2002
Dienen lernen
Mai 2002


Dienen lernen

Man wird glücklich, wenn man, nachdem man Kenntnis vom Evangelium erlangt hat, anderen dient und sie daran teilhaben lässt.

Für die Mitglieder der Kirche ist es nichts Neues, dass die Generalautoritäten viel Zeit im Flugzeug verbringen. Die Kirche ist in der ganzen Welt vertreten. In vielen Ländern haben wir Pfahlhäuser.

Als ich wieder einmal unterwegs war, kam ich mit einem Piloten darüber ins Gespräch, was geschieht, wenn er von der Flugroute abweicht. Seine Antwort erstaunte mich.

Er sagte, jede Abweichung vom Plan um ein Grad würde bedeuten, dass man seinen Bestimmungsort pro 100 Flugkilometer um gut anderthalb Kilometer verfehlt. Das würde für den Flug von Salt Lake City nach Denver bedeuten, dass man mitten in der Stadt Denver und nicht auf dem Flughafen landet. Beim Flug von Salt Lake City nach Chicago würde man im Lake Michigan landen und nicht am Flughafen. Flöge man von Salt Lake City nach New York, würde man im Hudson River statt am Kennedy Airport landen. Und auf dem Flug nach London würde man nicht einmal in England ankommen – sondern irgendwo in Frankreich landen.

Eine Abweichung vom Flugplan um mehrere Grad würde einen komplett vom Kurs abbringen. Der Pilot erklärte mir, dass man natürlich umso rascher wieder die vorgesehene Route erreicht, je eher man den Irrtum entdeckt. Wird die Kurskorrektur lange aufgeschoben, ist es aufgrund des Flugverkehrs, schlechter Wetterbedingungen, eingeschränkter Sicht und anderer störender Faktoren sehr schwer, den Weg zurück zu finden. Der vorgesehene Kurs wäre so anders, dass es fast unmöglich wäre, den beabsichtigten Bestimmungsort zu erreichen. Zwar tröstete mich mein Gespräch mit dem Piloten nicht, aber ich begann, darüber nachzudenken, wie sich ein Flugplan damit vergleichen lässt, welche Richtung wir im Leben einschlagen wollen.

Hier im irdischen Dasein durchleben wir ein großes Abenteuer. Wir müssen unseren Kurs planen und den Plan befolgen, um unsere endgültige Bestimmung zu erreichen. Mit unserer Erkenntnis vom Evangelium sollte es leicht fallen, unser höchstes Ziel zu bestimmen, denn der Erretter hat uns den Weg vorgegeben. In der Bergpredigt sagt er:

„Geht durch das enge Tor! Denn das Tor ist weit, das ins Verderben führt, und der Weg dahin ist breit, und viele gehen auf ihm.

Aber das Tor, das zum Leben führt, ist eng, und der Weg dahin ist schmal, und nur wenige finden ihn.“ (Matthäus 7:13,14.)

Immer wieder sagen uns die heiligen Schriften, dass es nur einen Weg zum ewigen Leben gibt. Der Erretter verabschiedete sich beim letzten Abendmahl herzlich von seinen Aposteln und sagte:

„Im Haus meines Vaters gibt es viele Wohnungen. Wenn es nicht so wäre, hätte ich euch dann gesagt: Ich gehe, um einen Platz für euch vorzubereiten?

Wenn ich gegangen bin und einen Platz für euch vorbereitet habe, komme ich wieder und werde euch zu mir holen, damit auch ihr dort seid, wo ich bin.“ (Johannes 14:2,3.)

Da sagte der Apostel Thomas: „Herr, wir wissen nicht, wohin du gehst. Wie sollen wir dann den Weg kennen?“ (Vers 5.)

Die Antwort des Erretters war einfach und klar: „Ich bin der Weg und die Wahrheit und das Leben; niemand kommt zum Vater außer durch mich.“ (Vers 6.)

Welch ein Segen es doch ist, dass wir den Plan des Herrn für uns kennen! Er hat den Weg, der uns in seine Gegenwart zurück führt, deutlich gekennzeichnet. Wenn der Weg so deutlich gekennzeichnet ist, warum weichen dann so viele davon ab und korrigieren ihren Kurs nicht, wodurch es für sie unmöglich wird, den erhofften Bestimmungsort zu erreichen?

