Generalkonferenz
„Ihr seid meine Freunde“
Herbst-Generalkonferenz 2024


10:49

„Ihr seid meine Freunde“

Die Worte des Erretters „ihr seid meine Freunde“ sind ein Weckruf, edlere und heiligere Beziehungen unter allen Kindern Gottes aufzubauen

In einer zerstrittenen und gespaltenen Welt, wo zivilisierter Umgang von Verurteilungen und Verachtung verdrängt wird und Freundschaft sich darüber definiert, ob jemand denselben -iten angehört und demselben -ismus anhängt, habe ich erkannt, dass es ein klares und einfaches göttliches Vorbild gibt, an dem wir uns orientieren können, wenn es um Einigkeit, Liebe und Zugehörigkeit geht. Dieses Vorbild ist Jesus Christus. Ich bezeuge, dass er derjenige ist, der letztendlich alles eint.

Wir sind seine Freunde

Im Dezember 1832, als „offensichtliche Schwierigkeiten zwischen den Nationen … deutlicher erkennbar“ wurden als je zuvor seit der Gründung der Kirche, kamen die Führer der Kirche in Kirtland in Ohio zu einer Konferenz zusammen. Sie beteten „jeder für sich und auch gemeinsam zum Herrn, dass er ihnen doch seinen Willen kundtun möge“. Der Herr erhörte die Gebete dieser glaubenstreuen Mitglieder in Zeiten heftiger Unruhe und tröstete sie, wobei er die Heiligen dreimal mit zwei aussagekräftigen Wörtern ansprach, nämlich „meine Freunde“.

Jesus Christus hat seine glaubenstreuen Nachfolger schon immer als seine Freunde bezeichnet. Vierzehnmal verwendet der Erretter im Buch Lehre und Bündnisse den Begriff Freund, um eine heilige und kostbare Beziehung zu umschreiben. Ich spreche nicht von dem Wort Freund, wie die Welt es versteht – im Sinne von Followern in den sozialen Medien oder „Likes“. Es lässt sich auch nicht mit einem Hashtag oder einer Zahl auf Instagramm oder X erfassen.

Zugegeben: Ich weiß noch, wie es mich als Jugendlicher vor Gesprächen grauste, in denen solch schmerzliche Worte fielen, wie: „Wir bleiben einfach Freunde, ja?“ oder „Lass uns einfach nur Freunde sein“. Nirgends in den heiligen Schriften hören wir den Erretter sagen: „Ihr seid nur meine Freunde.“ Vielmehr hat er erklärt: „Es gibt keine größere Liebe, als wenn einer sein Leben für seine Freunde hingibt.“ Und: „Ihr seid es, die mein Vater mir gegeben hat; ihr seid meine Freunde.“

Die Botschaft ist klar: Der Erretter achtet auf einen jeden von uns und wacht über uns. Dieses fürsorgliche Wachen ist keineswegs oberflächlich oder belanglos. Es ist vielmehr erhebend, erbauend und ewig. In meinen Augen ist die Erklärung des Erretters „ihr seid meine Freunde“ ein Weckruf, edlere und heiligere Beziehungen unter allen Kindern Gottes aufzubauen, „damit wir eins seien“. Dies tun wir, indem wir gemeinsam nach Gelegenheiten Ausschau halten, für Einigkeit zu sorgen und allen ein Gefühl der Zugehörigkeit zu vermitteln.

Wir sind eins in ihm

Der Erretter hat dies mit seinem Aufruf: „Komm und folge mir nach!“ eindrucksvoll vorgelebt. Er griff auf die Talente und Eigenschaften einer bunt gemischten Gruppe von Jüngern zurück, um seine Apostel zu berufen. Er berief Fischer, Zeloten, Brüder, die für ihre aufbrausende Persönlichkeit bekannt waren, und sogar einen Zöllner. Ihr Glaube an den Erretter und ihr Wunsch, sich ihm zu nahen, einte sie. Sie sahen zu ihm auf, nahmen den Einfluss Gottes durch ihn wahr und „ließen [sofort] ihre Netze liegen und folgten ihm nach“.

