Generalkonferenz
Unsere irdische Treuhandschaft
Herbst-Generalkonferenz 2022


12:17

Unsere irdische Treuhandschaft

Große geistige Segnungen sind denen verheißen, die die Erde und ihre Mitmenschen lieben und sich um sie kümmern

Während eines Besuchs in unserem Heimatland Frankreich hatten meine Frau und ich vor kurzem das Vergnügen, mit einigen unserer Enkelkinder einen herrlichen Garten zu erkunden, der in dem Dörfchen Giverny liegt. Wir wanderten vergnügt die Pfade entlang und bewunderten die schönen Blumenbeete, die eleganten Seerosen und das Spiel des Lichts auf den Teichen.

Monet-Garten in Giverny

Dieser herrliche Ort ist das Ergebnis der schöpferischen Leidenschaft eines einzigen Mannes: des großen Malers Claude Monet, der seinen Garten 40 Jahre lang liebevoll gestaltet und gepflegt hat, um ihn zu seinem Atelier zu machen. Monet tauchte in die prachtvolle Natur ein und vermittelte seine Eindrücke dann mit Pinselstrichen durch Farben und Licht. Im Laufe der Jahre schuf er eine außergewöhnliche Sammlung hunderter Gemälde, zu denen ihn sein Garten inspirierte.

Gemälde des Gartens von Monet

Seerosen und japanische Brücke, 1899, Gemälde von Claude Monet

Brüder und Schwestern, unser Umgang mit der Schönheit der Natur um uns herum kann uns einige der inspirierendsten und schönsten Erfahrungen im Leben schenken. Was wir empfinden, weckt in uns tiefe Dankbarkeit für den Vater im Himmel und seinen Sohn Jesus Christus, die diese herrliche Erde – mit ihren Gebirgen und Bächen, Pflanzen und Tieren – sowie unsere ersten Eltern, Adam und Eva, erschaffen haben.1

Das Schöpfungswerk dient keinem Selbstzweck. Es ist ein fester Bestandteil des Plans, den Gott für seine Kinder hat. Sein Zweck besteht darin, ein Umfeld zu bieten, in dem Männer und Frauen geprüft werden, ihre Entscheidungsfreiheit ausüben, Freude finden, lernen und Fortschritt machen können, damit sie eines Tages in die Gegenwart ihres Schöpfers zurückkehren und ewiges Leben ererben können.

All dies Wunderbare wurde gänzlich zu unserem Nutzen erschaffen und ist der lebende Beweis für die Liebe des Schöpfers zu seinen Kindern. Der Herr hat verkündet: „Ja, alles, was … von der Erde kommt, ist dem Menschen zum Nutzen und Gebrauch gemacht, dass es sowohl das Auge erfreue als auch das Herz beglücke.“2

Das göttliche Geschenk der Schöpfung ist jedoch auch mit Pflichten und Verantwortung verbunden. Diese Pflichten lassen sich am besten anhand des Prinzips der Treuhandschaft beschreiben. Auf das Evangelium bezogen, bezeichnet der Begriff Treuhandschaft eine heilige geistige oder zeitliche Verantwortung, uns um etwas zu kümmern, was Gott gehört und wofür wir rechenschaftspflichtig sind.3

Wie wir in den heiligen Schriften erfahren, gehören zu unserer irdischen Treuhandschaft die folgenden Grundsätze:

Erster Grundsatz: Die ganze Erde, auch alles Leben darauf, gehört Gott.

Der Schöpfer hat die Ressourcen der Erde und alle Lebensformen unserer Obhut anvertraut, dies alles gehört aber weiterhin ihm. Er hat erklärt: „Ich, der Herr, habe die Himmel ausgespannt und die Erde gebaut, ja, meiner Hände Werk; und alles darin ist mein.“4 Alles auf der Erde gehört Gott – auch unsere Familie, unser leiblicher Körper und sogar unser Leben.5

Zweiter Grundsatz: Als Treuhänder für das von Gott Erschaffene haben wir die Pflicht, es zu ehren und uns darum zu kümmern.

Als Gottes Kinder haben wir den Auftrag erhalten, Treuhänder, Verwalter und Hüter dessen zu sein, was er, Gott selbst, erschaffen hat. Der Herr hat erklärt, dass er „einen jeden rechenschaftspflichtig [gemacht hat], als Treuhänder über irdische Segnungen, die ich für meine Geschöpfe gemacht und bereitet habe“6.