Der Weg zur Erhöhung und zum Leben bei unserem himmlischen Vater ist voller Gefahren verschiedenster Art. Da gibt es die Prüfungen – manche sind von kurzer Dauer, andere dauern länger. An Kurven, Straßengabelungen und Kreuzungen lauern Versuchungen. Ob wir der Versuchung unterliegen oder vom Kurs abkommen, hängt davon ab, wie sehr wir uns dazu verpflichtet haben, unser Ziel zu erreichen.

Das Buch Mormon berichtet von Lehis Vision vom Baum des Lebens. Die Menschen konnten zu dem Baum gelangen und von der süßen Frucht, die begehrenswerter war als jede andere Frucht, kosten, indem sie an der eisernen Stange festhielten. Lehi berichtet:

„Auch ich blickte ringsum und sah auf der anderen Seite des Wasserlaufs ein großes und geräumiges Gebäude. Es stand gleichsam in der Luft, hoch über dem Erdboden.

Und es war voll von Menschen, alt und jung, männlich und weiblich; und sie waren auf das feinste gekleidet. Sie standen da und spotteten und zeigten mit Fingern auf diejenigen, die herzugekommen waren und eben von der Frucht aßen.

Und nachdem diese von der Frucht gekostet hatten, schämten sie sich, weil die anderen sie verspotteten; und sie gerieten auf verbotene Pfade und gingen verloren.“ (1. Nephi 8:26–28.)

Wenn wir am Bestimmungsort, den wir auf der Reise durch das Leben suchen, ankommen wollen, müssen wir lernen, die Zurufe und den Spott der sogenannten Freunde zu ignorieren. Wir müssen die Vorschläge überhören, den leichteren und verlockenderen Weg zu gehen. Sie kommen von denen, die behaupten, mehr als die Apostel und Propheten des Herrn zu wissen.

Nephi schrieb: „Darum ermahnte ich, Nephi, sie, dem Wort des Herrn Beachtung zu schenken; ja, ich ermahnte sie mit der ganzen Kraft meiner Seele und mit aller Fähigkeit, die ich besaß, dem Wort Gottes Beachtung zu schenken und darauf bedacht zu sein, dass sie seine Gebote jederzeit und in allem befolgten.“ (1. Nephi 15:25.)

Ein Wegweiser auf dem Weg zum ewigen Leben ist die Aufforderung, die über dem Eingang zur Brigham Young University steht: „Kommt herein, um zu lernen. Geht hinaus, um zu dienen.“ Um den Kurs zu halten, müssen wir zuerst alles über den engen und schmalen Weg lernen, dem wir folgen müssen. Der Herr hat den Propheten zu allen Zeiten den Plan des Lebens für seine Kinder offenbart. Präsident Kimball (1895–1985), der zwölfte Präsident der Kirche, hat gesagt:

„Ich bin dankbar dafür, dass wir das Evangelium Jesu Christi als Richtschnur besitzen, so dass wir einen Rahmen der Erkenntnis haben, in den wir die Ereignisse und Umstände, denen wir im Leben begegnen, einordnen können. Aus den heiligen Schriften geht klar hervor, dass uns die Politiker in dieser Evangeliumszeit keinen Frieden versprechen können. Aber wir Mitglieder der Kirche wissen, wie wir inneren Frieden erlangen und gelassen sein können – selbst wenn um uns herum kein Frieden herrscht!

Vielleicht haben Sie sich schon daran gewöhnt, dass diejenigen unter uns, die auf dem Weg des Lebens schon weiter vorangeschritten sind, Ihnen deutlich machen, wie wichtig es ist, auf dem ‚engen und schmalen Weg‘ zu bleiben. Wir sagen Ihnen immer und immer wieder das Gleiche, aber wenn Sie darüber nachdenken, warum wir dies tun, werden Sie bald erkennen, dass die Abgründe, die auf beiden Seiten des schmalen Wegs liegen, sich nicht verändern oder weniger gefährlich werden; der Weg bleibt unverändert steil.“ (President Kimball Speaks Out [1981], Seite 89.)

