2002
Elder Robert J. Whetten on den Siebzigern
Mai 2002


Von Freund zu Freund

Elder Robert J. Whetten on den Siebzigern

Ich bin in Colonia Juárez in Mexiko aufgewachsen und hatte eine glückliche Kindheit.

Wir waren zehn Kinder, und mein Zwillingsbruder Bert (Albert) und ich waren das fünfte und das sechste Kind. Wir ritten auf Pferden und angelten und schwammen im Fluss. Wir arbeiteten auch viel, wir fütterten die Hühner, melkten die Kühe und pflegten die Obstbäume unseres Vaters.

Unsere Eltern sprachen mit uns über den Sinn des Lebens, darüber, woher wir kommen, was nach diesem Leben geschieht und welche Folgen unsere Entscheidungen haben. Ich lernte beständig mehr über den Erlösungsplan und die Umkehr.

Meine Eltern sagten mir oft: „Denk daran, wer du wirklich bist.“ Zuerst verstand ich das nicht. Aber später erkannte ich, was sie meinten: Ich sollte daran denken, dass ich ein Kind Gottes bin.

Ich war sehr gern in der PV. Ich kann mich noch an die schönen PV-Lieder erinnern, die wir sangen. Als ich etwa elf Jahre alt war, fiel mein Freund Billy vom Pferd und starb an seinen Verletzungen. Bei seiner Beerdigung sang unsere PV-Klasse das Lied „Ich weiß, dass mein Erlöser lebt“ ( Gesangbuch, Nr. 85). Diese Worte drangen mir tief ins Herz. Ich wusste, dass es Billy gut ging, und ich wusste, dass das, was wir sangen, wahr war.

Bert und ich wollten all die Jahre auf Mission gehen, und als wir alt genug waren, taten wir es auch. Meine Mission hatte großen Einfluss auf mich. Ich verstand das Evangelium besser, ich lernte diszipliniert zu sein und anderen zu dienen. Sie war die Basis für ein glückliches, erfolgreiches Leben.

Drei Monate nachdem wir von Mission zurückgekehrt waren, tötete ein Mann meinen Zwillingsbruder. Bei diesem Überfall wurden mein Vater und einer meiner Brüder schwer verwundet. Wir wussten, wer der Täter war, doch er wurde niemals verhaftet. Ich erfuhr, wie man sich fühlt, wenn man jemanden hasst und Vergeltung wünscht. Ich träumte sogar davon, wie ich den Mann verletzte, der diese fürchterliche Tat begangen hatte. Aber der Herr hatte deutlich gesagt, was er von mir erwartete:

„Ihr sollt einander vergeben; denn wer die Verfehlungen seines Bruders nicht vergibt, der steht schuldig vor dem Herrn; denn auf ihm verbleibt die größere Sünde.

Ich, der Herr, vergebe, wem ich vergeben will, aber von euch wird verlangt, dass ihr allen Menschen vergebt.“ (LuB 64:9,10.)

Im Laufe der Zeit und mit Hilfe des Gebets habe ich diesem Mann vergeben. Wir alle vergaben ihm.

Als Kind hörte ich oft: „Wenn du treu und standhaft bleibst, kannst du einmal mit jenen großartigen Menschen zusammen sein, die vor dir lebten und treu und standhaft waren.“ Das weckte in mir den Wunsch, dorthin zu kommen, wo meine verstorbenen Angehörigen waren. Schon als ich ein junger Mann war, war es mein Ziel, bis ans Ende treu und standhaft zu sein.

Vor kurzem fragte mich mein Sohn Carlos: „Vati, wovor fürchtest du dich am meisten?“

Ich antwortete: „Ich glaube, am meisten Angst habe ich davor, nicht bis ans Ende treu und standhaft zu sein. Das ist das Schlimmste, was jemals geschehen könnte.“ Dann fügte ich hinzu: „Meine andere große Furcht ist, dass meine Kinder und ihre Nachkommen nicht treu und standhaft sein könnten.“

Der Vater im Himmel möchte, dass die Familie für immer besteht. Wendet euer Herz euren Eltern zu. Verbringt Zeit mit ihnen. Bittet sie, euch von euren Großeltern und Urgroßeltern zu erzählen. Wenn ich etwas über meine Vorfahren lese, inspiriert mich das sehr und es weckt in mir erneut den Wunsch, würdig zu leben.

Kinder, bitte hört auf eure Eltern. Es gibt so viel, worauf man hören kann – Fernsehen, Musik, Filme und das Internet. Achtet darauf, dass ihr auf diejenigen hört, die euch wirklich lieben – eure Eltern, euer Bischof, eure PV-Lehrerin, der lebende Prophet und vor allem der Vater im Himmel und Jesus Christus.

Meine Eltern haben mich gelehrt, wie wichtig die Beziehungen in der Familie sind. Meine Mutter hat einmal gesagt: „Bobby, du und Bert müsst im Vorherdasein gute Freunde gewesen sein, weil der Vater im Himmel euch zur selben Zeit in dieselbe Familie geschickt hat. Könnt ihr euch da nicht ein bisschen besser vertragen?“

Meine Frau Raquel und ich haben acht Kinder und zwölf Enkelkinder. Sie sind die größte Freude in unserem Leben. Mein ältester Enkelsohn, Mario, wohnt in Guadalajara in Mexiko. Eines Tages fragte ihn seine PV-Lehrerin: „Mario, wer liebt dich?“

Er antwortete sofort: „Jesus und mein Großvater lieben mich.“ Damit hatte er Recht. Der Wesenskern des Evangeliums Jesu Christi ist die Liebe. Wir lieben diejenigen, denen wir dienen, und dienen denen, die wir lieben. Das alles beginnt zu Hause. Jesus hat uns gesagt, wir sollen unseren Nächsten lieben. Und wer ist unser unmittelbarer Nächster? Unsere Familie. Meine Geschwister sind noch immer meine besten Freunde. Ich liebe auch meine anderen Angehörigen, zu denen 130 Cousins und Cousinen ersten Grades zählen. Sagt euren Eltern, dass ihr sie lieb habt. Sagt euren Großeltern, dass ihr sie lieb habt. Zeigt ihnen dann durch euer Verhalten, dass ihr es tatsächlich tut.

Meine Eltern haben mir gesagt: „Denk daran, dass der Vater im Himmel möchte, dass du zu ihm zurückkommst.“ Kinder, denkt auch ihr immer daran. Es ist so, als würden Eltern ihr Kind am Morgen in die Schule schicken – sie wünschen sich und erwarten, dass es am Nachmittag wieder nach Hause kommt. Unser Vater im Himmel hat uns hierher, auf die Erde, geschickt, damit wir etwas lernen. Und er wünscht sich, dass wir zu ihm zurück nach Hause kommen, wenn unsere Ausbildung auf der Erde abgeschlossen ist. Eines Tages möchte ich dort sein, wo mein Vater, meine Mutter und Bert sind. Ich möchte nach Hause gehen.