Der Vater im Himmel lässt uns irdische Ressourcen gemäß unserem eigenen freien Willen nutzen. Unsere Entscheidungsfreiheit sollte jedoch nicht als Freibrief aufgefasst werden, den Reichtum dieser Welt unklug oder schrankenlos zu nutzen oder zu verbrauchen. Der Herr hat diese Ermahnung ausgesprochen: „Und es gefällt Gott, dass er dies alles dem Menschen gegeben hat; denn zu diesem Zweck ist es gemacht worden, dass es gebraucht werde, mit Urteilsvermögen, nicht im Übermaß, auch nicht durch Androhung von Gewalt.“7

Präsident Russell M. Nelson hat einmal gesagt: „Was sollen wir als Nutznießer der göttlichen Schöpfung tun? Wir sollen uns um die Erde kümmern, kluge Treuhänder für sie sein und sie für künftige Generationen bewahren.“8

Es ist nicht einfach nur eine wissenschaftliche oder politische Notwendigkeit, uns um die Erde und unsere Umwelt zu kümmern. Vielmehr ist dies eine heilige Aufgabe, die Gott uns anvertraut hat und die uns mit einem ausgeprägten Pflichtbewusstsein und mit Demut erfüllen sollte. Sie ist auch ein wesentlicher Bestandteil unserer Nachfolge Christi. Wie könnten wir den Vater im Himmel und Jesus Christus ehren und lieben, ohne auch das von ihnen Erschaffene zu ehren und zu lieben?

Es gibt vieles, was wir – gemeinsam und als Einzelne – tun können, um gute Treuhänder zu sein. Je nach unseren individuellen Umständen kann jeder von uns die üppigen Ressourcen der Erde mit mehr Ehrfurcht und Umsicht nutzen. Wir können gemeinschaftliche Bemühungen unterstützen, die Erde zu bewahren. Wir können uns einen persönlichen Lebensstil und ein Verhalten aneignen, womit wir Respekt vor dem zeigen, was Gott erschaffen hat, sowie unseren eigenen Wohnbereich ordentlicher, schöner und inspirierender gestalten.9

Zu unserer Treuhandschaft für das von Gott Erschaffene gehört vor allem auch die heilige Pflicht, alle Menschen, mit denen wir die Erde teilen, zu lieben, zu respektieren und uns um sie zu kümmern. Sie sind Söhne und Töchter Gottes, unsere Schwestern und unsere Brüder, und ihr ewiges Glück ist der eigentliche Zweck des Schöpfungswerks.

Der Schriftsteller Antoine de Saint-Exupéry hat Folgendes erzählt: Eines Tages saß er während einer Zugfahrt inmitten einer Gruppe Flüchtlinge. Zutiefst bewegt von der Hoffnungslosigkeit, die er im Gesicht eines kleinen Kindes sah, rief er aus: „Wenn in einem Garten durch Mutation eine neue Rose entsteht, freuen sich alle Gärtner. Sie isolieren die Rose und hegen und pflegen sie. Für Menschen gibt es jedoch keinen Gärtner.“10

Meine Brüder und Schwestern, sollten wir nicht die Gärtner für unsere Mitmenschen sein? Sind wir nicht der Hüter unseres Bruders? Jesus hat uns geboten, unseren Nächsten zu lieben wie uns selbst.11 Mit dem Begriff Nächster, wie er ihn verwendet, ist nicht nur geografische Nähe gemeint; er bedeutet zugleich Herzensnähe. Er umfasst alle Bewohner dieses Planeten – ganz gleich, ob sie in unserer Nähe oder in einem fernen Land leben, und ungeachtet ihrer Herkunft, ihres Werdegangs oder ihrer Umstände.

Als Jünger Christi haben wir die feierliche Pflicht, uns unermüdlich für Frieden und Harmonie unter allen Nationen der Erde einzusetzen. Wir müssen unser Bestes geben, um die Schwachen, die Bedürftigen und all diejenigen, die leiden oder unterdrückt werden, zu beschützen, zu trösten und ihnen zu helfen. Vor allem gilt: Das größte Geschenk der Liebe, das wir unseren Mitmenschen anbieten können, besteht darin, sie an unserer Freude über das Evangelium teilhaben zu lassen und sie einzuladen, durch heilige Bündnisse und Verordnungen zu ihrem Erretter zu kommen.

Dritter Grundsatz: Wir sind aufgefordert, uns am Schöpfungswerk zu beteiligen.

Das göttliche Werk der Erschaffung ist noch nicht abgeschlossen. Was Gott erschafft, wächst, entwickelt sich und vermehrt sich jeden Tag weiter. Wie wunderbar ist es doch, dass der Vater im Himmel uns bittet, uns an seinem schöpferischen Werk zu beteiligen!

Jedes Mal, wenn wir die Erde bewirtschaften oder dieser Welt eine eigene Kreation hinzufügen, beteiligen wir uns am Schöpfungswerk – solange wir dem, was Gott erschaffen hat, Respekt erweisen. Unser Beitrag kann so aussehen, dass wir Kunst-, Architektur-, Musik-, Literatur- oder Kulturwerke erschaffen, die dann unseren Planeten zieren, unsere Sinne beleben und unser Leben verschönern. Unser Beitrag könnten auch wissenschaftliche oder medizinische Entdeckungen sein, die die Erde und das Leben darauf erhalten. Präsident Thomas S. Monson hat dieses Prinzip mit diesen schönen Worten zusammengefasst: „Gott hat die Welt unvollendet gelassen, damit der Mensch sie mit seinem Geschick bearbeiten kann[,] sodass [er] die herrlichen Freuden des Erschaffens kennenlernt.“12