Ohne darauf zu warten, dass sie die wahre Bedeutung des Lebens herausfinden, stürzen sich viele junge Menschen in Entscheidungen und beginnen ihre Lebensreise unvorbereitet. Sie folgen dem Verkehr ohne Straßenkarte und es ist nicht überraschend, dass sie dann unterwegs enttäuscht werden. Was müssen wir lernen, bevor wir ausgehen, um zu dienen?

Als Erstes Die Wege Des Herrn Kennen Lernen

In den heiligen Schriften erfahren wir, dass es unmöglich ist, als Unwissender errettet zu werden (siehe LuB 131:6). Dieser Grundsatz wird vielfach missverstanden. Elder John A. Widtsoe (1872–1952) vom Kollegium der Zwölf Apostel schrieb: „Natürlich gibt es vielerlei Wissen; manches ist weniger, manches mehr wert. Als Joseph Smith sagte, dass man als Unwissender nicht errettet werden kann, meinte er natürlich die Unwissenheit den Gesetzen gegenüber, die insgesamt zur Errettung führen. Derlei Wissen hat den höchsten Wert. Danach sollte man in erster Linie trachten. Dann können andere Arten von Wissen hinzugefügt werden, um die direkte Erkenntnis des geistigen Gesetzes zu unterstützen und zu verstärken. Es ist beispielsweise die Pflicht der Kirche, aller Welt das Evangelium zu verkünden. Doch dies bedarf der Hilfe durch Autobahnen, Dampfschiffe, die Druckerpresse und viele andere Dinge, die unsere Zivilisation ausmachen. Zunächst muss der Missionar das Evangelium kennen, und das andere, zwar nicht so hochrangig, hilft ihm, den göttlichen Auftrag, nämlich das Evangelium allen Menschen zu verkünden, auszuführen.“ (Evidences and Reconciliations, Hg. G. Homer Durham [1987], Seite 224.)

Natürlich müssen sich heute viele Menschen mit Computern und der Kommunikation per Satellit auskennen, aber was Elder Widtsoe damit ausdrücken wollte, hat noch immer seine Gültigkeit. Er hat Folgendes gesagt: Es muss beim Lernen eine bestimmte Reihenfolge geben, und zwar die Reihenfolge, die aus den Lehren des Erretters hervorgeht: „Euch aber muss es zuerst um sein Reich und um seine Gerechtigkeit gehen; dann wird euch alles andere dazugegeben.“ (Matthäus 6:33.) Das Lernen über Heiliges muss an erster Stelle stehen, und dies schafft dann den nötigen Zusammenhang für das weltliche Lernen, das wir brauchen. Wenn wir in die Gegenwart des himmlischen Vaters zurückkehren wollen, muss es unsere oberste Priorität sein, seine Wege und seinen Plan kennen zu lernen.

Die Welt will uns weismachen, wir hätten nicht genügend Zeit, um sowohl in geistiger als auch in weltlicher Hinsicht zu lernen. Ich warne davor, uns von diesen Philosophien der Menschen betrügen zu lassen. Wenn wir Heiliges kennen lernen, wird dies unser weltliches Lernen erleichtern, ja, sogar beschleunigen. Präsident John Taylor (1808–1887), der dritte Präsident der Kirche, hat den Text „The Limitations of Secular Hypotheses“ (Die Grenzen weltlicher Hypothesen) verfasst. Dort heißt es: „Der Mensch kann die Naturgesetze durch die Philosophie und die Ausübung seiner natürlichen Intelligenz bis zu einem gewissen Grad verstehen. Aber um Gott zu verstehen, bedarf es himmlischer Weisheit und Intelligenz. Irdische und himmlische Philosophie sind zweierlei, und es ist töricht, wenn die Menschen ihre Argumente auf irdische Philosophie stützen, wenn sie versuchen, die Geheimnisse des Reiches Gottes zu enträtseln.“ ( The Gospel Kingdom, Hg. G. Homer Durham [1987], Seite 73.)

