sollen. Sie brauchen nicht orientierungslos oder ratlos zu sein.
Wenn Sie aufrichtige Fragen zum Evangelium oder zur Kirche haben und sich dafür entscheiden, Gott siegen zu lassen, werden Sie geführt werden und die absoluten, ewigen Wahrheiten finden und verstehen, die Ihnen dann im Leben eine Richtschnur sind und Ihnen helfen, unbeirrt auf dem Weg der Bündnisse zu bleiben.
Wenn Versuchungen Sie bedrängen – und sei es nur, weil Sie erschöpft sind oder sich allein oder missverstanden fühlen –, dann stellen Sie sich vor, wie viel Mut Sie aufbringen können, wenn Sie sich dafür entscheiden, Gott in Ihrem Leben siegen zu lassen, und ihn bitten, Ihnen Kraft zu geben.
Wenn es Ihr größter Wunsch ist, Gott siegen zu lassen und zu Israel zu gehören, erleichtert das viele Entscheidungen. So viele Probleme sind dann keine mehr! Sie wissen, wie Sie sich kleiden und geben sollen. Sie wissen, was Sie sich ansehen und was Sie lesen, wo Sie Zeit verbringen und mit wem Sie Umgang pflegen können. Sie wissen, was Sie erreichen wollen. Sie wissen, was für ein Mensch Sie wirklich werden wollen.“11
Beachten Sie, auf wie viele wichtige Entscheidungen und Erfahrungen im Leben sich der Grundsatz willens zu sein, Gott siegen zu lassen, auswirkt: Verabredungen und Ehe, Fragen und Zweifel hinsichtlich des Evangeliums, Versuchungen, äußere Erscheinung, was man sich anschaut und liest, wo man Zeit verbringt, mit wem man Umgang pflegt und noch vieles mehr. Präsident Nelsons inspirierte Fragen unterstreichen einen einfachen Grundsatz, der uns in jeder Lebenslage Führung gibt und uns in die Lage versetzt, uns selbst zu regieren.
Ein ganz kleines Steuer
Als Joseph Smith im Gefängnis zu Liberty festgehalten wurde, schrieb er Briefe mit Anweisungen an die Mitglieder und Führer der Kirche. Er erinnerte sie daran, „dass ein ganz kleines Steuer einem sehr großen Schiff in Zeiten des Sturms sehr viel zu nutzen vermag, wenn es dem Wind und den Wellen zum Trotz auf Kurs gehalten wird“12.
Mit einem Steuerrad oder einer Ruderpinne und den dazugehörigen Teilen kann man ein Schiff oder Boot lenken. „Dem Wind und den Wellen zum Trotz auf Kurs gehalten“ bedeutet, dass man das Schiff so steuert, dass es in einem Sturm das Gleichgewicht behält und nicht kentert.
Die Evangeliumsgrundsätze sind für uns wie ein Steuer am Schiff. Richtige Grundsätze versetzen uns in die Lage, unseren Weg zu finden und fest, standhaft und unverrückbar dazustehen, damit wir nicht das Gleichgewicht verlieren und in den dunklen und verwirrenden tosenden Stürmen der Letzten Tage zu Fall kommen.
Bei dieser Generalkonferenz wurden wir reichlich damit gesegnet, dass wir von den bevollmächtigten Dienern des Herrn in ewigen Grundsätzen unterwiesen wurden. Nun ist es an einem jeden von uns, dass wir uns gemäß der Wahrheiten, für die sie Zeugnis gegeben haben, selbst regieren.13
Zeugnis
Präsident Ezra Taft Benson hat gesagt: „In den nächsten sechs Monaten soll die Konferenzausgabe der Zeitschrift [Liahona] neben Ihren heiligen Schriften stehen, und Sie sollen sie oft zu Rate ziehen.“14
Mit der ganzen Kraft meiner Seele rufe ich uns alle auf, die Grundsätze der Rechtschaffenheit zu lernen, zu leben und zu lieben. Nur die Wahrheiten des Evangeliums befähigen uns, „frohgemut alles [zu] tun, was in unserer Macht liegt“, um auf dem Weg der Bündnisse voranzuschreiten, und „die Errettung Gottes zu sehen und dass sein Arm offenbar werde“15.
Ich weiß, dass die Lehren und Grundsätze des Evangeliums Jesu Christi die grundlegenden Quellen für Führung in unserem Leben und für immerwährende Freude hier auf Erden und in der Ewigkeit sind. Und voll Freude bezeuge ich an diesem herrlichen Ostersonntag, dass unser lebendiger Erretter die Quelle ist, aus der diese Wahrheiten fließen. Dies bezeuge ich im heiligen Namen des Herrn Jesus Christus. Amen.