In Jesu Gleichnis von den Talenten lobt und belohnt der Herr nach der Rückkehr von seiner Reise die beiden Diener, die ihre Talente vermehrt und weitere dazugewonnen haben. Dagegen nennt er den Diener, der sein einziges Talent in der Erde versteckt hat, nichtsnutzig und nimmt ihm selbst das weg, was er erhalten hatte.13

Gleichermaßen geht es bei unserer Rolle als Treuhänder für auf Erden Erschaffenes nicht nur darum, dass wir es bewahren oder erhalten. Der Herr erwartet, dass wir fleißig arbeiten, wie wir von seinem Heiligen Geist dazu bewogen werden, und die Ressourcen, die er uns anvertraut hat, wachsen lassen, weiterentwickeln und verbessern – nicht nur zu unserem eigenen Nutzen, sondern auch, um anderen Gutes zu tun.

Unter allen Errungenschaften der Menschheit kommt keine der Erfahrung gleich, Mitschöpfer an der Seite Gottes zu werden, indem man Leben schenkt oder einem Kind dabei hilft, zu lernen, zu wachsen und zu gedeihen – sei es als Eltern, Lehrer oder Führungsverantwortliche oder im Rahmen einer anderen Aufgabe. Keine Treuhandschaft ist heiliger, erfüllender und zugleich auch anspruchsvoller als die, zusammen mit unserem Schöpfer leibliche Körper für seine Geistkinder bereitzustellen und diesen dann zu helfen, ihr göttliches Potenzial zu erreichen.

Die Aufgabe, Mitschöpfer zu sein, erinnert uns beständig daran, dass das Leben und der Körper eines jeden Menschen heilig sind, dass jeder Mensch keinem anderem als Gott gehört und dass dieser uns zu Hütern gemacht hat und wir daher unsere Mitmenschen respektieren, beschützen und uns um sie kümmern sollen. Die Gebote Gottes, die die Fortpflanzungskraft und die Gründung ewiger Familien regeln, leiten uns im Rahmen dieser heiligen Treuhandschaft, die für seinen Plan so wichtig ist.

Meine Brüder und Schwestern, wir müssen uns bewusstmachen, dass für den Herrn alles geistig ist – auch die geringsten zeitlichen Aspekte unseres Lebens. Ich bezeuge, dass denen, die die Erde und ihre Mitmenschen lieben und sich um sie kümmern, große geistige Segnungen verheißen sind. Wenn Sie in dieser heiligen Treuhandschaft treu bleiben und Ihre ewigen Bündnisse halten, werden Sie an der Erkenntnis Gottes und seines Sohnes Jesus Christus zunehmen und Sie werden ihre Liebe und ihren Einfluss reichlicher in Ihrem Leben verspüren. All dies wird Sie darauf vorbereiten, im künftigen Leben bei ihnen zu wohnen und zusätzliche Schöpfungskraft zu empfangen.14

Am Ende dieses Erdenlebens wird der Herr uns bitten, über unsere heilige Treuhandschaft Rechenschaft abzulegen und auch darüber, wie wir uns um das von ihm Erschaffene gekümmert haben. Ich bete darum, dass wir dann hören, wie er uns diese liebevollen Worte ins Herz flüstert: „Sehr gut, du tüchtiger und treuer Diener. Über Weniges warst du treu, über Vieles werde ich dich setzen. Komm, nimm teil am Freudenfest deines Herrn!“15 Im Namen Jesu Christi. Amen.

Anmerkungen

  1. Die Erde und alles darauf (abgesehen von Adam und Eva) wurden auf Weisung des Vaters von Jesus Christus erschaffen; Adam und Eva, unsere ersten Eltern, wurden von Gottvater erschaffen (siehe Johannes 1:1-3; Mose 2:1,26,27)

  2. Lehre und Bündnisse 59:18

  3. Siehe Spencer W. Kimball, „Welfare Services: The Gospel in Action“, Ensign, November 1977, Seite 76–79

  4. Lehre und Bündnisse 104:14

  5. Siehe Spencer W. Kimball, „Welfare Services“, Seite 76–79

  6. Lehre und Bündnisse 104:13

  7. Lehre und Bündnisse 59:20

  8. Russell M. Nelson, „The Creation“, Ensign, Mai 2000, Seite 86

  9. Siehe Gospel Topics, „Environmental Stewardship and Conservation“, topics.ChurchofJesusChrist.org

  10. Antoine de Saint-Exupéry, Terre des Hommes, 1939, Seite 214; siehe auch Wind, Sand and Stars, 1939, in: Airman’s Odyssey, 1984, Seite 206

  11. Siehe Markus 12:31

  12. Thomas S. Monson, „In Quest of the Abundant Life“, Ensign, März 1988, Seite 3

  13. Siehe Matthäus 25:14-30

  14. Siehe David A. Bednar und Susan K. Bednar, „Moral Purity“, Andacht an der Brigham-Young-Universität Idaho, 7. Januar 2003, byui.edu

  15. Matthäus 25:21