Wenn wir für unser weltliches Lernen eine geistige Basis schaffen, werden wir nicht nur die Naturgesetze besser verstehen, sondern wir werden einen tiefen Einblick in Kunst, Sprachen, Technologie, Medizin, Gesetze und menschliches Verhalten erlangen, wie wir ihn uns nie zuvor hätten vorstellen können. Wir können die Welt um uns herum sehen und sie mit Gottes Augen verstehen.

Die Geschichte von König Salomo lehrt uns, dass wir den Herrn um Einsicht bitten können. Als Salomo in Gibeon war, erschien ihm der Herr in einem Traum und sagte: „Sprich eine Bitte aus, die ich dir gewähren soll.“ (1 Könige 3:5.) Salomo, von seiner neuen Verantwortung als König überwältigt, fühlte sich überfordert und sagte zum Herrn: „Ich bin noch sehr jung und weiß nicht, wie ich mich als König verhalten soll.“ (Vers 7.) Daher bat er den Herrn um „ein hörendes Herz“, um über das Volk zu richten (Vers 9). Dem Herrn gefiel Salomos Bitte. Er antwortete:

„Weil du gerade diese Bitte ausgesprochen hast und nicht um langes Leben, Reichtum oder den Tod deiner Feinde, sondern um Einsicht gebeten hast, um auf das Recht zu hören,

werde ich deine Bitte erfüllen. Sieh, ich gebe dir ein so weises und verständiges Herz, dass keiner vor dir war und keiner nach dir kommen wird, der dir gleicht.“ (Vers 11,12.)

Wir dürfen die Macht Gottes und seine Bereitschaft, uns zu segnen, wenn wir mit aufrichtigem Herzen und festem Vorsatz darum bitten, nicht unterschätzen. Er hat Lehrmethoden und Lerntheorien, die sich Bildungspsychologen noch gar nicht vorstellen können.

Während die Gabe des irdischen Lebens uns nur eine relativ kurze Zeitspanne gewährt, in der wir Gott und seine Wege kennen lernen können, können wir uns in der Ewigkeit mit dem Universum und allem darin beschäftigen und weltliches Wissen anhäufen. Präsident Kimball hat gesagt, dass es eine der Segnungen der Erhöhung sei, dass wir unbegrenzt Zeit zum Lernen alles Weltlichen haben. Er sagte: „ Nach dem Tod werden wir weiter lernen. Erhöhung bedeutet Gott zu sein, Schöpfer zu sein. ‚Wie der Mensch jetzt ist, war Gott einst; wie Gott jetzt ist, kann der Mensch einst werden.‘ (Eliza R. Snow Smith, Biography of Lorenzo Snow, [Salt Lake City, Deseret News Co., 1884], Seite 46.) Dies liegt noch in der Zukunft. Es ist klar, dass jemand die Geologie, Zoologie, Physiologie, Psychologie und alles andere beherrschen muss, bevor er die bestehenden Stoffe nehmen und sie zu einer Welt wie der unsrigen formen kann. Es ist auch klar, dass keine Seele in ihrem kurzen Erdenleben all diese Erkenntnis erlangen und alle Wissenschaften beherrschen kann, aber man kann einen Anfang machen. Und mit der Grundlage des geistigen Lebens und der Macht und Herrschaft, mit den Vollmächten und Kräften, die man durch das Evangelium Christi erlangt, kann man dieses beinahe grenzenlose Studium des Weltlichen beginnen.“ (The Teachings of Spencer W. Kimball, Hg. Edward L. Kimball [1982], Seite 53.)

Machen wir uns deshalb niemals Gedanken darüber, wie viel Zeit es uns kostet, Geistiges zu lernen. Diese Zeit ist gut angelegt. Sie schafft die Grundlage für weltliches Lernen. Ja, der Herr wird uns dafür segnen, dass wir auf ihn vertrauen und uns zuerst mit seinem ewigen Plan befassen. Wir sprechen über ein Fenster, das erweitert, nicht einengt, ein Fenster der Lernmöglichkeiten, wenn wir uns den vorrangigen Dingen zuerst widmen.