Auch ich habe miterlebt, dass es uns zusammenbringt und eint, wenn wir edlere und heiligere Beziehungen aufbauen. Meine Frau Jennifer und ich hatten das Glück, unsere fünf Kinder in New York großzuziehen. In dieser geschäftigen Metropole bauten wir kostbare und heilige Beziehungen zu Nachbarn, Schulfreunden, Geschäftspartnern, Religionsvertretern und anderen Mitgliedern der Kirche auf.

Im Mai 2020, als die Welt gerade mit der Ausbreitung einer weltweiten Pandemie zu kämpfen hatte, traten die Mitglieder der New Yorker Kommission der Religionsführer in einer eilig einberufenen Sitzung virtuell zusammen. Es gab keine Tagesordnung, keine besonderen Gäste. Nur die Bitte, zusammenzukommen und zu besprechen, vor welchen Herausforderungen wir alle als religiöse Führer nun standen. Die Seuchenschutzbehörde hatte gerade vermeldet, dass unsere Stadt das Epizentrum der Coronapandemie in den Vereinigten Staaten war. Das bedeutete: Keine Versammlungen mehr. Man konnte sich nicht mehr treffen.

Für diese Geistlichen war es niederschmetternd, keine seelsorgerische Betreuung mehr leisten zu können, keine Versammlungen und wöchentlichen Gottesdienste mehr abhalten zu können. In unserer kleinen Gruppe, zu der ein Kardinal, ein Pfarrer, ein Rabbiner, ein Imam, ein Pastor, ein Monsignore und ein Ältester gehörten, hörten wir einander zu und trösteten und unterstützten uns gegenseitig. Anstatt uns auf das zu konzentrieren, was uns unterschied, achteten wir auf das, was wir gemeinsam hatten. Wir unterhielten uns über Möglichkeiten und dann über Wahrscheinlichkeiten. Gemeinsam klärten wir Fragen zum Glauben und zur Zukunft. Und dann beteten wir. Und wie wir beteten.

In einer facettenreichen, komplexen Stadt, wo viele Kulturen aufeinandertreffen, sahen wir, wie sich die Unterschiede zwischen uns verflüchtigten, sobald wir als Freunde mit einer Stimme, einem Ziel und einem Gebet zusammenkamen.

Wir blickten einander nicht mehr über den Tisch hinweg an, sondern blickten Seite an Seite himmelwärts. Mit jeder weiteren Sitzung nahm unsere Einigkeit zu und wir waren bereit, die Ärmel hochzukrempeln und uns an die Arbeit zu machen. Durch die daraus entstandene Zusammenarbeit und den Dienst, der tausenden von New Yorkern zugutekam, lernte ich dies: In einer Welt, die Spaltung, Distanz und Loslösung fordert, gibt es immer viel mehr, was uns verbindet, als was uns trennt. Der Erretter bat inständig: „Seid eins; und wenn ihr nicht eins seid, dann seid ihr nicht mein.“

Brüder und Schwestern, wir müssen aufhören, nach Gründen zu suchen, die uns entzweien, und stattdessen nach Gelegenheiten suchen, eins zu sein. Der Erretter hat uns mit einzigartigen Talenten und Eigenschaften gesegnet, die dazu einladen, dass wir voneinander lernen und persönlich Fortschritt machen. An der Universität habe ich meinen Studenten oft erklärt: Wenn ich tue, was Sie tun, und Sie tun, was ich tue, brauchen wir einander gar nicht. Weil Sie aber nicht tun, was ich tue, und ich nicht tue, was Sie tun, brauchen wir einander sehr wohl. Und diese Notwendigkeit führt uns zusammen. „Entzweien und unterwerfen“ ist der Plan des Widersachers, um Freundschaften, Familien und den Glauben zu zerstören. Was uns eint, ist der Erretter.

Wir gehören zu ihm

Zu den verheißenen Segnungen des Einswerdens zählt ein tiefes Zugehörigkeitsgefühl. Elder Quentin L. Cook hat erklärt: „Eins mit Christus zu sein ist der Inbegriff wahrer Zugehörigkeit.“

Als meine Familie kürzlich in Ghana in Westafrika war, war ich von einer dortigen Gepflogenheit fasziniert. Wenn wir bei einer Kirche oder einem Haus ankamen, wurden wir mit den Worten „du bist herzlich willkommen“ begrüßt. Wenn etwas zu essen serviert wurde, verkündete der Gastgeber: „Sei unser Gast.“ Diese schlichten Begrüßungen wurden ganz bewusst ausgesprochen. Du bist herzlich willkommen. Sei unser Gast.