Ferner hat Präsident Kimball gesagt:

„Dieses irdische Leben ist die Zeit, wo wir uns darauf vorbereiten sollen, Gott zu begegnen. Dies ist unsere vorrangige Aufgabe. Wir haben schon einen Körper erlangt, der in Ewigkeit der Tempel für unseren Geist ist. Wir müssen unseren Körper, unseren Sinn und unseren Geist schulen. Und so müssen wir dieses Leben vor allem dafür nutzen, uns zu vervollkommnen, das Fleisch zu beherrschen, den Körper dem Geist zu unterwerfen, alle Schwächen zu überwinden, uns selbst zu beherrschen, damit wir Führer für andere sein können, und um alle notwendigen heiligen Handlungen zu vollziehen….

Wenn unsere Füße fest auf dem Weg zum ewigen Leben stehen, können wir mehr Wissen über Weltliches ansammeln….

Ein hochqualifizierter Wissenschaftler, der auch ein vollkommen gewordener Mensch ist, kann eine Welt schaffen und sie bevölkern, aber ein liederlicher, unbußfertiger, ungläubiger Mensch wird selbst in alle Ewigkeit kein solcher Schöpfer sein.

Weltliches Wissen, sei es auch noch so wichtig, kann niemals einen Menschen erretten, das celestiale Reich öffnen, eine Welt erschaffen oder einen Menschen zum Gott machen. Aber es kann für einen Menschen, der das Wichtigste an die erste Stelle setzt und den Weg zum ewigen Leben gefunden hat, äußerst hilfreich sein, wenn er jetzt all sein Wissen ins Spiel bringt, damit es sein Werkzeug und Diener sei.“ ( President Kimball Speaks Out, Seite 90 ff.)

Uns Unserer Schuld Gegenüber Gott Bewusst Sein

Nachdem wir alles, was wir nur können, über den Kurs, dem wir folgen müssen, gelernt haben und auf dem Weg zur Erlangung des ewigen Lebens vorwärts geschritten sind, sind wir verpflichtet, den anderen Kindern unseres himmlischen Vaters zu helfen, wenn sie Hilfe brauchen. Haben wir Wissen über den Plan Gottes erlangt, so hat dies viele Konsequenzen. Eine wesentliche Konsequenz ist die, dass wir uns unserer Schuld gegenüber dem Gott dieser Welt, Jesus Christus, deutlich bewusst sind. Der Erlösungsplan basiert auf der Notwendigkeit eines Erlösers. Jesus hat diese Aufgabe ausgeführt. Er hat für unsere Sünden gesühnt und um es mit den Worten Jesajas und des Petrus zu sagen: „Durch seine Wunden sind wir geheilt.“ (Jesaja 53:5; siehe 1 Petrus 2:24.)

Offensichtlich empfand der Apostel Paulus dieses Schuldbewusstsein sehr deutlich, als er in seinem Brief an die Römer schrieb: „Angesichts des Erbarmens Gottes ermahne ich euch, meine Brüder, euch selbst als lebendiges und heiliges Opfer darzubringen, das Gott gefällt; das ist für euch der wahre und angemessene Gottesdienst.“ (Römer 12:1.) Paulus nennt einen grundlegenden Aspekt des Dienens. Wir dienen, weil wir dem Herrn für die Segnungen, die er uns gibt, dankbar sind. Darüber hinaus dürfen wir nicht vergessen, dass der größte Segen für uns alle darin besteht, dass er gelitten und geblutet hat und gestorben ist, um den großen Plan des Glücklichseins zu erfüllen – einen Plan, der für uns entworfen und ausgeführt wurde, damit wir mit ihm in die Gegenwart des Vaters zurückkehren können. Das Wissen um diesen zentralen Gedanken ließ König Benjamin sagen: „Wenn ihr ihm mit ganzer Seele dientet, wärt ihr dennoch unnütze Knechte.“ (Mosia 2:21.)

Wie dienen wir ihm, der es uns ermöglicht hat, ewiges Leben zu erlangen? Und wieder gibt uns König Benjamin die Antwort, als er seinem Volk sagt: „Wenn ihr euren Mitmenschen dient, allein dann dient ihr eurem Gott.“ (Mosia 2:17.)

Im Buch Mormon finden wir verschiedene Beispiele von Menschen, die die grundlegende Gleichung, die so viel über den Zweck des Lebens aussagt, verstanden haben, nämlich: Dienst am Mitmenschen bedeutet Dienst an Gott. Natürlich war König Benjamin eines der herausragenden Beispiele dafür, wie man Gott und den Mitmenschen dient. Hat er doch zu seinem Volk gesagt: „Und ich selbst habe mit meinen eigenen Händen gearbeitet, um euch zu dienen.“ (Mosia 2:14.) König Benjamin hatte sich dafür entschieden, den Erlösungsplan kennen zu lernen; dann ging er hin und diente seinen Mitmenschen.

Es gibt ein noch bewegenderes Beispiel dafür, wie der Geist des Dienens denjenigen erfasst, der Gottes Plan kennen gelernt und verstanden hat, nämlich die Geschichte von Alma dem Jüngeren. Wir wissen, dass Alma und die Söhne Mosias in ihrer Jugend danach trachteten, die Kirche Gottes zu vernichten. Seine Handlungen wichen um 180 Grad von dem Kurs ab, den er eigentlich befolgen sollte. Dann geschah etwas Bemerkenswertes. Ein Engel erschien Alma und brachte ihn und seine Brüder auf den richtigen Kurs.

Können Sie sich vorstellen, wie erstaunt Alma war? Er hatte sein Leben der Zerschlagung der Kirche des Herrn und des Glaubens des Volkes gewidmet, und dann erschien ihm ein Engel und sagte zu ihm: „Der Herr hat gesprochen: Dies ist meine Kirche, und ich werde sie aufrichten; und nichts wird sie vernichten als allein die Übertretungen meines Volkes.“ (Mosia 27:13.)

Alma war so schockiert, dass es ihm buchstäblich die Sprache verschlug; und er konnte nicht einmal mehr die Hände bewegen. Seine Begleiter nahmen ihn mit und legten ihn vor seinem Vater Alma, dem Hohenpriester, nieder. Die Priester versammelten sich und fasteten und beteten zwei Tage und zwei Nächte lang für Alma, damit sein Mund wieder geöffnet werde und er seine Kraft wiedererlangen möge. Ihr Flehen wurde schließlich erhört, und Alma der Jüngere, nun ganz verändert, stand vor ihnen, sprach mit ihnen und sagte:

„Meine Seele ist von der Galle der Bitternis und den Banden des Übeltuns erlöst worden. Ich war im finstersten Abgrund; aber nun sehe ich das wunderbare Licht Gottes. Meine Seele war von ewiger Qual gepeinigt; aber ich bin entrissen, und meine Seele leidet keinen Schmerz mehr.

Ich habe meinen Erlöser verworfen und das verleugnet, wovon unsere Väter gesprochen haben; nun aber, damit man vorher wisse, dass er kommen wird und dass er eines jeden Geschöpfs seiner Schöpfung gedenkt, wird er sich allen kundtun.“ (Mosia 27:29,30.)

Für Alma war es eine schmerzhafte Kurskorrektur. Er hatte unsagbare Pein und ewige Qual gelitten, aber er war wieder auf dem richtigen Weg. Was das Buch Mormon als nächstes berichtet, ist äußerst interessant.

„Und nun begab es sich: Alma fing an, von dieser Zeit an das Volk zu lehren; und diejenigen, die mit Alma waren, als der Engel erschien, zogen ringsum durch das ganze Land und gaben allem Volk bekannt, was sie gehört und gesehen hatten; und sie predigten das Wort Gottes in viel Drangsal, denn sie wurden von denen, die ungläubig waren, heftig verfolgt, und sie wurden von vielen von ihnen geschlagen….

Und sie zogen durch das ganze Land Zarahemla und begaben sich unter alles Volk, das der Regierung König Mosias unterstand, und sie bemühten sich eifrig, das Unrecht gutzumachen, das sie der Kirche angetan hatten; sie bekannten alle ihre Sünden und machten alles bekannt, was sie gesehen hatten, und erklärten allen, die es zu hören wünschten, die Prophezeiungen und die Schriften.