Wir bringen ähnliche heilige Worte an den Türen unserer Gemeindehäuser an. Aber das Schild „Besucher willkommen“ reicht nicht aus. Heißen wir alle, die durch diese Türen kommen, herzlich willkommen? Brüder und Schwestern, es reicht nicht aus, einfach nur auf den Bänken zu sitzen. Wir müssen der Aufforderung des Erretters folgen, edlere und heiligere Beziehungen zu allen Kindern Gottes aufzubauen. Wir müssen unseren Glauben leben! Mein Vater rief mir oft in Erinnerung: Am Sonntag einfach nur auf der Kirchenbank zu sitzen, macht dich genauso wenig zu einem guten Christen, wie eine Übernachtung in der Garage dich zu einem Auto macht.

Wir müssen so leben, dass die Welt nicht uns sieht, sondern durch uns den Erretter sieht. Das geschieht nicht nur am Sonntag. Es geschieht beim Einkaufen, an der Zapfsäule, bei Schulveranstaltungen, bei Treffen mit den Nachbarn – eben überall, wo getaufte und nicht getaufte Mitglieder der Menschheitsfamilie arbeiten und leben.

Der Gottesdienst am Sonntag erinnert mich daran, dass wir einander brauchen; und gemeinsam brauchen wir Jesus Christus. Unsere einzigartigen Gaben und Talente, die uns in einer irdisch gesinnten Welt voneinander abgrenzen, verbinden uns in einem heiligen Raum. Der Erretter hat uns dazu aufgerufen, einander zu helfen, einander zu erheben und einander zu erbauen. Genau das tat er, als er die Frau mit dem Blutfluss heilte, den Aussätzigen, der um Barmherzigkeit flehte, rein machte, dem jungen Edelmann einen Rat gab, als dieser fragte, was er denn noch tun könne, liebevoll mit Nikodemus redete, der zwar Erkenntnis gewonnen hatte, dessen Glauben aber ins Wanken geriet, und mit der Frau am Brunnen saß, die zur damaligen Zeit eigentlich nicht gesellschaftsfähig war, der er aber seinen messianischen Auftrag verkündete. Das verstehe ich unter Kirche – ein Ort der Sammlung, der Genesung, der Erneuerung und der Neuorientierung. So hat auch Präsident Russell M. Nelson gesagt: „Das Evangeliumsnetz ist das größte Netz der Welt. Gott lädt alle ein, zu ihm zu kommen … Raum ist für jeden vorhanden.“

Manche von Ihnen haben vielleicht Erlebnisse gehabt, die Ihnen das Gefühl geben, nicht dazuzugehören. Die Botschaft des Erretters ist für uns alle dieselbe: „Kommt alle zu mir, die ihr mühselig und beladen seid! Ich will euch erquicken.“ Das Evangelium Jesu Christi ist genau der richtige Ort für uns. Der Versammlungsbesuch bietet uns Hoffnung auf bessere Tage, die Verheißung, dass wir nicht alleine sind, und eine Familie, die uns genauso dringend braucht wie wir sie. Elder D. Todd Christofferson hat bekräftigt: „Mit dem Vater, dem Sohn und dem Heiligen Geist eins zu sein, ist zweifellos die höchste Form der Zugehörigkeit.“ Allen, die sich abgewandt hatten und jetzt nach einer Möglichkeit zur Rückkehr suchen, möchte ich eine ewige Wahrheit und eine Einladung aussprechen: Sie gehören dazu. Kommen Sie zurück. Es ist Zeit.

In einer zerstrittenen und gespaltenen Welt bezeuge ich, dass der Erretter Jesus Christus derjenige ist, der letztendlich alles eint. Ich möchte jeden von uns bitten, sich der Aufforderung des Erretters, eins zu sein, würdig zu erweisen und wie er unerschrocken zu verkünden: „Ihr seid meine Freunde.“ Im heiligen Namen Jesu Christi. Amen.