Und so waren sie Werkzeuge in den Händen Gottes, um viele zur Erkenntnis der Wahrheit zu bringen, ja, zur Erkenntnis ihres Erlösers.“ (Mosia 27:32,35,36.)

Nach der Bekehrung kommt die Aufgabe und die Pflicht, andere Kinder unseres Vaters im Himmel an der empfangenen Erkenntnis teilhaben zu lassen. Almas Leben hatte sich geändert, und er wurde einer der größten Missionare, die je gelebt haben. Er lehrte den Erlösungsplan mit Macht und Erkenntnis. Er hatte zu Füßen eines Engels gelernt; dann ging er aus und diente.

Wir erkennen das Ausmaß von Almas Bekehrung zur Wahrheit und seinen daraus resultierenden Wunsch, allen Kindern Gottes zu dienen, wenn wir lesen, was er am Ende seines geistlichen Wirkens geschrieben hat:

„O dass ich ein Engel wäre und mein Herzenswunsch wahr würde, nämlich dass ich hinausgehen und mit der Posaune Gottes sprechen könnte – mit einer Stimme, die die Erde erschüttert – und jedes Volk zur Umkehr rufen könnte!

Ja, wie mit Donnerstimme würde ich einer jeden Seele Umkehr und den Plan der Erlösung verkünden, damit sie umkehre und zu unserem Gott komme, damit es auf der ganzen Erde kein Leid mehr gebe.“ (Alma 29:1,2.)

Alma war in seinem Einblick in den Erlösungsplan und im Dienst für den Herrn bei dem Punkt angelangt, an dem er sich durch die Beschränkungen seines physischen Körpers eingeengt fühlte. Er erkannte, dass sein Wunsch undurchführbar war, aber er wollte mehr. Er wollte das Evangelium mit der Stimme jenes Engels verkünden, der es ihm verkündet hatte. Er fühlte sich tief in der Schuld des Herrn, und deswegen wollte er mehr opfern, als er besaß, um dem Herrn zu dienen.

Manche von uns verkünden die Lehre von der Ich-Bezogenheit. Sie erklären, dass wir zuerst und vor allem und über allem an uns selbst denken müssen. Die Geschichte jedoch lehrt, dass Egoismus noch nie glücklich gemacht hat. Das Dienen und Teilen ist ein wichtiger Teil des Lebens. Gewiss hinterlässt die Lebensfreude, die die Seele zufrieden macht, ein Vermächtnis an Liebe und Dienst für andere, dem man nacheifern und dessen man sich erfreuen sollte. Bryant S. Hinckley, der Vater von Präsident Hinckley, hat zum Thema Dienen Folgendes gesagt:

„Das Dienen ist die Tugend, die die Großen zu allen Zeiten ausgezeichnet hat und durch die man sie im Gedächtnis behält. Es adelt seine Jünger. Es ist die Trennlinie zwischen den beiden großen Gruppen in der Welt – denen, die helfen und denen, die im Weg stehen, denen, die aufbauen und denen, die sich zurücklehnen, denen, die etwas beitragen und denen, die nur konsumieren. Ja, Geben ist seliger denn Nehmen! Dienen in jeder Form ist gut und schön. Wenn man ermutigt, Mitgefühl hat, Interesse zeigt, Furcht vertreibt, Selbstvertrauen aufbaut und im Herzen anderer Hoffnung weckt – kurz, wenn man sie liebt und es ihnen zeigt – dann erweist man den wertvollsten Dienst.“ (Zitiert in Steven R. Covey et al., First Things First [1994], Seite 306.)

Es ist der Zweck unseres irdischen Lebens, dass wir zur Erde kommen, um zu lernen und dann ausgehen, um zu dienen. Wenn unsere Handlungen von diesem Zweck abweichen, sollten wir eine rasche Kurskorrektur vornehmen und auf den rechten Weg zurückkehren. Verpflichten wir uns doch, uns jeden Tag, jede Woche, jedes Jahr Zeit zu nehmen, um uns zu vergewissern, dass der Kurs, auf dem wir sind, der ist, den der Herr selbst vorgesehen hat, der enge und schmale Weg, der zur einzigen Bestimmung führt, die uns immerwährenden Frieden und Freude schenkt – nämlich ewiges Leben.